Bewertet am 9. August 2019
Veröffentlicht von: Hamburger Abendblatt (online)

Über Stuhltransplantationen als mögliche Therapie für Patienten, die sich mit Antibiotika-resistenten Bakterien infiziert haben, berichtet das Hamburger Abendblatt (online). Hier liegt ein gut geschriebener Artikel vor, der das Thema weitgehend verständlich erklärt. Wünschenswert wären aber eine Recherche zur Studienlage, die Thematisierung von möglichen Interessenkonflikten der Experten und eine klarere Darstellung von Nutzen und Nebenwirkungen gewesen.

Zusammenfassung

Der Beitrag im Hamburger Abendblatt (online) nimmt eine Nachricht zum Anlass, die für Aufsehen gesorgt hat: Ein Mensch war nach einer Stuhltransplantation ums Leben gekommen. Dies ist ein guter Zeitpunkt, um über diese neue Therapieform zu berichten. Zunächst fällt der Artikel durch seine klare Struktur auf, die Zusammenhänge sind auf den ersten Blick verständlich beschrieben. Auch deshalb wurde er von unseren Gutachtern als positives Beispiel zur Begutachtung vorschlagen. Auf den zweiten Blick fällt allerdings auf, dass der Beitrag auch Schwächen hat. So werden die Leser trotz vieler Informationen am Ende allein gelassen. Zwar wird deutlich, dass diese Therapie „noch ganz am Anfang stehe“, andererseits wird erklärt: „Der Patient müsse sorgfältig auswählen“. Welche Patienten sollen dies tun? Nach welchen Kriterien soll dies erfolgen und wo soll der Patient mit seiner Suche beginnen? Dies alles wird nicht berichtet.

Title

Medizinjournalistische Kriterien

1. Der NUTZEN ist ausreichend und verständlich dargestellt.

Der Nutzen der Therapie wird im Artikel grob quantifiziert: „Bis zu 90 Prozent der Betroffenen könnten durch die fremden Fäkalien geheilt werden“. Allerdings verwirrt das „bis zu“, das der Prozentangabe vorgesetzt ist. Unklar bleibt, woher diese Angabe kommt und auf welche Patientengruppe sie sich genau bezieht. Auch die Angabe „bei Autismus, Adipositas oder Diabetes soll die Behandlung Studien zufolge Besserung bringen“ wirft eher zusätzliche Fragen auf. Der mögliche Nutzen wird hier zudem nicht in konkreten Zahlen angegeben, die Behandlung von Autismus dürfte als hoch spekulativ zu bewerten sein. Darum werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“.

2. RISIKEN und Nebenwirkungen werden angemessen berücksichtigt.

Auf Risiken der Therapie wird direkt zu Beginn des Textes hingewiesen („Stuhltransplantationen sind nicht risikofrei“, erklärt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Sie bergen immer die potenzielle Gefahr der Übertragung von Infektionserregern. Kürzlich ist in den USA ein Mensch im Anschluss an eine Behandlung gestorben, ein anderer erkrankte schwer.“) Auch in den Antworten im Text sind die Risiken ein Thema, eine der Fragen zur Therapie adressiert die Sicherheit: „Wie sicher ist die Methode?“. Später heißt es: „In Deutschland liegt die Gefahr vor allem darin, dass die Methode bisher nicht als offiziell anerkanntes Standardverfahren gilt, sondern als individueller Heilversuch. „Theoretisch kann die jeder Arzt durchführen“. Und dem sei es dann überlassen, für Sicherheit zu sorgen. Der Patient müsse sorgfältig auswählen.“ Wie hoch die jeweiligen Risiken sind, wird allerdings nicht erwähnt. Allerdings ist auch nicht klar, ob sich diese tatsächlich quantifizieren lassen. Daher werten wir knapp „ERFÜLLT“.

3. Die Qualität der Evidenz (STUDIEN) wird richtig eingeordnet.

Woher die zentrale Aussage über die Wirksamkeit („bis zu 90 Prozent der Betroffenen könnten durch die fremden Fäkalien geheilt werden“) kommt, ist offen. Es bleibt also unklar, welche Studien ihr zugrunde liegen. Man muss sich hierbei auf die Autorität eines zitierten Experten verlassen. Eine eigene Recherche und Einordnung wäre hier wünschenswert gewesen. Auch über Studien zu anderen Leiden erfährt man nur wenig: „Dafür und auch für die Behandlung anderer chronischer Krankheiten gibt es bisher keine ausreichenden wissenschaftlichen Beweise, vieles davon ist bisher nur an Tieren getestet worden“, sagt Stallmach.“

4. Es werden weitere EXPERTEN/Quellen zitiert und es wird auf INTERESSENSKONFLIKTE hingewiesen.

Es werden zwei externe Experten herangenzogen. Mögliche Interessenkonflikte werden allerdings nicht thematisiert. Eine schnelle Recherche zu Herrn Stallmach fordert zutage, dass er im Jahr 2015 allein über 45000 Euro von Pharmafirmen erhalten haben soll (correctiv.org/recherchen/euros-fuer-aerzte). Er führt selbst Stuhltransplantationen durch (focus-arztsuche.de/magazin/gesundheitstipps). Auch mögliche Interessenkonflikte der zweiten zitierten Expertin Frau Vehreschild werden nicht thematisiert (innere1.uk-koeln.de/informationen).

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG hinaus.

Wir haben keine Pressemeldung zu der Thematik gefunden.

6. Der Beitrag macht klar, wie NEU der Ansatz wirklich ist.

Es wird klar, dass Stuhltransplantationen bislang wenig etabliert sind und noch viel Forschung nötig sein wird, um diese Therapie und ihre Auswirkungen zu verstehen. Das wird zum Beispiel in diesem Zitat des Textes deutlich: „Welche Bestandteile des Kots helfen – Bakterien, Pilze, Viren oder andere Stoffe –, sei noch wenig erforscht. ‚In spätestens zehn Jahren‘ hofft Stellmach daher auf einen individuellen Bakterien-Cocktail, der nur noch die hilfreichen Bestandteile enthält – hergestellt im Labor, eingenommen wie eine Vitamintablette.“ Auch die folgende Frage unterstreicht dies: „Warum ist die Methode bisher nicht offiziell zugelassen?!“

7. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Die Hauptalternative (eine Antibiotikabehandlung) wird immerhin kurz erwähnt. Hier hätte man sich indes mehr Ausführlichkeit gewünscht, daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

8. Es wird klar, ob oder wann ein(e) Therapie/Produkt/Test VERFÜGBAR ist.

Auf die Verfügbarkeit in Deutschland wird ausführlich eingegangen: „… die Methode bisher nicht als offiziell anerkanntes Standardverfahren gilt, sondern als individueller Heilversuch. ‚Theoretisch kann die jeder Arzt durchführen‘, erklärt sie. Und dem sei es dann überlassen, für Sicherheit zu sorgen. Der Patient müsse sorgfältig auswählen.“

9. Der Beitrag geht (angemessen) auf die KOSTEN ein.

Kosten und Kassenübernahme werden thematisiert: „Bislang muss der Patient daher in der Regel selbst für die etwa 1300 Euro teure Behandlung aufkommen, nur in seltenen Fällen übernimmt die Krankenkasse die Kosten.“

10. Der Beitrag vermeidet Krankheitsübertreibungen/-erfindungen (DISEASE MONGERING).

Der Text beschreibt die aktuelle Situation recht ausgewogen und mit Verweis auf eine wichtige Quelle, das Robert-Koch-Institut: „Clostridioides difficile. In den letzten Jahren mehren sich jedoch Fälle, bei denen Menschen wegen dieses Keims im Krankenhaus landen. In Deutschland sind es nach Angaben des Robert-Koch-Instituts jährlich knapp 3000, in ganz Europa etwa 152 000. Im vergangenen Jahr forderte das stäbchenförmige Bakterium europaweit etwa 8400 Tote. Inzwischen zählen die Einzeller zu den häufigsten Krankenhauskeimen, Tendenz steigend.“ Zusätzlich wird im Artikel noch deutlich gemacht, dass die Besiedlung mit Clostridien in den meisten Fällen aber harmlos ist. Dies ist als positiv zu werten.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich.

Der Todesfall nach der Stuhltransplantation war aufgrund seiner Neuartigkeit eine Nachricht. Dieser einordnende Artikel hat sich damit einen guten Anlass genommen, über diese neue Therapieform zu berichten und den Todesfall einzuordnen.

2. Die journalistische Umsetzung des Themas ist gelungen? (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Der Artikel ist gut strukturiert und meistens klar geschrieben. Knapp „ERFÜLLT“ werten wir, da einige überraschende und teils wenig plausible Behauptungen aufgestellt werden, die dann nicht erklärt sind (Darmkrebsrisiken können übertragen werden, genauso Heuschnupfenanfälligkeit, Autismus könne mit Darmbakterien behandelt werden). Das alles wirft Fragen auf, die nicht beantwortet werden. Das lässt die Leser im Zweifel verwirrt oder beunruhigt zurück.

Auch wird nicht richtig erklärt, warum immer mehr Menschen im Krankenhaus landen. („Eigentlich ist er ein harmloser Geselle, der sich bei den meisten Neugeborenen und bei bis zu fünf Prozent aller gesunden Erwachsenen im Darm tummelt: Clostridioides difficile. In den letzten Jahren mehren sich jedoch Fälle, bei denen Menschen wegen dieses Keims im Krankenhaus landen.“).

3. Die Fakten sind richtig dargestellt?

Keine Faktenfehler gefunden.

Medizinjournalistische Kriterien: 8 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 3 von 3 erfüllt

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar