Zusammenfassung
Ein vorläufiger Bericht der Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) über die Situation in Fukushima, der am Sendetag der japanischen Regierung übergeben wurde, bietet den Anlass, über unterschiedliche Einschätzungen zur Lage in Fukushima zu berichten. Hinzu kommen aktuelle Probleme durch starke Regenfälle, die Becken mit radioaktivem Kühlwasser zum Überlaufen bringen.
In dem Tagesthemen-Beitrag wird sachlich dargestellt, dass die IAEA die Lage in Fukushima unter Kontrolle sieht und die japanische Regierung lobt, während Kritiker beispielsweise auf die erhebliche radioaktive Kontamination des Grundwassers hinweisen. Für eine Nachrichtensendung bemerkenswert: Es wird außerdem ein Forschungsprojekt vorgestellt, das eine Verringerung der Artenvielfalt in stark radioaktiv belasteten Regionen festgestellt hat und weitere Auswirkungen auf die Natur in der Sperrzone untersucht. Der Beitrag greift damit viele interessante Aspekte auf, doch gelingt es nicht immer, diese schlüssig zusammenzuführen. Die Aussagekraft der einzelnen Fakten und Behauptungen wird nicht so deutlich, dass Zuschauerinnen und Zuschauer diese wirklich einordnen können. Trotz der knappen Sendezeit wären hier einordnende Informationen nötig.
Umweltjournalistische Kriterien
1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.
2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.
Es wird eine Vielzahl von Einschätzungen und Fakten genannt (z.B. Einfluss der Verstrahlung auf die Tierwelt, Kontamination des Grundwassers durch überlaufende Rückhaltebecken). Die Aussagekraft der verschiedenen Untersuchungen wird aber nicht deutlich: Im Bild sieht man einen Biologen Insekten fangen, was zwar ein schönes Bild ist, aber nicht viel über die Methodik aussagt. So hätte man im Sprechertext auch in der Kürze der Zeit wenigstens den einen oder anderen Aspekt zur Aussagekraft thematisieren können, etwa der Art: Hat der Biologe vor allem Bestandsaufnahmen gemacht? Weiß man, wie viele Arten und wie viele Tiere (Individuendichte) vor dem Unglück in dieser Region zu finden waren? Wie stark haben sich diese Zahlen verändert? Wie lassen sich die Daten von Tschernobyl mit denen von Fukushima vergleichen?
Das Gleiche gilt für die Aussagen der Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA), die offenbar Entwarnung gibt. Man erfährt: Die Experten waren in der Region unterwegs. Aber was haben sie dort gemacht? Messungen? Wo und wie viele? Wieso kommen sie zu ganz anderen Einschätzungen als die später genannte Kritikerin? Auch die Angabe, dass Wasser 800.000 Bequerel Tritium pro Liter enthält, bleibt ohne Erklärung. Von einem durchschnittlichen Fernsehzuschauer ist kaum zu erwarten, dass er diesen Wert einordnen kann.
3.EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.
4.PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.
Die Forschungsarbeiten des US-Biologen Timothy Mousseau ergaben dem Bericht nach, dass es in hochverstrahlten Orten um Fukushima weniger Vögel und eine geringere biologische Vielfalt gibt. Die IAEA hält die Situation um Fukushima für wenig problematisch – der radioaktive Müll werde sicher gelagert, Lebensmittel aus der Region könnten bedenkenlos gekauft werden. Die Kritikerin vom Institut für nachhaltige Energiepolitik betont dagegen, die Lage sei nicht unter Kontrolle, verunreinigtes Wasser habe das Grundwasser kontaminiert.
Insofern werden Vertreter unterschiedlicher Standpunkte vorgestellt. Indes beziehen sie sich nicht aufeinander, sondern äußern sich jeweils zu unterschiedlichen Themen. Weder werden die Äußerungen aus dem IAEA-Bericht konkret hinterfragt (etwa die dabei erwähnte Lebensmittelkontrolle), noch die Forschungsergebnisse des Biologen. Insgesamt wird dennoch deutlich, dass es neben dem Lob der IAEA für die japanischen Behörden auch sehr viel kritischere Einschätzungen der Lage von verschiedenen Seiten gibt. Wir werten daher noch „knapp erfüllt“.
5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/ das Pressematerial hinaus.
Von der Universität von South Carolina gibt es eine zum Zeitpunkt der Sendung schon etliche Wochen zurückliegende Pressemitteilung zu den Arbeiten des Wissenschaftlers Timothy Mousseau. Der Beitrag bezieht jedoch ganz unterschiedliche Quellen ein: Neben Mousseau die IAEA und eine Expertin vom Institut für nachhaltige Energiepolitik. Damit geht er deutlich über eine Pressemitteilung hinaus.
6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.
In der Anmoderation wird erläutert, dass es sich um ein langfristiges Problem handelt: „Diese nukleare Katastrophe hat im März 2011 lediglich begonnen. Sie dauert an.“
7. Der Beitrag nennt – wo möglich – LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.
8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (global/lokal) wird dargestellt.
9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.
10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT(z.B. KOSTEN) wird einbezogen.
Zum anderen werden aber Themen wie die Dekontamination der radioaktiv verseuchten Gebiete und die Belastung des Grundwasser angesprochen, die Überwachung von Lebensmitteln aus der Region Fukushima und die ungeklärte Frage: „Wohin mit all dem Kühlwasser, das in rostenden Tanks gesammelt wird?“ Hier wären wirtschaftliche und soziale oder politische Gesichtspunkte interessant: Was kostet die Dekontamination und die Überwachung der Lebensmittel? Wirkt sich das belastete Grundwasser auf die Wasserversorgung in der Region aus? Welche Kosten sind bisher entstanden, welche zu erwarten? Wer muss dafür aufkommen? Zumindest exemplarisch wären solche Fragen anzusprechen gewesen.
Allgemeinjournalistische Kriterien
1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)
Als weitere aktuelle Probleme werden in der Anmoderation die Wirbelstürme und „sintflutartigen Regenfälle“ der vergangenen Tage genannt, die die Rückhaltebecken in Fukushima zum Überlaufen brachten, sowie ein bevorstehender Taifun, der die Lage weiter verschlimmern könnte.
Mit dem Blick auf die Folgen für Tiere wie Insekten und Vögel und die übrige Umwelt greift der Beitrag einen noch vergleichsweise wenig beachteten Aspekt auf. Hier die laufenden Arbeiten eines Wissenschaftlers darzustellen ist eine gelungene Herangehensweise.
2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)
Der Zusammenhang zwischen den vielen angesprochenen Themen – vom IAEA-Bericht über das Forschungsprojekt bis zur aktuellen Wetterlage – hätte deutlicher werden können.
Trotz dieser Schwierigkeiten vermittelt der Beitrag einen Eindruck von der Lage in Fukushima, von den Schwierigkeiten, sie richtig einzuschätzen und der Notwendigkeit unabhängiger Forschung. Wir werten noch „knapp erfüllt“.
3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)
Uns sind keine Faktenfehler aufgefallen.