Zusammenfassung
Ein bayrisches Unternehmen verkündet, dass es ein Medikament gegen Covid-19 entwickelt hat. Tagesschau.de nimmt das zum Anlass, über den Wirkstoff zu berichten, lässt allerdings wichtige Informationen aus. So wurde die Arznei bisher nur im Labor getestet, die dazu veröffentlichte wissenschaftliche Studie noch nicht in einem Peer-Review-Verfahren von anderen Wissenschaftlern begutachtet. Versuche an Zellkulturen lassen jedoch kaum Aussagen darüber zu, wie das Medikament im menschlichen Körper wirken wird. Im journalistischen Beitrag wird jedoch der Eindruck erweckt, dass in etwa einem Jahr mit einer Zulassung der Therapie zu rechnen ist. Eine kritische Einordnung der Neu-Entwicklung gibt es nicht, so erfährt man auch nicht, ob es bereits vergleichbare Ansätze gibt. Selbst die konkreten Testergebnisse der aktuellen Studie werden nicht erwähnt, ebenso wenig wie mögliche Risiken und Nebenwirkungen. Damit werden Hoffnungen geweckt, ohne dass klar ist, ob der Wirkstoff jemals zur Marktreife kommen wird. Die Leserinnen und Leser werden damit in die Irre geführt.
Die Kriterien
1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).
2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.
3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.
Noch gibt es das Mittel nicht, aber das soll sich in absehbarer Zeit ändern. Das wird im journalistischen Beitrag deutlich. Der Hersteller strebt eine Notfallzulassung für Anfang 2022 an. Es wäre allerdings schön gewesen, wenn man den Leserinnen und Lesern auch erklärt hätte, was es mit einer Notfallzulassung auf sich hat – und welche Möglichkeiten Zulassungsbehörden haben, Arzneimittel in bestimmten Fällen schneller zum Patienten zu bringen. Informationen dazu finden sich zum Beispiel auf den Seiten des IQWIG.
4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.
5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.
6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).
7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.
8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.
9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.
10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).
Die Leserinnen und Leser erfahren nicht, ob es weitere SARS-CoV-2-Blocker gibt. Laut der Apothekerzeitung startete aber schon im März eine Studie an Patienten mit löslichem rekombinanten humanen ACE2, ein Wirkstoff, der offenbar ebenfalls an der Eintrittspforte für Corona-Viren ansetzt (deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az). Auch andere Firmen entwickeln bereits ähnliche Fusionsproteine als mögliche Covid-19-Therapie (siehe auch: journals.plos.org, nature.com/articles, tandfonline.com). Davon erfährt man im journalistischen Beitrag leider nichts. Interessant wäre zudem gewesen, die Neuentwicklung vor dem Hintergrund der Diskussion um ACE-Hemmer einzuordnen. Man hatte zu Beginn der Pandemie befürchtet, dass ACE-Hemmer die Covid-Verläufe negativ beeinflussen könnten. Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.
11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).
12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).
13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).
14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).
15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).
Medizinjournalistische Kriterien: 6 von 15 erfüllt
Abwertung um einen Stern, wegen der zu positiven Darstellung der Wirksamkeit des Medikaments in einer sehr frühen Phase der Entwicklung (von 2 auf 1 Stern).