Bewertet am 10. August 2021
Veröffentlicht von: FAZ.net

Seit Beginn der Pandemie suchen Wissenschaftler*innen nach Therapieansätzen, die eine Covid-19-Erkrankung lindern oder heilen können. Nun berichtet ein Artikel auf FAZ.net von einem Wirkstoff, der von der Universitätsmedizin Mainz in einer klinischen Studie der Phase 2 getestet wird. Es wird im journalistischen Beitrag jedoch nicht erklärt, dass ein Wirkstoff in dieser Studienphase von einer Zulassung noch weit entfernt ist. Wie der konkrete Nutzen des Therapieansatzes aussieht, wird auch nicht deutlich. Eine journalistische Eigenleistung ist im Artikel zudem nicht zu finden: Die Pressemitteilung der Universitätsmedizin Mainz wurde, von einzelnen Umstellungen im Text abgesehen, praktisch übernommen.

Zusammenfassung

Der journalistische Beitrag beschreibt einen möglichen Therapieansatz, der das Risiko für Blutgerinnsel bei Covid-19-Patienten senken könnte. Es wird im Artikel zwar erklärt, dass eine klinische Studie dazu noch nicht abgeschlossen ist. Auch wird erwähnt, dass es sich um eine Studie der Phase 2b handelt. Dass in dieser Studienphase die Wirksamkeit nur an einer geringen Anzahl von Patienten erstmals geprüft wird, wird allerdings nicht deutlich. Somit wird auch nicht klar, wie eingeschränkt die Aussagekraft einer solchen Studie ist. Zumal auch der Nutzen der neuen Therapie nicht konkret beschrieben wird. Welche Vorteile der neue Wirkstoff im Vergleich zu Heparin haben könnte, wird nur am Rande erwähnt, die möglichen Kosten gar nicht angesprochen. Vor allem aber wurde für den journalistischen Beitrag die Pressemitteilung der Universitätsmedizin Mainz übernommen, lediglich die Reihenfolge einzelner Absätze verändert.

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Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Es wird deutlich, was der Wirkstoff leisten soll: „Dabei soll herausgefunden werden, ob durch eine Behandlung mit dem Protein Thrombosen besser verhindert werden können als durch die Standardtherapie mit dem Gerinnungshemmer Heparin.“ Da die Studie noch läuft, gibt es noch keine konkreten Ergebnisse zu Wirksamkeit oder Nutzen. Dennoch wird zu Beginn des Textes behauptet: „Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass das gerinnungshemmende Protein rNAPc2 (recombinant Nematode Anticoagulant Protein c2) eine vielversprechende Behandlungsoption bei schweren Covid-19- Verläufen darstellt.“ Auf welchen wissenschaftlichen Belegen dies fußt, bleibt indes völlig offen. Hier wären konkretere Informationen wichtig gewesen. Daher werten wir knapp „nicht erfüllt“.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Das Thema Risiken und Nebenwirkungen wird nicht erwähnt. Dies ist um so ärgerlicher, da Studien der Phase 2 vor allem dazu dienen, die generelle Sicherheit eines Wirkstoffs zu überprüfen. Mehr zu den verschiedenen Phasen der klinischen Prüfung finden sich zum Beispiel hier: dimdi.de

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Im Artikel wird deutlich, dass der Wirkstoff noch in der Entwicklungsphase ist und daher wohl nur im Rahmen von Studien verfügbar ist. Allerdings wird nicht deutlich, dass es bis zur Zulassung noch ein paar Jahre dauern könnte. Dafür sind üblicherweise noch klinische Studien der Phase 3 nötig. Bis der Wirkstoff auf den Markt kommt, könnte die Covid-19-Pandemie also längst vorbei sein. Das erfahren die Leserinnen und Leser nicht. Daher werten wir nur knapp „erfüllt“.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Es wird erklärt, dass der Wirkstoff eine Alternative zum Gerinnungshemmer Heparin sein soll. Dazu hätte man sich aber mehr Informationen gewünscht, etwa die, warum eine Alternative dazu erstrebenswert ist. Es wird nur am Rande erwähnt, dass der neue Wirkstoff im Gegensatz zu Heparin ein Protein hemmt, das bei der Entzündungsaktivierung eine zentrale Rolle spielt. Welche anderen Mittel außer Heparin in diesem Bereich eingesetzt werden, wird ebenfalls nicht klar. Daher werten wir knapp „nicht erfüllt“.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Kosten des Mittels werden nicht thematisiert. Da sich der Wirkstoff aber noch in der klinischen Entwicklung befindet, ist dies in diesem Fall angemessen. Darum werten wir „erfüllt“.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Die COVID-19-Erkrankung wird nicht übertrieben dargestellt.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Es heißt: „Bereits seit Dezember 2020 wird der Wirkstoff in einer klinischen Phase 2b-Studie von ARCA biopharma bei stationär behandelten Covid-19-Patienten mit erhöhten Blutgerinnungswerten untersucht.“ Wie die Studie aber genau abläuft oder was ihre vorläufigen Ergebnisse sind, erfahren Leser nicht.

Es wird nur erläutert, dass es sich um eine klinische Studie der Phase 2b handelt. Was dies bedeutet, erfahren Leserinnen und Leser nicht. Vor allem wird nicht deutlich, dass die wichtigste Studienphase, die Phase 3, noch fehlt. Leserinnen und Leser erfahren nur, dass das neue Mittel im Vergleich zu Heparin getestet wird.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Es kommen keine unbeteiligten Experten zu Wort.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Im Artikel wird deutlich, dass der Wirkstoff patentiert ist. Zudem erfahren Leserinnen und Leser, dass es bereits Verträge mit einem US-amerikanischen Pharmaunternehmen gibt. Zudem heißt es: „Der Vertrag beinhaltet Vorab- und Meilensteinverpflichtungen für ARCA biopharma, die sich auf bis zu rund 1,6 Millionen Euro belaufen. Hinzu kommen Lizenzgebühren an die Universitätsmedizin Mainz, sobald rNAPc2 die Zulassung für die Behandlung von Covid-19- Patienten erhält und vermarktet wird.“

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Es wird klar, dass es sich um einen neuen Therapieansatz handelt: „Ein Forscherteam der Universitätsmedizin Mainz hat einen neuen Ansatz zur medikamentösen Behandlung von SARS-CoV-2-Infektionen entdeckt.“

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Im Vergleich zur unter der Webseite clinicaltrials.gov verfügbaren Informationen zur Studie haben wir keine Fehler gefunden (siehe auch: clinicaltrials.gov).

12. Der Beitrag über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Der Artikel ist weitgehend eine Übernahme der Pressemitteilung der Universität Mainz, teilweise wurden Absätze umgestellt.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Es handelt sich um eine nachrichtlich gehaltene Mitteilung, die indes keinerlei kritische Betrachtungen liefert, was nicht verwundert, da es sich um die Übernahme der Pressemitteilung der Universität Mainz handelt. Typische Pressemitteilungsabsätze, in denen ausführlich akademische Titel und beteiligte Institute beschrieben werden, wurden ebenfalls übernommen, obwohl sie den Lesefluss erheblich stören. Einschübe zur Übertragung der Patente an eine Pharmafirma verwirren eher, als dass sie etwas erklären. Lange Sätze von teilweise mehr als vier Zeilen Länge sind ermüdend. Und die Hinweise zur Qualität des Forschungsstandortes Mainz entsprechen dem Duktus einer Pressemitteilung, haben aber in einem solchen journalistischen Artikel in dieser Form nichts zu suchen: „Die Forschung zum Einsatz von rNAPc2 bei Covid-19 zeigt einmal mehr, dass die Universitätsmedizin Mainz Keimzelle für wegweisende wissenschaftliche Erkenntnisse ist.“

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Der Artikel ist zwar insgesamt verständlich geschrieben, doch finden sich einige unnötig komplizierte Passagen: „Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass das gerinnungshemmende Protein rNAPc2 (recombinant Nematode Anticoagulant Protein c2) eine vielversprechende Behandlungsoption bei schweren Covid-19- Verläufen darstellt.“ Auch dieser Satz dürfte für Laien schwer nachvollziehbar sein: „Diese sogenannte Hyperkoagulation werde auf eine entzündliche Reaktion im Zuge der SARS-CoV-2-Infektion zurückgeführt.“ Auch der Vergleich zum Gerinnungshemmer Heparin bleibt unklar: „Das Protein rNAPc2 greift direkt in die frühen Prozesse der Blutgerinnung ein, indem es den sogenannten Gewebefaktor hemmt, ein Protein, das die Blutgerinnung aktiviert und eine zentrale Rolle bei der Entzündungsreaktion im Rahmen von Virusinfektionen und bei der Virusverbreitung spielt, heißt es.“ Hier wird auch nicht klar, wo es so heißt. Damit unterscheide sich der Wirkmechanismus von rNAPc2 grundlegend von der Wirkweise des bisher zur Thromboseprophylaxe bei Covid-19-Patienten eingesetzten Gerinnungshemmers Heparin.“ Und am Ende des Artikels heißt es noch: „Wenn sich rNAPc2 in den klinischen Studien bei Covid-19 als erfolgreich erweist, könnte dies eine Anwendung bei weiteren thrombo-inflammatorischen Erkrankungen ermöglichen. Dazu zählt unter anderem das Antiphospholipid-Syndrom (APS), eine schwerwiegende Komplikation, die bei Autoimmunerkrankungen wie dem systemischen Lupus erythematodes auftreten kann.“ Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Der Anlass ist die Pressemitteilung der Universität Mainz und die Tatsache, dass es sich um einen Wirkstoff für die Covid-19- Therapie handelt. Indes gibt es noch keinerlei Ergebnisse der noch laufenden Studie zu berichten. Auch wurden keine Ergebnisse einer Phase 1 Studie vorgelegt. Hier wäre es besser gewesen, mindestens auf den Abschluss der Phase-2-Studie zu warten. Damit stellt sich die Frage, warum über das Mittel in dieser Weise zum jetzigen Zeitpunkt berichtet wird. Zumal letztlich nur die Pressemitteilung der Uni an die Leserinnen und Leser durchgereicht wird.

Medizinjournalistische Kriterien: 6 von 15 erfüllt

Abwertung um einen Stern wegen vollständiger Übernahme einer Pressemitteilung.

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar