Bewertet am 2. Oktober 2020
Veröffentlicht von: RTL.de

Auf den ersten Blick klingt es nach einer verblüffend einfachen Strategie: Eine Mundspüllösung soll die Anzahl der Coronaviren im Mund-Rachenraum deutlich reduzieren. Inwiefern die Ergebnisse einer Laborstudie auf den Menschen übertragbar sind, darüber berichtet ein aktueller Beitrag auf RTL.de. Dabei wird von Beginn an klargemacht, dass dieser Zusammenhang bisher nur in Zellkulturen getestet wurde. Allerdings sind die Informationen im Artikel sehr knapp dargestellt, an einigen Stellen hätte man sich auch mehr Klarheit und Einordnung gewünscht.

Zusammenfassung

Wie wäre es, die Coronaviren in Mund und Rachen einfach wegzuspülen? Diesen Ansatz verfolgte eine aktuelle Studie zu Mundspüllösungen, über die im journalistischen Beitrag auf RTL.de berichtet wird. Dass die Versuche bislang nur im Labor stattfanden, wird früh im Text erwähnt. Auch wird deutlich gemacht, dass eine Mundspüllösung kein sicherer Schutz vor einer Ansteckung bietet. Doch werden im Verlauf des Artikels die – durchaus streitbaren – Aussagen weiterer Wissenschaftler weder hinterfragt noch eingeordnet. Zwar schließt der journalistische Beitrag mit der Anmerkung, dass Experten „vor einem breiten Einsatz ohne ärztlichen Rat“ warnen. Dennoch erwecken einige Passagen im Text den Eindruck, als handle es sich hier um eine vielversprechende Strategie zur Bekämpfung des Krankheitserregers, was manche Leserinnen und Leser in die Irre leiten könnte.

Title

Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Der Text informiert darüber, dass sich die „Zahl der Coronaviren im Mund-Rachenraum eines Infizierten durch die Verwendung bestimmter Mundspülungen reduzieren lässt“. Das sei zwar kein sicherer Schutz vor der Ansteckung mit Sars-CoV-2, doch das Ansteckungsrisiko ließe sich dadurch schon senken, „etwa vor zahnärztlichen Behandlungen“. Zunächst werden die wissenschaftlich belegten positiven Effekte von Mundspülungen klar und verständlich dargestellt: Im Laborversuch senken Mundspülungen die Viruslast. Und der TV-Arzt Christoph Specht formuliert dann auch gleich die entscheidende, noch ungeklärte Frage: „Passiert das auch im Mund eines Covid-19-Patienten?“. Nach den ersten, sehr gelungenen Absätzen driftet der Text jedoch ins Ungefähre: Da kommen plötzlich Experten zu Wort, die frei über den möglichen Nutzen der Mundspüllösungen beim Menschen und in der gegenwärtigen Pandemie spekulieren dürfen, zum Beispiel hier: „Hygieneexperte Klaus-Dieter Zastrow von der FU Berlin ist sicher, dass Corona-Ausbrüche wie der jüngste in Garmisch-Partenkirchen verhindert werden könnten, wenn Mundspülungen nach Corona-Tests zum Pflichtprogramm würden. Aber auch für Infizierte selbst könne die antivirale Wirkung der Mittel von Vorteil sein: Durch eine verringerte Viruslast werde der mögliche Schweregrad einer Covid-19-Erkrankung abgemildert, so der Hygieneexperte gegenüber „Bild“. Hier wird also ein Nutzen suggeriert, der wissenschaftlich nicht belegt wird. Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Es wird zu Anfang des Beitrags mehrfach darauf hingewiesen, dass eine Mundspülung kein sicherer Schutz vor einer Ansteckung mit dem Virus ist. Und auch vor Nebenwirkungen der Mundspülungen wird gewarnt: „Experten warnen jedoch vor einem breiten Einsatz dieser Mittel ohne ärztlichen Rat – beispielsweise verfärbe der Wirkstoff Polyvidon-Iod oder Povid-Iod die Schleimhaut. Das Mittel sei zudem für Patienten mit Schilddrüsenerkrankungen nicht geeignet.“

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Für die Studie wurden Spülungen genutzt, die in der Apotheke und Drogerie erhältlich sind. Dies wird im Text deutlich.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Der Text nennt am Ende die Nasen-Mund-Maske als zentrale Maßnahme: „Zastrow betont, dass trotz der Wirksamkeit von Mundspülungen eine Mund-Nasen-Schutzmaske das erste Mittel der Wahl im Kampf gegen die Pandemie sei.“

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Kosten werden im Text nicht erwähnt. Auch wenn man davon ausgehen kann, dass der ungefähre Preis der in Apotheken oder Drogerien erhältlichen Mundspüllösungen vielen Leserinnen und Lesern bekannt sein dürfte, wäre das eine interessante Information gewesen. Daher werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Die Covid-19-Erkrankung und auch die Pandemie an sich wird nicht übertrieben dargestellt.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Im Text erfährt man, dass es eine Untersuchung gegeben hat und dass darin acht Mundwasser getestet wurden. Dass diese ersten Tests nicht ausreichend sind, wird ebenfalls erklärt: „Medizin-Experte Dr. Christoph Specht sagt uns: ‚Jetzt muss man noch gucken: Passiert das auch im Mund eines Covid-19-Patienten?‘ Das müssen nun erst einmal klinische Studien nachweisen.“ In den folgenden Absätzen des Artikels werden jedoch weitere Experten zitiert, die sich mit ihrer persönlichen Einschätzung zur möglichen Wirkung der Mundspüllösungen zu Wort melden dürfen, ohne dass sie sich auf irgendwelche wissenschaftlichen Studien beziehen, die ihre Aussagen untermauern würden, etwa hier: Eine Mundspülung könne auch prophylaktisch eingesetzt werden, etwa nach dem Aufenthalt in öffentlichen Räumen mit erhöhter Ansteckungsgefahr, Verkehrsmitteln oder Bars, sagt Susanne Hugget, Hygieneexpertin der Asklepios-Kliniken, gegenüber der „Bild“-Zeitung. Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Neben einem Forscher des Studienteams der Uni Bochum (Tim Meister) wird auch eine Wissenschaftlerin der Asklepios-Kliniken befragt, außerdem der Hygiene-Experte Klaus-Dieter Zastrow. Allerdings ist hier die Auswahl der Experten teilweise problematisch, da sich Herr Zastrow in anderen Medien bereits mit vollmundigen Aussagen hervorgetan hat, etwa, als er das medizinische Personal eines Krankenhauses, das sich mit dem neuen Coronavirus infiziert hatte als „dumm“ bezeichnete. Dennoch werten wir insgesamt „ERFÜLLT“.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Mögliche Interessenkonflikte der an der aktuellen Studie beteiligten Forscher werden nicht thematisiert. Wir haben allerdings auch keine Hinweise darauf finden können. Daher werten wir das Kriterium als „ERFÜLLT“.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Es erfolgt leider keinerlei Einordnung der aktuellen, Bochumer Studie in die wissenschaftliche Studienlage. Haben bereits andere Forscherteams diesen Zusammenhang untersucht? Laufen dazu vielleicht schon klinische Studien? Ein Blick in die medizinische Datenbank Pubmed zeigt, dass bereits einzelne Studien dazu erschienen sind (Suchbegriffe: „oral rinses“ und „Sars-CoV-2“: pubmed.ncbi.nlm.nih.gov ). Zudem ist aktuell im September eine systematische Übersichtsarbeit der Cochrane Collaboration erschienen, allerdings nur einen Tag vor der Publikation des journalistischen Beitrags: pubmed.ncbi.nlm.nih.gov. Das Ergebnis der Übersichtsarbeit: Es gibt noch nicht ausreichend Daten, um einen möglichen Nutzen von Mundspülungen gegen das Coronavirus seriös zu beurteilen. Über all das erfahren die Leserinnen und Leser jedoch nichts. Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Es finden sich einige Angaben im Text, die leider nicht korrekt sind, zum Beispiel: „Virologen der Ruhr-Universität Bochum fanden heraus, dass sich die Zahl der Coronaviren im Mund-Rachenraum eines Infizierten durch die Verwendung bestimmter Mundspülungen reduzieren lässt.“ Tatsächlich beobachteten die Forscher aber nur, dass sich die Zahl der Coronaviren im Laborversuch mit Hilfe von bestimmten Mundspülungen reduzieren lässt. Zudem wird Tim Meister aus dem Bochumer Forschungsteam erwähnt – es findet sich jedoch nur eine Toni Luise Meister. Klaus Dieter Zastrow wird der FU Berlin zugeschrieben, auf seiner Homepage stellt er selbst sich aber als Leiter des Hygiene-Instituts des Regiomed-Klinikverbunds in Thüringen vor. Schließlich wird in einem Zwischentitel die Frage aufgeworfen, ob das Gurgeln nun Pflicht werden soll – eine Frage, die von niemandem im Text ernsthaft aufgeworfen wird. Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.

 
 

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Der Beitrag geht über die Inhalte der Pressemitteilungen hinaus. Es wird allerdings auch deutlich, dass einige Expertenstatements nicht selbst eingeholt wurden, sondern aus anderen Medien übernommen wurden.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Der Beitrag beginnt in nachrichtlicher Form, mit der Vorstellung der Studienergebnisse der aktuellen Studie. Im Anschluss werden in loser Folge verschiedene Expertinnen und Experten mit ihren persönlichen Einschätzungen zum Potenzial von Mundspüllösungen zur Bekämpfung der neuen Coronaviren zitiert. Am Ende, nach mehreren positiven Einschätzungen, macht der Text eine Kehrtwende: „Zastrow betont, dass trotz der Wirksamkeit von Mundspülungen eine Mund-Nasen-Schutzmaske das erste Mittel der Wahl im Kampf gegen die Pandemie sei.“ Insgesamt wirkt die Struktur des Artikels wenig durchdacht, weder der Einstieg des Textes noch die folgenden Absätze sind so geschrieben, dass sie besonderes Leserinteresse wecken. Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Der Text ist leicht verständlich geschrieben. Fremdwörter und Fachbegriffe werden vermieden, der Studienaufbau zumindest kurz erklärt. Allerdings sind die Formulierungen nicht immer einheitlich: Fast im gesamten Beitrag geht es um Mundspülungen, am Ende ist dann plötzlich von Schleimhaut-Desinfektionsmitteln die Rede. Das könnte manche Leserinnen und Leser verwirren. Dennoch werten wir insgesamt „ERFÜLLT“.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Das Interesse an möglichen Mitteln zur Bekämpfung des neuen Coronavirus ist groß. Allerdings erschien die Pressemitteilung zur Studie bereits am 10. August, also mehr als einen Monat vor der Publikation des journalistischen Beitrags. Insgesamt werten wir wegen der großen Relevanz dennoch „ERFÜLLT“.

Medizinjournalistische Kriterien: 9 von 15 erfüllt

Abwertung um einen Stern wegen fehlender Einordnung und irreführender Zitate.

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar