Bewertet am 9. Oktober 2020
Veröffentlicht von: Der Spiegel (online)
Viele Menschen dürften die Covid-19-Erkrankung Donald Trumps in den vergangenen Tagen mit großem Interesse verfolgt haben. Wie aber wurde die Infektion mit Sars-CoV-2 bei ihm nachgewiesen? Und welche Tests werden bei den Mitarbeitern im Weißen Haus überhaupt verwendet? Ein aktueller Artikel auf Spiegel Online greift diese Fragen auf, was interessant und lobenswert ist. Allerdings wären an mancher Stelle ein paar mehr Erläuterungen (besonders zum Nutzen der Tests) hilfreich gewesen. Auch wird nicht deutlich, inwiefern die Testverfahren im Weißen Haus in Rahmen der neuen Teststrategie auch in Deutschland eingesetzt werden sollen.

Zusammenfassung

Schnelltests auf Covid-19 – was bringen sie, wie zuverlässig sind sie? Diese hoch aktuellen Fragen werden in einem Beitrag auf Spiegel Online thematisiert. Zunächst wird auf die Teststrategie des Weißen Hauses eingegangen, die dort offensichtlich die gängigen Schutzmaßnahmen ersetzen soll. Dann wird dargelegt, dass solche Nachweisverfahren ab Mitte Oktober auch in Deutschland in Pflegeheimen und Krankenhäusern in großem Umfang zum Einsatz kommen sollen. Es handelt sich dabei um so genannte Antigen-Schnelltests, bei denen nicht das Erbgut von SARS-CoV-2 nachgewiesen wird, sondern eine Struktur auf der Oberfläche des Virus, die Antigene. Es werden im Artikel viele Nachteile der Antigen-Tests benannt (geringere Sensitivität, Messung erst ab Symptombeginn, hohe Viruslast erforderlich). Warum aber die Antigen-Tests dennoch genutzt werden sollen, wird nicht ganz deutlich. Zudem wird ausgiebig über die Schnelltests der Firma Abbott berichtet, die im Weißen Haus verwendet wurden. Ob diese Produkte künftig auch in Deutschland zum Einsatz kommen sollen, wird jedoch leider nicht thematisiert. So bleiben für die Leserinnen und Leser nach Lektüre des Artikels noch einige Fragen offen.

Title

Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Zunächst ist als Nutzen der Antigen-Tests auf Sars-CoV-2 ihre Schnelligkeit zu sehen. So heißt es im journalistischen Beitrag: „Ein Antigentest kann somit wie die PCR eine aktive Infektion nachweisen. Ein Ergebnis kann mitunter schon nach 15 Minuten vorliegen“. Dass ein schnelles Testergebnis das öffentliche Leben erleichtern könnten, wird zumindest indirekt deutlich: „Das soll vor allem Risikogruppen besser davor schützten, mit infektiösen Personen in Kontakt zu kommen“. Schließlich wird auch auf die Sensitivität der Antigen-Tests im Vergleich zur PCR eingegangen: „Die Sensitivität, also die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Infizierter auch als solcher erkannt wird, ist dabei etwas geringer als bei der PCR.“ Schließlich wird noch auf zwei verschiedene Schnelltests der Firma Abbott eingegangen (wobei es sich bei dem ersten gar nicht um einen Antigen-Schnelltest handelt, siehe Faktenfehler): „Doch bereits im Mai legte eine Studie nahe, dass der Abbott-Test bis zu 48 Prozent der Corona-Infektionen übersieht. Dennoch verließ sich das Weiße Haus auf den Test. Der Pharmakonzern stellt auch einen Antigentest her, der möglicherweise ebenfalls im Weißen Haus zum Einsatz gekommen ist. Die Firma selbst gibt an, der Schnelltest sei mit einer hohen Sensitivität (97,1 Prozent) bei Patienten in den ersten sieben Tagen nach Symptombeginn getestet worden.“ Allerdings wird nicht erwähnt, wie spezifisch der Test ist, also gesunde Menschen tatsächlich als negativ testet. Doch nur beide Werte gemeinsam – Sensitivität und Spezifität – zeigen auf, welchen medizinischen Nutzen ein bestimmtes Testverfahren hat. Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Dass Antigen-Schnelltests nicht so zuverlässig sind wie das PCR-Verfahren, wird ausführlich berichtet. Ebenso findet sich der wichtige Hinweis, „dass auch die Antigentests von medizinischem Fachpersonal durchgeführt werden sollten. Einen Nasen-Rachenabstrich korrekt bei sich selbst durchzuführen, ist nahezu unmöglich.“ Schließlich wird in Hinblick auf ein mögliches Superspreading-Event im Rosengarten des Weißen Hauses noch ergänzt: „Der Vorfall zeigt auch, dass es nicht reicht, sich für den Schutz vor Covid-19 allein auf Schnelltests zu verlassen, wie es im Weißen Haus offenbar seit Monaten der Fall ist. Denn die Tests können nicht zu 100 Prozent jeden infektiösen Menschen als Coronavirus-positiv erkennen.“ Wobei hier natürlich anzumerken ist, dass in der Praxis kein Test in der Lage ist, einhundert Prozent der Infizierten auszumachen (siehe Faktentreue).

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Es wird erwähnt, dass ein Test in den USA eine Notzulassung erhalten habe, und dass „das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die derzeit auf dem Markt erhältlichen Antigentests auf ihre Zuverlässigkeit“ prüfe. Vor allem wird deutlich, dass die Antigen-Schnelltests ab dem 15. Oktober zur neuen Teststrategie in Deutschland gehören werden. Im Beitrag wird auf einen weiteren Spiegel-Online-Beitrag verwiesen, in dem zumindest teilweise erklärt wird, welche Tests als Selbsttests für zu Hause gedacht ist oder für den Einsatz in Praxis oder Klinik (siehe auch: spiegel.de/wissenschaft). Daher werten wir insgesamt knapp „ERFÜLLT“.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Es wird klar, dass PCR-Tests zum Nachweis des Virus im Vergleich zu den Antigen-Schnelltests die sicherere Methode sind. Und wenn es um Schnelltests als Präventionsstrategie geht, sagt ein Experte deutlich: „Ein negativer Antigentest gibt uns nicht die Freiheit die AHA+L+C-Regeln zu vernachlässigen.“ Gemeint sind die Regeln zu Abstandhalten, Hygiene, Alltagsmaske, Lüften sowie die Corona-Warn-App. Hier werden also wichtige Schutzmaßnahmen gegen das neue Coronavirus genannt. Zudem wird über einen Link auf einen anderen Spiegel-Online-Beitrag verwiesen, in dem die verschiedenen Testverfahren ausführlich vorgestellt werden (siehe Kriterium 3). Daher werten wir insgesamt „ERFÜLLT“.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Über Kosten sind in diesem Beitrag leider keine Informationen zu finden, auch gibt es keinen Hinweis darauf, ob der Test durch die Krankenkassen übernommen wird.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Weder die Covid-19-Erkrankung noch die Notwendigkeit, auf die Sars-CoV-2-Infektion zu testen, werden übertrieben dargestellt.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Man erfährt, dass die Antigen-Tests derzeit in Deutschland geprüft werden: „In Deutschland prüft nun zunächst das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die derzeit auf dem Markt erhältlichen Antigentests auf ihre Zuverlässigkeit und will die Produkte dann auf seiner Internetseite listen“. Auch wird erwähnt, dass Christian Drosten im Interview mit der „Zeit“ Zweifel äußerte, ob es gelingt, die Antigentests bis Mitte Oktober pünktlich zur Veröffentlichung der neuen Teststrategie zu validieren. Damit wird deutlich, dass noch nicht endgültig klar ist, wie gut sich diese Nachweisverfahren im Alltag bewähren werden und wie sicher das Wissen über die Genauigkeit der Tests sein wird. Wie es um die Qualität der bisherigen Studien zu den Tests bestellt ist, wird allerdings nicht erläutert. Daher werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Neben dem Virologen Christian Drosten wird Michael Müller, Vorstandsvorsitzender der Akkreditierten Labore in der Medizin (ALM) zitiert. Warum ausgerechnet dieser eine Rolle spielt und ob er tatsächlich als unabhängiger Experte anzusehen ist, erfahren Leserinnen und Leser allerdings nicht.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Interessenkonflikte werden im Beitrag nicht thematisiert. Allerdings werden bis auf die konkrete Nennung der Schnelltests der Firma Abbott auch keine Produkte genannt. Zu den im Artikel erwähnten Interviewpartnern konnten wir zumindest im Rahmen einer kurzen Recherche keine Hinweise auf Interessenkonflikte entdecken. Daher werten wir „ERFÜLLT“.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Der Text will über Antigen-Tests informieren, da diese nicht nur bei Donald Trump genutzt wurden, sondern auch in Deutschland zum Einsatz kommen sollen. Ob die Antigentests an sich als Verfahren neu sind, wird nicht erklärt, wohl aber, dass die Antigen-Tests auf SARS-CoV-2 neu sind. Unerwähnt bleibt dagegen, welche Folgen die regelmäßige Testung von Risikogruppen für den Verlauf der Pandemie und dem Umgang mit dem neuen Coronavirus im Alltag haben könnten. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Die Textpassage zur Sensitivität der Antigen-Schnelltest fällt sehr kurz und etwas verwirrend aus – auch wenn im Beitrag auf einen ausführlicheren Artikel verlinkt wird. Eine gute Übersicht zu Sensitivität und Spezifität von medizinischen Tests findet sich hier: medien-doktor.de/mediate. Eine weitere Passage könnte Leserinnen und Leser in ihren Erwartungen dagegen in die Irre führen: „Der Vorfall zeigt auch, dass es nicht reicht, sich für den Schutz vor Covid-19 allein auf Schnelltests zu verlassen, wie es im Weißen Haus offenbar seit Monaten der Fall ist. Denn die Tests können nicht zu 100 Prozent jeden infektiösen Menschen als Coronavirus-positiv erkennen.“ Hier hätte besser erwähnt werden sollen, dass kein Test jemals 100 Prozent der Infizierten erkennen wird. Verwirrend ist dagegen die Erklärung zu den verschiedenen Abbott-Tests. In einer Korrektur zum Text wird einer der Tests als PCR-Verfahren vorgestellt, was jedoch nicht richtig ist. Tatsächlich handelt es sich um einen Test, bei dem virale RNA nachgewiesen wird. Insgesamt werten wir daher nur knapp „ERFÜLLT“.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Eine Pressemitteilung haben wir nicht gefunden. Daher gehen wir von einer journalistischen Rechercheleistung aus.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Die beiden aktuellen Anlässe, auf das Thema Schnelltests zu schauen, sind elegant miteinander verwoben: Trump und das Weiße Haus sowie die teststrategischen Überlegungen der Bundesregierung in Deutschland.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Manche Textpassagen sind leider schwer zu verstehen oder widersprüchlich. So ist zum Beispiel auch die Passage missverständlich: „Doch der Pharmakonzern selbst gibt an, der Test sei mit einer hohen Sensitivität (97,1 Prozent) bei Patienten in den ersten sieben Tagen nach Symptombeginn getestet worden. Mittlerweile ist jedoch bekannt, dass Corona-Positive das Virus bereits vor Beginn der Symptome weitergeben können – diese könnten also mit dem Abbott-Test unerkannt bleiben“. Der Konzern hat den Test nur bei Personen untersucht, die Symptome hatten, die auf COVID-19 hindeuten könnten. Wie zuverlässig also jemand als positiv getestet wird, der den Virus in sich trägt, aber (noch) keine Symptome hat, lässt sich anhand dieser Zahlen nicht sagen. Zudem erscheint die Korrektur eines Fehlers missverständlich, weil immer noch nicht ganz deutlich wird, dass sich der Wert von 48 Prozent übersehenen Infektionen nicht auf einen Antigentest bezog. Daher werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Der Text berichtet über Antigen-Tests, die bald Standard in der Testung auf Corona werden sollen. Ein Thema, das also aktuell und hoch relevant ist.

Medizinjournalistische Kriterien: 12 von 15 erfüllt

Abwertung um einen Stern (von 4 auf 3 Sterne), wegen fehlender Informationen beim Nutzen und Verwirrung um die Testverfahren.

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar