Bewertet am 13. Februar 2020
Veröffentlicht von: Deutschlandfunk

Seit mehreren Wochen wird fast fortlaufend über die Ausbreitung des neuen Coronavirus berichtet. Jenseits der fast stündlich aktualisierten Nachrichtenlage hat sich ein Beitrag des Deutschlandfunks gezielt einen längerfristigen Themenaspekt ausgesucht: die Forschung an einem Impfstoff. Das ist erfreulich, da die Zuhörer auf diese Art und Weise statt kurzer Nachrichtenhäppchen fundierte Informationen zu einem Themenaspekt erhalten. Schade ist, dass durch eine undifferenzierte Formulierung zu Beginn des Beitrags unnötig Ängste vor der Virusinfektion aufkommen können und man zu wenig über den Verlauf der Erkrankung erfährt.

Zusammenfassung

Anlässlich des aktuellen Coronavirus-Ausbruchs berichtet ein Radiobeitrag über die Arbeit von Forschern an einem Impfstoff gegen das Virus. Man erfährt, wie Impfstoffe entwickelt werden, es wird im Detail erklärt, wie aus einem anderen, harmlosen Virus und Hüllproteinen des neuen Erregers eine solche vorbeugende Vakzine entstehen soll. Auch wird deutlich, dass es noch ein langer Weg bis zur Zulassung sein dürfte. Zu Beginn des Beitrags ist allerdings von einem „gefährlichen Virus“ die Rede – eine Formulierung, die unnötig Ängste aufkommen lässt, zumal nicht erklärt wird, dass die Infektion meist den Symptomen einer normalen Erkältung ähnelt. Schwere Verläufe dagegen werden in der Regel nur bei alten oder Menschen mit Vorerkrankungen beobachtet. Die Frage, wer von einer Impfung profitieren würde, wird auch nicht gestellt. Insgesamt bestätigt sich jedoch der erste Eindruck: Der uns als Positiv-Beispiel vorgeschlagene Beitrag informiert fundiert über ein aktuell hoch relevantes Thema.

Title

Medizinjournalistische Kriterien

1. Der NUTZEN ist ausreichend und verständlich dargestellt.

Eine Impfung soll gesunde Menschen vor einer Ansteckung mit einem Erreger bewahren. Wie gut das die gerade entwickelten Impfstoffkandidaten im Fall des neuen Corona-Virus vermögen, kann momentan noch niemand sagen. Um den möglichen Nutzen eines Impfstoffs deutlich zu machen, hätte man hier jedoch Vergleiche zu den im Beitrag erwähnten Erkrankungen SARS, MERS oder auch der Grippe ziehen können. Nur so können sich die Zuhörer ein Bild davon machen, wie relevant die Entwicklung eines solchen Impfstoffs ist. Zum Nutzen gehört es zudem auch, sich zu fragen, wer von einer Impfung überhaupt profitieren würde. Dies wird jedoch ebenfalls nicht angesprochen. Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.

2. RISIKEN und Nebenwirkungen werden angemessen berücksichtigt.

Noch ist es zu früh, Aussagen zu den möglichen Nebenwirkungen der Impfstoffe zu treffen. Das erfährt man so zwar nicht im Beitrag, diese Tatsache dürfte den meisten Zuhörern jedoch klar sein. Trotzdem wäre hilfreich gewesen zu erwähnen, mit welchen Nebenwirkungen man – etwa nach den Erfahrungen mit der Impfung gegen das SARS-Virus – rechnen muss oder was übliche Impfreaktionen sind. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

3. Die Qualität der Evidenz (STUDIEN etc.) wird richtig eingeordnet.

In dem Beitrag hört man, dass es bislang keine klinischen Studien und auch kein Tiermodell gibt, um die neuen Impfstoffkandidaten zu testen. Dennoch wurden wichtige Bestandteile wie etwa das Trägervirus in der Impfstoffplattform schon für andere Impfstoffe genutzt und werden gerade untersucht. Insgesamt wird also deutlich, dass es sich hier um frühe Laborexperimente handelt.

4. Es werden weitere EXPERTEN/Quellen zitiert und es wird auf INTERESSENSKONFLIKTE hingewiesen.

Mehrfach zu Wort kommt der Virologe Stephan Becker, der über seine Impfstoffentwicklung berichtet. Erwähnt wird noch ein zweiter Forscher, der an einem antiviralen Medikament forscht. Dieser kommt jedoch selbst nicht zu Wort, die dargestellte Impfstoffforschung wird also nicht von einem unabhängigen Experten eingeordnet. Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG hinaus.

Wir haben keine Pressemitteilung gefunden, auf die der Beitrag beruht – und es ist unwahrscheinlich, dass es sich bei den O-Tönen um vorbereitetes PR-Material handelt. Daher gehen wir davon aus, dass es sich um einen selbst recherchierten Beitrag handelt und werten das Kriterium als „ERFÜLLT“.

6. Der Beitrag macht klar, wie NEU der Ansatz/das Mittel wirklich ist.

Der Ausbruch des neuen Coronavirus wird im Beitrag zeitlich eingeordnet und damit auch die aktuelle Impfstoffentwicklung: Das SARS- wie auch das MERS-Virus traten bereits 2003 bzw. 2012 auf und zählen zur Familie der Coronaviren – das wird deutlich erklärt. Der Virologe wird zudem direkt mit folgender Aussage zitiert: „Diese Erfahrung kann man auch benutzen, gegen das neue Coronavirus einen Impfstoff zu machen.“ Gleichzeitig wird erklärt, dass sich das Hüllprotein des SARS-Virus stark von jenem des neuen Coronavirus unterscheidet, der SARS-Impfstoff daher „vermutlich nicht vor dem Wuhan-Virus schützen“ wird. Es wird also gut verständlich dargestellt, warum die Forschung an Impfstoffen gegen SARS und MERS bei der aktuellen Impfstoffentwicklung helfen kann – und warum die alten Impfstoffe aber vermutlich nicht vor dem neuen Coronavirus schützen.

7. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Andere Ansätze werden im Beitrag thematisiert: „Aber man muss dazu sagen, es ist ja nicht nur die Impfung, die bei neuen Viren eine Rolle spielt. Sondern man muss natürlich auch überlegen, gibt es die Möglichkeit, zum Beispiel antivirale Medikamente zu entwickeln, die breiter wirksam sind als nur für ein einziges Virus”. Was das für Wirkstoffe sind und wann und wie sie Infizierten helfen könnten, erfährt man leider nicht. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

8. Es wird klar, ob oder wann ein(e) Therapie/Produkt/Test VERFÜGBAR ist.

Der Artikel macht deutlich, dass es bis zur Marktreife noch ein langer Weg sein wird. Nach einigen Monaten Arbeit im Labor, so schätzt der Experte, können in frühestens anderthalb bis zwei Jahren klinische Tests beginnen. Hier hätte man allerdings noch klarer herausarbeiten können, dass eine Impfung folglich für den aktuellen Ausbruch wahrscheinlich keine Rolle mehr spielen wird.

9. Der Beitrag geht (angemessen) auf die KOSTEN ein.

Wieviel die Impfstoffentwicklung kostet, wer dafür aufkommt und wer daran verdient, erfährt man in dem Beitrag nicht. Dabei ist dieser Punkt nicht uninteressant und war in der Vergangenheit auch Gegenstand von Kontroversen (z.B.sueddeutsche.de/gesundheit). Denn nur mit ausreichend finanziellen und klug eingesetzten Mitteln kann man auf einen Ausbruch wie diesen angemessen reagieren.

10. Der Beitrag vermeidet Krankheitsübertreibungen/-erfindungen (DISEASE MONGERING).

Im ersten Satz des Beitrags wird das Virus als „gefährlich“ beschrieben, auch wird erwähnt, dass es sich „weltweit verbreitet“, was in dieser undifferenzierten Darstellung unnötig Ängste aufkommen lässt. Noch findet der Großteil der Infektionen schließlich in China (vor allem in Wuhan) statt (siehe auch: rki.de/DE/Content). Auch können Menschen zwar tatsächlich an der Infektion sterben. Doch versäumt es der Bericht zu erwähnen, dass die Verstorbenen meist alt waren oder bereits an Vorerkrankungen litten, die ihr Immunsystem schwächten. In den vergangenen Wochen haben Forscher den Virus mit der Grippe verglichen, um klarzumachen, dass es zwar schwere Verläufe gibt, diese aber nur selten auftreten (zum Beispiel hier: fr.de/ratgeber/gesundheit. Abgesehen von dem erwähnten Satz zu Beginn des Beitrags wird aber sehr sachlich und differenziert über die Infektion und die Impfstoffentwicklung berichtet. Immerhin erfährt man auch, dass das aktuelle Virus weniger aggressiv ist als der SARS-Erreger. Daher werten wir insgesamt knapp „ERFÜLLT“.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich.

Der Radiobeitrag ist hoch aktuell und stößt sich bei vielen Zuhörern auf großes Interesse.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG).

Der Beitrag ist logisch aufgebaut und enthält viele Detailinformationen, Zitate des Experten lockern den Lesefluss auf. Nicht oder ungenügend erklärt wird allerdings Fachvokabular wie etwa „Good Manufacturing Practice“, „Inhibitoren“, „rekombinante Viren“. So bleibt zum Beispiel folgender Satz unverständlich: „Also die Synthese von dem Gen, das wir benötigen, wird jetzt in dieser Woche abgeschlossen sein, sodass wir dann beginnen können mit den Arbeiten, um die rekombinanten Viren zu machen.“ Diese Informationen setzen viele Kenntnisse voraus, etwa, worin die Synthese eines Gens besteht und was rekombinante Viren sind. Ähnlich wird es vermutlich Zuhörern mit folgendem Textabschnitt gehen: „Von dem neuen Virus sind nur die Erbgut-Sequenzen bekannt, der Erreger selbst wurde noch nicht isoliert. Deshalb gibt es bislang auch kein Tiermodell der Infektion, in dem man die Wirksamkeit eines künftigen Impfstoffs erproben könnte.” Hier wird ein Gedankensprung vollzogen, der für Zuhörer ohne Fachkenntnisse nicht nachzuvollziehen sein dürfte – bis dahin war im Text nur von Tierversuchen die Rede. Was dagegen ein Tiermodell genau ist, wird nicht erklärt. Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt.

Das Virus wird pauschal als „gefährlich“ dargestellt, was besser genauer differenziert worden wäre – das haben wir bereits unter Kriterium 10 dargelegt. Fehler haben wir jedoch keine gefunden. Daher werten wir insgesamt „ERFÜLLT“.

Medizinjournalistische Kriterien: 7 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar