Bewertet am 22. September 2021
Veröffentlicht von: NZZ (online)
Sollten sich Schwangere gegen Corona impfen lassen? Welche Risiken birgt die Impfung, welche eine Infektion für Mutter und Kind? Ein Artikel auf NZZ online greift die Thematik auf, anlässlich der aktuellen Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) in Deutschland, Schwangere und Stillende mit einem mRNA-Impfstoff impfen zu lassen. Dabei wird klar und verständlich dargelegt, wie gut der Impfstoff vor einer Infektion und vor einer schweren Erkrankung schützt. Auch geht der journalistische Beitrag auf die Risiken einer Infektion bei ungeimpften Schwangeren ein.

Zusammenfassung

Der journalistische Beitrag auf NZZ online informiert über die aktuelle Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO), Schwangere und Stillende mit einem mRNA-Impfstoff gegen Corona impfen zu lassen. Darüber hinaus ordnet der Artikel diese Empfehlung in die aktuelle Debatte um die Impfung von Schwangeren ein, berichtet über Belege für die Wirksamkeit der Impfung bei Schwangeren und über die vorläufigen Beobachtungen zur Sicherheit der Impfung für Mutter und Kind. Auch findet sich die klar verständliche Schlussfolgerung aus den Studienergebnissen und Diskussionen: „Für werdende Mütter sind die neuen Daten und die neue Bewertung derselben durch die Stiko ein gutes Argument, sich während einer Schwangerschaft impfen zu lassen.“  Schade ist nur, dass der Beitrag an manchen Stellen fast einen Appell-Charakter entwickelt. Auch Interessenkonflikte hätten mehr thematisiert, unabhängige Experten ausführlicher zitiert werden können. Insgesamt aber handelt es sich um einen gelungen Beitrag, der eine aktuelle Diskussion verständlich darlegt und Studienergebnisse gut erklärt.

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Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Dass jüngere Frauen generell ein niedriges Risiko besitzen, schwer an Corona zu erkranken, dieses Risiko aber durch eine Schwangerschaft deutlich erhöht wird, und dass eine Impfung während der Schwangerschaft wirksam vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 und vor schweren Verläufen von COVID-19 schützen kann, wird klar und verständlich berichtet. Auch wird der in der Studie beobachtete Nutzen im Artikel quantifiziert: „Gerade Schwangere und ihre Ungeborenen benötigen also einen Schutz vor dem Virus. Vor wenigen Tagen in der Fachzeitschrift ,Nature Medicine´ veröffentlichte Daten aus Israel zeigen, dass die Impfung diesen auch dann liefert, wenn die Spritze während der Schwangerschaft verabreicht wird. So verschaffte die mRNA-Impfung der Firma Biontech/Pfizer den werdenden Müttern eine Schutzwirkung von 96 Prozent vor Sars-CoV-2-Infektionen und eine von 89 Prozent vor schweren Erkrankungen. Beobachtet wurden je fast 11 000 geimpfte beziehungsweise ungeimpfte Schwangere. Andere Vakzine wurden in der Studie nicht analysiert.“ Für ein besseres Verständnis der relativen Risikosenkungen wäre die Angabe der absoluten Zahlen Infizierter in den beiden Gruppen hilfreich gewesen, daher werten wir nur knapp „erfüllt“.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Die Frage nach der Sicherheit der Impfung und möglichen Gefahren für Ungeborene bzw. Neugeborene wird thematisiert, der Stand der Forschung knapp zusammengefasst, etwa hier: „Ebenso wichtig ist, dass sie für das Ungeborene keine Gefahr darstellt. Dazu gibt es zwar noch keine ähnlich grosse Studie. Aber überall dort, wo bereits Schwangere geimpft wurden, wurden keine erhöhten Raten an Fehl- oder Frühgeburten und auch keine Schäden an den Neugeborenen im Vergleich zu nicht geimpften Frauen festgestellt. Auch kam es nicht zu mehr Komplikationen bei der Geburt. Zudem haben Tierversuche mit trächtigen Ratten keine Hinweise auf eine fruchtschädigende Wirkung der mRNA-Impfstoffe ergeben.“ Ebenso wird erklärt, welche Risiken eine Infektion mit Sars-CoV-2 bei ungeimpften Schwangeren mit sich bringen: „Aber wenn eine Schwangere das Coronavirus aufschnappt, dann steigt ihr Risiko im Vergleich zu nicht infizierten Schwangeren für diverse Komplikationen. Dazu gehören Präeklampsie, Nierenversagen oder auch Thrombosen. Das Risiko, einen schweren Covid-19-Verlauf zu haben, ist um den Faktor sechs erhöht. Auch ist die Rate an Früh- sowie Totgeburten bei Schwangeren mit einer Sars-CoV-2-Infektion fast doppelt so hoch wie bei Nichtinfizierten.“ Schade ist nur, dass im Vorspann des Artikels etwas lapidar erklärt wird, die Impfung „schadet nicht“, was später allerdings präzisiert und relativiert wird. Auch wären mehr Details zu möglichen Impfrisiken hilfreich gewesen, da mögliche Nebenwirkungen natürlich von zentraler Bedeutung sind. Insgesamt werten wir dennoch „ERFÜLLT“.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Es wird klar, dass mRNA-Impfstoffe zur Verfügung stehen und in vielen Ländern Schwangere auch bereits damit geimpft werden: „So ist in den USA ebenso wie in Grossbritannien die Impfung für Schwangere empfohlen. In der Schweiz hingegen wird derzeit nur Schwangeren mit Vorerkrankungen die Impfung empfohlen.“

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Als Alternative zum Impfen wäre hier allenfalls das Nicht-Impfen zu erwähnen bzw. die allseits bekannten Maßnahmen, sich vor einer Corona-Infektion zu schützen. Diese dürften jedoch inzwischen allgemein bekannt sein. Daher erachten wir es als angemessen, dass im Artikel keine Alternativen thematisiert werden und werten „ERFÜLLT“. Dass sich die Empfehlung nur auf mRNA-Impfstoffe bezieht wird gleich zu Beginn deutlich gemacht.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Die Kosten der Impfung werden im journalistischen Beitrag nicht erwähnt.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Es sind keine Anzeichen für eine übertriebene Darstellung zu finden, auch wenn die erhöhten Risiken für Schwangere infolge einer SARS-CoV-2 Infektion nur in relativen Risikosteigerungen angegeben sind. Denn der Absatz wird eingeleitet mit dem Hinweis, dass das absolute Risiko bei jungen Frauen generell auf niedrigem Niveau liegt.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Die Angaben zur Qualität und zum Aufbau der Studie fallen sehr knapp aus. So erfährt man zum Beispiel nicht, dass es sich um eine beobachtende und nicht-randomisierte Studie handelt. Daher werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Eine Expertin wird zitiert, die aber Teil der Stiko ist: „,dass Schwangerschaft ein Risikofaktor für eine schwere Covid-19-Erkrankung sein könne´, so erläutert Marianne Röbl-Mathieu, Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in München und Mitglied der Ständigen Impfkommission die neue Empfehlung.“ Wünschenswert wäre hier eine einordnende Stimme einer nicht involvierten Expert*in gewesen, die zudem auch die besprochene Studie kommentiert. Als weitere unabhängige Quellen werden andere Fachgesellschaften und Kommissionen in anderen Ländern als Bestätigung genannt „Die Stiko folgt damit Fachgesellschaften wie der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, aber auch Kommissionen in anderen Ländern. So ist in den USA ebenso wie in Grossbritannien die Impfung für Schwangere empfohlen.“ Daher werten wir alle in allem knapp „nicht erfüllt“.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Einzelne Wissenschaftler geben im Fachartikel Verbindungen zu Pfizer an. Das hätte im journalistischen Beitrag erwähnt werden sollen.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Die aktuelle Gemengelage, was Impfempfehlungen angeht, wird dargestellt, die Auswirkungen der geänderten STIKO-Empfehlung thematisiert. Auch wird erwähnt, dass die Studie nur untersucht hat, ob die Impfung Schwangere vor der Alphavariante schützt – und inwiefern die Ergebnisse auf die aktuelle Pandemielage übertragbar sind: „Streng genommen gelten die Zahlen allerdings vor allem für die Alpha-Virusvariante, die im Studienzeitraum dominierte. Doch da der durch Impfung induzierte Immunschutz vor Alpha bei Schwangeren ähnlich hoch sei wie in der Gesamtbevölkerung, könne man davon ausgehen, dass dies auch bei anderen Virusvarianten der Fall sei, betonen die Autoren. Die mRNA-Impfungen schützen zu rund 88 Prozent vor einer Infektion und zu über 90 Prozent vor schweren Erkrankungen mit der Delta-Variante.“ Auch eine Einordnung bezüglich der Empfehlung anderer Gremien und anderer Länder findet sich im Artikel: „Die Stiko folgt damit Fachgesellschaften wie der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, aber auch Kommissionen in anderen Ländern. So ist in den USA ebenso wie in Grossbritannien die Impfung für Schwangere empfohlen. In der Schweiz hingegen wird derzeit nur Schwangeren mit Vorerkrankungen die Impfung empfohlen. Werdende Mütter, die eine Impfung gegen Covid-19 wünschen, sollen sich diese laut den aktuellen Empfehlungen in der Schweiz erst ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel verabreichen lassen. Dies ist eine reine Vorsichtsmassnahme, denn über die Verträglichkeit der Impfung für Mutter und Kind gib es bis anhin nur wenige Daten.“

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Wir haben keine Fehler gefunden, nur eine Ungenauigkeit: Es ist an einer Stelle von der Firma Biontech/Pfizer die Rede. Tatsächlich handelt es sich dabei um zwei Unternehmen. Die letzte Textpassage erscheint uns allerdings etwas spekulativ: „Zudem können nun Schwangere, die wegen der Corona-Pandemie ein Berufsverbot haben, dieses unter Umständen mit einer Impfung aufheben. So dürfen derzeit in Baden-Württemberg schwangere Lehrerinnen keinen Präsenzunterricht abhalten.“ Bis jetzt gilt das Beschäftigungsverbot für schwangere Lehrerinnen in Baden-Württemberg dezidiert auch dann, wenn sie vollständig geimpft oder genesen sind (rp.baden-wuerttemberg.de/fileadmin).

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Die unterschiedlichen Aspekte zum Thema STIKO-Impfempfehlung finden sich so nur zum Teil in der im Artikel verlinkten Pressemitteilung der STIKO. Daher gehen wir von einer journalistischen Eigenleistung aus.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Der Beitrag ist eher nachrichtlich gehalten, was zum Thema passt, und bis auf ein paar Ausreißer gut lesbar („…wurden keine erhöhten Raten an Fehl- oder Frühgeburten und auch keine Schäden an den Neugeborenen im Vergleich zu nicht geimpften Frauen festgestellt“).

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Auch wenn es schön gewesen wäre, Begriffe wie ‚Präeklampsie‘ und „Vakzine“ zu erklären, ist der Artikel im Großen und Ganzen gut verständlich.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Der Beitrag wurde am Tag der STIKO-Empfehlung veröffentlicht und thematisiert ein gesellschaftlich relevantes Thema.

Medizinjournalistische Kriterien: 11 von 15 erfüllt

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar