Bewertet am 10. August 2020
Veröffentlicht von: Berliner Zeitung (online)
Kaum ein Thema wurde in den vergangenen Monaten so intensiv diskutiert wie die Frage, ob das Tragen eines Mundschutzes vor einer Ansteckung mit dem neuen Coronavirus schützen kann. Lange zögerten etwa die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wie auch das Robert-Koch-Institut (RKI), diese Maßnahme flächendeckend zu empfehlen. Wie aber kam es zu dieser Verzögerung? Und auf welchen Daten beruhen die Empfehlungen eigentlich? Ein Interview in der Berliner Zeitung mit einem der Studienautoren einer großen Metaanalyse zum Thema klärt viele offene Fragen und legt dar, wie schwierig es war und ist, verlässliche Daten zum Thema zu generieren.

Zusammenfassung

Schutzmasken können vor einer Infektion mit dem neuen Coronavirus bewahren – nicht nur die anderen, sondern auch sich selbst. Das ist das Ergebnis einer großen Metaanalyse von Beobachtungsstudien aus 16 Ländern auf sechs Kontinenten. In einem ausführlichen Interview wird nun einer der federführenden Autoren, Professor Holger Schünemann von der McMaster University in Hamilton, Kanada, zu der Studie befragt. Dabei berichtet er nicht nur über den „überraschend großen Effekt“ der Schutzmasken. Er erklärt auch, warum es so schwer ist, zu wirklich verlässlichen Daten zu kommen, und welches Studiendesign ideal wäre, um den Schutzeffekt der Masken zu messen. Allerdings wird nicht erwähnt, dass Stoffmasken mehrlagig sein müssen, um vor einer Ansteckung zu schützen – ein wichtiger Aspekt für Leserinnen und Leser. Auch bleibt an mancher Stelle ein wenig unklar, warum das Interview zu diesem Zeitpunkt geführt wurde. Insgesamt jedoch ein lesenswerter Text, der viele Fragen zur Datenlage und der Diskussion um Schutzmasken aufgreift.

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Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Gleich in der ersten Antwort des Interviews geht es um den positiven Effekt des Mundschutzes: „Nach unserer Analyse senken Masken das relative Risiko, sich zu infizieren, um etwa 80 Prozent.“ Auch wird an Beispielen erläutert, was dies konkret bedeutet: „Wenn das Basisrisiko sich anzustecken, bei etwa 50 Prozent liegt, wie es beispielsweise für Chorproben beschrieben wurde, dann verringert es sich, wenn ich eine Maske trage, auf zehn Prozent. Ist das Basisrisiko ein Prozent, reduziert sich die Gefahr sich anzustecken auf 0,2 Prozent.“ Das finden wir geradezu vorbildlich, weil es zum einen deutlich macht, was es heißt, von einem relativen Risiko zu sprechen, und zum anderen weil die beiden Beispiele deutlich machen, wie sehr der Effekt vom Anfangsrisiko abhängt.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

An einer Stelle im Interview werden mögliche Risiken und Nebenwirkungen kurz erwähnt: „Wenn das Infektionsrisiko sehr klein ist, müssen allerdings sehr viele Menschen eine Maske tragen, um eine einzelne Infektion zu verhindern. Und Nebenwirkungen, allerdings leichter Art, sind auch möglich.“ Hier wären genauere Informationen zu diesen leichten Nebenwirkungen wünschenswert gewesen. Lobenswert ist, dass auch auf die Sorge eingegangen wird, ob das Maskentragen sogar die Gefahr für eine Infektion erhöhen könnte: „Es bestand die Angst, dass Menschen sich durch Masken so sicher fühlen, dass sie andere Verhaltensregeln wie Abstand halten oder Hände waschen nicht mehr befolgen würden. Aber da gibt es jetzt Hinweise, dass das nicht stimmt.“ An anderer Stelle heißt es dazu: „Eine Infektionsquelle könnte allerdings das Auf- und Absetzen der Maske sein. Aber wohl weniger beim normalen OP-Mundschutz, sondern eher bei den FFP2- und FFP3-Masken. Dazu fehlen noch hochwertige Studien.“ Insgesamt werten wir daher „ERFÜLLT“.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Masken sind in verschiedenen Varianten auf dem Markt, das wird in dem Gespräch deutlich, etwa wenn Schünemann erklärt: „Eine Infektionsquelle könnte allerdings das Auf- und Absetzen der Maske sein. Aber wohl weniger beim normalen OP-Mundschutz, sondern eher bei den FFP2- und FFP3-Masken. Dazu fehlen noch hochwertige Studien.“ Die Verfügbarkeit von einfachen OP-Masken wird kurz thematisiert: „Wir beziehen uns auf Daten für den einfachen chirurgischen Mund-Nasen-Schutz, wie man ihn überall kaufen kann.“ Genauere Angaben erscheinen nicht erforderlich, weil sie angesichts der allgemeinen Maskenpflicht in Geschäften und Restaurants bekannt sein dürfte. Wo indes FFP2 oder FFP3 Masken zu beziehen sind, bleibt offen. Wir werten daher das Kriterium als knapp „ERFÜLL“.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Im Interview werden alternative Maßnahmen zur Reduktion des Infektionsrisikos angesprochen, wie etwa das Abstandhalten, das Händewaschen und der Lockdown.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Die Kosten werden sowohl in einer Frage, als auch in einer Antwort des Interviews angesprochen: „Aber es geht hier ja nicht um ein teures Medikament, sondern um eine einfache Maßnahme, von der wir aus Asien zumindest starke Hinweise hatten, dass sie hilft.“ Und die Antwort des Studienautors dazu: „Das würde ich auch so sehen. Es ist nicht besonders umständlich, eine Maske zu tragen und kostet kaum Geld für den Einzelnen im Vergleich zu teuren Therapien.“

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Es geht in dem Gespräch um das Tragen einer Maske zum Schutz vor Sars-CoV-2. Die Krankheit wird nicht übertrieben dargestellt.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Die Einordnung der Qualität der Studien nimmt einen großen Raum im Gespräch ein. Gleich an mehreren Stellen weist Schünemann auf die geringe Qualität der Studien hin, die sich mit Nutzen und Wirkung von Masken beschäftigen. Der Wissenschaftler erklärt auch, warum es bisher nur Studien geringer Qualität gibt, etwa hier: „Unsere Datenbasis beruht nicht auf randomisierten, also zufallsverteilten Studien. Bei den Untersuchungen wurde nicht ausgelost, wer eine Maske tragen soll und wer nicht. Das ist eine Schwäche.“ Weiter erklärt er, warum er aus diesen Studien geringer Qualität trotz klarer Ergebnisse nur bedingt verlässliche Schlüsse ziehen kann: „Aber die 80-prozentige Risikoreduktion ist relativ konstant über die Studien. Dass Masken einen Effekt haben, ist deshalb schon ziemlich sicher. Nur nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin – und auch wegen anderer Schwächen der Studien – reicht das eben nicht, um von mittlerer oder hoher Sicherheit zu sprechen.“

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Im Gespräch werden die Weltgesundheitsorganisation und das Robert-Koch-Institut kurz erwähnt. Hier wäre eine etwas detailliertere Diskussion über anderslautende Einschätzungen zum Maskentragen – besonders aus den ersten Monaten der Coronakrise – wünschenswert gewesen. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Es werden keine Interessenkonflikte thematisiert, wir haben indes auch keine finden können. Daher werten wir „ERFÜLLT“.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Das Interview vermittelt sehr anschaulich, wie sich die Diskussion um das Maskentragen in den vergangenen Monaten entwickelt hat. Damit wird die „Neuheit“ der Debatte indirekt eingeordnet. Zudem erinnert der Experte mehrfach daran, dass es natürlich leicht ist, die Entscheidungen der Institutionen gegen eine Maskenpflicht in den ersten Monaten zu kritisieren: „Die Institutionen hätten sich anders entscheiden können, aber im Nachhinein ist das einfach zu sagen.“

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Im Interview selbst sind uns keine Fehler aufgefallen. Allerdings ist der Untertitel womöglich irreführend: „Lange hieß es, einfache OP-Masken schützen nicht vor Sars-CoV-2. Erst eine Metaanalyse von Holger Schünemann, Medizinprofessor in Kanada, überzeugte auch die WHO.“ Dabei arbeitet Schünemann für die WHO, die Studie wurde von der WHO in Auftrag gegeben und zum Teil bezahlt. Zudem sind die Studienergebnisse nicht etwa ihm allein, sondern einem großen Team internationaler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu verdanken. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Das Interview nimmt viele verschiedene Aspekte der Pressemitteilungen zum Fachartikel auf, fragt aber auch nach der Bedeutung anderer Ergebnisse – und geht damit deutlich über das Pressematerial hinaus.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Der Inhalt und die Ergebnisse der im Interview besprochenen Studie sind gut nachzuvollziehen. Das Interview vermittelt wichtige Hintergründe, wenn es um die Frage geht, ob Menschen Maske tragen sollen oder nicht. Allerdings fehlt an mancher Stelle eine klare Strukturierung der Thematik, was teilweise den Lesefluss erschwert. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Der Text ist gut verständlich, auch komplexere Begriffe, etwa „randomisierte Studie“ werden gut eingeführt, etwa: „Unsere Datenbasis beruht nicht auf randomisierten, also zufallsverteilten Studien. Bei den Untersuchungen wurde nicht ausgelost, wer eine Maske tragen soll und wer nicht. Das ist eine Schwäche. Aber die 80-prozentige Risikoreduktion ist relativ konstant über die Studien.“ An mancher Stelle hätte man die Sachverhalte durch entsprechendes Nachfragen allerdings noch etwas vereinfachen können. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Das Thema ist zweifellos relevant. Die besprochene Studie erschien allerdings bereits im Juni im Fachblatt „The Lancet“. Angesichts der gegenwärtigen Diskussion, welche Maßnahmen die ansteigenden Infektionszahlen reduzieren können, ist jedoch erneut ein aktueller Anlass gegeben, um über die Sinnhaftigkeit des Maskentragens zu berichten.

Medizinjournalistische Kriterien: 15 von 15 erfüllt

Da fünfmal ‚knapp erfüllt‘ gewertet wurde, Abwertung von 5 auf 4 Sterne.

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar