Mediendoktor UMWELT – Kriterien bis 2020

Die Bewertungskriterien für den Mediendoktor UMWELT wurden 2020 überarbeitet. Es folgt der alte Kriteriensatz, an dem sich alle vor Mai 2020 verfassten Gutachten orientieren. Hier gibt es den alten Kriteriensatz in englischer Sprache.

 

Umweltjournalistische Kriterien

1. Keine Übertreibung / Verharmlosung

Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert

Der Beitrag stellt Risiken und Chancen, Schaden und Nutzen nach dem aktuellen Wissensstand korrekt und in ihrer Größenordnung angemessen dar, wobei er diese weder übertreibt noch bagatellisiert. Im Falle von Risiken ist einerseits das Vorsorgeprinzip zu berücksichtigen: Gibt es ernsthafte Anzeichen für eine Gefährdung von Umwelt und/oder Gesundheit, so ist ein Bericht auch dann gerechtfertigt, wenn Ausmaß und mögliche Folgen noch nicht mit letzter Sicherheit feststehen. Andererseits ist eine unbegründete Skandalisierung oder gar „Panikmache“ ebenso zu vermeiden wie die Verharmlosung tatsächlicher oder möglicher Probleme. Ein Beitrag darf nicht den Eindruck erwecken, dass Risiken bzw. Chancen größer oder geringer seien, als es durch die verfügbaren Daten belegt ist. Ist das Ausmaß eines Problems noch nicht hinreichend genau bekannt, muss diese Unsicherheit benannt werden. Dasselbe gilt im Hinblick auf einen möglichen Nutzen. Nutzen und Risiken sollen möglichst nicht nur in relativen Zahlen ausgedrückt werden („die Schadstoffbelastung stieg um das Zehnfache“), sondern auch in absoluten Zahlen samt deren Einordnung („Gemessen wurden x Mikrogramm pro Liter, das liegt nur knapp unter dem zulässigen Grenzwert“).

Die Wertung kann „nicht erfüllt“ lautenwenn z.B. eine Grenzwertüberschreitung als „gesundheitlich unbedenklich“ bagatellisiert wird, obwohl eine reale Gefährdung besteht oder das genaue Risiko unbekannt ist. Oder umgekehrt, wenn die Überschreitung eines Grenzwerts als akute Gesundheitsgefahr dargestellt wird, ohne dass es dafür konkrete Anhaltspunkte gibt. „Nicht erfüllt“ kann das Kriterium z.B. sein, wenn ein Beitrag nur pauschal von „schwerwiegenden Gesundheitsgefahren“ durch Chemikalien in Lebensmitteln spricht und damit Ängste schürt, ohne dass mitgeteilt wird, welche Mengen belasteter Lebensmittel bedenklich sind. Nicht erfüllt ist das Kriterium z.B. auch bei dramatischen Behauptungen, die nicht durch Studiendaten belegt sind – etwa wenn ein Beitrag suggeriert, das Aussterben einer Tierart sei unausweichlich, ohne dass diese Einschätzung durch entsprechende Daten gestützt werden könnte. Dasselbe gilt, wenn z.B. die Chancen einer Umwelttechnologie oder umweltpolitischen Lösung übertrieben dargestellt werden.

2. Belege / Evidenz

Studien, Fakten und Zahlen zu Umweltthemen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft („Evidenz“) deutlich wird.

Der Beitrag macht deutlich, wie groß die Aussagekraft der berichteten Ereignisse und Fakten ist, auf die er sich bezieht.  Es muss z.B. klar werden, ob es sich um eine Langzeitstudie, real beobachtete Umweltveränderungen, um Prognosen, Modellrechnungen, rückblickende Rekonstruktionen oder um Messwerte aus wenigen Stichproben handelt, die vielleicht alarmierend, in ihrer Aussagekraft („Evidenz“) aber begrenzt sind. Hypothesen müssen klar von Fakten unterschieden werden. Die Rezipienten sollten zumindest in groben Zügen erfahren, wie die wesentlichen Daten erhoben wurden und wie aussagekräftig die jeweiligen Verfahren sind. Werden Schwellenwerten genannt, muss möglichst klar werden, ob es sich um verbindliche Grenzwerte, vorläufige „Referenzwerte“, Empfehlungen, oder um angestrebte Zielwerte handelt.

Ein Beitrag sollte Bezugsgrößen nennen, die es den Rezipienten ermöglichen, die genannten Zahlen und Fakten einzuordnen. Heißt es beispielsweise „Im Vergleich zum Vorjahr fiel der Wert x um einen Prozentpunkt“, ist dies nur oft aussagekräftig, wenn auch die Messgenauigkeit thematisiert wird. Bei Abweichungen von einem Mittelwert sollte die natürliche Schwankungsbreite genannt werden. Heißt es beispielsweise, in einem Jahr sei „die Zahl frostfreier Tage höher als im Durchschnitt der Vorjahre“, muss deutlich werden, wie stark diese Zahl in den vorangehenden Jahren variierte.

Die Wertung kann „nicht erfüllt“ lauten, wenn z.B. der Eindruck erweckt wird, es handle sich um reale Beobachtungen, obwohl nur eine Computersimulation zugrunde liegt. Dasselbe gilt, wenn ein Beitrag wesentliche Widersprüche oder Unsicherheiten in der Datenlage verschweigt oder z.B. bei Prognosen und Modellrechnungen nur auf die jeweils günstigsten oder ungünstigsten Szenarien verweist, ohne dass die Rezipienten das erfahren. Nicht erfüllt kann das Kriterium auch sein, wenn es heißt, ein bestimmter Schadstoff sei „nicht nachweisbar“, zumindest grobe Angaben zur Leistungsfähigkeit des Messverfahrens aber fehlen. Oder wenn über nachgewiesene Schadstoffe berichtet wird, ohne die geltenden Grenzwerte zu benennen und zu diskutieren. Aussagen wie „immer mehr“, „immer häufiger“ sind mit Zahlen zu untermauern. Das Kriterium kann beispielsweise nicht erfüllt sein, wenn etwa vom „wachsenden Erfolg des Öko-Tourismus“ die Rede ist, ohne Zahlen zu nennen.

3. Experten / Quellentransparenz / Interessenkonflikte

Die Quellen für Tatsachenbehauptungen und Einschätzungen werden benannt, Abhängigkeiten und Interessenlagen deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.

Der Beitrag macht klar, woher die verwendeten Informationen und Bewertungen stammen und stützt sich dabei auf mehrere, mindestens aber zwei geeignete, voneinander unabhängige Quellen. Studien sollten eindeutig zu identifizieren sein. Bezieht sich ein Beitrag auf Studien, Messungen, Modellrechnungen oder andere Daten, muss er benennen, von wem und in wessen Auftrag (Finanzierung) diese erhoben wurden. Bei Stellungnahmen von Experten  ist die Zugehörigkeit zu Institutionen, Behörden, Unternehmen oder Organisationen anzugeben. Abhängigkeiten oder mögliche Interessenskonflikte spielen bei Umweltthemen eine besondere Rolle, da es auch hier häufig um viel Geld und/oder politischen Einfluss geht. Liegt ein möglicher „Conflict of interest“ vor, ist darauf hinzuweisen.

Als zweite Quelle können z.B. der Kommentar eines weiteren Experten oder auch der Hinweis auf frühere Studien, Messwerte usw. dienen, von denen die neuen Erkenntnisse bestätigt oder widerlegt werden. Bei einem Fachaufsatz kann auch ein Kommentar/ kommentierendes Editorial des betreffenden Fachjournals herangezogen werden.

Die Wertung kann „nicht erfüllt“ lauten, wenn der Beitrag z.B. eine Studie zitiert, die im Auftrag der Industrie oder einer Umweltorganisation erstellt wurde, ohne dass der Auftraggeber erwähnt wird. „Nicht erfüllt“ kann das Kriterium beispielsweise auch sein, wenn nur die Zugehörigkeit eines Experten zu einer Universität, nicht aber seine Lobby- oder Gutachtertätigkeit für eine Umweltorganisation erwähnt wird, wenn ein Experte etwa nur als „Gutachter der europäischen Lebensmittelbehörde“ vorgestellt wird, ohne anzusprechen, dass er / sie außerdem für ein industrienahes Forschungsinstitut tätig ist, oder wenn ein zitierter Windkraftexperte zugleich Geschäftsführer eines Unternehmens ist, das Windkraftanlagen herstellt, ohne dass der Beitrag dies anspricht.

Nicht erfüllt ist das Kriterium in jedem Fall, wenn der Beitrag nur eine einzige Quelle heranzieht, wenn er also beispielsweise zum Waldzustandsbericht eines Ministeriums ausschließlich den zuständigen Minister zitiert. Vom Erfordernis einer zweiten Quelle kann nur in Ausnahmefällen abgewichen werden, etwa bei einem Interview oder Portrait. In solchen Fällen kann das Kriterium „erfüllt“ sein, wenn andere Positionen ausreichend durch die Interviewfragen eingebracht werden. Andernfalls ist das Kriterium bei solchen Formen „nicht anwendbar“.

4. Pro und Contra

Es werden die wesentlichen relevanten Standpunkte angemessen dargestellt.

Handelt es sich um ein kontroverses Thema, sind die verschiedenen Standpunkte darzulegen, gegebenenfalls nach ihrer Relevanz bzw.  ihrem wissenschaftlichen Gehalt zu gewichten und einzuordnen. Die Rezipienten sollten erfahren, ob es zu einer im Beitrag dargestellten Position Gegenargumente oder eine wissenschaftliche Kontroverse gibt. So muss beispielsweise bei der Debatte um den Zusammenhang von Wetterextremen und Klimawandel zumindest exemplarisch deutlich werden, welche unterschiedlichen Positionen  dazu in der Wissenschaft vertreten werden welche Erkenntnisse als gesichert gelten und welche Fragen noch offen sind.

Es ist nach Möglichkeit deutlich zu machen, wer für bestimmte Entscheidungen verantwortlich und wer betroffen ist, wer davon profitiert und wer Verluste erleidet. Zumindest exemplarisch sollte angesprochen werden, welche Vor- und Nachteile für die Umwelt, u.U. aber auch z.B. für die Wirtschaft, den Verbraucher oder  die Lebensqualität mit bestimmten Handlungsweisen verbunden sind. Wird beispielsweise über negativen Folgen der Überdüngung auf die Umwelt berichtet, ist es angemessen, dazu nicht nur Umweltschützer zu befragen, sondern auch die Sichtweise der Landwirte einzubeziehen.

Die Wertung kann „nicht erfüllt“ lauten, wenn z.B. zu einer wissenschaftlich noch offenen Kontroverse oder einem Konflikt zwischen verschiedenen Interessen nicht beide Seiten einbezogen werden, wenn wesentliche Argumente unter den Tisch fallen oder auch, wenn wissenschaftliche Außenseitermeinungen und -verfahren (z.B. radikale „Klimaskeptiker“, esoterische Produkten gegen Elektrosmog) unangemessenes Gewicht erhalten. Dabei kann ein Beitrag durchaus einen Aspekt besonders herausstellen. Er darf jedoch nicht den falschen Eindruck erwecken, dass es keine Argumente für Gegenpositionen gibt.

„Nicht erfüllt“ kann das Kriterium auch sein, wenn einseitig eine bestimmte Umwelttechnologie – etwa ein spezielles Verfahren der Abwasserreinigung – propagiert wird, ohne Alternativen mit ihren Vor- und Nachteilen zu benennen.

Gibt es zu dem Thema keine erkennbar kontroversen Standpunkte oder Interessenlagen, ist das Kriterium „nicht anwendbar“.

5. Pressemitteilung

Der Beitrag geht in seinem Informationsgehalt und in der Darstellungsweise deutlich über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus.

Eine Pressemitteilung als einzige oder ganz überwiegende Quelle für einen Umwelt-Beitrag ist nicht akzeptabel. Der bloße Nachdruck bzw. die Umformulierung selbst einer differenzierten Pressemitteilung, egal ob von Unternehmen, Behörden oder Umweltorganisationen, ist keine journalistische Leistung. Dies gilt auch für Angaben aus Pressemitteilungen angesehener wissenschaftlicher Einrichtungen. Gibt es keine weiteren Belege für Inhalte einer Pressemitteilung , muss darauf zumindest hingewiesen werden („Von anderen Einrichtungen liegen dazu keine Erkenntnisse vor.“ Oder: „Der Experte x konnte dies nicht mit eigenen Forschungsergebnissen bestätigen / widerlegen.“).

Die Wertung kann z.B. „nicht erfüllt“ lauten
, wenn ein Beitrag eine Pressemitteilung in großen Teilen wörtlich oder sinngemäß übernimmt, ohne weitere  Quellen heranzuziehen, oder wenn sie nur geringfügig um Informationen ergänzt wird, die für das Thema nebensächlich sind. Werden längere Passagen aus Pressemitteilungen übernommen, ohne dass deren Herkunft deutlich wird, ist das Kriterium ebenfalls „nicht erfüllt“. Üblich und zulässig ist dagegen die Übernahme von einzelnen Zitaten aus Pressemitteilungen.

Bei der Übernahme von Videomaterial, das z.B. von Unternehmen oder Forschungseinrichtungen zur Verfügung gestellt wurde, ist auf die Quelle hinzuweisen. Wird ausschließlich solches Material verwendet, ist das Kriterium bei Fernsehbeiträgen „nicht erfüllt“. Auch wenn eigene Bilder oder Filmsequenzen ohne erkennbare weitere Recherche lediglich die Inhalte einer Pressemitteilung illustrieren, kann das Kriterium „nicht erfüllt“ sein.

Die Wertung kann „nicht anwendbar“ lauten, wenn keine Pressemitteilung gefunden wird, aber nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Beitrag doch auf einer Pressemitteilung beruht (z.B. bei Erwähnung nur einer einzigen Forschungseinrichtung oder eines einzigen Unternehmens). Geht aus dem Beitrag aber klar hervor, dass eine Pressemitteilung nicht die einzige Quelle sein kann (z.B. durch Zitate von Experten unterschiedlicher Forschungseinrichtungen , Unternehmen etc., die bei dem Thema nicht zusammenarbeiten), ist das Kriterium „erfüllt“.

6. Neuheit

Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes beziehungsweise neu entdecktes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik oder einen neuartigen Vorschlag zur Lösung/ Regulierung o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.

Es ist der bislang vorhandene Sach- bzw. Kenntnisstand zu einem Umweltthema darzulegen und die tatsächliche oder vermeintliche Neuigkeit einzuordnen. Wird über neue Erkenntnisse zu einer seit längerem laufende Debatte berichtet, dürfen Rezipienten nicht den falschen Eindruck gewinnen, dass es sich um ein völlig neues oder bisher unbemerktes Geschehen handle. Der Beitrag muss deutlich machen, ob ein Forschungsfeld schon seit längerem bearbeitet wird, und welches die neuen Aspekte im Beitrag sind.

Hier geht es also nicht darum, dass die berichteten Sachverhalte möglichst neu sein sollen, sondern darum, dass der Beitrag klar machen soll, ob es sich um etwas tatsächlich Neues, um vorgebliche Neuheiten oder um ein langfristig bedeutsames, wiederkehrendes Thema handelt. Auch letzteres kann durchaus ein sinnvoller Anlass der Berichterstattung sein, darf dann aber nicht fälschlich als „neu“ dargestellt werden. Auch wenn der Neuigkeitswert unklar bleibt, ist das Kriterium „nicht erfüllt“.

Ob ein aktueller Anlass für die Berichterstattung vorliegt, wird dagegen nicht hier, sondern durch das allgemeinjournalistische Kriterium „Themenauswahl“ bewertet; die Einbettung in einen Zeithorizont (Vergangenheit, Zukunft, Nachhaltigkeit) wird unter Ziff. 9 der umweltjournalistischen Kriterien geprüft.

Die Wertung kann z.B. „nicht erfüllt“ lauten, wwenn ein längst bekanntes Phänomen zu einem vorgeblich neuen Skandal aufgebauscht, oder eine nur marginal veränderte Umwelttechnik als völlig neue Lösung angepriesen wird. Nicht erfüllt ist es auch, wenn beispielsweise eine Technik zur Reinigung industrieller Abwässer als neue Errungenschaft präsentiert wird, ohne darauf hinzuweisen, dass das Verfahren bisher nur im Labormaßstab erprobt worden ist.

7. Lösungshorizonte und Handlungsoptionen / kein „Greenwashing“

Der Beitrag nennt Wege, ein Umweltproblem zu lösen oder zu vermeiden, soweit dies möglich und angebracht ist.

Wenn Lösungsansätze zu einem Umweltproblem bereits vorliegen oder debattiert werden, soll der Beitrag diese benennen und einordnen. Aufgabe von Journalistinnen und Journalisten ist es dabei nicht zwingend, selbst Lösungsvorschläge zu entwickeln.

Der Beitrag macht deutlich, ob ein Umweltproblem bzw. ein Umweltschaden durch politische, rechtliche oder technische Mittel zu verringern bzw. zu vermeiden wäre (z.B. Umstellung der Produktion, Ersatz von problematischen Substanzen, Änderungen von Gesetzen und Verordnungen). Wenn mehrere Handlungsoptionen zur Diskussion stehen, werden diese benannt. Wo es angebracht ist, wird auch thematisiert, inwieweit Leser / Hörer/ Zuschauer durch eine Änderung ihres Verhaltens zur Lösung eines Umweltproblems beitragen können (indem sie z.B. bestimmte Produkte nicht verwenden).

Grundsätzlich sollte deutlich werden, ob und inwieweit Lösungsvorschläge für Umweltprobleme oder Nachhaltigkeitskonzepte reale Vorteile für die Umwelt bringen, oder ob sie eher als ein „Greenwashing“ zur Imageverbesserung zu bezeichnen sind.

Der Beitrag darf keine Scheinlösungen propagieren, die nicht wirksam zur Beseitigung oder Vermeidung von Umweltproblemen beitragen, sondern mehr der Werbung als der Umwelt dienen. Wenn PR-Kampagnen „ökologische Innovationen“ präsentieren, wird dies kritisch hinterfragt; Attribute wie „nachhaltig“, „öko“, „umweltfreundlich“, „nachwachsend“ oder „recycelbar“ müssen auf ihren tatsächlichen Gehalt nach Möglichkeit überprüft werden. Werden Verhaltensänderungen als Handlungsoption angesprochen, ist nach Möglichkeit auch darzustellen, in welchem Ausmaß diese geeignet wären, zur Verringerung eines Umweltproblems oder zur Nutzung einer Chance in diesem Bereich beizutragen. Auch hier darf sich der Beitrag keine Scheinlösungen zu eigen machen , mit denen z.B. Firmen versuchen könnten, ihre Verantwortung auf Verbraucher abzuwälzen.

Die Wertung kann „nicht erfüllt“ lauten, wenn z.B. auf technischer, politischer oder juristischer Ebene bereits Lösungsansätze für das dargestellte Umweltproblem diskutiert werden, der Beitrag dies aber nicht thematisiert, oder wenn er sehr einseitig und ohne nachvollziehbaren Grund einen von mehreren Lösungswegen favorisiert. Das Kriterium kann auch „nicht erfüllt“ sein, wenn es praktikable Handlungsmöglichkeiten für  Leser / Hörer / Zuschauer gibt, ein Umweltrisiko zu vermeiden, und der Beitrag dies nicht erwähnt; oder wenn unkritisch über Produkte oder Maßnahmen berichtet wird, die eher darauf zielen, das Image eines Unternehmens, einer NGO oder Forschungseinrichtung aufzubessern als tatsächlich einen Beitrag zum Umweltschutz zu leisten (z.B. Prototypen für Ökoautos von Konzernen, die ansonsten Spritfresser produzieren; nur vorgeblich recycelbare Verpackungen).

„Nicht anwendbar“ kann das Kriterium sein, wenn keine realistische Handlungsoption besteht. So kann z.B. gegen radioaktive Teilchen in der Erdatmosphäre, die aus früheren A-Bomben-Tests stammen, nach derzeitigem Kenntnisstand nichts mehr unternommen werden.

8. Räumliche Dimension (lokal – regional – global)

Die räumliche Reichweite eines Umweltproblems sowie der Zusammenhang zwischen lokalen, regionalen und globalen Perspektiven werden dargestellt.

Der Beitrag muss eine klare räumliche Orientierung bieten. So muss er z.B. deutlich machen, welche Region von einem Umweltthema betroffen oder welches Gebiet in einer Studie untersucht worden ist. Wie sind die geographischen Voraussetzungen in der jeweiligen Region? Gibt es spezielle regionale Bedingungen, die für das Thema bedeutsam sind? Viele Umweltprobleme und Lösungsansätze haben sowohl lokale als auch überregionale oder sogar globale Aspekte, die der Beitrag nach Möglichkeit miteinander verknüpft sollte. Welche Folgen hat unsere Ernährungsweise auf die Länder, aus denen wir unsere Lebens- und Futtermittel importieren? Hat die Verunreinigung eines Flusses nur lokale Auswirkungen oder auch Folgen für das Meer, in welches dieser Fluss mündet? Haben Umweltprobleme in anderen Teilen der Welt Auswirkungen auf die Gefährdung der Menschen hierzulande? Spielen für das jeweilige Thema neben nationalem Umweltrecht auch europäische / internationale Regelungen oder Verträge eine Rolle? Diese Fragen sind – wie bei den anderen Kriterien – als Beispiele und Hinweise zu verstehen, das heißt, sie müssen nicht sämtlich beantwortet werden, um das Kriterium zu erfüllen.

Die Wertung kann „nicht erfüllt“ lauten, wenn z.B. die lokale Begrenztheit eines Störfalls nicht angesprochen wird oder die Wechselwirkung zwischen globalen und lokalen Aspekten außen vor bleibt , obwohl sie für das jeweilige Thema relevant wären. Nicht erfüllt kann das Kriterium auch sein, wenn unberücksichtigt bleibt, dass Probleme und Lösungen an spezielle geographische Bedingungen geknüpft sind. Oder wenn Zusammenhänge konstruiert werden, die in dieser Form nicht existieren oder nicht mit hinreichender Sicherheit nachgewiesen sind (z.B. zwischen manchen lokalen Wetterphänomenen und der globalen Erwärmung). Nicht erfüllt kann das Kriterium auch sein, wenn beispielsweise über den Rückgang / die Erholung bestimmter Arten berichtet wird, ohne deutlich zu machen, auf welches Gebiet sich diese Aussagen beziehen.

9. Zeitliche Dimension (Nachhaltigkeit)

Die zeitliche Reichweite eines Umweltproblems oder Phänomens wird dargestellt.

Der Beitrag muss eine klare zeitliche Orientierung bieten. So muss er z.B. deutlich machen, ob es sich um ein singuläres, also zeitlich begrenztes Ereignis handelt oder um eine Problematik mit langfristigen Folgen. Bei einem Chemieunfall geht es einerseits um die akuten Auswirkungen (verletzte Arbeiter, geschädigte Anwohner), andererseits aber auch um die Frage, ob langlebige Gifte in die Umwelt gelangten. Ferner: War es ein unvorhersehbares, in dieser Form einmaliges Unglück, oder sind vergleichbare Störfälle bei ähnlichen Anlagen auch schon in der Vergangenheit aufgetreten, sodass es sich um eine Serie von Ereignissen handeln könnte? Sind technische Lösungsansätze zukunftsträchtig, haben sie also eine nachhaltige Wirkung oder beheben sie nur einen akuten Schaden? Ist ein Vorschlag zur Regulierung geeignet, ein Umweltproblem auf lange Sicht zu lösen oder einzudämmen? Hat der Artenschwund in einem Gebiet plötzlich eingesetzt oder ist er schon seit längerer Zeit zu beobachten? Reichert sich ein Schadstoff mit der Zeit an, oder wird er rasch abgebaut?

Wird über Messungen oder Beobachtungen berichtet, muss hinreichend deutlich werden, wann und über welchen Zeitraum Daten erhoben wurden bzw. für welchen Zeitabschnitt sie relevant sind. Bei zeitlichen Veränderungen müssen die Bezugspunkte klar werden, indem beispielsweise darauf hingewiesen wird, in welchem Zeitraum sich ein Umweltproblem verschärft / gebessert hat, oder wann sich rechtliche Bestimmungen geändert haben.

Die Wertung kann „nicht erfüllt“ lauten, wenn z.B. unklar bleibt, wann Daten erhoben wurden, oder wenn die möglichen Langzeitfolgen eines akuten Umweltproblems nicht thematisiert werden. Oder wenn das Verschwinden einer einzelnen Art als (zeitlich) singuläres Problem beschrieben wird („Wachtelkönig gefährdet Bau der Autobahn“), ohne in Rechnung zu stellen, dass es auch ein Symptom für die schleichende Veränderung eines ganzen Lebensraums sein könnte und den möglichen Verlust von Biodiversität in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Nicht erfüllt kann das Kriterium beispielsweise auch sein, wenn berichtet wird, dass bestimmte Schadstoffe „immer häufiger“ nachgewiesen würden, ohne zu hinterfragen ob die Belastung zugenommen hat, oder ob die gemessenen Chemikalienwerte z.B. das Resultat einer zwischenzeitlich verbesserten Analytik sind.

10. Kontext / Kosten

Über naturwissenschaftliche, gesundheitliche und technische Aspekte hinaus werden politische, soziale, kulturelle oder wirtschaftliche Aspekte eines Umweltthemas einbezogen.

Je nach Art, Anlass und Gegenstand des Beitrags sollten nach Möglichkeit verschiedene – gleichwohl nicht zwingend alle Aspekte – dieser Dimensionen aufgezeigt werden. Eine wesentliche Rolle spielen oft die Kosten eines Umweltproblems oder einer ins Auge gefassten umweltpolitischen Lösung. Zum Kontext kann z.B. beim aktuellen Nachweis einer Wasserverschmutzung die Gesetzgebung zum Wasserrecht in der EU gehören, in der lokalen Berichterstattung z.B. die Frage, wie ein Naherholungsgebiet und damit die Bedürfnisse von Anwohnern durch eine geplante Baumaßnahme beeinflusst würden. Lösungsvorschläge zu Umweltproblemen hängen immer auch von den politischen Machtverhältnissen ab, insofern stellt sich z.B. die Frage, wie die unterschiedlichen Funktionsträger, Unternehmen und Verbände in der jeweiligen Region dazu stehen. Wo angebracht sind die Kosten von Umweltschäden und -schutzmaßnahmen zu beziffern (z.B. wenn Kostenaspekte von Experten oder anderen Diskutanten in die Debatte eingebracht werden).

Die Wertung kann „nicht erfüllt“ lauten, wenn solche kontextualen Bezüge naheliegen, der Beitrag sich aber ohne ersichtlichen Grund auf rein naturwissenschaftlich-technische Aspekte beschränkt. So ist das Kriterium „nicht erfüllt“, wenn beispielsweise über die ökologischen Folgen einer zunehmenden Bodenversiegelung berichtet wird, aber keinerlei Aussagen zu den ökonomischen und sozialen Ursachen und Folgen gemacht werden. Das Kriterium kann „nicht erfüllt“ lauten, wenn sich der Beitrag nicht mit den finanziellen Aspekten eines Umweltproblems beschäftigt, obwohl die Kosten bedeutsam sind und dazu auch Zahlen vorliegen. So sind z.B. bei Konzepten für neue Energiespeicher nicht nur die technischen Aspekte relevant, sondern auch Fragen der Wirtschaftlichkeit. Bei geplanten Maßnahmen zum Hochwasserschutz kann es z.B. auch um die psychosozialen Folgen für die Menschen gehen, die in solchen Hochwassergebieten leben.

Allgemeinjournalistische Kriterien

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1. Themenauswahl

Das Thema ist aktuell, oder der Beitrag greift ein Thema auf, das auch unabhängig von aktuellen Anlässen relevant oder originell / ungewöhnlich ist.

Es muss deutlich werden, warum ein Medium über ein Umweltthema ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt berichtet. Der Anlass kann einerseits ein aktuelles Geschehen sein (akut aufgetretene Umweltschäden, neue Umwelttechnik, aktuelle Studie, Konferenz usw.). Dabei wird auch bewertet, ob der Beitrag im Hinblick auf die Aktualität dem jeweiligen Medium gerecht wird (Tageszeitung, Monatsmagazin) und die Aktualität  dem Rezipienten auch deutlich macht (z.B. durch Formulierungen wie „Ergebnisse, die in dieser Woche in einem Fachmagazin veröffentlicht wurden.“ oder „…wie der EU-Umweltministerrat in Brüssel am Montag beschlossen hat…“).

Andererseits sind jenseits von Tagesaktualität und momentanen „Skandalen“ viele Umweltthemen aber auch langfristig relevant (Klimaschutz, Biodiversität, Abholzung der Regenwälder, Überfischung usw.). Findet ein Beitrag für solche besonders wichtigen Themenbereiche aktuelle oder originelle Anknüpfungspunkte, oder liefert er dazu wichtige Hintergrundinformationen, die geeignet sind, das Interesse der Mediennutzer zu wecken, ist dies auch jenseits der  bloßen Tagesaktualität positiv zu bewerten.

Die Wertung kann z.B. „nicht erfüllt“ lauten, wenn weder ein aktueller Anlass zur Berichterstattung besteht, noch die Relevanz oder die Originalität des Themas eine Berichterstattung unabhängig von aktuellen Anlässen rechtfertigt, umso mehr als damit eher ein Desinteresse („Abstumpfungseffekt“) an Umweltthemen ausgelöst werden könnte.

2. Vermittlung

Komplexe Umwelt-Zusammenhänge werden verständlich gemacht.

Dieses Kriterium ist „erfüllt“, wenn ein Beitrag verständlich und klar strukturiert ist, wenn er angemessene Satzlängen verwendet, Fachbegriffe nur in Ausnahmefällen gebraucht (und diese dann erläutert) und Zusammenhänge gut erklärt. Auch eine originelle Darstellung, lebendige Beispiele und gute Auswahl von geeigneten Grafiken/ Abbildungen und Tonelementen fallen hier ins Gewicht. Angemessene Vergleiche dienen der Verständlichkeit, schiefe Bilder führen in die Irre.

Positiv ist zu bewerten, wenn die Geschichte nachvollziehbaren dramaturgischen Prinzipien folgt (z.B. Personalisierung, narrative Elemente, Bezug zur Alltagswelt), und wenn Form und Inhalt harmonieren. Eine unangemessen dramatisierende oder verharmlosende Sprache ist hingegen zu vermeiden. Handelt es sich um einen nachrichtlichen Beitrag, sollten die W-Fragen (wer, was, wo, wie, wann, warum) möglichst vollständig beantwortet werden. Generell gilt: Maßstab ist eine dem gewählten Format angemessenen Umsetzung: Weiterführende Links bei Online-Beiträgen, eine interessante filmische Umsetzung bei TV-Beiträgen, gute O-Töne im Radio, lebendige Sprache im Print-Medium.

Die Wertung kann z.B. „nicht erfüllt“ lauten, wenn Fachjargon ohne Erläuterung verwendet wird, wenn Zusammenhänge, Ursachen und Folgen nicht angemessen erläutert werden oder der Beitrag nicht klar strukturiert ist, sodass er für fachlich nicht vorgebildete Leser schwer oder gar nicht verständlich ist.

„Nicht erfüllt“ kann das Kriterium auch sein, wenn im Beitrag ein roter Faden fehlt und er sich auf eine Aneinanderreihung verschiedener Aspekte beschränkt (nach dem Muster: „alles, was ich schon immer mal zum Thema xyz sagen wollte.“) Oft ist es interessanter und informativer, wenn ein Text sich auf ausgewählte Aspekte beschränkt und diese vertieft.

Gibt der Beitrag ausschließlich den Inhalt einer Pressemitteilung wieder, ist das Kriterium „nicht erfüllt“. Obwohl dieser Fall bereits beim umweltjournalistischen Kriterium Ziff. 5 zur Wertung „nicht erfüllt“ führt, wird er hier erneut berücksichtigt, weil keine eigenständige journalistische Leistung vorliegt (vergl. Pressekodex: „Die Glaubwürdigkeit der Presse als Informationsquelle gebietet besondere Sorgfalt beim Umgang mit PR-Material“).

3. Faktentreue

Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder.

Bei diesem Kriterium geht es darum, zu prüfen, ob ein Beitrag offensichtliche, wesentliche Fehler bei den Fakten enthält. Gibt er die Hauptaussage einer Studie oder anderer Quellen, auf die er sich bezieht, richtig wieder? Stimmen die Zahlen, die im Beitrag genannt werden, mit den zitierten Quellen überein? Beschreibt der Beitrag – soweit überprüfbar – Ereignisse, Abläufe, Messverfahren oder z.B. auch die Methodik einer Studie richtig? „Richtigkeit“ ist hier weder gleichbedeutend mit objektiver Wahrheit noch mit Vollständigkeit. Es müssen also nicht alle Aspekte einer Studie, alle Vorkommnisse bei einer Umweltkatastrophe, sämtliche Details eines Messverfahrens beschrieben werden. Doch die im Beitrag genannten Fakten müssen zumindest mit den dazu angegebenen Quellen übereinstimmen. Wenn wesentliche Aussagen lediglich nicht ausreichend belegt sind, wird das nicht an dieser Stelle bewertet, sondern beim umweltjournalistischen Kriterium Ziff. 2 „Belege / Evidenz“.

Die Wertung kann z.B. „nicht erfüllt“ lauten, wenn in einem Beitrag – auch jenseits wissenschaftlicher Studien – offensichtlich fehlerhafte Angaben gemacht werden, wenn erkennbare Widersprüche in der Datenlage verschwiegen werden, wenn der Beitrag erkennbar falsche Daten, Zahlen oder Fakten (z.B. zur Funktion von Experten) nennt, falsche Bezüge (Ursache > Wirkung) herstellt oder z.B. vorläufige Annahmen und Risikoabschätzungen als gesichertes Wissen präsentiert.