Der Schadstoffausstoß chinesischer Kraftwerke ging in den letzten Jahren zurück, ergab die Auswertung eines neu aufgebauten Messnetzes. Ein Spiegel Online-Beitrag berichtet über eine aktuell dazu publizierte Studie, verwirrt aber mit Aussagen zu Treibhausgasen, die in der Fachpublikation gar nicht vorkommen.
Zusammenfassung
Ein Beitrag auf Spiegel Online berichtet über eine aktuelle Studie zur Entwicklung der Luftverschmutzung in China. Laut dem Fachaufsatz, der in „Nature Energy“ erschienen ist, verringerte sich bei chinesischen Kraftwerken der Ausstoß der Schadstoffe Schwefeldioxid, Stickoxide und Feinstaub von 2014 bis 2017 deutlich. Der journalistische Beitrag berichtet dies korrekt, die Einordnung der Ergebnisse durch eine unabhängige Quelle fehlt jedoch. Räumliche und zeitliche Aspekte sind ausreichend genau dargestellt. Dagegen sagt der Text nichts zu den Handlungsansätzen, die der Studie zufolge dazu geführt haben, dass die Schadstoffemissionen innerhalb relativ kurzer Zeit zurückgingen. Unzutreffend ist die Aussage, die Studie würde über den Rückgang von Treibhausgasen aus den Kraftwerken berichten. Dieser Faktenfehler führt zur Abwertung.
Umweltjournalistische Kriterien
1. KEINE ÜBERTREIBUNG/VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.
Der Online-Beitrag gibt korrekt die Ergebnisse der Studie wieder, denen zufolge die Konzentration von Luftschadstoffen in den Abgasen chinesischer Kraftwerke im Untersuchungszeitraum 2014 bis 2017 deutlich gesunken ist. Wir hätten uns allerdings eine Einordnung gewünscht, die die immer noch starke Luftverschmutzung in vielen Regionen Chinas erwähnt, oder z.B. die eher zunehmenden Probleme mit bodennahem Ozon. Falsch ist die Aussage im Beitrag, die Studie hätte einen Rückgang von Treibhausgasen gezeigt – siehe dazu Kriterium 2 und das allgemeinjournalistische Kriterium 3, Faktentreue. Wir werten insgesamt noch „knapp erfüllt“.
2. BELEGE/EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.
Im Zentrum der Studie steht der Aufbau eines Messnetzes, das den Großteil der Wärmekraftwerke (vor allem Kohlekraftwerke) in China erfasst und dort stündlich die Luftschadstoffe in den Abgasen misst. Dies wird im Beitrag erst gegen Ende erwähnt und nicht ausreichend erläutert. Ob die verminderten Emissionen dazu geführt haben, dass nun in mehr Orten die eingangs erwähnten Höchstwerte für Luftschadstoffe eingehalten werden, bzw. ob es dazu Untersuchungen gibt, bleibt offen.
Auch verwirrt der Text hinsichtlich der Frage, was überhaupt gemessen wurde – mal ist von Luftschadstoffen, mal von Treibhausgasen die Rede. Dann werden wieder die Schadstoffe (Schwefeldioxid, Stickoxide und Feinstaub) einzeln benannt, so dass Leserinnen und Leser den Eindruck gewinnen könnten, dies seien Treibhausgase. Verstärkt wird dieser falsche Eindruck durch den Satz „Chinas Bemühungen dürften auch dem Klima guttun“ – dazu macht die Studie keinerlei Aussagen.
3. EXPERTEN/QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Abhängigkeiten deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.
Die Hauptquelle – ein Fachbeitrag im Journal „Nature Energy“ – ist genannt und verlinkt. Der zitierte Mitautor Zhifu Mi ist korrekt dem University College London zugeordnet. Es fehlt die Information, dass mehrere chinesische Institutionen beteiligt waren, u.a. das China National Environmental Monitoring Center des Ministry of Environmental Protection, Beijing. Informationen zur Finanzierung der Studie, die im Fachbeitrag aufgeführt sind, enthält der Artikel nicht. Weitere Quellen werden nur indirekt einbezogen, durch die Verlinkung auf frühere Beiträge im gleichen Online-Medium. Eine Einordnung der aktuellen Studienergebnisse durch eine unabhängige Quelle fehlt. Insgesamt werten wir daher „knapp nicht erfüllt“.
4. PRO UND CONTRA: Es werden die wesentlichen relevanten Standpunkte angemessen dargestellt.
Ob Luftschadstoffe zu- oder abnehmen, lässt sich nicht in einem Pro und Contra fassen. Eine Auseinandersetzung wäre beispielsweise möglich zu Frage, ob die Methodik der Studie geeignet ist, um die getroffenen Aussagen zu machen. Darum geht es in dem Text aber nicht. Deshalb wenden wir das Kriterium nicht an.
5. PRESSEMITTEILUNG: Der Beitrag geht deutlich über die Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus.
Der Beitrag geht insofern über die Pressemitteilung hinaus, als er die frühere Berichterstattung des Mediums über Luftschadstoffe und Treibhausgase in China einbezieht und verlinkt.
6. ALT oder NEU: Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.
Dass Luftverschmutzung in China kein neues Problem ist, spricht der Beitrag zumindest allgemein an. Etwas vage bleibt er hinsichtlich der verschärften Umweltbestimmungen und des Neuigkeitswertes der Messungen. Dass 2014 neue Emissionsstandards eingeführt wurden, und zugleich offenbar ein neues Netzwerk von Messtationen aufgebaut wurde, um die vorgesehene Umsetzung bis 2020 zu überprüfen, wird im Text nicht recht deutlich. Eher allgemein heißt es, es seien erstmals die Daten des neuen Emissionsüberwachungssystems CMES genutzt worden. Wir werten noch „knapp erfüllt“.
7. LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN/kein „Greenwashing“: Der Beitrag nennt Wege, um ein Umweltproblem zu lösen, soweit dies möglich und angebracht ist.
In der Studie wird eine Reihe von Maßnahmen genannt, die während des Untersuchungszeitraums zur Reduzierung der Luftschadstoffe beigetragen haben (Ersatz von alten, weniger effektiven Kraftwerken durch neue, Schließung kleiner Anlagen mit besonders hohem Schadstoffausstoß, Installation von Entschwefelungsanlagen, bessere Staubfilter…). Im journalistischen Text sind solche Handlungsoptionen kein Thema. Lediglich im letzten Satz ist ohne jede Konkretisierung von „weiteren Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen“ die Rede.
8. RÄUMLICHE DIMENSION (lokal/regional/global): Die räumlichen Dimensionen eines Umweltthemas werden dargestellt.
Es wird klar, dass sich die Studie und damit der Text auf ganz China bezieht. Regionale Differenzierungen, wie sie in der Studie enthalten sind, fehlen im journalistischen Beitrag. Diese sind aber für Leserinnen und Leser in Deutschland auch weniger relevant.
9. ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit): Die zeitliche Reichweite eines Umweltproblems oder Phänomens wird dargestellt.
Der Text nennt die Laufzeit der Studie (2014 bis 2017) und erläutert: „Hinter den geringeren Emissionen steckt ein Programm, das vorsieht, bis 2020 die Luftschadstoffe weiter zu reduzieren.“ Im Hinblick auf CO2-Emissionen erfahren Leserinnen und Leser, dass die Chinesen Ziele möglicherweise früher als geplant erreichen könnten. Auch wenn wir uns hier eine Einordnung gewünscht hätten, sehen wir das Kriterium für eine solchen eher kürzeren Text insgesamt erfüllt.
10. KONTEXT/KOSTEN: Es werden politische, soziale oder wirtschaftliche Aspekte eines Umweltthemas einbezogen.
Zwar wird die Plan-Wirtschaft angesprochen und einem „Plan-Umweltschutz“ gegenüber gestellt – aber Erläuterungen zu diesem Konstrukt fehlen. Es heißt lediglich, die kommunistische Führung habe „umgedacht“. Welche politischen und ökonomischen Ursachen dazu beigetragen haben könnten, erwähnt der Beitrag nicht. Welche Kosten verursacht die Luftverschmutzung – etwa durch die Beeinträchtigung der Gesundheit vieler Menschen? Welche Investitionen erfordert die Umrüstung der Kraftwerke? Wie groß ist der öffentliche Druck angesichts der gravierenden Luftverschmutzung? Auch wenn ein solcher eher kurzer Beitrag diese Fragen nicht umfassend beantworten kann, hätten wir doch zumindest exemplarisch Hintergrundinformationen erwartet.
Allgemeinjournalistische Kriterien
1. THEMENAUSWAHL: Das Thema ist aktuell, oder auch unabhängig von aktuellen Anlässen relevant oder originell.
Der Fachartikel ist am Tag vor Erscheinen des Online-Beitrags erschienen, der Beitrag somit tagesaktuell. Die Studie ist interessant, weil sie erstmals reale Messergebnisse eines neuen kontinuierlichen Messnetzes für Luftschadstoffe in China auswertet und zudem die Wirksamkeit von strikteren Grenzwerten untersucht.
2. VERMITTLUNG: Komplexe Umweltzusammenhänge werden verständlich gemacht.
Der Text ist leicht lesbar. Der Einstieg zieht ins Thema, es gibt einen nachvollziehbaren Spannungsbogen bis zum Schluss. Unnötiges Fachvokabular vermeidet der Beitrag. Verwirrend ist indes die Vermengung von Luftverschmutzung und Klimaproblematik, siehe dazu Kriterium Faktentreue.
3. FAKTENTREUE: Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder.
Im Beitrag heißt es zur vorgestellten Studie: „Das Ergebnis: Laut Zhifu Mi vom University College London ist der Treibhausgasausstoß solcher Wärme- und Energieerzeuger zwischen 2014 und 2017 stark zurückgegangen.“ In der vorgestellten Studie wurde aber der Ausstoß von Treibhausgasen bzw. deren Rückgang gar nicht untersucht, es ging ausschließlich um Luftschadstoffe. Damit wird das Ergebnis der Studie grob irreführend dargestellt.
Umweltjournalistische Kriterien: 5 von 9 erfüllt
Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt
Wegen des gravierenden Faktenfehlers werten wir um einen Stern ab.