Bewertet am 10. Februar 2015
Veröffentlicht von: dpa | Frankfurter Rundschau

Ein dpa-Text, der in der Frankfurter Rundschau erschien, beschreibt die Ergebnisse einer Studie zum Artensterben in den Meeren. Der Artenschwund schreitet demnach langsamer voran als auf dem Land, doch die Gründe dafür erläutert der Beitrag nicht.

Zusammenfassung

Der Artikel berichtet über eine aktuelle Übersichtsarbeit im Fachmagazin „Science“, die vor einer wachsenden Gefährdung des Artenreichtums in den Weltmeeren warnt. Er greift damit ein wichtiges Thema auf. Genannt werden die Bedrohung der Meeresfauna durch intensiven Fischfang und die zunehmende Besiedelung der Küsten. Andere wichtige Faktoren, die im Fachartikel diskutiert werden, wie die Erwärmung und Versauerung der Meere, spricht der journalistische Artikel nicht an.

In vielen Punkten bleibt der Text sehr allgemein und ohne konkrete Aussage, sowohl bei der Darstellung der aktuellen Situation – die „Verbreitung vieler mariner Tierarten habe abgenommen“, wie auch bei den möglichen Handlungsoptionen – es seien „kreative und effektive Management-Strategien“ nötig.

Der Beitrag stützt sich weitgehend auf eine Pressemitteilung sowie einige ergänzende Angaben aus der Übersichtsarbeit. Er beschränkt sich darauf, Aussagen aus diesem Fachartikel wiederzugeben, ordnet die Ergebnisse aber nicht ein und lässt keine weiteren Quellen erkennen. Der Blick in andere aktuelle Publikationen zum Thema hätte ergeben, dass die zitierten Zahlen zu ausgestorbenen Arten um Größenordnungen von anderweitig berichteten Zahlen abweichen.

Auch die Darstellung überwiegend in indirekter Rede und in Form von Zitaten macht den lediglich referierenden Charakter des Beitrags deutlich.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.

Der Beitrag schildert Ergebnisse einer aktuellen Übersichtsarbeit im Fachmagazin „Science“ über den ökologischen Zustand der Ozeane. Es werden Risiken für die Artenvielfalt der Meere diskutiert, von der zunehmenden Industrialisierung der Ozeane bis hin zur wachsenden Besiedelung der Küsten. Es „drohe eine Aussterbewelle, die vergleichbar sei mit dem Verschwinden zahlreicher Landlebewesen in den vergangenen Jahrhunderten. Noch sei aber Zeit, der Krise zu begegnen, und es gebe Mechanismen, mit denen sich die Entwicklung aufhalten und umkehren lassen“, heißt es im Beitrag. Die abwägende Botschaft des Fachartikels transportiert der Text angemessen, sodass wir dieses Kriterium als erfüllt betrachten. Allerdings gibt es andere Quellen, die eine deutlichere Verschlechterung der Situation sehen. Das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) „Menschheitserbe Meer“ aus dem Jahr 2013 hat die Risikofaktoren für die Meere umfassend dargestellt, im Unep-Yearbook 2014 (Kapitel 3) findet sich speziell eine Analyse der Auswirkungen der inzwischen industriell betriebenen Aquakulturen entlang der Küsten.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Der Beitrag referiert die im Fachartikel genannten Fakten weitgehend korrekt, wenngleich ein wesentlicher Punkt fehlt: Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die Artenvielfalt in den Meeren bislang noch nicht so stark dezimiert sei wie an Land. Warum dies so ist, wird im Fachartikel ausführlich diskutiert, so wird etwa angeführt, dass Meerestiere meist weit verbreitet seien und es wenige Arten gebe, die endemisch, also auf kleine Lebensräume begrenzt vorkommen. Im journalistischen Text taucht diese Frage dagegen nicht auf.

Der Beitrag versäumt es auch, die zitierten Zahlen kritisch zu hinterfragen. So ist die Feststellung, „dass die Häufigkeit von Fischen, Seevögeln, Seeschildkröten und marinen Säugetieren in den vergangenen vier Jahrzehnten um durchschnittlich 22 Prozent abgenommen habe“, wenig aussagekräftig. Hier wäre zu prüfen, ob es sinnvoll ist, marine Wirbeltiere weltweit in einen Topf zu werfen, und ob wirklich global für alle Arten seit 40 Jahren verlässliche Zahlen vorliegen. Im Fachartikel werden dann zumindest noch einzelne Tiergruppen näher betrachtet, im journalistischen Beitrag bleibt es bei der fragwürdigen Pauschalaussage.

Auch die Zahlen zu den ausgestorbenen Tierarten, die der Fachartikel mit Bezug auf die Weltnaturschutzorganisation IUCN nennt, hätten kritisch eingeordnet werden müssen: Nur 514 Arten von „Landlebewesen“ sollen demnach in den letzten 500 Jahren ausgestorben sein und 15 Arten in den Meeren (siehe dazu auch journalistisches Kriterium 3, Faktenfehler). Es fehlt der wichtige Hinweis, dass nur eine Auswahl von Arten vom IUCN überhaupt ausgewertet wurde. Andere Quellen nennen weitaus höhere Zahlen. So schätzt ein Fachartikel, der im Sommer 2014 in „Science“ erschien, dass jährlich mehrere zehntausend Arten aussterben (“Of a conservatively estimated 5 million to 9 million animal species on the planet, we are likely losing ~11,000 to 58,000 species annually”). Auf diesen Widerspruch wäre zumindest hinzuweisen gewesen. Ferner wäre es hilfreich, die Unsicherheit anzudeuten, mit der man solche Zahlen überhaupt zuverlässig angeben oder diese nur schätzen bzw. hochrechnen kann.

3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.

Es wird klar, dass der Beitrag auf einer Übersichtsarbeit im Fachmagazin „Science“ beruht. Außerdem zitiert er daran beteiligte Forscher mit Äußerungen aus der Pressemitteilung. Besondere Interessenkonflikte sind für uns bei dieser Arbeit, an der mehrere Universitätsinstitute beteiligt waren, nicht erkennbar.

Zusätzlich aufschlussreich wäre es indes gewesen, die im Beitrag genannte Weltnaturschutzorganisation IUCN näher zu betrachten: Auf seiner Internetseite gibt IUCN als Partner zum Beispiel Firmen wie Shell und den Bergbaukonzern Rio Tinto als Partner an. Diese Verbindungen zu erwähnen, wäre beim Thema Meeresschutz durchaus interessant.

Der Beitrag zieht keine zweite erkennbare Quelle heran um die Ergebnisse einzuordnen; weder wird auch nur ein einziger Wissenschaftler zitiert, der nicht an der aktuellen Übersichtarbeit beteiligt war, noch werden andere Erhebungen zum Zustand der Meere berücksichtigt (siehe dazu auch Kriterium 1).

4. PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.

Der Text referiert lediglich die aktuelle in „Science“ veröffentlichte Studie. Andere Standpunkte kommen in dem Text nicht vor. Zwar gibt es stark abweichende Zahlen und große Unsicherheiten zum Ausmaß des Artensterbens (siehe Kriterium 2), doch darüber hinaus ist uns keine Kontroverse bekannt, die hier hätte zwingend dargestellt werden müssen. Wir wenden das Kriterium daher nicht an.

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/ das Pressematerial hinaus.

Der Beitrag stützt sich stark auf die Pressemitteilung, nur an wenigen Stellen geht er – z.B. mit präziseren Zahlen und Quellenangaben – über das Pressematerial hinaus und zieht hier offensichtlich die Fachveröffentlichung direkt heran. Der Informationsgehalt ist dadurch aber nur geringfügig höher als in der Pressemitteilung, wir werten daher „knapp erfüllt“.

6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.

Es wird hinreichend deutlich, dass die Abnahme der Artenvielfalt im Meer kein neues Problem ist. („Mit dem Aufkommen der industriell betriebenen Fischerei und der zunehmenden Besiedelung der Küsten habe das Artensterben und die Bedrohung der Arten im vergangenen Jahrhundert allerdings erheblich zugenommen.“)

7. Der Beitrag nennt - wo möglich - LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.

Der journalistische Beitrag benennt nur wenige Ursachen des marinen Artensterbens: die industriell betriebene Fischerei und die zunehmende Besiedlung der Küste. Außen vor bleiben die Verschmutzung aus anderen Quellen, die Versauerung und die Erwärmung der Meere durch den Klimawandel. Entsprechend kommen auch die Handlungsoptionen im Beitrag deutlich zu kurz. Formulierungen wie, es seien „kreative und effektive Management-Strategien für die großen Flächen zwischen den Schutzgebieten nötig“ und „marine Schutzzonen einzurichten beziehungsweise zu erweitern“, sind für Leserinnen und Leser wenig konkret: Was etwa bedeuten die Schutzzonen? Wer richtet sie ein? Wessen Interessen verhindern die Ausweitung? Der Artikel bleibt hier deutlich hinter dem zurück, was der Fachbeitrag an Informationen bietet, und bezieht auch keine von anderer Seite vorgebrachten Lösungsansätze ein. (Siehe auch hierzu das o.g. WBGU-Gutachten, in dem es z.B. heißt „Die bestehende Meeres-Governance hat in verschiedenen Bereichen versagt, nicht nur, weil die zwischenstaatlich vereinbarten Regelungen nicht ausreichend sind, sondern vor allem, weil es an der konsequenten Umsetzung dieser Regelungen fehlt und weil Fehlverhalten kaum durch Sanktionen verhindert wird.“ Das Gutachten geht dann ausführlich auf Handlungsoptionen ein.)

8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (global/lokal) wird dargestellt.

Die Übersichtarbeit erörtert die räumliche Dimension der Probleme relativ ausführlich. Dagegen bleibt der journalistische Text sehr vage. Lediglich die besondere Gefährdung von Küstenregionen wird benannt, ohne sie weiter zu erklären. Gerade bei Themen wie Fischerei und Verbauung der Küsten wäre es wichtig zu wissen, um welche Regionen der Erde es hier vor allem geht. Der Fachbeitrag erwähnt hier beispielsweise die Konstruktion von Siedlungen im Meer („seasteading“) vor den Küsten Chinas und der Arabischen Emirate. Doch dazu erfahren Leserinnen und Leser nichts, es ist immer wieder nur diffus von „den Meeren“ die Rede. Globale Aspekte wie die Erwärmung fehlen ganz, obwohl sie im Fachartikel eine wesentliche Rolle spielen.

9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.

Der Artikel liefert einen groben Rahmen zur zeitlichen Einordnung des Geschehens. So heißt es: „Die nächsten Jahrzehnte seien die, in denen wir über das zukünftige Schicksale der marinen Tierwelt entscheiden würden.“ Hinsichtlich des Artensterbens blickt der Beitrag auf den Beginn der Industrialisierung zurück und zieht den sehr langen Zeitraum von gut 500 Jahren heran. Auch die Einschätzung der Forscher, dass es für einen effektiven Schutz der Artenvielfalt im Meer noch nicht zu spät, aber höchste Zeit sei, wird im journalistischen Text zitiert.

Allerdings bleiben die zeitlichen Angaben meist sehr allgemein. Eine Antwort auf die Frage, seit wann eine konkretere Gefährdung der Tierarten in den Ozeanen gegeben ist oder wahrgenommen wurde, und wie die Entwicklung in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten verlaufen ist, gibt der Beitrag nicht. Wir werten daher nur „knapp erfüllt“.

10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT (z.B. KOSTEN) wird einbezogen.

Der Beitrag spricht wirtschaftliche Aspekte kurz an: Er weist darauf hin, dass es Arten gibt, die, wie etwa der Grauwal, „kommerziell ausgestorben“ sind, deren Befischung also nicht mehr lohnt; außerdem erwähnt er die sehr hohen Preise für Blauflossen-Thunfisch.

Doch werden diese knappen Bemerkungen der großen wirtschaftlicher Bedeutung des Themas unseres Erachtens nicht gerecht. Eine zumindest andeutungsweise Auseinandersetzung mit dem ökonomischen, sozialen und kulturellen Nutzen der Meere findet nicht statt. Auch hier wäre das WBGU-Gutachten eine gute zweite Quelle gewesen. Zusätzlich interessant hätten wir einen kurzen aktuellen Bezug zu den Nachhaltigkeitszielen der UN gefunden, die im September 2015 verabschiedet werden sollen, bei denen der Meeresschutz ebenfalls eine wichtige Rolle spielt.

So aber fehlen alle Bezüge zur aktuellen global geführten politischen Diskussion über die Ausweitung von Meeresschutzgebieten: Wer hat die politische Handlungsmacht? Welche internationalen Gremien sind gefordert, eine Überfischung zu verhindern? Wer könnte den Schutz natürlicher Küsten sicherstellen? Welche wirtschaftlichen Interessen – z.B. Rohstoff-Unternehmen – sind für die Gefährdung der Meeresfauna verantwortlich? Um die Frage nach den Akteuren mogelt sich der Beitrag mit einer sperrigen Passivkonstruktionen herum: „Rechte zur Ausbeutung des Meeresbodens würden mit einer Leidenschaft begehrt wie seinerzeit beim Goldrausch ” – wer ist gemeint? Natürlich lässt sich dies nicht umfassend darstellen, aber keine dieser Fragen wird im Artikel auch nur exemplarisch angesprochen.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)

Das Thema ist sehr relevant und bezieht sich auf eine aktuelle wissenschaftliche Publikation.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Der Text ist zwar weitgehend verständlich geschrieben, wirkt allerdings durch die unbeholfene Übersetzungen der Zitate aus dem Englischen teilweise recht holprig („Die Ozeane sind noch relativ voll mit den ursprünglichen tierischen Zutaten…“) Überschrift, Vorspann und erster Absatz des Fließtextes strapazieren die Begriffe „Bedrohung“ und „drohen“ etwas stark, was den Einstieg in den Text nicht gerade erleichtert – zumal das aufgebaute Bedrohungsszenario im weiteren Verlauf auch wieder relativiert wird. Auch die langen Passagen in indirekter Rede, die gut 70 Prozent des Textes ausmachen, sind wenig leserfreundlich. Sie verstärken den Eindruck, dass hier lediglich eine wissenschaftliche Arbeit referiert wird, aber eine journalistische Einordnung fehlt.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)

Die Zahlen zu ausgestorbenen Arten, die für den Beitrag von zentraler Bedeutung sind, finden wir irreführend. Zum einen ist im Beitrag von „514 Arten von Landlebewesen“ die Rede, die in den letzten 500 Jahren ausgestorben seien. Das würde auch ausgestorbene Pflanzenarten einschließen. Tatsächlich bezieht sich die Aussage im Fachartikel aber ausschließlich auf Tiere. Zum anderen müsste zwingend erwähnt werden, dass hier nur eine Auswahl von Tierarten überhaupt in die Betrachtung einbezogen ist, und dass die Zahl der jährlich insgesamt aussterbenden Arten von anderen Quellen um mehrere Größenordnungen höher angegeben wird; Unsicherheiten hätten zumindest kurz thematisiert werden müssen (siehe Umweltjournalistisches Kriterium 2, Belege).

Hinzu kommt ein Schreibfehler: Der Name des Hauptautors der Studie ist einmal falsch geschrieben (McCailey statt McCauley).

Umweltjournalistische Kriterien: 4 von 9 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 1 von 3 erfüllt

Wegen der Mängel in der Darstellung, Faktenfehlern und zweier nur knapp erfüllter Kriterien werten wir um einen Stern ab.

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar