Der WDR berichtet aktuell über eine Greenpeace-Studie zu Pestiziden im Apfelanbau. Auch durch das Einbeziehen weiterer Quellen wird deutlich, dass einerseits Risiken für die Umwelt bestehen, andererseits Äpfel unbedenklich gegessen werden können. Naheliegende Fragen nach den wirtschaftlichen Zusammenhängen bleiben unbeantwortet.
Zusammenfassung
Der Beitrag in der WDR-Wissenschaftssendung „Leonardo“ behandelt ein relevantes Thema: den massiven Einsatz von Pestiziden in Apfelplantagen. In einem Kollegengespräch wird eine aktuelle Greenpeace-Studie dazu vorgestellt. Deren wesentlichen Ergebnisse erklärt der Beitrag gut verständlich. Auch wurden bei der Recherche weitere Experten befragt, die Risiken des Pestizideinsatzes insbesondere für Wasserorganismen bestätigen. Zugleich wird klar, dass die Belastung der Äpfel selbst eher gering ist.
Grenzen der Greenpeace-Studie – so wurde in einigen der 12 untersuchten Ländern zahlreiche, in anderen nur vereinzelte Wasser- und Bodenproben genommen – spricht der Beitrag dagegen nicht an. Es fehlt eine Einordnung der Ergebnisse in den Zusammenhang der vielen Untersuchungen, die zum Pestizideinsatz in der Landwirtschaft und zur Belastung von Gewässern und Böden bereits vorliegen. Auch erfahren Hörerinnen und Hörer nicht, ob es regionale Unterschiede gibt (bzw. ob die Studie dazu Erkenntnisse liefern kann). Unbeantwortet bleibt die Frage nach politischen und wirtschaftlichen Zusammenhängen. Zwar kann ein fünfminütiger Beitrag nicht alle diese Aspekte erschöpfend erörtern. Doch auch wenn er sich auf wenige Punkte konzentriert, hier die Belastung für Mensch und Umwelt, sollte insbesondere der wirtschaftliche Hintergrund nicht völlig ausgeklammert bleiben.
Umweltjournalistische Kriterien
1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.
Der Hörfunkbeitrag informiert in sachlichem Ton über eine aktuelle Veröffentlichung von Greenpeace über die Belastung von Gewässern und Böden durch den Einsatz von Pestiziden auf Apfelplantagen. Im Kollegengespräch werden die Ergebnisse und deren Relevanz hinterfragt und erläutert. Dabei wird deutlich, dass zahlreiche Pestizide gefunden wurden, von denen einige problematische Folgen für die Artenvielfalt und insbesondere für sensible Wasserorganismen haben können. Doch wird auch darauf hingewiesen, dass die gemessenen Konzentrationen gering sind und dass für den Menschen keine Gefahr durch den Verzehr der Äpfel zu befürchten ist.
2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.
Hörerinnen und Hörer erfahren, dass Greenpeace Boden- und Wasserproben in Apfelplantagen genommen und ausgewertet hat. Dabei werden wesentliche Ergebnisse genannt, z.B. der Anteil belasteter Proben und die Gesamtzahl gefundener Pestizide. Im Gespräch wird sorgfältig vermieden, diese Ergebnisse aufzubauschen. Dass das Zusammenwirken mehrerer Pestizidwirkstoffe in niedriger Konzentration ein Problem darstellen könnte, macht der Beitrag deutlich, zugleich weist er aber auch auf wissenschaftliche Kenntnislücken dazu hin. Gut herausgearbeitet ist die wichtige Unterscheidung zwischen einer Belastung für die Umwelt und Risiken unmittelbar für den Menschen.
Wie viele Proben im Auftrag von Greenpeace untersucht wurden (85 Proben in 12 Ländern), und dass in einigen nur wenige Stichproben genommen wurden (z.B. kam nur eine Wasserprobe aus Spanien, alle 10 deutschen Wasser- und Bodenproben stammen aus dem Alten Land), wird allerdings nicht berichtet. Hier hätten wir uns eine kritischere Darstellung der Greenpeace-Studie gewünscht. Wir werten daher nur „knapp erfüllt“.
3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.
Es wird korrekt genannt, dass dem Beitrag eine Greenpeace-Veröffentlichung zugrunde liegt. Dabei erwähnt der Beitrag allerdings nicht, dass die Umweltorganisation dafür offenbar keine externen Wissenschaftler beauftragt hat, sondern die Analysen, soweit aus der Studie ersichtlich, von den „Greenpeace Research Laboratories“ in England durchgeführt wurden (zumindest wird im Greenpeace-Bericht kein externes Labor genannt). Als zweite, unabhängige Quelle wurden für den Beitrag indes Wissenschaftler des Umweltforschungszentrums Leipzig befragt, die bestätigen, dass es die gemessenen Pestizidmengen insbesondere für Gewässerorganismen bedenklich sind. Außerdem wird die Perspektive der Lebensmittelüberwachungsämter einbezogen.
4. PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.
Der Beitrag gibt im Wesentlichen Ergebnisse und Einschätzungen von Greenpeace wieder, die durch Aussagen von Umweltforschern aus Leipzig gestützt werden. Einschränkend wird gesagt, dass der Verzehr von Äpfeln nach Bewertung von Lebensmitteluntersuchungsämtern unbedenklich ist. Auch wird auf die Problematik hingewiesen, dass man „mit modernen Analyseverfahren immer etwas finden“ wird. Dagegen fehlt die Perspektive der Apfelbauern. Hier wäre insbesondere interessant gewesen, was diese zu den von Greenpeace vorgeschlagenen Lösungsansätzen (vergl. Kriterium 7 ) sagen. Wir werten daher „knapp nicht erfüllt“.
5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/ das Pressematerial hinaus.
Der Beitrag geht über das Pressematerial von Greenpeace eindeutig hinaus, indem er weitere Quellen (Wissenschaftler des Umweltforschungszentrums Leipzig) und Perspektiven (wie die Belastung der Äpfel) heranzieht.
6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.
Der Beitrag macht klar, dass es sich um eine neue Studie zu einem seit langem bestehenden Problem handelt. So wird im Hörfunkgespräch erwähnt, dass die Pestizidbelastung in Apfelplantagen „grundsätzlich nicht sehr überraschend“ sei, da der hohe Pestizideinsatz im Apfelanbau bekannt ist. Hier wäre es allerdings nützlich gewesen, zu erwähnen, dass die Belastung von Wasser, Böden und Obst durch Pestizide schon vielfach untersucht wurde . Inwiefern die Greenpeace-Studie hier neue Erkenntnisse liefert, hätte deutlicher werden können. Wir werten daher „knapp erfüllt“.
7. Der Beitrag nennt - wo möglich - LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.
Die Greenpeace-Studie widmet sich dem Thema ausführlich, der Radiobeitrag nennt am Ende die wesentlichen von Greenpeace geforderten Lösungsansätze, z.B. weniger Monokulturen, Nützlinge gegen Schädlinge einsetzen, widerstandsfähige Sorten züchten sowie entsprechende Forschung fördern. Wir hätten uns indes gewünscht, dass hier auch eine naheliegende Handlungsmöglichkeit für Verbraucher erwähnt würde: Den Kauf von Bio-Äpfeln, die ohne Pestizide angebaut werden. Es wäre interessant gewesen zu thematisieren, was der Verbraucher durch den Kauf von Bio-Äpfeln zur Entlastung der Umwelt mit Pestiziden beitragen kann.
8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (lokal/ regional /global) wird dargestellt.
Der Beitrag erwähnt, dass die Studie in 12 europäischen Ländern durchgeführt wurde und zählt einige Beispiele – Deutschland, Spanien, Frankreich, Griechenland – auf. Dabei geht das Gespräch aber nicht auf räumliche Besonderheiten und Zusammenhänge ein. Interessant wäre es, zu erfahren, welche Unterschiede es zwischen den verschiedenen Ländern und Regionen gibt, bzw. ob die Studie dazu Aussagen trifft. Wie viele Proben wurden in Deutschland, oder im Sendegebiet des WDR genommen? Sind Aussagen zur regionalen Belastung in Deutschland möglich? Da solche Informationen fehlen, werten wir „knapp nicht erfüllt“.
9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.
Zwar macht der Beitrag deutlich, dass es sich bei der Pestizidbelastung von Böden und Gewässern um ein grundsätzliches, langfristiges Problem in der modernen Landwirtschaft handelt, auch die Langlebigkeit von Pestiziden wird erwähnt. Der Beitrag macht zudem deutlich, dass Gegenmaßnahmen wie die Entwicklung neuer, schädlingsresistenterer Apfelsorten Zeit benötigen.
Aber es fehlen wesentliche zeitliche Angaben zur vorgestellten Studie, die nach Greenpeace-Angaben „eine Momentaufnahme“ darstellt. Dieser Fakt wird im Beitrag nicht erwähnt. Wesentlich aussagekräftiger würden die Ergebnisse, wenn man sie in einen längerfristigen Trend einordnen könnte. So erfahren Hörerinnen und Hörer nicht, ob die Pestizidbelastung im Vergleich zu früheren Messungen zugenommen hat, oder ob sie eher zurückgeht. Wir werten daher „knapp nicht erfüllt“.
10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT (z.B. KOSTEN) wird einbezogen.
Der Beitrag beschäftigt sich mit der Pestizidbelastung im Apfelanbau und den möglichen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Der politische, soziale und wirtschaftliche Kontext wird dabei weitestgehend ausgeklammert. Wie bedeutend ist die agrarindustrielle Apfelproduktion in Deutschland und Europa? Welche Zusatzausgaben entstehen durch das Sprühen? Und welche Verluste wären zu befürchten, wenn keine Pestizide eingesetzt würden? Wie sieht die finanzielle und ökologische Bilanz bei Bio-Apfelplantagen aus? Wie groß ist der Anteil der Bio-Äpfel am Gesamtmarkt? Und aus Verbrauchersicht: Was kostet ein herkömmlich produzierter Apfel im Gegensatz zu Bio-Obst? Was bedeutet die Belastung von Böden und Gewässern für die Gesellschaft, welche Folgekosten entstehen? Zumindest die eine oder andere dieser Fragen hätte unseres Erachtens exemplarisch angesprochen werden sollen.
Allgemeinjournalistische Kriterien
1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)
Das Thema ist relevant, denn es betrifft der Deutschen liebstes Obst. Aufgrund der Greenpeace-Veröffentlichung ist das Thema auch aktuell.
2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)
Die journalistische Form – das Kollegengespräch – ist für das Thema angemessen und interessant. Im Gespräch gelingt es, die wichtigsten Fragen zu klären, die Zusammenhänge werden gut verständlich präsentiert.
3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)
Uns sind keine Faktenfehler aufgefallen.