Bewertet am 11. Mai 2017
Veröffentlicht von: Ostsee-Zeitung

Im Futter für Lachse in Aquakulturen könnte künftig Öl aus Algen das bislang benötigte Fischöl ersetzen. Das ist einer Pressemitteilung der Unternehmen Evonik und Royal DSM zu entnehmen, die von der Ostsee-Zeitung aufgegriffen wird. Obwohl der Artikel mehrere weitere Quellen einbezieht, gelingt die Einordnung des Vorhabens – vor allem in den wirtschaftlichen Kontext – nur unvollkommen.

Zusammenfassung

Ein Artikel in der Ostsee-Zeitung berichtet, dass ein Durchbruch bei der Produktion von Ölen aus Meeresalgen geschafft sei. Dieses könnte künftig bei der Lachszucht in Aquakulturen als Futtermittel eingesetzt werden, sodass diese teure Zutat nicht mehr aus anderem Fisch gewonnen werden müsste. Allerdings wird nicht erläutert, wie groß der Effekt auf Fischbestände sein könnte. Neben der Pressemitteilung des Herstellers werden weitere Quellen herangezogen, doch hinterfragt der Artikel deren Aussagen, etwa von Greenpeace zum Antibiotika-Einsatz in der norwegischen Lachszucht, nicht. Auch für andere Aussagen fehlen Belege. Vor allem vermissen wir bei einem Thema mit so großer kommerzieller Bedeutung eine Einordnung in den wirtschaftlichen Kontext – weder wird die Bedeutung der Aquakultur für die weltweite Fischproduktion klar, noch erfahren Leserinnen und Leser, dass die Preise für Fischöl durch klimabedingte Rückgänge des Fischfangs stark gestiegen sind.

Hinweis: Der Originalartikel ist online leider nicht mehr verfügbar.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE ÜBERTREIBUNG/VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.

Die Ernährung von Fischen in Aquakultur ist einer von mehreren Faktoren, die die Umweltbilanz der Fischzucht bestimmen. Allerdings scheint uns die Erwartung, dass der Ersatz von Fischmehl und Fischöl in der Lachszucht durch Öl aus Meeresalgen die Überfischung stoppen könnten, doch überzogen. Evonik und die amerikanische Partnerfirma erklären selbst: „Die jährliche Produktion könne ‚anfangs etwa 15 Prozent der aktuellen Jahresnachfrage‘ in der Lachsindustrie decken.“  Die Fabrik soll frühestens 2018 in Betrieb gehen. Im Text fehlt jede Einschätzung, wie groß der Beitrag zur Schonung der Fischbestände sein könnte. Stattdessen ist einerseits von einem „Durchbruch“ die Rede, anderseits heißt es vage, das Verfahrenn sei nach Angaben von  Greenpeace „ein Beitrag, um überfischte Speisefischbestände zu schonen.“
Problematisch erscheint uns zudem die Darstellung, die Nutzung von Antibiotika in der Aquakultur würde beispielsweise in Norwegen „an den Küsten ganze Ökosysteme zerstören“. In Norwegens Aquakultur-Industrie wurden seit den frühen Neunzigerjahren Antibiotika in der Aquakultur weitgehend durch Impfungen ersetzt (anders als etwa im zu Recht genannten Chile, wo jährlich nicht rund 500 kg wie in Norwegen, sondern 500 TONNEN Antibiotika eingesetzt werden, siehe hier und  hier). Aquakultur birgt zweifellos viele Risiken, die Darstellung zum Antibiotikaeinsatz im Artikel scheint uns im Bezug auf Norwegen jedoch übertrieben. Zudem fehlt jeder Hinweis, welche Risiken eine Algenproduktion im großen Stil mit sich bringen könnte – wie sieht es etwa mit invasiven Arten und unerwünschte Algenblüten aus?

2. BELEGE/EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Für viele Aussagen im Beitrag fehlen Belege – so verlässt sich der Beitrag bei der Behauptung „Mit dem Einsatz von Öl aus natürlichen Meeresalgen ‚können erstmals Omega- 3-Fettsäuren für die Tierernährung ohne Fischöl aus gefangenem Wildfisch hergestellt werden‘“ offenbar allein auf die Pressemitteilung des Herstellers (siehe dazu auch Kriterium 6, Neuheit). Ebenso bei der Angabe zum Unternehmen Evonik („nach eigenen Angaben ein weltweit führendes Unternehmen der Spezialchemie“). Die Zerstörung der norwegischen Küsten durch Antibiotika-Einsatz in der Aquakultur wird behauptet, ohne dazu andere Belege als eine Einschätzung von Greenpeace heranzuziehen. Für die positiven Auswirkungen von Omega-Fettsäuren auf die Gesundheit werden ebenfalls keine Belege genannt. Auch die Behauptung, dass zu kommerziellen Zwecken Algenblüten im offenen Meer erzeugt würden, ist ohne nähere Angaben nicht zu überprüfen.

3. EXPERTEN/QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Abhängigkeiten deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.

Im Text werden mehrere Quellen zitiert: Evonik-DSM mit der Ankündigung, eine Omega-3-Öl-Fabrik auf Algenbasis zu bauen, eine Einschätzung von Greenpeace (zu der wir uns allerdings eine weitere Quelle gewünscht hätten, siehe auch Kriterium 1), und Professorin Petra Wolf von der Uni Rostock, die ebenfalls versucht, Algenöl für die Fischzucht nutzbar zu machen. Wolf spricht von künstlichen Algenblüten, um die Nachfrage zu befriedigen, aber auch von kontrollierter Züchtung – hier hätten wir Nachfragen beispielsweise zu den Risiken künstlicher Algenblüten im offenen Meer erwartet. Eine weitere Quelle ist ein Wissenschaftler von einer Landesforschungsanstalt für Fischerei, (gemeint ist die von Mecklenburg-Vorpommern, wie die Recherche des Medien-Doktors ergeben hat): Der Leiter der Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei, Carsten Kühn, kenne dazu keine Studien.  Das klingt nach kritischer Distanz – indes fehlt der Hinweis, dass die Landesforschungsanstalt in diesem Projekt mit den Rostocker Forschern zusammenarbeitet. Daher werten wir nur „knapp erfüllt“.

4. PRO UND CONTRA: Es werden die wesentlichen relevanten Standpunkte angemessen dargestellt.

Die Kritik an der Aquakultur wird ebenso erwähnt wie die Hoffnungen, die in sie gesetzt werden. Zum Ersatz von Fischöl durch Öl aus Algen werden keine Contra-Positionen angeführt; indes ist uns dazu auch keine Kontroverse bekannt, die hier hätte dargestellt werden müssen.

5. PRESSEMITTEILUNG: Der Beitrag geht deutlich über die Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus.

Für den Beitrag wurden offenbar zwei Pressemitteilungen – von den Herstellern des Algenöls und von der Universität Rostock – herangezogen. Außerdem werden Aussagen von Greenpeace und von der Landesforschungsanstalt Mecklenburg-Vorpommern angeführt. Damit geht der Beitrag über die vorliegenden Pressemitteilungen klar hinaus.

6. ALT oder NEU: Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.

Es wird aus dem Text nicht deutlich, ob es sich um einen wissenschaftlichen „Durchbruch“ oder um die erste kommerzielle Umsetzung in der Fischzucht handelt. Nach den Angaben von Evonik und DSM scheint es eher um Letzteres zu gehen. Allerdings wird Omega-Fettsäuren-haltiges Öl aus Mikroalgen schon 2007 erwähnt.
Es fehlt zudem der Hinweis, dass auch mit Rapsöl schon länger an Möglichkeiten gearbeitet wird, Fischöl zu ersetzen, siehe z.B. hier. Der Beitrag erweckt den falschen Eindruck, dass jetzt erstmals eine Alternative zum Fischöl für Futtermittel vorgestellt werde.

7. LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN/kein „Greenwashing“: Der Beitrag nennt Wege, um ein Umweltproblem zu lösen, soweit dies möglich und angebracht ist.

Der Beitrag stellt Ansätze dar, Algen statt Fisch-Wildfänge in der Aquakultur als Futterquelle zu nutzen. Es fehlt indes eine Diskussion zu der Frage, wie realistisch diese Option ist, oder ob Algenöl womöglich eher direkt in die Nahrungsergänzungsmittelproduktion eingebracht wird (siehe Kriterium 10). Auch fehlt jeder Hinweis darauf, dass es seit längerem Standards und Zertifizierungsverfahren gibt, um die Fischproduktion in Aquakulturen nachhaltiger zu gestalten. Wir werten daher nur „knapp erfüllt“.

8. RÄUMLICHE DIMENSION (lokal/regional/global): Die räumlichen Dimensionen eines Umweltthemas werden dargestellt.

Erwähnt wird die Lachszucht in Norwegen und in Chile. Damit wird zwar angedeutet, dass dies ein globales Thema sein könnte, doch warum gerade diese beiden Länder genannt werden, erschließt sich aus dem Artikel nicht. Wo in welchem Umfang Fisch in Aquakultur produziert wird, und dass China der mit Abstand größte Aquakultur-Produzent der Welt ist, erfahren Leserinnen und Leser nicht. Offen bleibt auch, welchen Stellenwert die Aquakultur in Deutschland hat und wie hoch der Anteil am Fischkonsum hierzulande ist.

9. ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit): Die zeitliche Reichweite eines Umweltproblems oder Phänomens wird dargestellt.

Der Beitrag bietet keinerlei zeitliche Orientierung: Weder wird erwähnt, wie stark die Aquakultur-Produktion zuletzt gestiegen ist, noch wie sich der Fischöl-Verbrauch entwickelt hat. Selbst die in der Pressemitteilung der beiden Firmen enthaltene Jahreszahl 2018 als Beginn der Produktion des Algenöls fehlt.

10. KONTEXT/KOSTEN: Es werden politische, soziale oder wirtschaftliche Aspekte eines Umweltthemas einbezogen.

Es wird erwähnt, dass Fischmehl und -öl die teuersten Substanzen im Fischfutter seien, doch jede weitere Information zur wirtschaftlichen Dimension fehlt. Weder gibt es einen Hinweis auf die Bedeutung der Fischmehl-/Fischöl-Fischerei, noch auf den Anteil der Aquakultur an der Fischproduktion; nach Angaben der UN-Agrarorganisation FAO wird bereits mehr als die Hälfte des verkauften Fischs in Aquakultur herangezogen. Bei der FAO sind neben grundlegenden Informationen zur Bedeutung der Aquakultur auch Angaben über den Markt für Fischmehl und Fischöl verfügbar. Hier wäre ferner zu erfahren gewesen, dass durch das Klimaphänomen El Nino z.B. der Anchovis-Fang stark beeinträchtigt war, die Produktion von Fischmehl und Fischöl dadurch zurückging und die Preise erheblich gestiegen sind. Einer Analyse des Marktforschungsinstituts Grand View Research zufolge ist Algenöl als Nahrungszusatzstoff, in der Biospritproduktion und als Viehfutter derzeit sehr gefragt, Tendenz steigend. Der Artikel enthält keine solchen Angaben zur wirtschaftlichen Bedeutung des Fischöls. Auch gibt es keine Einordnung, wie erheblich die Umweltprobleme durch Aquakultur sind, und welche Kosten dadurch entstehen. Wir hätten erwartet, dass bei einem Thema mit so großer wirtschaftlicher Bedeutung zumindest einige dieser Aspekte angesprochen werden.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. THEMENAUSWAHL: Das Thema ist aktuell, oder auch unabhängig von aktuellen Anlässen relevant oder originell.

Das Thema Aquakultur ist dauerhaft von Bedeutung. Mit der Ankündigung des Joint Ventures von Evonik und DSM gibt es einen aktuellen Anlass für die Berichterstattung. Die ebenfalls einbezogenen vergleichbaren Arbeiten an der Universität Rostock stellen zudem einen regionalen Bezug zum Thema her.

2. VERMITTLUNG: Komplexe Umweltzusammenhänge werden verständlich gemacht.

Der Beitrag greift verschiedene Aspekte des Themas auf, doch fehlt eine nachvollziehbare Einordnung der Informationen. So heißt es beispielsweise zunächst, dass die Rotalgen  bisweilen massenhaft in der Ostsee vorkämmen und die Forscher nach einem Verwendungszweck gesucht hätten Kurz darauf ist zu lesen, dass man mit der Algenproduktion nicht hinterherkomme. Das ist für Leserinnen und Leser recht verwirrend. Auch fehlen wichtige Fakten, die für das Verständnis wichtig wären. So wird nicht einmal ansatzweise erwähnt, dass Lachs als Raubfisch die Aquakultur vor völlig andere Herausforderungen stellt als Allesfresser-Fische wie Tilapien. Der Beitrag reißt vieles an, schafft es aber am Ende nicht, die Fäden wieder zusammenzuführen.

3. FAKTENTREUE: Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder.

Uns sind keine Faktenfehler aufgefallen.

Umweltjournalistische Kriterien: 4 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar