Bewertet am 7. Februar 2020
Veröffentlicht von: dpa | Focus Online
Zwei Studien über die Treibhaus-Wirkung von Ozon-abbauenden Chemikalien in der Arktis sowie über hohe Konzentrationen von ebenfalls schädlichen Ersatzstoffen werden von der dpa in einem interessanten Dossier aufgegriffen. Focus Online stellt dem weitgehend sachlichen Text leider einen irreführenden Vorspann voran.

Zusammenfassung

Focus Online greift einen Text der dpa auf und berichtet über neue Erkenntnisse zur klimaschädlichen Wirkung von Ozon-abbauenden Substanzen, speziell in der Arktis, und deren Ersatzstoffen. Der Bericht basiert auf zwei aktuellen Studien. Zum einen beschreiben Wissenschaftler, dass ein erheblicher Anteil der arktischen Erwärmung von 1955 bis 2005 auf Ozon-abbauende Substanzen (u.a. Fluorchlorkohlenwasserstoffe, FCKW) zurückzuführen war. Diese wurden 1989 durch das Montreal-Abkommen verboten. Zum anderen hat ein anderes Wissenschaftlerteam festgestellt, dass der Anteil von bestimmten Ersatzstoffen, die wegen ihrer klimaschädlichen Wirkung mittlerweile ebenfalls reguliert wurden, in der Atmosphäre nicht wie erwartet sinkt. Offenbar haben vor allem China und Indien ihre Zusagen zur Reduzierung nicht eingehalten. Der Beitrag nennt viele interessante Fakten; indes werden durch die alarmistische Überschrift und einen fehlerhaften Vorspann, die Focus Online dem dpa-Text hinzufügt, Leserinnen und Leser auf eine falsche Fährte geführt. Hier wird suggeriert, dass die Forscher bis jetzt etwas völlig übersehen hätten, dass erheblich zur Klimaerwärmung beiträgt. Doch weder schlugen die Forscher Alarm, noch wurde die Treibhauswirkung der FCKW jetzt erst entdeckt, ebensowenig die klimaschädlichen Eigenschaften der Ersatzstoffe. Dass es sich hier um altbekannte Fakten handelt, erfährt man leider zu spät im Text.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE ÜBERTREIBUNG/VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.

Über weite Passagen berichtet der Beitrag in sachlichem Ton über zwei Studien zu den Auswirkungen von ozonabbauenden Substanzen (englisch: Ozone Depleting Substances, kurz: ODS) und deren Ersatzstoffen auf die Erderwärmung. Allerdings sind die Überschrift und der Vorspann (die im zugrunde liegenden dpa-Text nicht enthalten sind) übertrieben und inhaltlich irreführend. So heißt es „Forscher schlagen Alarm“ – tatsächlich berichten Wissenschaftler in der Fachzeitschrift Nature Climate Change sachlich über den Effekt von ODS auf die Erderwärmung; dabei geht es darum, die bekannte Erwärmung insbesondere über der Arktis besser zu erklären, nicht darum, von neuen Gefahren zu warnen. Im Vorspann wird dann der Eindruck erweckt, die klimaschädliche Wirkung dieser Gase sei gerade erst entdeckt worden. Das ist sachlich falsch. Auch wenn später im 6. Absatz des Beitrags klargestellt wird, dass „die klimaschädigende Wirkung der ozonabbauenden Substanzen bereits bekannt“ war, ist der Gesamteindruck des Beitrags durch den irreführenden Beginn unangemessen alarmistisch.

2. BELEGE/EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Der Artikel schildert im Wesentlichen die Ergebnisse zweier Studien. Er geht auf die Methodik ein, in einem Fall die Anwendung von Klimamodellen, im anderen Fall konkrete Messungen. Auch die Grenzen des Wissens werden genannt – etwa dass unklar ist, warum die Effekte in der Arktis besonders stark sind.
Indes ordnet er einige Ergebnisse missverständlich ein. Der Einfluss der Ozon-abbauenden Substanzen wird so dargestellt, als wäre deren Beitrag zur globalen Erwärmung – im betrachteten Zeitraum fast ein Drittel – höher als bislang bekannt. Dagegen schreiben die Forscher: „These Facts are well established, and the important contribution of ODS to global warming has previously been noted.“ Sie beziehen sich dabei auf Fachpublikationen aus 2007 und 2011. Dass dieser Anteil in der Arktis zeitweilig höher ausfällt und bei rund 50 % der Erwärmung zwischen 1955 und 2005 liegt, ist das zentrale Ergebnis der Studie. Dies wird im Beitrag nicht klar genug herausgearbeitet. Es kann sogar der Eindruck entstehen, dass die bisher in der Klimawissenschaft geltenden Erwärmungsprognosen abgeschwächt werden müssten. Diese Relativierung kann sich aber allenfalls auf die außergewöhnlich starke Erwärmung der Arktis beziehen, da der errechnete Beitrag der ODS im globalen Maßstab die bisherigen Erkenntnisse bestätigt.

Die klimaschädliche Wirkung der Ersatzstoffe für FCKW wird nicht angemessen eingeordnet – Laut Fachartikel entsprechen diese zusätzlichen Treibhausgasemissionen von 2015 bis 2017 etwa den Emissionen Spaniens in 2017 (in diesem Jahr stand Spanien im Ländervergleich der Treibhausgasemissionen an 14. Stelle).

3. EXPERTEN/QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Abhängigkeiten deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.

Der Artikel weist auf die zugrunde liegenden Studien hin, verlinkt eine von beiden und nennt die Forscher und ihre Institutionen. Zudem kommt ein Experte, der nicht an den Studien beteiligt war, mit seinen Einschätzungen zu Wort. Auch Untersuchungen der Umweltorganisation Environmental Investigation Agency (EIA) werden angeführt. Besondere Interessenkonflikte, die zu nennen wären, können wir nicht erkennen.

4. PRO UND CONTRA: Es werden die wesentlichen relevanten Standpunkte angemessen dargestellt.

Zum Beitrag von Ozon-abbauenden Substanzen und deren Ersatzstoffen auf die Erderwärmung gibt es unseres Wissens keine Pro-und-Contra-Positionen, die hier genannt werden müssten. Wir wenden das Kriterium deshalb nicht an.

5. PRESSEMITTEILUNG: Der Beitrag geht deutlich über die Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus.

Der Artikel führt die Ergebnisse von zwei Studien zusammen und ordnet das Ganze kurz  in den politische Hintergrund des Montrealer Abkommens ein. Auch kommt ein Experte, der nicht an den Untersuchungen beteiligt war, mit seinen Einschätzungen zu Wort. Der Beitrag geht also weit über die Pressemitteilungen hinaus.

6. ALT oder NEU: Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.

Dem Beitrag ist zu entnehmen, dass es sich bei der ersten beschriebenen Studie um eine neue Untersuchung handelt, die ein seit langem bestehendes Problem näher beleuchtet. Die Einordnung erfolgt beim Thema der FCKW ganz konkret, wenn auch sehr spät im Beitrag, nachdem Anfangs ein anderer Eindruck erweckt wird (dies haben wir beim Kriterium 2 berücksichtigt): „Neu ist die Fokussierung der Forscher auf einen Zeitraum von 50 Jahren und auf die arktische Region.“ Für die zweite Studie, die den Anstieg der HFC-23-Konzentration in der Atmosphäre beschreibt, stellt der Beitrag ebenfalls korrekt dar, dass es sich um eine neue Entwicklung handelt.

7. LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN/kein „Greenwashing“: Der Beitrag nennt Wege, um ein Umweltproblem zu lösen, soweit dies möglich und angebracht ist.

Bei den FCKW existiert eine Lösung bereits: Das Montrealer Abkommen sorgt dafür, dass die Konzentration der Stoffe sinkt: „Etwa 50 Jahre wird es diese Stoffe noch geben, dann wird zumindest ihr Beitrag zur Klimaerwärmung verschwunden sein.“ Auch die HFC sind mittlerweile im Montrealer Abkommen berücksichtigt – hier geht es darum, die Vereinbarung auch umzusetzen. Im Fall der gestiegenen Emissionen von HFC-23 wären bessere Kontrollmechanismen eine Handlungsoption, über die aber nicht berichtet wird. Da wir sehen, dass eine ausführliche Darstellung dieser Fragen den Rahmen des Artikels sprengen könnte, werten wir das Kriterium insgesamt noch als „knapp erfüllt“.

8. RÄUMLICHE DIMENSION (lokal/regional/global): Die räumlichen Dimensionen eines Umweltthemas werden dargestellt.

Es wird klar, dass es sich um ein globales Problem mit besonders starken Auswirkungen in der Arktis handelt. Für die Ozon-abbauenden Substanzen wird die Differenzierung zwischen globaler und arktischer Erwärmung angesprochen, für die Emissionen von HFC-23 werden die Hauptverursacher China und Indien benannt. Zusätzlich wäre es interessant gewesen, für die Fluorkohlenwasserstoffe (HFC) die regionale Verlagerung der Emissionen von den Industrieländern in Entwicklungsländer nachzuzeichnen.

9. ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit): Die zeitliche Reichweite eines Umweltproblems oder Phänomens wird dargestellt.

Dem Beitrag lässt sich entnehmen, dass die Herstellung und Freisetzung von Ozon-abbauenden Substanzen (ODS) und Fluorkohlenwasserstoffen (HFC) seit den 1980er Jahren reglementiert, reduziert und überwacht werden. Außerdem wird deutlich, dass die ODS durch ihre vergleichsweise kurze Lebensdauer zukünftig einen geringeren Beitrag zur Erderwärmung leisten werden. Der Artikel gibt an, für welchem Zeitraum die Klimamodelle ausgewertet wurden (1955-2005). Klarer hätte allerdings dargestellt werden können, dass sich die Untersuchung zu den ODS nur auf die Zeit von 1955 bis 2005 bezieht, die bereits vor diesem Zeitraum stattgefundene arktische Erwärmung davon also nicht berührt ist.
Bei der Darstellung der Studie zu HFC sind die Angaben ungenauer, es wird aber der „Rekordwert“ von 2018 genannt.

10. KONTEXT/KOSTEN: Es werden politische, soziale oder wirtschaftliche Aspekte eines Umweltthemas einbezogen.

Der Beitrag spricht mit dem Montrealer Protokoll den politischen Hintergrund an, und nennt fehlende Sanktionsmaßnahmen bei Verstößen als Problem. Kosten, wirtschaftliche und soziale Aspekte werden dagegen nicht erwähnt. Speziell für die Fluorkohlenwasserstoffen (HFC) liefert schon die Originalveröffentlichung etliche Ansätze dazu – so mit dem Zusammenhang der globalen Emissionen mit den UNFCCC Mechanismen für umweltverträgliche Entwicklung (Clean Development Mechanism, CDM siehe z.B. hier und hier ). Da der Beitrag diesen wichtigen Punkt nicht aufgreift, werten wir „knapp nicht erfüllt“.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. THEMENAUSWAHL: Das Thema ist aktuell, oder auch unabhängig von aktuellen Anlässen relevant oder originell.

Der Artikel berichtet über neue Forschungsergebnisse zu einem aktuellen und relevanten Thema. Der Artikel ist direkt nach den Veröffentlichung der Studien erschienen. Dass der Klimawandel zudem momentan stark im Fokus der Öffentlichkeit steht, verleiht dem Beitrag zusätzliche Relevanz.

2. VERMITTLUNG: Komplexe Umweltzusammenhänge werden verständlich gemacht.

Der Artikel ist weitgehend sprachlich verständlich und gut lesbar, auch wenn es einige stilistische Ausrutscher gibt ( z.B. „warum der Stoff in der Atmosphäre seit 2012 langsamer sinkt“ – es sinkt die Konzentration des Stoffs).

3. FAKTENTREUE: Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder.

Eine kleine Ungenauigkeit gibt es bei der Verwendung des Begriffs „Fluorchlorkohlenwasserstoffe, FCKW“. Er wird anfangs einmal eingeführt, anschließend ist nur noch von „Substanzen“ die Rede. In der Studie zur Arktis-Erwärmung werden jedoch nicht nur die FCKW einbezogen, sondern auch weitere Chemikalien, darunter HFC-23, das – wie in der zweiten Studie beschrieben – nicht zurück geht, sondern sogar ansteigt.

Wie in der Bewertung des umweltjournalistischen Kriteriums 2 dargelegt, ist die Darstellung, welche Erkenntnisse der Studie zu den ODS wirklich neu sind, widersprüchlich – zunächst scheint deren klimaschädliche Wirkung neu entdeckt worden zu sein, erst viel später im Text wird klar, dass diese bereits bekannt war. Da dies immerhin noch richtig gestellt wird, werten wir bei der Faktentreue noch „knapp erfüllt“.

Umweltjournalistische Kriterien: 6 von 9 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 3 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar