Bewertet am 27. April 2021
Veröffentlicht von: Der Spiegel (online)
Derzeit wird jede Nachricht gern aufgenommen, die womöglich einen Weg aus der aktuellen Covid-19-Krise weist. So etwa war in den vergangenen Wochen vermehrt zu lesen, dass die intensivere UV-Strahlung der kommenden Sommermonate die Anzahl der Corona-Infektionen senken könnte. Auch deshalb nimmt der Spiegel (online) eine aktuelle Studie zum Anlass, über die Thematik zu berichten und aufzuklären. Schade ist allerdings, dass im Artikel keine unabhängigen Experten zu Wort kommen.

Zusammenfassung

Gern erinnern sich viele Menschen an den vergangenen Sommer zurück. Die Corona-Inzidenz war verschwindend niedrig, ein nur wenig eingeschränkter Alltag möglich. Auch deshalb kommt derzeit die Hoffnung auf, dass allein die intensivere UV-Strahlung der warmen Monate die Infektionsraten deutlich reduzieren könnte. Ein journalistischer Beitrag im Spiegel (online) klärt jedoch darüber auf, wie gering der Einfluss der UV-Strahlung auf die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Coronavirus ist – mit Bezug auf eine wissenschaftliche Studie, die soeben zum Thema erschienen ist. Leider werden jedoch keine weiteren Studien zum Thema erwähnt, die aktuelle Untersuchung wird somit nicht in einen größeren Kontext eingeordnet. Zudem hätte der Artikel an mancher Stelle von einer klareren Sprache profitiert.

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Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Der Nutzen des UV-Lichts wird im journalistischen Beitrag zunächst folgendermaßen erklärt: „Kieran Sharkey von der University of Liverpool hat gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen ermittelt, wie sich die Zahl der Menschen, die ein Infizierter im Durchschnitt ansteckt – Fachleute sprechen vom R-Wert – durch höhere UV-Strahlung verändert. ‚Zehn Kilojoule zusätzliche ultraviolette Strahlung pro Quadratmeter senken das R um 0,05 ab‘, berichten die Fachleute im Fachblatt ‚One Health‘.“ Später im Artikel wird deutlich, dass es sich hierbei nur um eine Korrelation handelt: „ob sie allerdings auch die Ursache ist, lässt sich nicht sagen.“ Trotz dieser Einschränkung suggerieren Formulierungen im Text immer wieder einen kausalen Zusammenhang zwischen höherer UV-Strahlung und R-Wert, daher werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Nebenwirkungen einer höheren UV-Strahlung werden im journalistischen Beitrag nicht erwähnt, spielen im behandelten Zusammenhang allerdings auch keine Rolle. Daher werten wir „ERFÜLLT“.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Dass der Sommer natürlicherweise eine höhere UV-Strahlung mit sich bringt, dürfte den Leser*innen bekannt sein. Daher werten wir „ERFÜLLT“.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Im journalistischen Beitrag werden verschiedene alternative Möglichkeit erwähnt, um die Ausbreitung des neuen Coronavirus zu bremsen: „Staatliche Vorgaben hätten die Ausbreitung des Virus viermal stärker beeinflusst als die UV-Strahlung, so der Forscher weiter.“ Oder auch an dieser Stelle: „In naher Zukunft wird der Verlauf potenzieller weiterer Wellen der Pandemie vorwiegend durch öffentlich gültige Regeln und nicht durch das Wetter bestimmt.“ Und schließlich noch hier: „Hinzu käme der Einfluss der fortschreitenden Impfungen.“ Hier wären allerdings etwas ausführlichere Informationen  im Vergleich zur möglichen Rolle der UV-Strahlung hilfreich gewesen. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Da die höhere UV-Strahlung mit keinerlei Kosten verbunden sind, werten wir dieses Kriterium als „NICHT ANWENDBAR“.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Wir haben keine Anzeichen einer Übertreibung gefunden. Es wird vor einer hohen Belegung der Intensivstationen gewarnt, was in der gegenwärtigen Lage jedoch durchaus angemessen ist.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Im journalistischen Beitrag wird der Aufbau der Studie beschrieben: „Sie haben die R-Werte in 359 größeren Städten mit mehr als 500.000 Einwohnern in 43 Ländern weltweit ausgewertet, die in 2020 einen größeren Covid-19-Ausbruch erlebt hatten. Demnach lag die UV-Strahlung dort zwischen 30 und 130 Kilojoule pro Quadratmeter zu. Das Sonnenlicht könnte den R-Wert also um etwa 0,15 bis 0,65 reduziert haben.“ Auch wird deutlich gemacht, dass die Korrelation von UV-Strahlung und niedrigerem R-Wert keinen kausalen Zusammenhang haben muss: „Dabei zeigte sich, dass eine höhere UV-Strahlung zu geringeren Infektionszahlen führt – ob sie allerdings auch die Ursache ist, lässt sich nicht sagen. Das Problem: Gleichzeitig mit höherer UV-Strahlung verändern sich auch zahlreiche andere Dinge, die möglicherweise Einfluss auf die Ausbreitung des Virus haben. Dazu zählen etwa die Temperatur oder Luftfeuchtigkeit. Zwar fanden die Forscher außer für China in ihrer Analyse keinen statistisch validen Zusammenhang zwischen Temperatur und Infektionsgeschehen, andere Studien lieferten hier allerdings vorsichtige Hinweise.“

Schließlich werden auch weitere mögliche Einflussfaktoren erwähnt, die eine sinkende Inzidenz bewirken könnten:  „Positiv auswirken dürfte sich auch, dass Menschen bei wärmerem Wetter und höherer UV-Strahlung häufiger draußen unterwegs sind, wo das Infektionsrisiko geringer ist. Zudem kann das Immunsystem Infektionen bei höheren Temperaturen womöglich effizienter abwehren – beispielsweise, weil die Abwehrzellen etwa in der Nasenschleimhaut dann schneller agieren als bei Kälte.“ Insgesamt werden also viele Aspekte der Untersuchung erläutert. Schade ist nur, dass die eingeschränkte Aussagekraft der vorliegenden Beobachtungsstudie nur indirekt angesprochen wird. Daher werten wir insgesamt knapp „ERFÜLLT“.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Es kommt lediglich eine der Studienautor*innen zu Wort. Unabhängige Expert*innen werden im Artikel leider nicht zitiert.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Interessenkonflikte werden nicht thematisiert, wir haben jedoch auch keine Hinweise darauf gefunden.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Zwar gibt der erste Abschnitt des journalistischen Beitrags einen guten Überblick über die aktuelle Corona-Lage in Deutschland. Die eigentliche Thematik des Artikels, der Einfluss von UV-Strahlen auf das Virus, wird jedoch nicht in einen größeren Studienkontext eingeordnet. Dabei gab es etwa bereits im Dezember eine Studie mit sehr ähnlichem Ergebnis (pnas.org). Zudem ist bei anderen Coronaviren durchaus eine Saisonalität nachgewiesen worden (siehe auch: academic.oup.com). Und auch Laborversuche haben ergeben, dass UV-Licht dem Virus schadet (siehe auch dhs.gov). Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Fehler sind uns nicht aufgefallen, doch ist folgende Aussage irreführend: „Kieran Sharkey von der University of Liverpool hat gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen ermittelt, wie sich die Zahl der Menschen, die ein Infizierter im Durchschnitt ansteckt – Fachleute sprechen vom R-Wert – durch höhere UV-Strahlung verändert.“ Eine direkte Veränderung wurde nämlich nicht gemessen, stattdessen wurden Städte in verschiedenen geografischen Regionen miteinander verglichen. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

12. Der Beitrag über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Der Überblick über die aktuelle Corona-Situation in Deutschland geht über die Pressemeldung hinaus. Sonst lassen sich allerdings kaum Informationen finden, die sich vom Pressematerial unterscheiden, daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Der Beitrag führt anschaulich – mit Erinnerungen an den vergangenen Sommer – in das Thema ein, ist dann in nachrichtlichem Stil gehalten.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Der Begriff „Inzidenz“ hätte erläutert werden können, wobei man diesen Begriff nach mehr als einem Jahr Covid-19-Krise inzwischen voraussetzen kann („Bundesweit liegt die Sieben-Tage-Inzidenz bei gut 150“). Unverständlich dürfte den Leser*innen dagegen folgende Aussage bleiben: „‚Zehn Kilojoule zusätzliche ultraviolette Strahlung pro Quadratmeter senken das R um 0,05 ab,‘ berichten die Fachleute im Fachblatt ‚One Health‘.“ Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Wie sich Wetter und Klima auf die Ausbreitung von Corona-Viren auswirken, ist aktuell und relevant.

Medizinjournalistische Kriterien: 11 von 15 erfüllt

Abwertung um einen Stern (von 4 auf 3 Sterne), weil die Studie nicht in einen Gesamtkontext eingeordnet wird.

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar