Bewertet am 20. März 2017
Veröffentlicht von: WAZ

Viele Vögel, Insekten und andere Arten sind immer seltener auf Wiesen und Feldern zu sehen, berichtet ein Artikel in der WAZ. Er nennt zahlreiche Beispiele, diskutiert aber keine Handlungsoptionen.
Da der Beitrag der WAZ nicht frei online verfügbar ist, verlinken wir zum fast gleichlautenden Artikel in der Berliner Morgenpost.

Zusammenfassung

Der gut verständliche Artikel in der WAZ schildert, wie die industrielle Landwirtschaft die Artenvielfalt im ländlichen Raum bedroht – er greift damit ein relevantes und hochaktuelles Problem auf. Zum Beleg führt der Beitrag eine Vielzahl von Studien, Quellen und Beispielen an. Bei den genannten Fachpublikationen hätten wir uns z.T. genauere Quellenangaben gewünscht. Es wird klar, dass es vorwiegend um die Situation in Deutschland geht, der Artenrückgang aber international zu beobachten ist. Der zeitliche Rahmen wird anhand einiger Beispiele noch ausreichend deutlich gemacht.

Da die unterschiedlichen Beobachtungen, Organismen, Vergleichszahlen und Daten eher aneinandergereiht als aufeinander bezogen und eingeordnet werden, wirkt der Bericht gegen Ende etwas verwirrend und ermüdend, zumal er über die bloße Schilderung des Artenrückgangs kaum hinaus geht und keine Lösungsansätze einbezieht. Der Gewinn für Leserinnen und Leser wäre noch größer, wenn der Artikel zusätzlich den Kontext des Problems aufgezeigt und beispielsweise ökonomische und soziale Folgen angesprochen hätte. Ein Vertreter der als Hauptursache genannten Landwirtschaft kommt nicht zu Wort.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE ÜBERTREIBUNG/VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.

Der Beitrag stellt die Auswirkungen der intensiven Landwirtschaft auf die Artenvielfalt angemessen und mit konkreten Zahlen und Fakten dar. Es wird geschildert, dass zahlreiche Arten, wie etwa der Kiebitz, seltener werden, einige jedoch von der Entwicklung profitieren, wie z.B. Wildschweine. Die Sprache des Beitrags bleibt dabei nüchtern, die verschiedenen Forschungsergebnisse, die den Artenrückgang belegen, werden ohne Alarmismus berichtet.

2. BELEGE/EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Es wird eine Fülle von Ergebnissen referiert, doch darüber, wie sie zustande kamen, also über die Methodik der Untersuchungen, erfahren Leserinnen und Leser nichts. Sie können daher auch nicht einschätzen, wie aussagekräftig die einzelnen Befunde sind. Die Vielzahl unabhängiger Ergebnisse lässt den Trend dennoch glaubhaft werden, deshalb werten wir nur „knapp nicht erfüllt“.

3. EXPERTEN/QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Abhängigkeiten deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.

Der Beitrag führt eine Vielzahl von Quellen, Untersuchungen und Studien an – z.B. aus den Fachzeitschriften „Nature“, und „Ecology Letters“ sowie Beobachtungen und Einschätzungen von WWF, Nabu, dem Entomologischen Verein Krefeld und anderen. Die Funktion der zitierten Experten sowie ihre Zugehörigkeit  zu einer Organisation oder Universität wird angegeben. Hinsichtlich der Einschätzung, dass die Landwirtschaft die bedeutsamste Gefährdungsursache ist, wäre der Artenschutzreport des Bundesamts für Naturschutz eine wichtige weitere Quelle gewesen (S. 21).
Da die Quellenangaben knapp gehalten sind, ist es zum Teil schwer nachzuvollziehen, auf welche Publikationen sich die einzelnen Aussagen genau beziehen. Beispielsweise ist von einer „europaweiten Metastudie“ ohne Angaben von Autoren, Organisation oder Zeitschrift die Rede. Wir vermuten dass der EASAC report (2015) gemeint sein könnte, der allerdings keine Metastudie sondern ein Literatur-Review ist, oder evtl. auch die Übersichtsarbeit
„Conclusions of the Worldwide Integrated Assessment on the risks of neonicotinoids and fipronil to biodiversity and ecosystem functioning“, die sich aber nicht nur auf Europa bezieht. Außerdem gibt es zu diesem Themenkomplex noch die europäische Studie EPILOBEE, eine beschreibende epidemiologische Arbeit.
Wegen der Ungenauigkeit dieser und weiterer Quellenangaben werten wir nur „knapp erfüllt“.

4. PRO UND CONTRA: Es werden die wesentlichen relevanten Standpunkte angemessen dargestellt.

Es herrscht in der Wissenschaft ein weitgehender Konsens darüber, dass die industrielle Landwirtschaft die Artenvielfalt bedroht. Über das Ausmaß und mögliche Gegenmaßnahmen wird jedoch intensiv diskutiert. Hier hätten wir erwartet, dass auch Vertreter der Landwirtschaft zu Wort kommen, die ja durchaus unterschiedliche Positionen zu der Problematik einnehmen (siehe z.B. hier ).
Auch Differenzierungen, wie sie in den Studien vorhanden sind, findet sich im Artikel nicht: Z.B. wird die Tatsache, dass der Bestand grundsätzlich seltener Vogelarten eher zunimmt, während häufige Arten zurückgehen, nicht erwähnt (Ecology Letters).

5. PRESSEMITTEILUNG: Der Beitrag geht deutlich über die Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus.

Der Beitrag geht deutlich über die vorliegenden Pressemitteilungen hinaus, indem er verschiedene Studien und Experten zitiert.

6. ALT oder NEU: Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.

Es wird klar, dass es sich beim Verlust der Artenvielfalt um eine schon länger andauernde Entwicklung handelt, und dass zu diesem bestehenden Trend eine neue Studie in „Nature“ publiziert wurde, die offenbar den Anlass für diesen Artikel liefert. Dabei hätte deutlicher werden können, seit wann der Rückgang der biologischen Vielfalt in der Agrarlandschaft zu beobachten ist.

7. LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN/kein „Greenwashing“: Der Beitrag nennt Wege, um ein Umweltproblem zu lösen, soweit dies möglich und angebracht ist.

Der Beitrag nennt keine Lösungsmöglichkeiten und Handlungsoptionen. In Anbetracht der Länge des Artikels und der Vielzahl der möglichen Beispiele hätten wir dies doch erwartet. Ansätze wie eine ökologische Landwirtschaft, Extensivierung, Ackerrandstreifenprogramme, Brachen, andere Pestizide etc. erwähnt der Beitrag nicht einmal exemplarisch.

8. RÄUMLICHE DIMENSION (lokal/regional/global): Die räumlichen Dimensionen eines Umweltthemas werden dargestellt.

Der Artikel bezieht sich hauptsächlich auf die Situation in Deutschland. Das ist auch der Fokus des Nature-Fachbeitrags, der im zweiten Absatz des Textes genannt wird. Gleichzeitig macht der Artikel deutlich, dass die Befunde generell dort gelten, wo Landwirtschaft in industriellem Stil betrieben wird. Die Untersuchung, die in den „Ecology Letters“ erschien, bezieht sich z.B. auf Vogelbestände in 25 europäischen Ländern, wie der Artikel korrekt berichtet. Zur Wirkung der Neonicotinoide auf Insekten wird die Situation in China als Vergleich herangezogen.

9. ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit): Die zeitliche Reichweite eines Umweltproblems oder Phänomens wird dargestellt.

Der Artikel macht deutlich, dass es sich beim Rückgang der Artenvielfalt nicht um ein singuläres Ereignis handelt, sondern um einen seit längerem andauernden und anhaltenden Prozess. Im Artikel werden exemplarisch verschiedene Vergleichszahlen genannt, so die Entwicklung in von Wildbienen in den vergangenen 10 Jahren und das Wachstum der Anbaufläche für Mais in den letzten 30 Jahren. Bei anderen Angaben fehlt der Zeitbezug – so erfährt man nicht, in welchem Zeitraum die Zahl der Fluginsekten um die genannten 80 Prozent abgenommen hat. Die übergreifende Frage, wann die landwirtschaftliche Intensivierung begann, die Artenvielfalt zu bedrohen, bzw. seit wann dieser Rückgang beobachtet wird, spricht der Artikel nicht an. Insgesamt werten wir „knapp erfüllt“.

10. KONTEXT/KOSTEN: Es werden politische, soziale oder wirtschaftliche Aspekte eines Umweltthemas einbezogen.

Auf den offensichtlichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kontext des Themas geht der Artikel nicht ein. „Agrarindustrie bedroht die Artenvielfalt“ lautet die Überschrift des Artikels, und letztlich dienen die zahlreichen Quellen dazu, diesen Befund für verschiedene Arten und Regionen immer wieder zu bestätigen. Dabei fallen Fragen unter den Tisch wie z.B.: Welcher Verlust entsteht dadurch, dass Ökosystemleistungen wie die Bestäubung wegfallen? Welcher ökonomische Druck besteht für die Landwirte, dennoch bedenkliche Pestizide zu verwenden? Welche kulturellen Konsequenzen hat die Veränderung der Landwirtschaft – z.B. durch den Verlust an Erholungsgebieten? Was würde eine Extensivierung bedeuten: ökonomisch, sozial, für die Erzeugung (und den Preis) von Lebensmitteln? Welche rechtlichen Rahmenbedingungen könnten helfen (z.B. Verbot bestimmter Pestizide)? Welche Regelungen verschärfen das Problem (z.B. Energiepflanzen)? Was könnten Verbraucher tun? Natürlich ist es nicht möglich, auf all diese Aspekte einzugehen, aber bei der Länge des Artikels hätten doch einige Punkte angesprochen werden können.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. THEMENAUSWAHL: Das Thema ist aktuell, oder auch unabhängig von aktuellen Anlässen relevant oder originell.

Das Thema ist dauerhaft relevant, mit der zitierten Nature-Studie liegt ein aktueller Anlass für die Berichterstattung vor.

2. VERMITTLUNG: Komplexe Umweltzusammenhänge werden verständlich gemacht.

Der Text ist gut verständlich. Der Einstieg mit dem konkreten Beispiel Kiebitz nimmt den Leser mit und macht das Problem deutlich. Allerdings halten wir die These für gewagt, das „kaum eine Vogelart so bekannt“ sei – es gibt gewiss viele bekanntere Vögel. Im weiteren Verlauf wird eine Vielzahl an Studien, Beispielen und Organismen aneinander gereiht, was zu einer gewissen Verwirrung und auch Ermüdung führen kann. Hier wäre über den „Lagebericht“ hinaus ein Bezug zum gesellschaftlichen Kontext (siehe Kriterium 10) und zu Lösungsansätzen (Kriterium 7) geeignet gewesen, den Beitrag noch interessanter zu machen. Wir werten „knapp erfüllt“.

3. FAKTENTREUE: Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder.

Uns sind keine Faktenfehler aufgefallen.

Umweltjournalistische Kriterien: 6 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 3 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar