Zusammenfassung
Im Wettrennen um einen Impfstoff gegen das neue Coronavirus melden die Firmen Biontech und Pfizer nun einen Erfolg: Erste Zwischenergebnisse zeigen, dass ihr Impfstoff BNT162b2 mehr als 90 Prozent der Geimpften vor einer Infektion mit Sars-CoV-2 schützen könnte. Darüber berichtet Spiegel Online (basierend auf einem dpa-Artikel) in einem aktuellen Beitrag und legt ausführlich dar, was diese vorläufigen Daten bedeuten – und warum Experten nur vorsichtig optimistisch sind. Auch wird deutlich, in welchem Spannungsfeld sich die Impfstoffentwicklung derzeit befindet: nämlich möglichst schnell und dennoch gründlich die Wirksamkeit und mögliche Risiken des Impfstoffs zu untersuchen. Der Nutzen eines solchen Impfstoffs und die Qualität der vorliegenden Evidenz werden im Beitrag gut erklärt, auch unabhängige Experten kommen zu Wort. Allerdings hätte noch mehr diskutiert werden können, warum zu diesem Zeitpunkt bereits Impfdosen bestellt werden – bevor die anvisierte Zahl von insgesamt 164 Covid-19-Patienten in der Studie erreicht ist. Schade ist zudem, dass im Artikel keinerlei Sprachbilder oder anschauliche Vergleiche verwendet werden, um den Leseanreiz zu erhöhen.
Die Kriterien
1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).
2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.
3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.
Der Zulassungsprozess in USA und in Europa wird ausreichend erläutert, ebenso wie die Tatsache, dass es in der EU keine vorläufige Zulassung geben soll. Daraus wird deutlich, dass der Impfstoff erst nach einer Zulassung verfügbar sein wird. Außerdem wird als wichtiger Aspekt erwähnt, dass auch nach Zulassung nicht sofort genügend Impfdosen für alle Menschen vorhanden sein werden.
4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.
Es wird auf die alternative Impfstoffentwicklung zum Beispiel von AstraZeneca hingewiesen. Zudem wird erwähnt, dass ein RNA-Impfstoff eine besondere und relative neue Form der Impfstoffentwicklung ist. Hier hätte man sich allerdings ein paar mehr Informationen zu den verschiedenen Impfstofftypen gewünscht. Insgesamt werten wir aber dennoch „ERFÜLLT“.
5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.
Der Zugang und die gerechte Verteilung von Impfstoffen in armen und reichen Ländern ist ein wesentlicher Aspekt der gegenwärtigen Diskussion. Dabei spielt natürlich auch der Preis der Impfstoffe eine Rolle. Es wäre daher wichtig und hilfreich gewesen, auf diese Problematik kurz einzugehen. Auch stellt sich die Frage, ob es bereits Informationen dazu gibt, ob die Kosten von den Krankenkassen übernommen werden. Aber auch dazu erhalten Leserinnen und Leser keine Informationen. Daher werten wir alles in allem „NICHT ERFÜLLT“.
6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).
Auf die Krankheitssymptome wird im Artikel nicht eingegangen. Man erfährt lediglich am Rande, dass es leichte und schwere Infektionen gibt. Eine Übertreibung findet also nicht statt.
7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.
Hier liegt eine der großen Stärken des journalistischen Beitrags. Es wird deutlich, dass wir uns bislang auf die Angaben aus der Pressemitteilung verlassen müssen, also noch keinen Zugang zu den echten Studiendaten haben, etwa hier: „Um auf eine geschätzte Wirksamkeit von mehr als 90 Prozent zu kommen, müsste es analog zur Berechnung der Zwischenpunkte im Studienprotokoll, also dem Ablaufplan der Studie, rechnerisch mindestens 86 Fälle gegeben haben – im Gegensatz zu höchstens acht Fällen unter den Geimpften. Fallzahlen für die jeweiligen Gruppen nannten die Firmen allerdings nicht.“ An mehreren Stellen wird beschrieben, wie die Wirksamkeit in der Studie weiter erforscht werden soll – etwa, dass es um das Erreichen von insgesamt 164 COVID-19-Kranke geht und nur ein kleiner Teil der Erkrankten in der Geimpften-Gruppe auftreten darf. Die erzielte Wirksamkeit von 90 Prozent wird in Bezug gestellt zu den 50 Prozent, die laut Studienprotokoll angestrebt wurden. Es wird aber auch klar, dass in einer Studie mit so wenigen Erkrankungsfällen der Zufall eine große Rolle spielen kann. Anhand von Expertenaussagen wird schließlich deutlich, was noch an Daten fehlt, um wirklich optimistisch zu sein, zum Beispiel Informationen über die Altersverteilung der 94 erkrankten Probanden der Studie.
8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.
Es kommen verschiedene, unabhängige Experten zu Wort.
9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.
Mögliche Interessenkonflikte sind im Text sofort ersichtlich: So wird Albert Bourla gleich als Geschäftsführer der an der Studie beteiligten Firma Pfizer vorgestellt. Selbst bei der Tropenmedizinerin Marylyn Addo wird sofort erwähnt, dass sie selbst an einem anderen Impfstoff forscht.
10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).
Es wird deutlich, dass es sich hier um einen neuen Impfstofftyp handelt, einen RNA-Impfstoff. Auch wird erläutert, wie schwierig es ist, einen Impfstoff möglichst schnell zu entwickeln – und dabei gründlich vorzugehen. Und schließlich wird klar, dass der Impfstoff nicht sofort allen zur Verfügung stehen kann.
11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).
Wir haben keine Fehler finden können.
12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).
Es wurden von der Studie unabhängige Experten befragt und auch weitere Informationen in den journalistischen Beitrag eingebracht, die weit über den Inhalt der Pressemitteilung der Firmen Pfizer und Biontech hinausgehen.
13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).
Der Text ist zwar logisch aufgebaut, allerdings finden sich leider einige passive Formulierungen: „… zugelassen wird … wird verabreicht … verabreicht werden … werden Wirksamkeit und Dosierung getestet … kann getestet werden …. werden bestätigt“. Auch hätte man sich mehr Sprachbilder und anschauliche Vergleiche gewünscht. Daher werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.
14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).
Im Text finden sich an mancher Stelle Fachbegriffe, die für Laien schwer verständlich sein dürften – etwa „präklinisch“ als sperriger Fachausdruck oder „akute“ Nebenwirkungen. Auch den Ausdruck „Herdenimmunität“ kennt nicht jeder, ebenso wenig weiß man, was eine „statistisch valide“ Prüfung oder „jenes Oberflächenproteins“ bedeutet. Insgesamt werten wir daher nur knapp „ERFÜLLT“.
15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).
Angesichts der steigenden Infektions- und Erkrankungszahlen ist die Relevanz und Aktualität zweifelsfrei gegeben.