Bewertet am 10. Juli 2020
Veröffentlicht von: dpa
Was für eine Nachricht – das erste Medikament zur Behandlung von Covid-19 wurde in der EU zugelassen! Ab sofort können Patienten in Deutschland von Remdesivir profitieren. Doch wie genau wirkt die Arznei? Und birgt die Einnahme auch Risiken? Ein Artikel der dpa hat das Thema aktuell aufgegriffen und die wesentlichen Fragen zum Medikament in verständlicher Art und Weise beantwortet – auch wenn man sich bei manchen Aspekten wie den möglichen Nebenwirkungen und der Verfügbarkeit mehr Informationen gewünscht hätte.

Zusammenfassung

Sehnsüchtig warten Ärzte und Patienten derzeit weltweit auf einen Wirkstoff, der gegen Covid-19 hilft, jene durch die neuen Coronaviren ausgelöste Erkrankung. Nun wurde – zunächst für ein Jahr – ein erstes Medikament in der EU zugelassen. Die Hoffnungen sind enorm, umso wichtiger ist es, möglichst rasch, gründlich und ausgewogen über diese Therapiemöglichkeit zu informieren. Was kann Remdesivir tatsächlich gegen Covid-19 bewirken? Wie gut ist diese Wirksamkeit belegt? Wie viel wird die Arznei in Deutschland kosten? Ein Artikel der dpa greift die Thematik aktuell auf und erklärt die wichtigsten Aspekte zum Thema in einem Frage & Antwort-Text. Darin wird das Studiendesign einer aktuellen Studie zu Remdesivir bei Covid-19-Patienten in groben Zügen erklärt, ebenso kommen kritische Stimmen zur Studienlage und zu den erwarteten Kosten zu Wort. Insgesamt also ein informativer, verständlicher Beitrag, der die wesentlichen Fragen zum Thema beantwortet, an mancher Stelle jedoch noch mehr ins Detail hätte gehen können.

Title

Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Der Nutzen wird in einem Expertenzitat erläutert, dass Remdesivir nämlich „den schweren Verlauf abmildert und die Krankheitsphase um etwa vier Tage verkürzt“. Das ist richtig und knapp zusammengefasst. Allerdings fehlt zur Einordnung die Information, welche Erkrankungsphase hier gemeint ist: seit Beginn der Beschwerden, seit stationärem Aufenthalt in der Klinik, seit Aufnahme auf der Intensivstation (was nicht immer gleich zu setzen ist mit invasiver Intubationsbeatmung)? Auch die Aussage zum schweren Verlauf ist etwas vage: Wird etwa eine Sauerstoffgabe unnötig oder verkürzt, eine Beatmung erspart, eine andere Behandlung abgemildert? Zwar wird noch erklärt, dass das Medikament vor allem „in einer frühen Phase“ nutzt und dass es womöglich die Intensivstation oder künstliche Beatmung vermeidet („Aber es ist natürlich ein himmelweiter Unterschied, ob jemand auf die Intensivstation kommt und künstlich beatmet wird, oder ob ihm das erspart bleibt. Und das kann von diesem Medikament abhängen, solche Fälle haben wir in der Studie gehabt.“). Bei wie vielen Patienten das zu erwarten ist, wird allerdings nicht erläutert. Daher nur knapp „ERFÜLLT“.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Im Text wird sehr allgemein auf mögliche Nebenwirkungen eingegangen: „Remdesivir sei insgesamt sehr verträglich“ und auch an dieser Stelle: „Die Studie verzeichnete in der Kontrollgruppe sogar mehr Nebenwirkungen als bei Patienten mit Remdesivir“. Angesichts der potentiell lebensbedrohlichen Erkrankung Covid-19 könnte man argumentieren, dass genauere Angaben zu den Nebenwirkungen zu vernachlässigen sind, zumal sie eben in der therapierten Gruppe seltener auftraten als in der Kontrollgruppe. Allerdings wären diese Informationen in der Fachpublikation leicht zu finden gewesen. Demzufolge traten bei 21 Prozent der Patienten mit Remdesivir Nebenwirkungen auf, in der Kontrollgruppe ohne das neue Medikament bei 27 Prozent der Probanden. Als Nebenwirkungen werden vor allem Blutarmut, akute Nierenprobleme, Fieber, Hyperglykämie (erhöhter Blutzuckerspiegel) und erhöhte Leberwerte erwähnt, zusätzlich noch Übelkeit und Erbrechen. Wichtig wäre zudem noch der Hinweis gewesen, dass Remdesivir sehr eilig geprüft worden ist, manche Nebenwirkungen also womöglich noch gar nicht bekannt sind – und bezüglich des Medikaments noch viele Fragen offen sind. Insgesamt erfahren die Leserinnen und Leser also zu wenig über mögliche Risiken der Therapie mit Remdesivir. Daher werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Es wird zu Beginn des Textes erklärt, dass Remdesivir jetzt von der europäischen Zulassungsbehörde EMA für die EU zugelassen wurde – sogar das genaue Datum der Zulassung wird genannt: „… EMA, die am 25. Juni eine Genehmigung unter Auflagen empfohlen hatte“. Dann wird erwähnt, dass sich „nach Auskunft des Gesundheitsministeriums“ Deutschland frühzeitig Vorräte gesichert habe und es „genug Reserven“ gebe. Es wird also deutlich, dass Remdesivir in Deutschland verfügbar ist. Ob jedoch genügend Vorräte für alle zu behandelnden Patienten vorhanden sind, bleibt unklar. So wird im Artikel auch erwähnt, dass sich die USA große Vorräte des Medikaments gesichert haben. Gleich im Anschluss wird der Gesundheitsminister Jens Spahn dann damit zitiert, dass er vom Hersteller erwarte, „dass Deutschland und Europa versorgt werden“. Diese Aussage ist für die Leserinnen und Leser verwirrend, da so letztendlich nicht klar ist, ob genügend Remdesivir in Deutschland zur Verfügung stehen wird. Hier wären noch genauere Informationen zum Stand der Versorgung hilfreich gewesen. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Derzeit werden zahlreiche Wirkstoffe gegen COVID-19 getestet. Zu diesen alternativen Ansätzen zählen zum Beispiel Chloroquin, Hydroxychloroquin, Lopinavir/Ritonavir, Favipiravir, Nitazoxanid und Ivermectin (siehe auch diesen Artikel auf Deutsch:aerzteblatt.de/archiv oder diese beiden Fachartikel in englischer Sprache: doi.org/10.1016/,pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32293834/). Laut einer großen englischen Studie gibt es Hinweise, dass das Glukokortikoid Dexamethason die Sterblichkeit bei Intensivpatienten anders als Remdesivir tatsächlich senken kann (siehe auch: aerzteblatt.de/nachrichten Zusätzlich zu den potentiellen Medikamenten ist die richtige Beatmungsstrategie wichtig. Und außerdem werden neue Blutwäscheverfahren diskutiert, um die Viren zu beseitigen oder die manchmal massive Entzündungsreaktion im Körper der Patienten zu reduzieren (siehe auch: aerzteblatt.de/nachrichten). Auf keinen dieser alternativen Ansätze wird im Text eingegangen, daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Die Kosten der Therapie wird im Text mit einer eigenen Frage thematisiert („Was kostet das Medikament?“) – und konkret beantwortet: „Eine fünftägige Behandlung mit Remdesivir wird nach Unternehmensangaben bei Bestellung durch die US-Regierung 2340 Dollar (etwa 2000 Euro) pro Patient kosten.“ Dies sei auch für Deutschland geplant. Klar wird auch, dass die Krankenkassen die Kosten übernehmen werden – sicher ein Aspekt, der viele Patienten beruhigen wird. Zudem wird im Artikel darauf eingegangen, dass der Preis umstritten und von manchen Experten als zu hoch befunden wird: „Der Forscher Fätkenheuer kritisierte den Preis als ‚enorm hoch‘“. Zu diesem Aspekt hätte man sich noch mehr Informationen gewünscht – etwa, wie der hohe Preis überhaupt zustande kommt und was das Unternehmen Gilead in Entwicklungsländern verlangen wird. Dennoch werten wir insgesamt „ERFÜLLT“.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Der Beitrag geht nicht auf die Symptome oder die möglichen Krankheitsverläufe von Covid-19 ein und beschreibt auch nicht die epidemiologische Situation (keine Erkrankungszahlen, keine Sterberaten). Doch dürften diese Informationen inzwischen als hinreichend bekannt vorausgesetzt werden. Da es sich um eine potentiell lebensbedrohliche Infektion handelt, gegen die dringend Medikamente gesucht werden, ist kein Anzeichen von Disease mongering zu erkennen.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Der Frage nach der Qualität der Evidenz ist immerhin eine eigene Frage im Text gewidmet: „Wie ist die Studienlage?“. Hier erfährt die Leserinnen und Leser: „Es wurden mehrere Studien zu Remdesivir veröffentlicht, aber aus vielen ließen sich kaum Schlüsse auf eine Wirksamkeit ziehen“. Im Anschluss wird auf die Publikation einer Studie im New England Journal of Medicine verwiesen, in der „erste positive Ergebnisse“ veröffentlicht wurden. Es wird auch darauf hingewiesen, dass es bis dahin keine klaren Hinweise auf die Wirksamkeit des Medikaments bei Covid-19-Patienten gab: „Es wurden mehrere Studien zu Remdesivir veröffentlicht, aber aus vielen ließen sich kaum Schlüsse auf eine Wirksamkeit ziehen.“ Auf das Studiendesign und damit auf die Qualität der Fachpublikation im New England Journal of Medicine wird aber nur ansatzweise eingegangen: Es wird lediglich deutlich, dass es in der Studie eine Kontrollgruppe. Ob die Studie doppelt verblindet war – also weder die behandelnden Ärzte wussten, ob die Patienten Remdesivir bekamen oder ein Scheinpräparat – bleibt unklar, ebenso, wie und wie oft die Patienten untersucht wurden. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Neben dem an der Studie beteiligten Infektiologen der Universität Köln kommt auch Professor Uwe Janssens zu Wort, der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI).

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Der zitierte Experte Fätkenheuer wird vorgestellt als ein „an der Studie beteiligter Infektiologe“ – somit wird hier ein möglicher Interessenkonflikt deutlich gemacht. Die kritischen Einwände von Janssens lassen zumindest vermuten, dass er in Bezug auf die Ergebnisse der Studie und deren Interpretation keine Interessenkonflikte hat, da er nicht daran beteiligt war.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Es wird dringend nach einem wirksamen Medikament zur Therapie von COVID-19 gesucht. Die derzeitigen Verläufe sind für Risikopatienten und alte Menschen bedrohlich, ein substanzieller Teil der Gesellschaft hat daher berechtigt Angst vor einer solchen Erkrankung. Hier geht es um ein Medikament, dass helfen könnte, auch um den Kampf und die Ressourcen und die Kosten für die Behandlung. Einer der Forscher spricht explizit die ethische Problematik an („Ich würde schon erwarten, dass gesamtgesellschaftliche und ethische Gesichtspunkte … eine Rolle spielen“). Und schon im Titel wird deutlich, worin die Neuheit des journalistischen Beitrags besteht: „Erste europäische Zulassung für ein Corona-Arzneimittel.“

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Die Zusammenfassung der Studienergebnisse ist korrekt, auch wenn eine gewisse Relativierung der Wirksamkeit angebracht gewesen wäre –„relatively modest“ (recht gering) heißt es in einem zeitgleich zur Fachpublikation im New England Journal of Medicine publizierten Editorial. Stattdessen werden im Artikel die Studienergebnisse sogar noch aufgewertet: Es sei „ein himmelweiter Unterschied“, ob jemand auf die Intensivstation komme oder künstlich beatmet werde oder ihm das erspart bliebe, wird der an der Studie beteiligte Infektiologe zitiert. Solche Patienten hat es zwar in der Studie gegeben, doch ob die unterschiedlichen Verläufe tatsächlich auf Remdesivir zurück zu führen sind, ist den bisherigen Studiendaten nicht zu entnehmen. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Der Artikel geht über die Pressemitteilung der Universitätsklinik Köln hinaus (innere1.uk-koeln.de/informationen). Auch unabhängige, kritische Stimmen kommen zu Wort.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Statt eines durchgängigen Textes wurden in diesem Fall konkrete, wichtige Fragen zu Remdesivir beantwortet. Dadurch gestaltet sich der Artikel naturgemäß recht nüchtern, wird jedoch jene Leserinnen und Leser interessieren, die sich einen schnellen Überblick zum Thema verschaffen wollen. Am Ende des Artikels gibt es weiterführende Links zu den Zulassungsinformationen der europäischen Zulassungsbehörde EMA, zur Studie im Fachblatt New England Journal of Medicine – und aus nicht nachvollziehbaren Gründen zu einer inzwischen zurückgezogenen Studie zu Chloroquin im Lancet.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Der Beitrag übersetzt die wissenschaftlichen Fakten in verständliche Sprache; lediglich die Zitate des kritischen Experten Janssens sind für Laien vielleicht unverständlich, etwa die „substanzielle Sterblichkeitsreduktion“. Insgesamt werten wir aber „ERFÜLLT“.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Das Thema ist in jedem Fall zur Zeit der COVID-19-Pandemie relevant und aktuell und berichtet zeitnah über die Zulassung des Medikaments.

Medizinjournalistische Kriterien: 13 von 15 erfüllt

Abwertung um einen Stern, weil man sich zum Studiendesign, der Verfügbarkeit und den möglichen Nebenwirkungen noch mehr Informationen gewünscht hätte.

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar