Bewertet am 17. September 2020
Veröffentlicht von: NZZ

Groß ist der Wunsch, sich in der bald anbrechenden, kalten Jahreszeit gegen das neue Coronavirus zu wappnen. Kaum verwunderlich also, dass das Naturprodukt Echinacea in Apotheken in der Schweiz zeitweilig ausverkauft war, nachdem Medien über eine mögliche Schutzwirkung des Mittels berichtet hatten. Sie bezogen sich auf eine aktuelle Studie, in der die Wirkung auf Sars-CoV-2 allerdings nur im Laborversuch getestet wurde, nicht am Menschen. Dies macht ein aktueller Bericht der Neuen Zürcher Zeitung deutlich. Leider wird im Beitrag jedoch nicht klar, dass einige der an der Studie beteiligten Wissenschaftler für die Schweizer Firma tätig sind, die das Produkt verkauft.

Zusammenfassung

Ein Naturprodukt inaktiviert Coronaviren – ein altbekanntes Erkältungsmittel, das es in jeder Apotheke zu kaufen gibt. Das klingt nach einer möglichen Waffe gegen Covid-19. Das produziert Schlagzeilen, und genauso kam es, als ein Dutzend Schweizer Forscher ihre Studie „Echinacea gegen Coronaviren“ veröffentlichten. Im Gegensatz zu anderen Medienberichten beleuchtet der aktuelle Beitrag der Neuen Zürcher Zeitung die Untersuchung angenehm unaufgeregt und betont von Anfang an die eingeschränkte Aussagekraft der Studie. Schließlich wurde die mögliche Schutzwirkung bislang nur im Laborversuch gezeigt, nicht an Menschen. Dennoch bleibt der Eindruck, dass Echinacea etwas gegen Erkältungskrankheiten ausrichten kann. Doch auch diesen Schluss gibt die Studienlage nicht her. Zudem versäumt der Artikel eine Einordung durch unabhängige Experten, Interessenskonflikte der Studienautoren und auch mögliche Nebenwirkungen bleiben unerwähnt.

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Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Direkt im ersten Satz gibt der Beitrag eine zentrale Erkenntnis der Studie wieder: „Wenn man Sars-CoV-2-Viren und andere pathogene Verwandte wie Mers- und Sars-1-Viren in einem Echinacea-Extrakt badet, können sie menschliche Zellen danach nicht mehr infizieren.“ Und die Frage, ob dieser Laborversuch auf Menschen übertragbar ist, wird gleich darauf abschlägig beantwortet: „Zwar konnte das Mittel in den Experimenten Coronaviren vor dem Kontakt mit Zellen inaktivieren. Aber gegen vom Virus befallene Zellen konnte es kaum etwas ausrichten.“ Kernsatz: „Zum jetzigen Zeitpunkt ist deshalb unklar, ob die Einnahme von Echinacea-Tropfen oder -tabletten bei einer Covid-19-Erkrankung hilfreich ist.“ Im journalistischen Beitrag wird also deutlich, dass klinische Studien zwingend notwendig sind, um herauszufinden, ob die Einnahme von Echinacea bei einer Covid-19-Erkrankung tatsächlich hilfreich sein könnte. Allerdings hat der Beitrag bei der Darstellung des Nutzens Schwächen. Denn die positiven Effekte werden nicht quantifiziert. Dabei ist die Inaktivierung der Viren laut der Studie Dosis-abhängig (so heißt es in der Fachpublikation selbst: „complete virus inactivation was achieved at a concentration of 50 μg/ml, etwa: eine komplette Virusinaktivierung wurde bei einer Konzentration von 50 μg/ml erreicht“). Deshalb werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Mögliche Risiken werden in dem Beitrag angesprochen, allerdings nur recht vage: „Eine präventive, länger andauernde Einnahme von Echinacea-Produkten wäre allem Anschein nach zumindest nicht schädlich. Denn diese werden seit Jahren von vielen Menschen vor allem im Herbst und Winter als Mittel gegen Erkältungskrankheiten eingenommen.“ Das sagt nichts darüber aus, wie häufig und wie schwer mögliche Nebenwirkungen sind. Dabei hätten mögliche allergische Reaktion erwähnt werden können. Angesichts des Ansturms auf die Apotheken in der Schweiz wäre aber vor allem der Hinweis wichtig gewesen, dass die europäisches Arzneimittelbehörde EMA Schwangeren und Kindern bis zum Alter von zwölf Jahren von der Einnahme von Echinacea abrät (siehe auch: ema.europa.eu/en/documents). Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Echinacea ist ein bekanntes pflanzliches Arzneimittel. Es ist in verschiedenen Darreichungsformen erhältlich: als Saft, als Tropfen, als Tabletten und als Globuli. Im Bericht heißt es: „Das Produkt namens Echinaforce gibt es rezeptfrei in der Apotheke zu kaufen.“ Um einen werblichen Eindruck zu vermeiden, hätte man allerdings erwähnen können, dass dies auch für viele andere Echinacea-Produkte gilt.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Noch gibt es kein gut wirksames Arzneimittel gegen Covid-19, in der Forschung gibt es jedoch verschiedene Kandidaten für eine Therapie. Davon wird in dem Bericht allerdings nur ein Wirkstoff angesprochen: „Auch das erst kürzlich hochgejubelte Anti-Malaria-Mittel Hydroxychloroquin zeigte in der Zellkultur eine vielversprechende Aktivität gegen Sars-CoV-2, aber dann kaum bis gar keine Wirkung im Menschen.“ Das für schwere Krankheitsverläufe inzwischen zugelassene Medikament Remdesivir wird nicht erwähnt, ebenso wenig wie der Stand der Impfstoff-Entwicklung. Dass derzeit vor allem das Abstandhalten, das Tragen von Masken und das Händewaschen präventiv wichtig sind, wird im Beitrag ebenfalls nicht deutlich. Deshalb werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Was Echinaforce kostet, wird im Beitrag nicht angesprochen. Auch die Kosten für ähnliche Echinacea-Produkte bleiben unerwähnt. Zwar handelt es sich hier nicht um große Summen, die Kosten reichen von rund fünf bis knapp 20 Euro. Doch wäre ein Vergleich zum Beispiel mit dem bereits zugelassenen Medikament Remdesivir interessant gewesen. Insgesamt werten wir daher „NICHT ERFÜLLT“.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Die Krankheit Covid-19 wird nicht übertrieben dargestellt. Der Verlauf und die mögliche Schwere der Erkrankung werden überhaupt nicht thematisiert. Das ist in diesem Fall durchaus vertretbar, da durch die Omnipräsenz des Themas die Symptomatik allgemein bekannt sein dürfte.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Während andere Medien das Präparat als „Corona-Killer“ bezeichneten, bleibt dieser Beitrag wohltuend sachlich. Die Grenzen des Studiendesigns (im Laborversuch, nicht am Menschen) werden klar beschrieben („Zudem sind die Bedingungen in der Zellkultur nicht eins zu eins auf jene im Organismus übertragbar“). Sehr anschaulich wird das in dem Satz: „Doch bevor wir nun alle zu Echinacea-Junkies werden und den Sonnenhut als Corona-Killer feiern, sollte man auch den Rest der wissenschaftlichen Veröffentlichung in der Fachzeitschrift «Virology Journal» lesen.“ Damit erfahren die Leser auch, dass es sich nicht um eine ungeprüfte Pre-Print-Studie handelt, sondern um eine Veröffentlichung in einem Fachjournal. Allerdings werden die allgemeinen Effekte der Echinacea-Produkte sehr pauschal positiv dargestellt, ohne wissenschaftliche Belege dafür anzuführen (siehe auch Kriterium 11): „Zudem lindern Echinacea-Produkte nachweislich Erkältungssymptome. (….) Ein gewisser antiviraler Effekt des Sonnenhuts ist schon lange bekannt: Die Indianer Nordamerikas haben die Heilkraft der Pflanze entdeckt und auch genutzt.“ Die vertreibende Firma A. Vogel schreibt dagegen auf ihre Echinacea-Produkte lediglich: „Zur Steigerung der körpereigenen Abwehr bei Anfälligkeit gegenüber Erkältungskrankheiten.“

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Leider nennt der Beitrag keine anderen Quellen oder Experten. Trotz der weitgehend distanzierten Einschätzung des Beitrags fehlt somit eine unabhängige Einordnung der Studie. Deshalb werten wir „NICHT ERFÜLLT“.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Dieser Aspekt ist der größte Schwachpunkt des Berichts. Zwar kommen fast alle an der Studie beteiligten Forscher aus dem Labor Spiez, das zum schweizerischen Bundesamt für Bevölkerungsschutz gehört. Doch zwei der Wissenschaftler sind Angestellte der Alfred Vogel AG, die das getestete Produkt herstellt und verkauft, ein Dritter hat von der Firma Geld erhalten. Das ist am Ende der Fachartikels nachzulesen: „Competing interests: R. Schoop and A. Suter are employees of A. Vogel AG. W. C. Albrich has been the recipient of grants and fees from A. Vogel AG. The remaining authors declare no conflict of interest.“ Auch hat die Firma Teile der Verbrauchsmaterialien finanziert. Auffällig ist zudem, dass der Handelsname im Fachartikel genannt wird. Diese Informationen erhalten die Leserinnen und Leser des journalistischen Beitrags jedoch leider nicht, obwohl sie enorm wichtig wären. Denn schließlich stellt sich die Frage, wie unabhängig eine Untersuchung sein kann, wenn ein Teil der beteiligten Forscher Geld von dem Hersteller eines Echinacea-Produkts erhält und ausschließlich das von der Firma verkaufte Produkt getestet wird. Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Wie neu wäre Echinacea als Mittel gegen Coronaviren? Die Antwort gibt der Vorspann: „Der Wirkstoff des Roten Sonnenhuts wird oft gegen Erkältungen eingesetzt. Ob er eine Sars-CoV-2-Infektion beim Menschen verhindern kann, bleibt aber trotz ermutigenden Laborversuchen offen.“ Das Produkt ist also nicht neu, nur die Anwendung. Allerdings müsste dafür als Grundvoraussetzung die Wirksamkeit der Pflanze gegen Erkältungen belegt sein. Das ist hier für die Leserinnen und Leser nicht eindeutig nachvollziehbar. Zwar sind andere Studien erwähnt, allerdings so allgemein, dass diese in ihrem wissenschaftlichen Wert nicht eingeordnet werden können: „Frühere klinische Studien haben ergeben, dass Personen, die Echinacea-Produkte präventiv einnehmen, etwas weniger oder zumindest mildere Erkältungen bekommen, darunter auch durch altbekannte Coronaviren ausgelöste. (…) Die Experimente in Spiez wie auch frühere Versuche lassen vermuten…”. Ob diese Studien aus der gleichen Forschergruppe stammen oder einen anderen Ursprung haben, wird nicht klar. Immerhin spricht der Bericht ein Grundproblem der Echinacea-Forschung an: „Doch trotz jahrelanger Forschung weiss derzeit niemand, welche Inhaltsstoffe der Pflanze wirklich wirken und wie sie das tun.” Insgesamt werten wir daher knapp „ERFÜLLT“.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Die Faktenlage der Studie gibt der Bericht korrekt wieder. Allerdings wird die Studienlage zu Echinacea bei Erkältungskrankheiten zu positiv ausgelegt: Frühere klinische Studien hätten ergeben, dass Personen, die Echinacea-Produkte präventiv einnehmen, etwas weniger oder zumindest mildere Erkältungen bekommen, darunter auch solche, die durch altbekannte Coronaviren ausgelöst werden. Hier hätte deutlicher werden müssen, dass sich diese Studienergebnisse nicht auf das neue Coronavirus übertragen lassen. Später heißt es sogar: „Zudem lindern Echinacea-Produkte nachweislich Erkältungssymptome.“ Ein älteres Cochrane Review aus dem Jahr 2014 dagegen kommt zu einer anderen Einschätzung. Demnach geben die Daten aus Studien allenfalls einen vorsichtigen Hinweis darauf, dass die regelmäßige Einnahme von Echinacea-Produkten das Auftreten einer Erkältung verhindern könnte (siehe auch cochranelibrary.com/cdsr). Eine Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2018 zur Wirkung bei Kindern und Jugendlichen kommt sogar zu dem Ergebnis, dass aufgrund der widersprüchlichen Studienergebnisse aus den Daten keine aussagekräftigen Schlussfolgerungen zu ziehen sind (siehe auch: pubmed.ncbi.nlm.nih.gov). Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Eine Pressemitteilung haben wir nicht gefunden. Daher gehen wir von einer journalistischen Rechercheleistung aus.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Die Überschrift und der Vorspann bringen eine fachlich richtige und gleichzeitig klar verständliche Aussage und widerstehen der Verlockung eines reißerischen Versprechens. Mit der Einordnung im ersten Absatz wird ein anderer Ton gesetzt: „Das klingt famos. (…) Doch bevor wir nun alle zu Echinacea-Junkies werden und den Sonnenhut als Corona-Killer feiern, sollte man auch den Rest der wissenschaftlichen Veröffentlichung in der Fachzeitschrift «Virology Journal» lesen.“ Allerdings wären Zitate von Experten noch hilfreich gewesen, um den Lesefluss weiter aufzulockern. Zudem endet der Text etwas abrupt. Daher werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Der Gesamtzusammenhang wird sehr gut verständlich gemacht und ist auch für medizinische Laien schnell zu erfassen. Das hält der Bericht auch gut von Anfang bis Ende durch, wenn etwa am Schluss der vermutete Wirkmechanismus der Pflanzenextrakte erklärt wird: „Die Experimente in Spiez wie auch frühere Versuche lassen vermuten, dass mehrere Inhaltsstoffe zusammen mit der Hülle von Corona- und anderen Viren interagieren, sie zerstören oder zumindest so umformen, dass die Viren nicht mehr in der Lage sind, in Zellen einzudringen.“

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Relevant ist eine Behandlung oder Prävention von Covid 19 allein deshalb schon, weil es die gesamte Bevölkerung betrifft. Jeder kann sich mit dem SARS-CoV-2 Virus infizieren, daher ist das Interesse an einer Behandlungsmöglichkeit aktuell extrem hoch. Die beschriebene Studie ist zudem ungewöhnlich, da hier einem seit Jahren bekannten, frei verkäuflichen Naturprodukt eine ganz neue Rolle zukäme.

Medizinjournalistische Kriterien: 9 von 15 erfüllt

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar