Zusammenfassung
Ob Vitamin D als einfaches Nahrungsergänzungsmittel vor komplikationsreichen Covid-19-Erkrankungen schützen kann, wird seit Monaten diskutiert. Könnte man sie mit „Ja“ beantworten, wäre das eine Sensation. Ein journalistischer Beitrag in „Die Welt“ greift die Thematik aktuell auf und befragt einen der führenden Vitamin D-Forscher zur aktuellen Studienlage. In einem ausführlichen Interview spricht er über die Grenzen und die Aussagekraft bisheriger Studien und stellt auch seine im Oktober angelaufene „Coronavit“-Studie an der Queen Mary Universität London kurz vor. Wie im Artikel deutlich wird, soll diese Untersuchung klären, ob die Behandlung eines Vitamin D-Defizits im Winter das Risiko für eine Corona-Infektion oder zumindest einen schweren Krankheitsverlauf reduzieren kann. Der journalistische Beitrag ist interessant und verständlich geschrieben und spricht viele wichtige Aspekte zur bisherigen Studienlage an. Auch kommt die Frage auf, welche Empfehlung der Forscher derzeit abgeben würde – was für die Leserinnen und Leser natürlich besonders hilfreich ist.
Die Kriterien
1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).
2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.
Dass zu viel Vitamin D auch Nachteile haben kann, wird im Beitrag deutlich. Allerdings treten solche Probleme laut dem Experten erst bei recht hohen Dosen auf: „Um Probleme wie Nierensteine oder gar Nierenversagen zu entwickeln, muss man schon mehr als 4000 Einheiten schlucken. Das liegt weit über den üblichen Dosen.“ Auf den Internetseiten des Robert-Koch-Instituts heißt es dagegen: „Bei einer übermäßig hohen Einnahme von Vitamin D entstehen im Körper erhöhte Kalziumspiegel (Hyperkalzämie), die akut zu Übelkeit, Appetitlosigkeit, Bauchkrämpfen, Erbrechen oder in schweren Fällen zu Nierenschädigung, Herzrhythmusstörungen, Bewusstlosigkeit und Tod führen können. Da Vitamin D im Körper gespeichert werden kann, ist neben einer akuten auch eine schleichende Überdosierung möglich.“ (siehe auch rki.de) Was eine „übermäßig hohe Einnahme“ ist, beziffert das RKI nicht. Auch in einem Cochrane Review von 2011 heißt es, dass bei Personen, die Vitamin D über einen Zeitraum von fünf bis sieben Jahre einnahmen, vermehrt Nierensteine und erhöhte Calciumspiegel im Blut festgestellt wurden. Alles in allem hätte man sich besonders zum Problem der Anreicherung von Vitamin D im Körper mehr Informationen gewünscht. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.
3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.
4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.
Eine Alternative zu Vitamin D zur Vorbeugung schwerer Verläufe einer Covid-19-Erkrankung wird im Text nicht thematisiert – vermutlich, weil sich bislang noch kein Arzneimittel dafür bewährt hat. Allerdings wäre es wichtig gewesen, die bereits eingesetzten Präventionsmaßnahmen zu erwähnen: Abstand und Hygiene, Lüften und Atemschutzmasken. Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.
5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.
Da es sich um ein frei verkäufliches Nahrungsergänzungsmittel handelt, kann man von einem geringen Preis ausgehen. Gerade weil aber viele andere, künftige Therapieansätze sehr teuer sein dürften, wäre es schön gewesen, diesen Vorteil im Text hervorzuheben.
6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).
Die Krankheit Covid-19 wird nicht übertrieben dargestellt. Es wird lediglich korrekt beschrieben, dass „dieser Erreger ganz besonders ansteckend ist“.
7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.
8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.
Im vorliegenden Interview werden keine unabhängigen Experten oder Quellen genannt. Doch hätte man bei manchen Aspekten wie etwa den Risiken durchaus die Informationen unabhängiger Institutionen wie dem Robert-Koch-Institut in die Fragen hätte einfließen lassen können. Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.
9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.
Interessenkonflikte werden nicht thematisiert, sind aber nach unseren Erkenntnissen auch nicht vorhanden. Der britische Pneumologe und Immunologe Adrian Martineau von der Queen Mary University of London erforscht seit 20 Jahren die Wirkung von Vitamin D und betreibt einen Vitamin D-Podcast. In den wissenschaftlichen Veröffentlichungen des Experten findet sich kein Hinweis auf einen Interessenskonflikt. Daher werten wir „ERFÜLLT“.
10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).
11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).
Faktenfehler haben wir nicht gefunden.
12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).
Das Interview geht weit über die Pressemitteilung hinaus.
13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).
Das Thema ist attraktiv vermittelt. Die Sprache ist ansprechend, die Interviewführung peppig und auf Augenhöhe.
14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).
15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).
Viele Menschen fragen sich in der aktuellen Pandemie und Erkältungssaison, ob sie sich selbst vor einer schweren Covid-19-Erkrankung schützen können. Da viele Forschungen sich mit Vitamin D befassen und das Interview zudem eine neue britische Studie zum Anlass hat, ist die Themenauswahl völlig berechtigt.