Bewertet am 10. August 2021
Veröffentlicht von: Berliner Zeitung (online)

Der Corona-Impfstoffkandidat des deutschen Pharmaunternehmens Curevac galt als vielversprechend. Umso größer war die Enttäuschung, als das Vakzin in einer Zwischenanalyse nur eine Wirksamkeit von 47 Prozent erreichte. Ein Artikel der Berliner Zeitung (online) greift diese wichtige Thematik aktuell auf und berichtet über die Studienergebnisse und über mögliche Gründe für die schlechten Zwischenergebnisse. Doch bleiben zum Beispiel Interessenkonflikte eines im Text zitierten Wissenschaftlers unerwähnt.

Zusammenfassung

Die Zwischenanalyse einer klinischen Studie hat die Hoffnungen gedämpft, bald über einen weiteren hoch wirksamen Impfstoff gegen die Covid-19-Erkrankung zu verfügen. Der Impfstoffkandidat der Pharmafirma Curevac erreichte darin nur eine geringe Wirksamkeit von 47 Prozent. Ein journalistischer Beitrag der Berliner Zeitung (online) greift die Zwischenergebnisse auf, referiert jedoch in großen Teilen die Pressemitteilung des Unternehmens. Die darüber hinaus gehenden Textpassagen liefern leider nur wenige zusätzliche Informationen. Immerhin wird eine Studie aus Katar erwähnt, als es um die Rolle der verschiedenen Virusvarianten geht, allerdings fehlt hier eine Quellenangabe. Auch bleibt unerwähnt, dass der im letzten Absatz zitierte Forscher einst zu den Gründern des Curevac Unternehmens gehörte. Und schließlich werden bei der Beschreibung des Nutzens der Impfung „Infektion“ und „Erkrankung“ verwechselt.

 

Title

Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Im journalistischen Beitrag wird beschrieben, dass der Impfstoff „gegen Infektionen“ mit SARS-CoV-2 wirkt. Auch wird der Nutzen quantifiziert: „Der Impfstoffkandidat von Curevac dagegen erreichte in einer Zwischenanalyse nur 47 Prozent“. Zudem wird noch erwähnt: „Eine Wirksamkeit sei vor allem bei jüngeren Studienteilnehmern registriert worden. Für über 60-Jährige seien keine Rückschlüsse möglich gewesen.“ Allerdings bleibt der Beitrag in seinen Beschreibungen ungenau:  Der Pressemeldung des Unternehmens ist zu entnehmen, dass es um COVID-19-Erkrankungen jeden Grades geht. Asymptomatische Infektionen (also ohne Covid-19-Erkrankkung) sind nicht gemeint (siehe Kriterium Faktenfehler). Insgesamt werten wir daher nur knapp „ERFÜLLT“.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Das Thema Risiken und Nebenwirkungen wird nur insofern angesprochen, als es heißt „dass sich Curevac zu viel Zeit gelassen habe, um den bestmöglichen Impfstoff zu entwickeln: mit niedrigerer Dosierung und weniger Nebenwirkungen“. Ob aber tatsächlich im Vergleich zu anderen Impfstoffen weniger Nebenwirkungen auftraten, berichtet der Artikel nicht. Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Mit der Formulierung „Impfstoffkandidat“, der jetzt in einer Phase-III Studie geprüft wird, macht der Beitrag deutlich, dass Curevac noch nicht zugelassen und damit nicht allgemein verfügbar ist.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Der Beitrag vergleicht den Impfstoffkandidaten Curevac mit den bereits zugelassenen und eingesetzten Impfstoffen von BioNTech und Moderna, bei denen es sich ebenfalls um mRNA-Impfstoffe handelt.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Kosten werden nicht angesprochen. Dabei wäre es interessant zu erfahren, ob die niedrigere Dosierung von Curevac auch zu verringerten Kosten führt – und ob dies möglicherweise auch ein Motiv war, diese gegenüber den anderen Impfstoffen verringerte Dosis zu wählen. Zumal die Impfstoff-Preise bereits auf EU-Ebene diskutiert wurden (siehe auch transkript.de/news).

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Die Schwere der Covid-19 Erkrankung wird nicht angesprochen, also weder übertrieben noch heruntergespielt.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Der Beitrag macht klar, dass es sich um eine Zwischenanalyse aus einer noch laufenden Studie handelt. Die Größe der Studie ist genannt (40.000 Probanden), auch die Zahl der darin aufgetretenen Covid-19-Erkrankungen wird erwähnt (134 Fälle). Es wäre noch hilfreich gewesen zu erfahren, wie viele der Fälle jeweils in der geimpften und der nicht geimpften Probandengruppe auftraten. Auch wäre eine kurze Einordnung der Qualität hilfreich, da es sich ja um eine Zulassungsstudie handelt und daher ein Studiendesign ausgewählt wurde, das besonders aussagekräftige Ergebnisse zulässt, die auch nach nur 134 Infektionen schon Aussagen zulassen. Daher werten wir insgesamt knapp „ERFÜLLT“.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Mit Steve Pascolo wird zwar ein Forscher zitiert, der schon länger nicht mehr zu Curevac gehört. Da Pascolo jedoch einer der Mitbegründer des Unternehmens war. (wikipedia.org/wiki/Steve_Pascolo), wäre eine zusätzliche Einordnung der Zwischenergebnisse durch einen unabhängigen Experten wünschenswert gewesen. Als weitere Quelle wird immerhin eine Studie aus Katar angeführt, daher werten wir insgesamt noch knapp „ERFÜLLT“.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Steve Pascolo ist Mitbegründer von Curevac und hält verschiedene Patente für mRNA-Technologien. Dies erwähnt der Beitrag nicht.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Es wird klar, dass der Curevac-Impfstoff auf der gleichen Technologie beruht wie schon auf dem Markt befindliche mRNA-Impfstoffe. Auch mögliche Unterschiede werden zumindest kurz angedeutet: „Der RNA-Impfstoff von Curevac ist in seinen Bausteinen aber etwas anders gestaltet als die Vakzine von Biontech und Moderna. Dies könnte vielleicht einen Teil der etwas schlechteren Wirksamkeit begründen.“ Weiterhin werden andere mögliche Ursachen für die enttäuschende Wirksamkeit genannt und bewertet: „Doch der Verweis auf die Virusvarianten klingt nicht sehr überzeugend. Wie erst jüngst eine Datenanalyse mit 385.853 Personen aus Katar ergab, bietet zum Beispiel der Impfstoff von Biontech bei den neuartigen Virusvarianten immer noch einen Schutz vor Infektionen von 75 bis 89 Prozent – nach der zweiten Impfung.“ Oder hier: „Steve Pascolo, Immunologe am Universitätsspital Zürich und Pionier der RNA-Vakzin-Forschung, sieht aber eher einen anderen Grund. ,Bei Curevac hat man die Dosis etwas zu niedrig angesetzt“, sagt er. Eine Dosis Impfstoff enthält nur 12 Mikrogramm RNA. Bei Biontech sind es 30 Mikrogramm, bei Moderna sogar 100 Mikrogramm´.“

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Falsch ist die Aussage, dass die Impfstoffe von BioNTech und Modern „zu etwa 95 Prozent gegen Infektionen wirken.“ Die Wirksamkeit von 95 % bezieht sich auf symptomatische Covid-19-Erkrankungen, die durch die Impfung verhindert werden. Der Schutz vor jeglicher Infektion (auch asymptomatisch) soll nach bisherigem Erkenntnisstand zwischen 80 und 90 Prozent liegen (siehe auch: rki.de, S. 13 ff). Der Beitrag erweckt daher fälschlicherweise den Eindruck, dass Schutz vor Infektion und Schutz vor Erkrankung dasselbe seien.

Zudem heißt es im journalistischen Beitrag: „Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) muss ein Corona-Impfstoff eine Wirksamkeit von mindestens 50 Prozent haben“. In einem Dokument der WHO heißt es dagegen, dass ein „klarer Nachweis der Wirksamkeit von idealerweise 50 Prozent“ vorliegen sollte („clear demonstration of efficacy (on population basis) ideally with ~50% point estimate“, siehe auch: who.int). Die 50-Prozent sind demnach nicht zwingend. Die US-Arzneimittelzulassungsbehörde FDA dagegen fordert eine solche Wirksamkeit von mindestens 50 Prozent für die Zulassung eines Impfstoffs, die europäische Behörde EMA wiederum nicht. Eine Zulassung in der EU wäre also denkbar.

Schließlich wird noch über die vermeintliche Selbstsicherheit der Impfstoffpioniere berichtet: „,Vielleicht war man als Pionier der Technologie zu selbstsicher und hat deshalb so wenig RNA pro Dosis eingesetzt´, vermutet Pascolo.“ Doch berichtete das Magazine Science kürzlich, dass offenbar nicht-modifizierte RNA nicht höher dosiert werden kann, weil sonst zu schwere Nebenwirkungen drohen. Mit Selbstsicherheit hatte das also nichts zu tun (siehe auch sciencemag.org).

12. Der Beitrag über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Mit den Zitaten von Steve Pascolo und den Ausführungen zur Katar-Studie geht der Beitrag über die Pressemitteilung von Curevac hinaus (aber siehe auch Kriterium „Attraktivität“).

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Der Beitrag paraphrasiert in großen Teilen die Pressemitteilung von Curevac; die Aneinanderreihung indirekter Zitate daraus ist sprachlich wenig attraktiv. Die darüber hinaus gehenden Passagen sind teilweise sehr vage formuliert: „klingt nicht sehr überzeugend“, „könnte vielleicht einen Teil der etwas schlechteren Wirksamkeit begründen“. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Der Beitrag ist insgesamt gut verständlich. Etwas diffus sind allerdings die möglichen Gründe für die geringere Wirksamkeit dargestellt. Der RNA-Impfstoff von Curevac sei „in seinen Bausteinen aber etwas anders gestaltet als die Vakzine von Biontech und Moderna“ – das ist für Laien keine nachvollziehbare Erklärung, hier hätte man sich nähere Erläuterungen gewünscht.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Es ist ein aktueller und relevanter Anlass, über die eher enttäuschenden Zwischenergebnisse eines Impfstoffkandidaten zu berichten, in den große Hoffnungen gesetzt wurden.

Medizinjournalistische Kriterien: 10 von 15 erfüllt

Abwertung um einen Stern wegen mehrerer Faktenfehler.

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar