In Regionen mit starker Luftverschmutzung seien die Todesraten durch Covid-19 deutlich erhöht, berichten zwei Studien. Ein Beitrag der dpa, der auf Stern.de erschienen ist, berichtet darüber und lässt auch kritische Stimmen zu Wort kommen.
Zusammenfassung
Ein Beitrag der dpa, der auf Stern.de erschienen ist, beschäftigt sich mit einem hochaktuellen und relevanten Aspekt der Corona-Pandemie, nämlich der Frage, ob die Luftverschmutzung in einer Region die Sterberate der Corona-Patienten erhöht. Der Text beschreibt zwei Studien, die zu dem Ergebnis kommen, dass in Regionen mit hoher Luftverschmutzung die Todesraten durch Covid-19 deutlich erhöht sind. Er schildert das Studiendesign und die Ergebnisse, wonach sowohl Stickstoffdioxid als auch Feinstaub in der Luft die Sterblichkeit erhöhen könnten. Es wird indes nicht angegeben, wie stark der mögliche Effekt ist. Der Artikel macht deutlich, dass es zu diesem Zusammenhang keinen wissenschaftlichen Konsens gibt. So kommen unabhängige Experten zu Wort, die die Ergebnisse skeptisch einordnen. Die Frage, ob die in den Studien gefundene Korrelation von starker Luftverschmutzung und hoher Covid-19-Sterblichkeit tatsächlich auf einen ursächlichen Zusammenhang hinweist, oder dem vielleicht andere, etwa soziale Faktoren zugrundeliegen, spricht der Artikel nicht an.
Aus dem Beitrag wird nicht deutlich, dass es sich bei einer der beiden Studien um eine Preprint-Veröffentlichung handelt, die noch nicht durch andere Wissenschaftler begutachtet wurde und daher mit besonderer Vorsicht betrachtet werden muss.
Hinweis: Der Originalbeitrag ist online nicht mehr abrufbar.
Umweltjournalistische Kriterien
1. KEINE ÜBERTREIBUNG/VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.
Der Beitrag berichtet über zwei Publikationen der Martin-Luther-Universität Halle Wittenberg (MLU) und der University Harvard, die jeweils einen Zusammenhang von starker Luftverschmutzung und erhöhter Sterblichkeit bei Covid-19 festgestellt haben. Dass die Ergebnisse noch nicht gesichert sind, macht bereits das Fragezeichen in der Überschrift deutlich. Der Beitrag referiert die Studienergebnisse sachlich ohne Übertreibung und Verharmlosung und zitiert auch zwei Pneumologen, die einen möglichen Zusammenhang skeptisch sehen.
2. BELEGE/EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.
Der Beitrag geht auf zwei Studien ein und macht ausreichend deutlich, wie die Daten zur Luftverschmutzung (Stickstoffdioxid bzw. Feinstaub) erhoben wurden. Er macht klar, dass es sich um vorläufige Ergebnisse handelt und weitere Forschungen nötig sind. Es fehlen indes Zahlen, die erkennen lassen, wie stark der angenommene Effekt ist. Die gefundenen Korrelationen werde nicht quantifiziert. Im Text heißt es „… dass ein kleiner Anstieg der Schadstoffbelastung in der Luft, der Menschen langfristig ausgesetzt sind, zu einem Anstieg der Covid-19-Sterbefälle führt.“ Was aber ist ein „kleiner Anstieg“, und wie groß ist dann der Anstieg bei den Sterbefällen? In der Harvard-Studie findet sich diese Angaben: „We found that an increase of only 1 g/m3 in PM2.5 is associated with a 15% increase in the COVID-19 death rate…“. Der Text weist auch nicht darauf hin, dass die Harvard-Studie zum möglichen Effekt von Feinstaub bislang nur auf einem so genannten Preprint-Server erschienen ist. Das heißt, sie hat noch keine Begutachtung durch andere Experten (Peer-Review) durchlaufen. Das schränkt die Aussagekraft ein und hätte deutlich hervorgehoben werden müssen.
3. EXPERTEN/QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Abhängigkeiten deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.
Der Text bezieht die Ergebnisse von zwei Studien verschiedener Forschungseinrichtungen ein; außerdem kommen weitere Experten mit kritischen Stellungnahmen zu Wort. Ihre Funktion und Expertise werden entsprechend eingeordnet. Interessenkonflikte, die hier hätten erwähnt werden müssen, sehen wir nicht.
4. PRO UND CONTRA: Es werden die wesentlichen relevanten Standpunkte angemessen dargestellt.
Der Beitrag berichtet einerseits über zwei Studien, die jeweils einen Zusammenhang von Luftverschmutzung und Sterblichkeit durch Covid-19 vermuten. Andererseits werden zwei Pneumologen zitiert, die einen solchen Zusammenhang eher skeptisch sehen. Damit ist ausreichend deutlich gemacht, dass in diesem Punkt keine Einigkeit in der Fachwelt herrscht. Zugleich werden auch andere Faktoren angeführt, die eventuell relevanter sind – zum Beispiel Alter und Vorerkrankungen.
5. PRESSEMITTEILUNG: Der Beitrag geht deutlich über die Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus.
Der Beitrag geht deutlich über die vorliegende Pressemeldung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hinaus, da zusätzlich eine weitere Studie beschrieben wird und zudem weitere unabhängige Experten zu Wort kommen.
6. ALT oder NEU: Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.
Da die Infektionskrankheit Covid-19 ein neues Phänomen ist, ist auch die Betrachtung von Korrelationen mit der Luftverschmutzung eine Frage, die sich erst neu stellt. Dies ist ohne weitere Ausführungen deutlich. Die neuen Studienergebnisse werden mit bereits bekanntem Wissen zur Wirkung von Luftschadstoffen auf die Lunge ergänzt.
7. LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN/kein „Greenwashing“: Der Beitrag nennt Wege, um ein Umweltproblem zu lösen, soweit dies möglich und angebracht ist.
Dieses Kriterium wenden wir in diesem Zusammenhang nicht, da es hier zunächst darum geht, den vermuteten Zusammenhang von Luftverschmutzung und Covid-19-Sterblichkeit zu darzustellen. Handlungsoptionen wären z.B. Maßnahmen zur Luftreinhaltung, doch dies darzustellen hätte den Rahmen des Artikels gesprengt.
8. RÄUMLICHE DIMENSION (lokal/regional/global): Die räumlichen Dimensionen eines Umweltthemas werden dargestellt.
Der Beitrag gibt an, auf welche Regionen sich die jeweiligen Studien beziehen, bei der MLU-Auswertung z.B. auf Italien, Frankreich, Spanien und Deutschland. Die Harvard-Studie wiederum beschäftigt sich mit verschiedenen US-Countys – um welche es genau geht, wird nicht gesagt. Die Studien suchen in den genannten Gebieten einen grundsätzlichen Zusammenhang, der – wenn er denn besteht – nicht auf bestimmte Regionen begrenzt ist. Das ergibt sich schon aus der Fragestellung und muss daher nicht explizit erwähnt werden.
9. ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit): Die zeitliche Reichweite eines Umweltproblems oder Phänomens wird dargestellt.
Der Beitrag gibt nicht an, in welchem Zeitraum die Daten erhoben wurden. Es wird also nicht deutlich, ob hier ein kurzfristiger Effekt betrachtet wird, also z.B. die Schadstoffbelastung zum Zeitpunkt der Infektion, oder um eine langfristige Betrachtung der verschiedenen Regionen. Es wird aus unserer Sicht nicht klar genug, dass es in der Studie alleine um die räumliche Variabilität der Schadstoffbelastung geht; d.h. Orte mit einer im Mittel hohen Schadstoffbelastung korrelieren mit hohen Covid-19-Todesraten. Ob es auch zu Zeiten besonders hoher Schadstoffwerte verstärkt zu Covid-19-Todesfällen kommt, wurde nicht untersucht. Dafür gibt es offenbar auch noch nicht genug Daten. Diese Unterscheidung thematisiert der Beitrag nicht. Da zudem nicht klar wird, was in diesen Studien eine „dauerhaft hohe Schadstoffbelastung“ ist, werten wir „nicht erfüllt“.
10. KONTEXT/KOSTEN: Es werden politische, soziale oder wirtschaftliche Aspekte eines Umweltthemas einbezogen.
Wir hätten erwartet, dass ein Beitrag dieser Art auch die Frage aufwirft, ob die soziodemografischen Verhältnisse an Orten starker Umweltbelastung mit jenen mit besserer Luft vergleichbar sind. Es scheint durchaus wahrscheinlich, dass an Orten hoher Luftverschmutzung auch die Bevölkerungszusammensetzung und damit die Einkommensverhältnisse und Lebensgewohnheiten, inklusive Rauchen und Ernährung, andere sind als in Regionen mit weniger Luftverschmutzung. Die Variable „Luftverschmutzung“ geht also womöglich mit anderen Ursachen für erhöhte Covid-19-Sterblichkeit einher, die Korrelation muss nicht unbedingt auf einen ursächlichen Zusammenhang hinweisen. Auch wenn beide Untersuchungen das Thema nicht vertieft behandeln, hätte man das im journalistischen Beitrag ansprechen und als Defizit der Studien benennen können.
Allgemeinjournalistische Kriterien
1. THEMENAUSWAHL: Das Thema ist aktuell, oder auch unabhängig von aktuellen Anlässen relevant oder originell.
Das Thema ist durch die aktuelle Bedeutung von Corona im öffentlichen Leben hochaktuell. Relevant ist es zudem, da die Diskussion um Zusammenhänge des Krankheitsverlaufs mit der Luftverschmutzung immer wieder auftaucht, etwa wenn es um die hohe Covid-19-Sterblichkeit in Norditalien geht.
2. VERMITTLUNG: Komplexe Umweltzusammenhänge werden verständlich gemacht.
Der Artikel ist flüssig und verständlich geschrieben. Die untersuchten Zusammenhänge werden genauso klar wie die noch offenen Forschungsfragen. Defizite der Studien hätten indes genauer erklärt werden können.
3. FAKTENTREUE: Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder.
Uns sind keine Faktenfehler aufgefallen.