Bewertet am 14. September 2021
Veröffentlicht von: SWR (online)

Ein Nasenspray mit Rotalgen soll angeblich das Risiko einer Infektion mit Sars-CoV-2 verringern. Was an diesen Behauptungen dran ist, versucht ein journalistischer Beitrag des SWR (online) zu ergründen. Allerdings werden die bisherigen wissenschaftlichen Studien dazu nur kurz und allgemein erklärt, so dass die Leser*innen nach Lektüre des Artikels nicht wirklich einschätzen können, welchen Nutzen und welche Risiken ein solches Spray tatsächlich haben könnte.

Zusammenfassung

Der Artikel versucht, ein Werbeversprechen zu einem Nasenspray gegen Corona einem kritischen Faktencheck zu unterziehen. Es existieren Ansätze, die vorhandene Evidenz kritisch einzuordnen, etwa indem betont wird, dass Studien bislang nur vorveröffentlicht wurden und dass die Sprays andere Hygienemaßnahmen auf keinen Fall ersetzen können. Allerdings bleibt völlig offen, in welcher Form das Spray bislang wissenschaftlich untersucht wurde, wie diese Studien also aufgebaut waren und was das genaue Ergebnis war. Aus diesem Grund ist nicht nachvollziehbar, warum im journalistischen Beitrag erklärt wird, dass das Spray möglicherweise einen gewissen Nutzen habe. Auch bleibt unklar, wie groß dieser Nutzen sein könnte, welche Risiken das Spray haben könnte, wie es erhältlich ist und wie teuer. Somit bleiben für die Leser*innen leider viele Fragen offen.

Hinweis: Der Online-Artikel, den wir bewertet haben, basiert auf einem Radiobericht von SWR3, der hier nicht bewertet wurde, inhaltlich aber sehr ähnlich ist.

Title

Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Der Artikel spricht vage von einer „gewissen Wirkung“ des Nasensprays mit Rotalgen, es könne „schon sein, dass so ein Nasenspray zu einem gewissen Grad zum Schutz vor einer Infektion beitragen kann“. Wie groß der Effekt sein soll, wird im Beitrag aber nicht dargelegt, der mögliche Nutzen nicht quantifiziert (und es bleibt offen, warum der Nutzen nicht konkret beziffert wird). Es wird zwar deutlich, dass es wohl klinische Studien mit dem Spray gegeben hat, nicht aber, in welchem Ausmaß Versuchspersonen bei klinischen Studien von dem Spray profitiert haben – ob es etwa konkrete Hinweise darauf gibt, dass es tatsächlich Infektionen verhindert oder die Krankheitsschwere verringert. Auch die vorausgehenden Untersuchungen in Zellkulturen werden nicht näher beschrieben. Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Auf Risiken oder Nebenwirkungen wird im journalistischen Beitrag nicht eingegangen. Laut einer Pressemitteilung der Uniklinik Erlangen sind die Sprays zwar „sicher und gut verträglich“. Im Beipackzettel eines der Produkte (Algovir) wird jedoch erwähnt, dass in einer klinischen Studie mit 35 Probanden ein Teilnehmer über einen trockenen Mund und geschwollene Augenlider klagte. Außerdem geht daraus hervor, dass es keine Untersuchungen zu Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten gibt. Dies wäre für die Leser*innen des journalistischen Beitrags ein wichtiger Hinweis gewesen.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Das Mittel sei im Frühjahr 2020 auf den Markt gekommen, heißt es. Da außerdem im Beitrag von der Werbung des Herstellers die Rede ist, wird deutlich, dass das Nasenspray derzeit verfügbar ist. Dabei fehlen allerdings Informationen dazu, ob es frei verkäuflich, rezept- oder apothekenpflichtig ist, daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Der Beitrag erwähnt, dass die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene neben dem  Algenspray auch Mundspülungen, grünen Tee, Granatapfelsaft oder auch eine einfache Kochsalzlösung empfiehlt. Lobenswert ist, dass ebenso angemerkt wird, dass das Nasenspray andere Hygienemaßnahmen nicht ersetzen kann: „Das Spray ist also kein Ersatz für andere Schutzmaßnahmen wie Maske tragen oder Abstand halten.“

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Die Kosten des Nasensprays werden im Artikel nicht erwähnt.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Im Beitrag finden sich keine Aussagen, die sich als Krankheitsübertreibung werten lassen.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Der Beitrag weist zwar daraufhin, dass es sich hier um noch nicht begutachtete, vorab veröffentlichte Studienergebnisse handelt. Leserinnen und Leser erhalten jedoch keinerlei Informationen zur Studie – die Anzahl der Probanden bleibt unerwähnt, das Studiendesign, die Anzahl der an Covid-19 erkrankten Probanden in der mit Rotalgen behandelten Studiengruppe ebenfalls. Es gibt keine Einordnung der Aussagekraft der Studie. Unzutreffend ist der Satz: „Es gibt mittlerweile auch erste Studien in Deutschland von der Uniklinik Erlangen, die die Wirkung solcher Sprays belegen.“ In der Pressemitteilung der Uniklinik Erlangen werden lediglich Studienergebnisse aus Argentinien erwähnt. Weitere Studie unter Beteiligung der Uniklinik Erlangen seien laut Pressemitteilung erst „angelaufen“, Ergebnisse liegen also noch nicht vor (siehe auch Kriterium 11). Immerhin heißt es am Ende eines Absatzes richtig: „Es muss noch mehr Untersuchungen und Studien zur Wirksamkeit der Algen Nasensprays geben.“

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Der Beitrag benennt weder die Studien, auf die er sich bezieht (die argentinische Studie ist z.B. hier zugänglich), noch werden daran beteiligte Forschende sowie unabhängige Expertinnen und Experten zitiert. Die einzige konkret benannt Quelle ist die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene. Deren Stellungnahme stammt aus dem Dezember 2020, kann also schon deshalb zu aktuellen Studiendaten keine Aussagen machen und bezieht sich auf den Mund-Rachenbereich. Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Laut Pressemitteilung kooperiert die Erlanger Forschungsgruppe mit der österreichischen Marinomed Biotech AG, die an Carragelose-haltigen Pastillen gegen Covid-19 forscht (marinomed.com/de/news). Marinomed forscht nicht nur an Pastillen mit dem Wirkstoff, sondern hat eigenen Informationen zufolge sogar die Patentrechte an Carragelose inne und vertreibt in Deutschland ein Carragelose-Nasenspray: marinomed.com/de/news. Dazu heißt es auf der Seite der Firma: „Marinomed hat die Patentrechte an Carragelose® inne und hat Carragelose® zum Vertrieb in Europa, Kanada, Australien und verschiedenen asiatischen Ländern auslizensiert. Eine vollständige Liste von Marinomeds Carragelose®-Portfolio von Nasensprays und Produkten für den Rachenraum finden Sie unter https://www.carragelose.com/en/portfolio/launched-products.“ Dies wird im journalistischen Beitrag nicht erwähnt.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Der Beitrag informiert darüber, dass das Spray bereits eine Weile auf dem Markt ist. Auch wird deutlich, dass es noch keine ausreichenden Studien zur Wirksamkeit gibt und das Spray allenfalls ergänzend zu anderen Maßnahmen angewendet werden sollte. Stutzig macht allerdings, dass das Spray schon im Frühjahr 2020 auf den Markt gekommen ist. Zu diesem Zeitpunkt kann es noch keine größeren Studien mit Sars-CoV-2 gegeben haben. Versucht das Unternehmen vielleicht einfach, aus der Pandemie Nutzen zu schlagen? Das wäre legitim, hätte im journalistischen Beitrag aber thematisiert werden müssen. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Das Thema ist zu verknappt dargestellt. So heißt es zum Beispiel zu Beginn, das Spray enthalte Rotalgen. Tatsächlich enthält es eine Substanz der Rotalge (Iota Carragelose). Erklärungen zur Wirkweise werden aus einer Pressemitteilung entnommen und nicht weiter hinterfragt: „Es legt sich ein natürlicher Schutzfilm auf die Nasenschleimhäute, die das Eindringen der Viren verhindert. Somit können sie auch nicht in die Zellen eintreten.“ Der Beitrag behauptet unzutreffend, dass „Studien in Deutschland“ die Wirkung des Sprays belegen würden (siehe auch Kriterium 7). Abgesehen von einer argentinischen Studie, auf die in einer Pressemitteilung der Uniklinik Erlangen eingegangen wird, haben wir jedoch keine klinischen Studien zur Wirkung bei Sars-CoV-2 finden können. Die verfügbaren Daten scheinen also deutlich begrenzter zu sein, als der Artikel es suggeriert.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Der Beitrag enthält zwar Informationen aus einer Pressemitteilung der Universität Erlangen, versucht aber, diese einzuordnen (Vorveröffentlichung) und durch eine Einordnung der deutschen Krankenhaushygiene zu ergänzen. Da der Beitrag insgesamt jedoch nur wenig über den Inhalt der Pressemitteilung hinausgeht, werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Der Artikel schafft es nicht, das Thema spannend zu vermitteln. Interessante, einordnende Informationen etwa zur Rotalge fehlen komplett. Hinzu kommen viele Passivkonstruktionen und inhaltliche Wiederholungen in einem recht kurzen Text (etwa dazu, dass das Spray keinen kompletten Schutz bietet und Studienergebnisse nur vorläufig sind). Zudem fallen einige sprachlichen Mängel auf („Aber man kann sich damit nicht ganz vor einer Infektion schützen“).

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Der Beitrag macht deutlich, dass Skepsis angebracht ist, da viele Befunde noch unveröffentlicht bzw. nicht von Fachkollegen begutachtet sind. Letztlich findet sich jedoch ein Nebeneinander von „Wirkung in ersten Studien belegt“ einerseits und „einen gravierenden Unterschied“ mache das Mittel vermutlich nicht andererseits. Das dürfte die Leser*innen verwirren. Das „Fazit“ des Beitrags ist eigentlich keines, sondern ein Ausweichen auf ein subjektives „Sicherheitsgefühl“, das das Spray vermitteln könne.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Alles zu Covid-19 scheint derzeit zunächst aktuell und relevant. Da dieser Beitrag aber keine konkreten Informationen enthält, die wesentlich über die Empfehlung der Deutschen Krankenhausgesellschaft vom vergangenen Jahr hinausgehen, hätte man auf diesen Beitrag verzichten können, bzw. abwarten sollen, bis aus den angelaufenen Erlanger Studien Ergebnisse vorliegen. Berichte über Vorabpublikationen sind stets sorgfältig abzuwägen. Sie können im Einzelfall gerechtfertigt sein, aber hier können wir keinen plausiblen Grund dafür erkennen. Auch ein aktueller Anlass ist nicht gegeben. Die argentinische Studie wurde im Februar vorab publiziert, die Pressemitteilung dazu stammt aus dem April.

Medizinjournalistische Kriterien: 4 von 15 erfüllt

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar