Bewertet am 7. Oktober 2016
Veröffentlicht von: Sächsische Zeitung

Ein neues Forschungsprojekt soll untersuchen, wo der Plastikmüll in der Nordsee herkommt und wie er sich ausbreitet, berichtet die Sächsische Zeitung/ dpa. Dabei wird allzu viel Vorwissen der Leserinnen und Leser vorausgesetzt.

Zusammenfassung

Der Beitrag in der Sächsischen Zeitung – die leicht gekürzte Fassung eines dpa-Textes – befasst sich mit dem Problem des Plastikmülls im Meer. Im Zentrum steht ein künftiges Projekt des Instituts für Chemie und Biologie des Meeres der Universität Oldenburg, das die Ausbreitung des Plastikmülls in der südlichen Nordsee untersuchen soll, um zum Beispiel der Entstehung von Müllstrudeln und den Quellen des Mülls nachzugehen. Man erfährt, welche Fragen zu klären sind und wie die Forscher dabei vorgehen wollen. Die Informationen wurden offenbar bei einer Recherche vor Ort gewonnen.
Im letzten Teil des Textes geht es außerdem um Möglichkeiten, dem Problem des Plastikmülls zu begegnen, wobei verschiedene Optionen genannt werden. Dazu bezieht der Beitrag weitere Quellen ein.
Der Text ist leicht lesbar, setzt allerdings voraus, dass Leserinnen und Leser über die zugrunde liegende Problematik bereits informiert sind. Es fehlen vor allem Angaben zu den Schäden, die Plastikmüll anrichtet. Auch die zeitliche Entwicklung des Plastikmüll-Problems wird vernachlässigt. Positiv werten wir, dass auch Ungewissheiten deutlich gemacht werden, die bei dem Thema Plastikmüll in der Wissenschaft herrschen, und dass der Text gängigen Mythen („Plastikmüll bis zum Horizont“) entgegentritt.

Die Fassung der Sächsischen Zeitung ist nicht mehr online erreichbar, wir verlinken daher auf den fast gleichlautenden dpa-Text in der Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE ÜBERTREIBUNG / VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.

Im Zentrum des Beitrags stehen nicht die Risiken des Plastikmülls, sondern es wird ein neues Forschungsprojekt des Instituts für Chemie und Biologie des Meeres der Uni Oldenburg (ICBM) vorgestellt, das die Ausbreitung und die Herkunft von Makroplastik (Plastikpartikel ab einer Größe von fünf Millimetern) in der Nordsee untersucht. Die konkreten Risiken, die vom Plastikmüll für die Umwelt ausgehen, zum Beispiel für Lebewesen, kommen dabei nicht zur Sprache. Es wird quasi vorausgesetzt, dass jeder weiß, dass das Plastik in der Umwelt ein Problem darstellt (siehe dazu unsere Kritik beim allgemeinjournalistischen Kriterium 2, Darstellung). Daher können die Gefahren aber auch nicht übertrieben oder verharmlost werden. Risiken und Chancen der Methoden zur Müllbekämpfung werden benannt und ausgewogen dargestellt.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Es wird klar, dass es erhebliche Wissenslücken gibt, die dazu beitragen, dass sich Mythen um das Thema ranken. Die im Artikel erwähnten Fakten zur Studie werden verständlich gemacht, es wird klar, wie die Forscher vorgehen wollen. So werden die 100.000 „Holzschiffchen“ genannt, die in der Nordsee zu Wasser gelassen werden sollen und auf deren Rücksendung die Wissenschaftler setzen.
Allerdings fehlen Angaben zum Hintergrund: Weltweit würden „300 Millionen Tonnen Plastikmüll produziert“, heißt es , „schätzungsweise ein Zehntel davon gelangt jedes Jahr ins Meer“. Wer die Schätzungen vorgenommen hat, mit welchen Methoden sie ermittelt wurden, oder mit welchen Unsicherheiten sie verbunden sind, darüber erfahren Leserinnen und Leser nichts. Es wird auch nicht erläutert, dass es zu dieser Frage ganz unterschiedliche Schätzungen gibt (laut Beitrag gelangen ca. 30 Mio. Tonnen jährlich ins Meer; laut einer Science-Publikation von 2015 sind es dagegen zwischen 4,8 und 12,7 Mio. Tonnen) . Daher werten wir „knapp nicht erfüllt“.

3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ/ INTERESSENKONFLIKTE: Die Quellen für Tatsachenbehauptungen und Einschätzungen werden benannt, Abhängigkeiten und Interessenlagen deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.

Der Artikel bezieht verschiedene Quellen ein; er nennt die Wissenschaftler und die Institutionen, bei denen sie beschäftigt sind (Institut für Chemie und Biologie des Meeres der Uni Oldenburg (ICBM), Alfred Wegener Institut). Für die Schätzung der Plastikmüllmenge wird allerdings nur ein Experte (Jörg-Olaf Wolff am ICBM) genannt. Hier wäre es angesichts der unterschiedlichen Zahlen, die dazu kursieren, gut gewesen, eine weitere Quelle heranzuziehen – siehe dazu unsere Ausführungen zu Kriterium 2. Interessenskonflikte sind für uns nicht erkennbar.

4. PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.

Kontroverse Auffassungen gibt bei diesem Thema vor allem in der Frage, ob sich der Plastikmüll aktiv wieder aus dem Ozean entfernen lässt, oder ob gleich seine Entstehung oder Freisetzung vermieden werden muss. Diese Kontroverse wird in dem Beitrag kurz, aber unserer Ansicht nach angemessen dargestellt.

5. PRESSEMITTEILUNG Der Beitrag geht in seinem Informationsgehalt und in der Darstellungsweise deutlich über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus

Der Beitrag ist vor allem im ersten Teil in Form einer Reportage geschrieben, er enthält Zitate von drei Forschern aus zwei Institutionen und geht daher klar über eine Presseerklärung hinaus. Offenbar stammt ein großer Teil der Informationen von einer Vor-Ort-Recherche auf einem Forschungsschiff, wo das Projekt vorgestellt wurde. Dieses Umfeld wird beim Einstieg auch atmosphärisch aufgegriffen.

6. NEUHEIT Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes beziehungsweise neu entdecktes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik oder einen neuartigen Vorschlag zur Lösung/ Regulierung o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.

Es wird deutlich, dass das Problem des Plastikmülls in den Ozeanen seit längerem besteht (wenn auch genauere Angaben fehlen, siehe Kriterium 9), dazu aber nur begrenztes Wissen vorhanden ist. Der Artikel berichtet, dass jetzt ein neues Forschungsprojekt beginnt, das klären soll, wie sich Makroplastik in der Nordsee verteilt.

7. Der Beitrag nennt - wo möglich - LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.

Der Schwerpunkt des Beitrags liegt zwar nicht auf den Lösungsansätzen, aber sie kommen auch zur Sprache. Das betrifft sowohl die Option der aktiven Entfernung von Plastikmüll durch das Projekt „The Ocean Cleanup“, über das schon oft und kontrovers berichtet wurde, als auch die Option der Vermeidung von Plastikmüll. Hierzu zitiert der Artikel einen Wissenschaftler, der meint, dass das Problem nicht technisch, sondern nur durch Vermeidung zu bekämpfen sei.

8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (lokal/ regional /global) wird dargestellt.

Im Fokus des im Beitrag dargestellten Projekts steht die Nordsee. Es wird deutlich, dass durch das Projekt regionale Wissenslücken geschlossen werden sollen, die in Bezug auf Entstehung und Ausbreitung von Plastikpartikeln bestehen. Zugleich wird deutlich, dass es sich beim Plastikmüll in den Ozeanen um ein globales Phänomen handelt („Ein weltumfassendes System an Meeresströmungen reißt ihn mit und lässt ihn nicht mehr los.“).

9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.

Leserinnen und Leser erfahren nichts darüber, seit wann die Akkumulation von Plastik in den Ozeanen als Problem wahrgenommen wird; das allmähliche Anwachsen des Plastikmüll-Problems in den Ozeanen spricht der Artikel nicht an – welche Dynamik ist hier zu beobachten?
Die Haltbarkeit von Kunststoffen im Meer und die Frage, wie lange einmal in die Umwelt entlassener Plastikmüll dort verweilt, werden ebenfalls nicht thematisiert. Das wäre z.B. wichtig für die Frage, wie rasch sich die Vermeidung von Plastikmüll an den Küsten auf die Präsenz des Plastiks in den Ozeanen auswirken könnte.

10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT (z.B. KOSTEN) wird einbezogen.

Man erfährt, dass das Land Niedersachsen das Forschungsprojekt des ICBM mit 1,7 Mio. Euro unterstützt. Darüberhinaus sind dem Beitrag keine Informationen zum politischen, wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Kontext des Plastikmüll-Problems und seinen Lösungsansätzen zu entnehmen. Zum Beispiel wird zwar erwähnt, dass „The Ocean Cleanup“ ein Crowdfunding-Projekt ist, aber konkrete Zahlen zur eingeworbenen Summe fehlen. Über die Kosten der Verschmutzung informiert der Beitrag nicht, ebenso wenig über die ökologischen Auswirkungen.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)

Aktueller Anlass ist der bevorstehende Beginn des Forschungsprojekts in der Nordsee. Auch das derzeit laufende Wissenschaftsjahr „Meere und Ozeane“ schafft eine bedingte Aktualität. Darüber hinaus ist das Problem des Plastikmülls in den Meeren dauerhaft relevant und in den letzten Jahren zunehmend in den Medienfokus geraten.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Der Artikel ist flüssig und verständlich geschrieben, er bezieht Reportageelemente ein, hat eine nachvollziehbare Struktur und ist leicht zu lesen. Der Beitrag verzichtet weitgehend auf Fachausdrücke (bis auf die „Driftkörper“, die anschließend als „Holzschiffchen“ bezeichnet werden – tatsächlich sind es dem Bild zufolge eher Holztäfelchen). An einigen Stellen klingt der Text etwas betulich („Ihr Anliegen ist ernst: Es geht um die Zukunft des Meeres.“). Als erheblichen Mangel in der Darstellung sehen wir jedoch, dass Kenntnisse um die Umweltproblematik einfach vorausgesetzt werden. An keiner Stelle erläutert der Artikel, welche negativen Folgen der Plastikmüll hat – weder für die Tiere, die z.B. Kunststoffpartikel aufnehmen und mit Plastik-gefüllten Mägen verhungern, noch potenziell auch für Menschen, durch Mikroplastik-Partikel, die in die Nahrungskette gelangen. Auch wenn über das Thema schon häufiger berichtet wurde, wären hierzu einige kurze Informationen nötig gewesen, um den Beitrag auch für Leserinnen und Leser ohne Vorkenntnisse verständlich zu machen. Im zugrundliegenden dpa-Text gibt es zumindest einen Link zu einem entsprechenden Factsheet des Umweltbundesamts, im Zeitungsartikel fehlt diese Information.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)

Uns sind keine Faktenfehler aufgefallen.

Umweltjournalistische Kriterien: 7 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar