Ein Artikel in der WAZ berichtet über eine aktuelle Umfrage des Umfrage des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS) zur Risikowahrnehmung in der Bevölkerung. Die Ergebnisse werden korrekt wiedergegeben, jedoch fehlt eine zweite Quelle und auch sonst eine Einordnung der vielen angeführten Zahlen.
Zusammenfassung
Anlass für den WAZ–Beitrag ist eine Umfrage des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS) zum Thema „Was denkt Deutschland über Strahlenschutz?“. Es werden viele Einzelergebnisse aus der Untersuchung aufgelistet; etwas detaillierter wird auf die Gefahren durch Radon in Wohnräumen hingewiesen. Der Artikel orientiert sich stark am Pressematerial des BfS, geht allerdings an einigen Stellen über die Pressemitteilung hinaus, z.B. durch ein im Zuge der Recherche offenbar mit der BfS-Chefin geführtes Gespräch. Indes bringt dieses nur wenige zusätzliche Erkenntnisse, die Zitate wiederholen z. T. nur bereits im Text gesagtes. Das Thema Radonbelastung wird hervorgehoben, mögliche Präventivmaßnahmen sind dabei missverständlich dargestellt. Dem Beitrag lässt sich weder entnehmen, ob die gefühlte Bedrohung und die Sorgen der Befragten größer oder geringer sind als früher, noch ob / wie sich die tatsächliche Strahlenbelastung in den vergangenen Jahren verändert hat. Die gerade für die Radonproblematik relevante räumliche Dimension wird vernachlässigt. Aktuelle politische Bezüge, etwa zur Debatte um den neuen 5G-Mobilfunkstandard, werden im Beitrag nicht hergestellt. Der Artikel bleibt auf der beschreibende Ebene, eine Einordnung durch eine zweite Quelle fehlt.
Umweltjournalistische Kriterien
1. KEINE ÜBERTREIBUNG/VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.
Der Beitrag berichtet in sachlichem Ton über eine Umfrage des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS). Es werden viele Detailergebnisse aus der Untersuchung aufgelistet. Etwas ausführlicher weist der Beitrag auf die Gefahren durch Radon in Wohnräumen hin. Das Problem wird dabei weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.
2. BELEGE/EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.
Der Beitrag macht klar, dass es sich um eine Befragung des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS) handelt. Er führt eine ganze Reihe von Detailergebnissen aus der Studie an, deren Aussagekraft ausreichend deutlich wird. Am Beispiel von Radon, aber auch von Strahlenbelastung durch Mobilfunkmasten und -geräten wird dargestellt, dass ein Teil der Befragten Risiken nicht korrekt einschätzt. Leider wird im Artikel nicht erwähnt, wie viele Personen befragt wurden (2000) und ob die Stichprobe repräsentativ für die gesamte deutsche Bevölkerung ist (sie ist es). Wir werten dieses Kriterium daher nur „knapp erfüllt“.
3. EXPERTEN/QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Abhängigkeiten deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.
Der Artikel nennt das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) als Auftraggeber der Studie und zitiert dessen Präsidentin sowie den zuständigen Staatssekretär mit Stellungnahmen. Interessenkonflikte, die zu erwähnen gewesen wären, können wir hier nicht erkennen. Außer dem BfS werden allerdings keine weiteren Quellen herangezogen. Zum Thema Radon hätte beispielsweise ein Bausachverständiger Informationen beitragen können. Es wird auch nicht zum Vergleich auf frühere Umfragen zur Risikowahrnehmung verwiesen, obwohl es solche seit vielen Jahren gibt (siehe z.B. hier). Wir werten insgesamt „nicht erfüllt“.
4. PRO UND CONTRA: Es werden die wesentlichen relevanten Standpunkte angemessen dargestellt.
Thema des Beitrags ist eine repräsentative Umfrage zu den Gefahren von Strahlung. Dazu gibt es keine hier anzuführenden Pro-und-Contra-Positionen (anders als etwa zu der Frage, in welchem Maße Handystrahlung schädlich sein könnte). Wir wenden das Kriterium deshalb nicht an.
5. PRESSEMITTEILUNG: Der Beitrag geht deutlich über die Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus.
Der Beitrag stützt sich im Wesentlichen auf eine Pressemitteilung des BfS. An einigen Stellen geht er jedoch sowohl über die in der Pressemitteilung verlinkte „Kurzübersicht zur Studie“ als auch über die Pressemitteilung des BfS hinaus. So enthält der Beitrag Zitate der Präsidentin des Bundesamtes, die nicht in der Pressemitteilung vorkommen, und auch einen kurzen Abschnitt zum Thema Radonbelastung und zu möglichen Präventivmaßnahmen. Wir werten insgesamt noch „knapp erfüllt“.
6. ALT oder NEU: Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.
Es wird zwar klar, dass der Artikel über neue Umfrageergebnisse berichtet.
Leserinnen und Leser erfahren aber nicht, ob es die erste Umfrage dieser Art war, oder ob es früher schon ähnliche Befragungen gab – sei es durch das BfS oder andere Stellen (vergl. Kriterium 3). Wie der Studie selbst zu entnehmen ist, „erhebt das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) seit vielen Jahren Informationen anhand von regelmäßigen sozialwissenschaftlichen Studien zum gesellschaftlichen und individuellen Umgang mit ausgewählten Strahlenthemen sowie zur Risiko- und Informationswahrnehmung“. Nach einer Neuordnung des BfS sei der Bereich Risikokommunikation gestärkt und eine repräsentative Umfrage gestartet worden. Wie sich deren Ergebnisse zu früheren Erhebungen verhalten, ob die Befragung grundlegend Neues ergab oder eher frühere Erkenntnisse bestätigt, wird aus dem Beitrag nicht deutlich.
7. LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN/kein „Greenwashing“: Der Beitrag nennt Wege, um ein Umweltproblem zu lösen, soweit dies möglich und angebracht ist.
Im Beitrag werden Optionen dargestellt, den Radongehalt in Gebäuden zu senken („Lüften“, „Keller und Erdgeschoss abdichten“). Damit werden formal Lösungsvorschläge genannt. Allerdings sind diese nur sehr verkürzt dargestellt: Man kann entweder verhindern, dass Radon in den Keller kommt, man kann verhindern, dass es aus dem Keller ins Haus kommt, und man kann die Konzentration durch regelmäßige Belüftung senken. Die Empfehlung „undichte Stellen in Keller und Erdgeschoss abdichten zu lassen“, ist ohne nähere Erläuterung missverständlich, denn undichte Stellen (z.B. geöffnete Fenster) schaffen ja gerade Luftaustausch, so dass Radon entweichen kann. Ob Menschen in betroffenen Regionen nun Keller und Erdgeschoss lüften sollen, oder besser nicht, bleibt unklar. Nicht erwähnt wird der Hinweis des BfS: „Auch das Absaugen radonhaltiger Bodenluft unter oder neben dem Gebäude kann helfen, ebenso der Einbau technischer Lüftungsanlagen.“ Auch fehlt jeder Hinweis darauf, für wen / in welchen Regionen solche Maßnahmen insbesondere anzuraten sind (siehe auch Kriterium 8). Wir werten insgesamt „knapp nicht erfüllt“.
8. RÄUMLICHE DIMENSION (lokal/regional/global): Die räumlichen Dimensionen eines Umweltthemas werden dargestellt.
Im Artikel wird die räumliche Dimension vernachlässigt. Dies gilt insbesondere für das Thema Radon. Hier wäre ein Hinweis nötig gewesen, dass das Radon, anders als die anderen genannten Strahlungsquellen, keinen zivilisatorischen Ursprung hat, sondern eine geologische Belastung in bestimmten Regionen ist. Wichtig wäre gewesen, die regional sehr unterschiedliche Belastung durch Radon darzustellen. Die Informationen dazu sind auf den Internetseiten des BfS abrufbar. Da ganze Landstriche in Norddeutschland nur sehr geringe Radonwerte aufweisen, wäre dies eine nützliche Einordnung für viele Leserinnen und Leser gewesen.
9. ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit): Die zeitliche Reichweite eines Umweltproblems oder Phänomens wird dargestellt.
Dem Beitrag lässt sich weder entnehmen, ob sich die Strahlenbelastung der Bevölkerung in den vergangenen Jahren verändert hat, noch ob die gefühlte Bedrohung und die Sorgen der Befragten größer oder geringer sind als früher. Es wird nicht dargestellt, dass es die Radonproblematik schon immer gibt, und es wird bei den technisch bedingten Strahlenexposition nicht erläutert, wie diese sich verändern. Zu der Aussage, dass 70 Prozent der Bürger für die letzten Jahre von einer Steigerung der Strahlenbelastung ausgehen, fehlt eine Einordnung durch Fakten. Nimmt die elektromagnetische Strahlung durch immer mehr Anwendungen tatsächlich zu? Oder nimmt sie auch teilweise ab, weil die Geräte mit weniger Sendeleistung auskommen? Auch beim Thema Handystrahlung hätte ein Satz zur Entwicklung der Strahlenintensität von Geräten und Sendeanlagen dem Text gutgetan.
10. KONTEXT/KOSTEN: Es werden politische, soziale oder wirtschaftliche Aspekte eines Umweltthemas einbezogen.
Der Artikel geht nicht über die beschreibende Ebene hinaus. Eine Einordnung jenseits der BfS-Angaben fehlt. Politische Debatten, wie jene um den Ausbau des 5G-Netzes, werden nicht einmal kurz erwähnt. Der Beitrag referiert lediglich die Ergebnisse der vorgestellten Studie. Leserinnen und Leser erfahren, welcher Prozentsatz der Befragten welcher Aussage zustimmt; dabei wird aber nicht thematisiert, woher diese Einstellungen kommen oder ob sich beispielsweise die Ansichten verschiedener Bevölkerungsgruppen unterscheiden. In der Studie hätte es dazu Informationen gegeben, da viele Antworten der Befragten nach Altersgruppe, Geschlecht, Region und sogar Technikaffinität aufgeschlüsselt sind. Hier wäre beispielsweise die Expertise eines Soziologen hilfreich gewesen (siehe auch Kriterium 3). Auch die besonders hervorgehobene Radonproblematik wird nicht in den gesellschaftlichen Kontext eingeordnet. Wie etwa steht es um Radonbelastung im Zusammenhang mit der energetischen Wohnraumsanierung – nimmt sie ab, oder durch höhere Luftdichtigkeit der Gebäudehülle womöglich zu?
Allgemeinjournalistische Kriterien
1. THEMENAUSWAHL: Das Thema ist aktuell, oder auch unabhängig von aktuellen Anlässen relevant oder originell.
Das Thema „Ängste von Strahlenbelastung“ ist aktuell, weil der Artikel direkt nach der Veröffentlichung der Studie erschienen ist. Ansonsten hat das Thema keine besondere Aktualität von der Sache her. Auch wird kein Versuch unternommen, andere aktuelle Aspekte hier mit aufzunehmen – etwa die Debatte um den neuen Mobilfunkstandard 5G. Da viele Menschen von der vermeidbaren, erheblichen Belastung durch Radon noch nicht gehört haben, bietet der Beitrag einen relevanten Gebrauchswert.
2. VERMITTLUNG: Komplexe Umweltzusammenhänge werden verständlich gemacht.
Der Artikel ist sprachlich verständlich. Von der Form her ist er eher konventionell; es werden relativ viele Detailergebnisse dargestellt, oft jedoch recht lieblos aneinandergereiht. Deren Interpretation kommt zu kurz. Die Zitate sind der BfS-Präsidentin sind wenig originell und werden teilweise im Text sogar gedoppelt. („Radon kann man weder sehen, hören, noch riechen, aber es entweicht aus dem Untergrund und kann sich in Gebäuden anreichern“) Die Eigenwerbung des BfS („deutlich machen, dass bei uns verantwortungsvolle und engagierte Menschen arbeiten“) ist überflüssig und störend. Wir werten noch „knapp erfüllt“.
3. FAKTENTREUE: Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder.
Uns sind keine Faktenfehler aufgefallen.