Der Südwestrundfunk widmet sich in einem gut viertelstündigen Fernsehbeitrag der Problematik, dass durch Plastiktüten und andere Kunststoffabfälle immer mehr Plastikpartikel in die Umwelt gelangen. Es werden sehr viele Personen und Blickwinkel einbezogen – vom Mitarbeiter der Entsorgungsbetriebe über Wissenschaftler und Industrievertreter bis zur zuständigen Landesministerin – doch mangelt es an kritischen Nachfragen, der Informationsgewinn bleibt geringer als in einem solchen Format möglich.
Zusammenfassung
Die Sendung „Zur Sache Rheinland-Pfalz“ beschäftigt sich mit Plastikmüll in der Umwelt. Im Zentrum steht dabei in der ersten Hälfte des TV-Beitrags die Vermeidung von Plastiktüten. Mit der Initiative des Stadtrates, die Stadt Koblenz frei von Plastiktüten zu machen, und einem studentischen Projekt („Jute Sache“ an der Universität Koblenz-Landau) gibt es dafür lokale Aufhänger; darüber hinaus spricht der Beitrag auch überregionale Aspekte an.
Im weiteren Verlauf wird das Thema erweitert auf andere Quellen von Plastikmüll, und die Frage gestellt, welche Umweltfolgen kleinste Partikel – Mikroplastik – in Meeren und Flüssen und in der Nahrungskette haben können, und ob Gesundheitsgefahren für Menschen drohen. Allerdings streift der Beitrag diese Aspekte nur oberflächlich. So spricht ein Vertreter der Rheingütestation Worms über „gefährliches Mikroplastik“, das im Rhein gefunden worden sei, auch ein Forscher der Uni Frankfurt deutet an, dass er eine Gesundheitsgefahr sieht. Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse es dazu gibt, erfährt man aber nicht, der Beitrag greift keine der vorliegenden Studien zum Thema Mikroplastik auf.
Als Studiogast wird die rheinland-pfälzische Umweltministerin Ulrike Höfken interviewt, die als Lösungsansätze politische Regulierungen wie das Kreislaufwirtschaftsgesetz ins Spiel bringt. Allerdings erfahren Zuschauerinnen und Zuschauer nicht, was es damit genau auf sich hat. Auch die sehr allgemeinen Ausführungen eines Industrievertreters werden nicht hinterfragt. Insgesamt spricht der Beitrag sehr viele Aspekte des Themas an, vertieft aber keinen davon. Im Rahmen eines gut 17-minütigen Beitrags wäre das unseres Erachtens durchaus möglich gewesen; beispielsweise hätte eine etwas weniger ausführliche Befragung von Laien (Straßenumfrage am Anfang plus drei Stellungnahmen aus dem „Trenddorf Haßloch“ am Ende) mehr Raum dafür gelassen, den Experten aus Wissenschaft, Industrie und Politik kritische Fragen zu stellen. So sind viele unserer Kriterien nur „knapp erfüllt“, was insgesamt zur Abwertung des Beitrags führt.
Hinweis: Der Originalbeitrag ist online nicht mehr verfügbar.
Umweltjournalistische Kriterien
1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.
Die Umweltbelastung durch Plastiktüten und anderen Plastikmüll, insbesondere durch kleinste Kunststoffpartikel – Mikroplastik –, wird sachlich dargestellt. Der Beitrag beschreibt die Herkunft der Partikel in all ihren Facetten, von Plastiktüten über Fleecepullover bis zu Kosmetika sowie Abrieb von größeren Kunststoffteilen. Mögliche Gesundheitsgefahren werden erwähnt, doch nicht übertrieben. Auch Verharmlosungen können wir nicht erkennen.
2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.
Daten und handfeste Fakten sind in dem TV-Beitrag rar. Wo Zahlen genannt werden, sind sie wenig aussagekräftig: Was bedeuten es etwa, wenn im Rhein 400 Plastikpartikel in 1000 Kubikmeter Wasser gemessen wurden? Müsste man nicht auch deren Größe bewerten? War das die erste derartige Messung? Weiß man, wie sich die Zahl der Partikel entwickelt, steigt sie weiter oder nimmt sie womöglich ab?
Auch die Angabe, dass die Koblenzer 7 Millionen Plastiktüten pro Jahr verbrauchen, ist für Zuschauerinnen und Zuschauer wenig aufschlussreich, da sie in keinen Zusammenhang gebracht wird: Ist das besonders viel oder wenig in Deutschland/ Europa? Wie hat sich die Zahl über die Jahre entwickelt? Über eine Messreihe der Uni Frankfurt, die noch nicht begonnen hat, wird berichtet; dass es schon zahlreiche Studien über Mikroplastik in der Umwelt aus vielen Ländern gibt (siehe z.B. hier und hier), bleibt unerwähnt. Unklar bleibt auch, welche Anhaltspunkte es für eine direkte Belastung des Menschen bislang gibt, und von welchen Schadstoffen hier die Rede ist (siehe dazu z.B. hier). Die potenziellen Folgen für den Menschen, sollte Mikroplastik verstärkt in die Nahrungskette und damit am Ende auch in Lebensmittel gelangen, werden nur oberflächlich angesprochen, dann aber nicht weiter thematisiert.
3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.
Im Beitrag kommen Laien und Fachleute zu Wort. Alle Experten werden klar ihren Institutionen und Projekten zugeordnet, besondere Interessenkonflikte sind nicht erkennbar. Dass der Industrievertreter interessengebunden argumentiert, erschließt sich ohne weitere Erläuterung. Lediglich die Quellenangabe zu den eingangs erwähnten 7 Millionen Plastiktüten fehlt. Insgesamt ist das Kriterium jedoch erfüllt.
4. PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.
Zur Problematik des Plastikmülls kommen Vertreter unterschiedlicher Positionen zu Wort – von Straßeninterviews mit Verbrauchern über die Initiatoren eines studentischen Projekts und Wissenschaftler bis zu Vertretern von Politik und Wirtschaft. Insgesamt stehen dabei die Umweltprobleme im Vordergrund, doch auch ein Vertreter der Kunststoffindustrie stellt seine Sicht der Dinge dar und verweist auf den Nutzen der Kunststoffe im Alltag. Allerdings fehlt es an gezielten journalistischen Nachfragen. So bleibt der Geschäftsführer des Industrieverbandes PlasticsEurope in seinen Ausführungen zur Verantwortung der Produzenten unpräzise – die Industrie dürfe nicht „alleiniger Prügelknabe“ sein, argumentiert er – ohne dass hier nachgehakt und beispielsweise gefragt wird, wie die Kunststoffindustrie zu den im Beitrag erwähnten Gesetzesinitiativen steht. Auch die rheinland-pfälzische Umweltministerin Höfken bleibt oft im Allgemeinen. So sagt sie beispielsweise, „ein Moratorium wäre möglich“, wird aber nicht gefragt, ob sie es unterstützt. Wir werten daher nur „knapp erfüllt“.
5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/ das Pressematerial hinaus.
Im Beitrag werden mehrere Experten sowie Bürger auf der Straße befragt und ein Studiogast interviewt; Studenten stellen ihr Projekt zum Ersatz von Plastiktüten vor, wissenschaftliche Untersuchungen der Universitäten Frankfurt und Basel werden erwähnt. Es gibt keine Anzeichen, dass der Beitrag in wesentlichen Teilen auf Pressematerial basieren würde.
6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.
In dem Bericht über das Projekt „Jute Sache“ wird erwähnt, dass es schon in den 1970er Jahren Initiativen gegen den Plastiktüten-Verbrauch gab – insofern wird deutlich, dass die Angelegenheit schon länger diskutiert wird. Es bleibt aber unklar, seit wann Kunststoffmüll als ernsthaftes Umweltproblem anzusehen ist, und seit wann sich insbesondere die Diskussion um die Mikroplastik-Problematik entwickelt hat. Auch bei den im Beitrag erwähnten gesetzlichen Regulierungen bleibt völlig offen, seit wann diese diskutiert werden bzw. in welchem Stadium der Umsetzung sich diese befinden.
7. Der Beitrag nennt - wo möglich - LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.
Der Beitrag nennt mehrere Möglichkeiten, den Eintrag von Kunststoffen in die Umwelt zu reduzieren: Großen Raum nimmt der Verzicht auf Plastiktüten ein, allerdings fehlen Angaben dazu, welchen Anteil sie am Plastikmüll in der Natur haben. Dass Kosmetika auch ohne Mikroplastik-Inhaltsstoffe möglich sind, wird kurz angesprochen. Es fehlt allerdings eine zumindest qualitative Einordnung: In welchem Umfang ist das Problem durch die falsche Entsorgung bedingt (Tüten in der Landschaft), und zu welchem Anteil liegt es in der Art der Plastikanwendung (Mikroplastik in Kosmetik, Fleecestoffe, Abrieb)? Welche Möglichkeiten Verbraucher haben, ihren Kunststoffverbrauch zu reduzieren, wird mit Ausnahme des Beispiels Plastiktüten nicht dargelegt.
Im Gespräch mit Ministerin Höfken als Studiogast ist in recht allgemeiner Form davon die Rede, was die Industrie und der Handel tun oder zu tun bereit wären. Gesetzliche Regelungen auf Bundes- und EU-Ebene (Wertstoffgesetz, Kreislaufwirtschaftsgesetz) werden zwar angesprochen, aber nicht näher erläutert, sodass Zuschauerinnen und Zuschauer nicht erfahren, worum es dabei geht. Als konkrete eigene Maßnahme in Rheinland-Pfalz erwähnt Höfken lediglich den „Umwelttipp des Monats“ zur Vermeidung von Plastiktüten.
Was an den entscheidenden Schaltstellen Industrie und Politik geschehen müsste, um den Kunststoffmüll zu verringern, erläutert der Beitrag nicht. Wir werten nur „knapp erfüllt“.
8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (global/lokal) wird dargestellt.
Der Beitrag spricht sowohl die lokale Dimension an, etwa den Plastiktütenverbrauch in Koblenz – mit Stellungnahmen des Oberbürgermeisters und eines Beschäftigten des Kommunalen Servicebetriebs – als auch die überregionale Dimension (Mikroplastikmengen im Rhein). Mit dem Verweis auf den Eintrag in die Ozeane werden zudem globale Aspekte erwähnt. Durch die Angabe der Herkunft (z. B. auch aus Kläranlagen) wird klar, dass das Problem überall dort auftritt, wo heute Kunststoffe eingesetzt werden.
9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.
Zuschauerinnen und Zuschauer erfahren, dass Plastikmüll über Jahrhunderte in der Umwelt verbleiben kann, und dass es sich folglich um ein langfristiges Problem handelt. Zusätzlich interessant wäre hier eine Information zur Langlebigkeit verschiedener Kunststoffe gewesen.
10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT (z.B. KOSTEN) wird einbezogen.
Mit der Umweltministerin von Rheinland-Pfalz als Studiogast ist die politische Ebene im Beitrag präsent. Die Ministerin bezieht sich im Gespräch auf Gesetzesinitiativen auf Bundes- und EU-Ebene, allerdings fehlt jede Erläuterung, was diese beinhalten, und es wird dazu nicht nachgefragt. Dabei wäre es interessant wäre gewesen zu erläutern, welche Möglichkeiten Gesetzgeber haben, den Plastikverbrauch zu senken. Welche Kosten durch einen verringerten Einsatz von Kunststoffen entstehen könnten, oder ob dadurch Kosten eingespart würden, erfahren Zuschauerinnen und Zuschauer nicht. Lediglich beim Projekt „Jute Sache“ thematisiert der Beitrag kurz auch die Kosten.
Wir sehen dieses Kriterium daher nur „knapp erfüllt“.
Allgemeinjournalistische Kriterien
1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)
Das Problem ist nicht neu aber höchst relevant, und die Debatte um eine EU-Regelung aktuell.
2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)
Der Beitrag zeigt die Vielschichtigkeit des Problems und der Lösungsvorschläge auf und ist durch die Befragung ganz unterschiedlicher Personen auch recht lebhaft gestaltet. Allerdings entsteht zunächst der Eindruck, es ginge in dem Beitrag alleine um Plastiktüten beim Einkaufen, die leicht vermeidbar sind. Hier wäre es günstig gewesen, schon beim Einstieg auf die umfassendere Darstellung des Themas in der zweiten Hälfte des Beitrags hinzuweisen. Die Stellungnahmen von Laien am Anfang und am Ende des Beitrags sind insgesamt recht lang geraten, hier wären Kürzungen zugunsten kritischer Nachfragen bei den Experten und Interessenvertretern sinnvoll gewesen.
3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)
Der Beitrag enthält einen Faktenfehler: Das Dosenpfand wurde nicht, wie im Beitrag dargestellt, von Jürgen Trittin eingeführt. Es beruht auf der Verpackungsverordnung, die der damalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer erlassen hat. Zwar wird immer wieder in den Medien Jürgen Trittin als der Vater des Dosenpfandes dargestellt, doch das ist so nicht korrekt: Er setzte nur um, was seit 1991 bereits Gesetz war. Das Töpfer-Gesetz hatte bereits festgelegt, dass ein Einwegpfand greift, sobald die Mehrwegquote unter 72 Prozent sinkt, und das war erst zu Trittins Zeit der Fall.
Umweltjournalistische Kriterien: 8 von 10 erfüllt
Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt
Abwertung wegen mehrerer „knapp erfüllter“ Kriterien.