Zusammenfassung
Der Artikel in der FAZ schildert die Ergebnisse zweier Untersuchungen einer Forschergruppe der University of Hawaii in Manoa und ihren Appell, der Gefährdung wirbelloser Tierarten größere Beachtung zu schenken. Die Forscher fanden, dass weit mehr Schneckenarten ausgestorben sind als bisher bekannt. Vorgehensweise und Argumentation der Wissenschaftler werden gut erklärt, ebenso deren Kritik an den „Roten Listen“ der Weltnaturschutzunion IUCN. Diese vernachlässigten demnach systematisch die größte Tiergruppe der Erde – die Wirbellosen, also z.B. Insekten, Krebse, Spinnen und Weichtiere. Als Grund nennen Forscher und Zeitungsartikel, dass für die meisten Wirbellosen zu wenig Daten vorlägen, um sie nach den Kriterien der Roten Listen begutachtet zu können.
In ihren Studien, die in den Zeitschriften „Conservation Biology“ und „PNAS“ erschienen, untersuchten die Forscher eine Familie von Landschnecken auf Hawaii und 200 verschiedene Landschneckenarten weltweit; dabei kamen sie zu dem Schluss, dass schon weit mehr Tierarten ausgestorben sind, als die IUCN angibt (siehe auch unser Gutachten vom 10.2.2015). Unklar bleibt indes, ob und inwiefern die Ergebnisse der zwei Studien zu Schnecken sich tatsächlich auf alle anderen Wirbellosen übertragen lassen. Der Beitrag schließt sich hier weitgehend der Darstellung der zitierten Forscher an, eine Einschätzung durch eine unabhängige Quelle fehlt. Über das Nachvollziehen der Fachpublikationen geht der Artikel kaum hinaus. Es wird Kritik am Vorgehen der IUCN beim Erstellen der Roten Listen geübt, ohne einen Vertreter dieser Organisation dazu zu befragen. Auch erfährt man nicht, dass innerhalb der IUCN diese Problematik schon länger diskutiert wird.
Umweltjournalistische Kriterien
1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.
Allerdings werden einige Zahlen im Vergleich zur Fachveröffentlichung verkürzt wiedergegeben und die Aussage damit stark zugespitzt – siehe dazu Kriterium 2, Belege.
2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.
Der Artikel nennt etliche Zahlen, die das Ausmaß des Artensterbens im Allgemeinen und die Lage der untersuchten Schneckenarten im Besonderen deutlich machen. Dabei sehen wir zwei Probleme: Zum einen spitzt der Beitrag die Forschungsergebnisse zu den Schnecken z.T. stark zu. So heißt es im Zeitungsartikel: „Die Wissenschaftler konnten nur noch 15 der 325 Arten aufspüren. 95 Prozent der Landschneckenfamilie sind damit mutmaßlich verschwunden.“ In der Studie heißt es dagegen sehr viel vorsichtiger, dass die Forscher für 179 Arten nicht genügend Hinweise für ihr weiteres Vorhandensein aber auch nicht für ihr Aussterben finden konnten. Solche Unsicherheiten werden im Artikel nicht genügend kenntlich gemacht.
Zum anderen wird nicht erläutert, inwiefern die Ergebnisse der Schnecken-Studien auf andere Wirbellose zu übertragen sind. Es geht im journalistischen Beitrag unter, dass die Hauptargumentation der Forscher auf der Untersuchung einer nur auf Hawaii vorkommenden (endemischen) Familie von Landschnecken beruht. Solche Tierarten, die in geografischer Isolation leben, sind in anderer Weise gefährdet sind als weitverbreitete Organismen. (Im Originalpaper kommt dies durchaus zur Sprache.) Der Artikel geht nicht auf die naheliegende Frage ein, ob Landschnecken ohne weiteres als repräsentativ für die gesamte Gruppe der Wirbellosen gelten können. „Auch andere wirbellose Tierarten wie Insekten seien zu einem ähnlich hohen Anteil ausgestorben wie die Landschnecken. Beide Tiergruppen hätten vergleichbare Ansprüche an ihren Lebensraum und ein ähnlich begrenztes Verbreitungsgebiet“, heißt es im Artikel. Dies scheint uns kaum glaubhaft – ist doch kaum eine Tiergruppe so weiträumig verbreitet wie die Insekten.
3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.
Es wird außerdem klar, dass die Naturschutzorganisation IUCN mit den Roten Listen einen anderen Ansatz verfolgt, der zumindest kursorisch beschrieben ist. Allerdings hätten wir es sinnvoll gefunden, auch hier eine konkrete Quelle heranzuziehen bzw. einen Vertreter dieser Organisation zu befragen (siehe Kriterium 4). Die IUCN als Organisation, die eine wichtige Rolle in der Weltnaturschutzpolitik spielt, gleichwohl aber nicht allen Leserinnen und Leser bekannt sein dürfte, wird nicht genauer eingeordnet.
Interessenskonflikte thematisiert der Artikel nicht, solche sind für uns aber auch nicht erkennbar. Wir werten „knapp erfüllt“.
4. PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.
5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/ das Pressematerial hinaus.
6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.
7. Der Beitrag nennt - wo möglich - LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.
Die Autorin zeigt eine Handlungsoptionen auf, die auch die Wissenschaftler in ihren Fachartikeln anbieten: Neben den in wissenschaftlichen Zeitschriften oder Gutachten publizierten Informationen sollen auch bisher ungenutzte, teils informelle Quellen des Wissens über wirbellose Arten ausgewertet werden, wie z.B. Sammlungen/Aufzeichnungen naturhistorischer Museen und nicht publiziertes Expertenwissen über einzelne Arten und Tiergruppen. Allerdings wird die Frage, wie zuverlässig diese Methodik wäre, nur kurz angesprochen (im Vergleich von Expertenwissen mit Computersimulationen) und nicht mit anderen Fachleuten diskutiert.