Im aktuellen Beitrag des RND-Netzwerks in der Märkischen Allgemeinen Zeitung online geht es um eine Studie zu den Auswirkungen von Kaffee auf den menschlichen Körper. Die Arbeit wurde kürzlich auf dem Kongress der British Cardiovascular Society (BCS) in Manchester vorgestellt. Im Artikel wird der Eindruck erweckt, dass die gesundheitlichen Auswirkungen auf Herz und Kreislauf untersucht und keine negativen Folgen von exzessivem Kaffeekonsum gefunden wurden. Tatsächlich jedoch wurde nur die Arteriensteifheit am Herzen untersucht.
Zusammenfassung
In diesem aktuellen Beitrag wird über eine Studie berichtet, die auf einem Kongress vorgestellt, aber noch nicht in einem Fachjournal veröffentlicht wurde. Das Peer-Review-Verfahren von Fachzeitschriften hat diese Arbeit also (noch) nicht durchlaufen. Dies wird aber an keiner Stelle des journalistischen Artikels deutlich. Auch erfolgt leider keine Einordnung der aktuellen Studienergebnisse in die Vielzahl bereits vorhandener Studien zu den möglichen positiven oder negativen Auswirkungen des Kaffeekonsums auf die Gesundheit. Vor allem aber wird der Eindruck erweckt, dass die neue Studie Entwarnung gäbe: Auch exzessiver Kaffeekonsum sei gesundheitlich unbedenklich, zumindest was die Auswirkungen auf Herz und Kreislauf angeht. Dabei hat die Studie lediglich einen Surrogat-Endpunkt untersucht, also nicht die eigentlich relevante Häufigkeit von Herzinfarkt und Schlaganfall verschiedener Kaffeekonsumenten verglichen. Stattdessen wurde nur die arterielle Steifheit am Herzen untersucht – und dabei kein Unterschied zwischen Menschen mit hohem und niedrigem Kaffeekonsum gefunden. Letztlich führt der Beitrag die Leserinnen und Leser in die Irre.
Medizinjournalistische Kriterien
1. Der NUTZEN ist ausreichend und verständlich dargestellt.
Der Nutzen ist nicht ausreichend dargelegt und wird auch nicht quantifiziert. So heißt es etwa: „Ergebnis der Kaffee-Studie: Kaffee ist nicht so schädlich wie erwartet“ und vor allem in der Überschrift „Neue Kaffee-Studie: Bis zu 25 Tassen am Tag sind unbedenklich“. Das ist unzutreffend, da die Methodik der Studie solche Aussagen gar nicht erlaubt. Die Forscher haben darin weder allgemeine Gesundheitsauswirkungen von Kaffee noch die Auswirkungen auf spezifische Herzkreislauferkrankungen wie Herzinfarkte oder Hirnschläge untersucht. Gemessen wurde in der Studie lediglich ein für die Konsumenten letztlich nicht relevanter (daher „Surrogat“-Endpunkt) Wert: die arterielle Steifheit. Und zu diesem Endpunkt liefert die Arbeit allein die Aussage, dass keine statistischen Unterschiede zwischen Menschen mit hohem und niedrigem Kaffeekonsum gefunden wurden.
2. RISIKEN und Nebenwirkungen werden angemessen berücksichtigt.
Obwohl die (möglichen) Risiken durch Kaffeetrinken eigentlich im Zentrum des Beitrags stehen, heißt es dazu nur: „Wie viel Kaffee darf ein Mensch trinken, ohne dass sich der Konsum negativ auf die Gesundheit auswirkt?“, später dann: „Die meisten plagt nach der dritten Tasse das schlechte Gewissen – denn der Wachmacher ist schädlich.“ Worin dieser Schaden bestehen könnte, wird aber mit keinem Wort gesagt. Dabei wären Schlafstörungen, Magenschmerzen oder Nervosität naheliegende Möglichkeiten. In der Überschrift heißt es „Bis zu 25 Tassen am Tag sind unbedenklich“ – doch auch dieses „unbedenklich“ wird im Text nicht weiter erklärt. Die Angabe einer konkreten Obergrenze („bis zu“) ist zudem fragwürdig, da diese extreme Menge ja unter den Probanden die große Ausnahme gewesen sein dürfte.
3. Die Qualität der Evidenz (STUDIEN etc.) wird richtig eingeordnet.
Im Beitrag ist von einer „Kaffee-Studie“ die Rede. Tatsächlich haben die Forscher die Daten von 17 932 Menschen ausgewertet, die in einer Gesundheitsdatenbank in Großbritannien gespeichert sind. Es wird somit auch nicht deutlich, dass es sich um eine retrospektive Beobachtungsstudie handelt, bei der die Probanden im Nachhinein (also retrospektiv) selbst schätzen mussten, wieviel Kaffee sie trinken. Stattdessen wird der Eindruck erweckt, dass Probanden in verschiedene Gruppen eingeteilt worden wären und dann – je nach Gruppenzugehörigkeit – unterschiedliche Mengen Kaffee tranken. Die Aussage einer der Studienautoren, der in einer der Pressemitteilungen sogar selbst mit der Aussage zitiert wird, dass aus dieser Arbeit keine ursächlichen Schlüsse gezogen werden können, fehlt im journalistischen Artikel ebenso wie der Hinweis, dass die Studie noch nicht in einem renommierten Fachmagazin veröffentlicht wurde. Bisher wurde die Arbeit nur auf einem Kongress vorgestellt, der British Cardiovascular Society (BCS) Conference in Manchester.
4. Es werden weitere EXPERTEN/Quellen zitiert und es wird auf INTERESSENSKONFLIKTE hingewiesen.
In einem Halbsatz wird auf die Deutsche Gesellschaft für Ernährung verwiesen, dann geht es noch um „einige Studien“ und den Flüssigkeitshaushalt – was allerdings nicht weiter erklärt wird. Weitere, von der Arbeit unabhängige Experten werden nicht zitiert.
5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG hinaus.
Der Text bedient sich in weiten Teilen aus der Pressemitteilung, aus der kurzen Konferenz-Zusammenfassung finden sich keine zusätzlichen Informationen. Allerdings liefert der Beitrag knappe Informationen zum durchschnittlichen Kaffeekonsum in Deutschland und zu Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Diese Angaben reichen aber nicht aus, um einen wesentlichen Informationsmehrwert gegenüber der Pressemeldung zu bieten. Daher werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“.
6. Der Beitrag macht klar, wie NEU der Ansatz/das Mittel wirklich ist.
Der Beitrag macht deutlich, wenn auch eher implizit, dass seit langem Forschung zur Gesundheitswirkung von Kaffeekonsum betrieben wird. Dass laufend neue Studien zu den Auswirkungen von Kaffee auf die Gesundheit publiziert werden, bleibt allerdings unerwähnt. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.
7. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.
Es werden keine Alternativen genannt, mit denen sich die im Text angesprochenen Risiken senken lassen.
8. Es wird klar, ob oder wann ein(e) Therapie/Produkt/Test VERFÜGBAR ist.
Die Verfügbarkeit von Kaffee versteht sich von selbst und muss nicht explizit thematisiert werden. Da es hier aber um das potenzielle Risiko von Kaffee geht und nicht um Kaffee als Therapieform, wenden wir das Kriterium nicht an.
9. Der Beitrag geht (angemessen) auf die KOSTEN ein.
(vgl. Begründung zur Verfügbarkeit)
10. Der Beitrag vermeidet Krankheitsübertreibungen/-erfindungen (DISEASE MONGERING).
Im Text wird Kaffee recht nebulös und pauschal als potenziell schädlich eingeführt. Worin dieser Schaden bestehen soll, wird allerdings zunächst nicht konkretisiert. Dadurch erscheint das bisher angeblich angenommene Risiko ungleich größer. Recht spät im Text, als die Studienergebnisse beschrieben werden, droht dem Menschen laut Text „im schlimmsten Fall ein Schlaganfall“. Aufgrund der übertrieben dargestellten potenziellen Schädlichkeit bei unklaren Befunden und der insgesamt mangelnden Einordnung werten wir daher „NICHT ERFÜLLT“.
Allgemeinjournalistische Kriterien
1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich.
Viele Menschen trinken Kaffee, es ist „eines der Lieblingsgetränke der Deutschen“. Daher ist das Thema für viele Leserinnen und Leser von Interesse – wenngleich eine so wenig aussagekräftige Studie eigentlich keine Aufmerksamkeit verdient und keine Alltagsrelevanz besitzt. Ungewöhnlich oder originell sind Untersuchungen zur Wirkung von Kaffee angesichts ihrer großen Anzahl auch nicht mehr.
2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG).
Der Text bleibt an vielen Stellen undeutlich, etwa darin, worin der Schaden durch Kaffee denn nun bestehen soll. Auf das Studiendesign wird nur äußerst knapp eingegangen und ein falscher Eindruck erweckt. Zudem werden Fachbegriffe wie „MRT-Herzscans“ und „Pulswellen-Analyse“ ohne Erklärung verwendet.
3. Die Fakten sind richtig dargestellt.
Die Darstellung der Fakten ist teils irreführend, teils nicht korrekt: So gab es – wie bereits beschrieben – gar keine „Kaffee-Studie“ im eigentlichen Sinne, an der mehr als 8000 Menschen teilnahmen, in drei Gruppen aufgeteilt wurden und unterschiedlich viel Kaffee tranken. Tatsächlich wurden Daten von 17 932 Menschen ausgewertet, gespeichert in einer Gesundheitsdatenbank in Großbritannien. Dann heißt es: „Zu viel Kaffee sei eine Gefahr für das Herz-Kreislauf-System und die Arterien“. Stimmig wäre die Aussage in umgekehrter Reihenfolge gewesen. Zudem geht es in der aktuellen Studie nicht um die Verstopfung der Arterien, sondern um deren Steifheit.
Das Ergebnis der Studie lautet nicht, dass Menschen unbesorgt bis zu 25 Tassen am Tag trinken dürfen („sind unbedenklich“), sondern bestenfalls, dass Viel-Kaffeetrinker öfter männlich sind, regelmäßig Alkohol trinken und rauchen und dass es in allen Gruppen (Kein Kaffee, wenige Tassen, viele Tassen) keinen Unterschied in Sachen Arterienversteifung gab.
Medizinjournalistische Kriterien: 1 von 8 erfüllt
Allgemeinjournalistische Kriterien: 1 von 3 erfüllt
Wir werten den journalistischen Artikel um einen Stern aufgrund
erheblicher Mängel in den allgemeinjournalistischen Kriterien ab .