Bewertet am 5. Oktober 2016
Veröffentlicht von: Frankfurter Allgemeine Zeitung

Klos, die den Urin getrennt sammeln, oder Kläranlagen, die Stickstoff und Phosphat zurückgewinnen – ein Artikel in der FAZ stellt verschiedene Ansätze vor, Nährstoffe aus Abwässern als Düngemittel zu nutzen. Jedoch fehlt eine vergleichende Bewertung der verschiedenen Verfahren durch eine unabhängige Quelle.

Zusammenfassung

Der Beitrag in der FAZ beschreibt verständlich verschiedene technische Verfahren, um Phosphor und Stickstoff aus Siedlungsabwässern zurückzugewinnen. Dabei geht es zum einen um eine Methode zur vorherigen Abtrennung des Urins, zum anderen werden Techniken vorgestellt, die in der Kläranlage die Nährstoffe wieder entfernen und als Dünger nutzbar machen sollen. Der Text konzentriert sich dabei fast ausschließlich auf die technischen Aspekte. Es wird dabei nicht recht klar, warum diese aufwändigen Verfahren überhaupt notwendig sind – so fehlt jeder Hinweis auf die schwindenden Phosphorreserven.

Der Artikel nutzt mehrere Quellen – ohne diese einzeln zu benennen – und stellt Lösungsansätze unterschiedlicher Forschungseinrichtungen vor. Er verzichtet jedoch darauf, Kosten und Nutzen der verschiedenen beschriebenen Verfahren zu vergleichen. Der Beitrag greift ein wichtiges Umwelt- und Wirtschaftsthema auf, doch erfährt man wenig zur Praktikabilität der verschiedenen Lösungsansätze und deren spezifischen Vor- und Nachteilen. Insbesondere fehlen konkrete Informationen zu wirtschaftlichen Aspekten.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE ÜBERTREIBUNG / VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.

Der Beitrag beschreibt sachlich mehrere Verfahren zur Behandlung von häuslichen Abwässern zur Abtrennung und Rückgewinnung von Nährstoffen. Vorgestellt werden drei Forschungsprojekte, die mit unterschiedlichen Ansätzen diese Ziele verfolgen, sowie die schon länger praktizierte Klärschlammpyrolyse. Die Chancen werden nicht übertrieben dargestellt. Der Text schildert nüchtern vor allem technische Aspekte, wenngleich er auf die sonstigen Rahmenbedingungen (Kriterium 10) nicht ausreichend eingeht.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Die zugrundeliegenden Studien und Forschungsprojekte werden, soweit für uns nachvollziehbar, zutreffend beschrieben. Der Beitrag nennt eine Reihe von Zahlen, die für Leserinnen und Leser indes nicht immer ausreichend eingeordnet werden. So etwa bei der Aussage, dass in Kläranlagen, in denen kein Urin mehr ankommt, zwanzig Prozent Energie eingespart würden. Hier hätten wir eine Gegenüberstellung erwartet, wie viel Energie die Abscheidung und Verarbeitung des Urins verbraucht. Auch für die übrigen Verfahren fehlen Angaben zum Energieverbrauch. Zur Abtrennung von Phosphaten mit magnetischen Partikeln wird berichtet, es würden je Kubikmeter Siedlungsabwasser rund zehn Gramm Phosphatdünger gewonnen – wie hoch der Gesamtgehalt pro Liter ist, und wie hoch also der Anteil des entfernten Phosphats, erfährt man dabei nicht. Insgesamt werten wir „knapp nicht erfüllt“.

3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ/ INTERESSENKONFLIKTE: Die Quellen für Tatsachenbehauptungen und Einschätzungen werden benannt, Abhängigkeiten und Interessenlagen deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.

Die Firmen sowie die Wissenschaftler und ihre Institutionen werden ausreichend deutlich beschrieben, es wird klar, auf welche Quellen sich der Beitrag bezieht – auf das Unternehmen Duravit, das Schweizer Wasserforschungsinstitut Eawag und zwei Fraunhofer-Institute. Dass Fraunhofer-Institute anwendungsnahe Wissenschaft betreiben und daher überwiegend von Firmen finanziert werden, muss an dieser Stelle nicht unbedingt thematisiert werden, denn dass es sich hier um angewandte Forschung mit wirtschaftlichem Potenzial handelt, liegt auf der Hand.

4. PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.

Weder werden die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Ansätze erläutert, noch werden die vorgestellten Verfahren untereinander verglichen. Der Beitrag macht nicht ausreichend deutlich, wie praktikabel die verschiedenen Vorgehensweisen sind, und wo deren jeweiligen Stärken und Schwächen liegen. Insgesamt werden nur die technischen Möglichkeiten vorgestellt, es kommt kein unabhängiger Experte zu Wort, der die Verfahren kritisch hinterfragt.

5. PRESSEMITTEILUNG Der Beitrag geht in seinem Informationsgehalt und in der Darstellungsweise deutlich über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus

Der Beitrag ist eine zusammenfassende Darstellung verschiedener Verfahren, er nutzt das Pressematerial für alle drei Forschungsprojekte und bietet darüber hinaus zusätzliche Informationen, etwa zur Funktionsweise des NoMix-WCs.

6. NEUHEIT Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes beziehungsweise neu entdecktes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik oder einen neuartigen Vorschlag zur Lösung/ Regulierung o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.

Es wird zwar deutlich, dass es sich um Projekte in unterschiedlichen Entwicklungsstadien handelt. Doch die zeitliche Einordnung bleibt vage. Seit wann an Verfahren zur Rückgewinnung von Nährstoffen, speziell Phosphat, aus Abwässern geforscht wird, erfährt man im Beitrag nicht. Er stellt auch nicht dar, dass es längst Kläranlagen und Modellvorhaben gibt, die Phosphat in der Praxis zurückgewinnen (z.B. azv-offenburg.de/images/azv/infomaterial). Zu Erfahrungen mit Trenntoiletten siehe auch Kriterium 8.
Ebenso wenig wird berichtet, wann die Überdüngung der Gewässer als Problem erkannt wurde, oder seit wann Klärschlamm nicht mehr einfach auf Äcker ausgebracht werden darf (vergl. Kriterium 10).

7. Der Beitrag nennt - wo möglich - LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.

Der Beitrag stellt Verfahren zur Rückgewinnung von Nährstoffen aus Abwasser oder zur vorherigen Abscheidung von Urin dar. Er berichtet somit über Lösungsmöglichkeiten, die er in technischer Hinsicht ausreichend beschreibt. Ein Hinweis im Text, in welchem Maße eine Extensivierung der Landwirtschaft den Bedarf an Phosphatdünger senken kann, mit dem Ziel die vorhandenen Reserven zu schonen, wäre außerdem hilfreich gewesen.

8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (lokal/ regional /global) wird dargestellt.

Der Beitrag beschreibt Vorhaben in Deutschland und in der Schweiz, ferner erwähnt er ein Projekt in den USA. Es fehlt ein Hinweis darauf, dass ähnliche Toiletten wie die im Beitrag dargestellten in Schweden schon länger im Einsatz sind und im großen Stil verwendet werden. Eine weitergehende Analyse der Situation in anderen Ländern, z.B. auch solchen, die weniger industriell geprägt sind, leistet der Beitrag nicht. Insgesamt werten wir noch „knapp erfüllt“.

9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.

Es fehlt ein Hinweis darauf, seit wann sich das Thema zum Problem entwickelt. Wie lange etwa reichen die endlichen Vorräte an Phosphormineralien noch für den Bedarf der Landwirtschaft? Welche Folgen hat der Phosphorabbau für die Herkunftsländer? Wann wird der verschwenderische Umgang mit Phosphor zu ernsthaften Problemen für die Landwirtschaft führen? Ein Wissenschaftler beschrieb den Umgang mit diesem Nährstoff schon vor Jahren als „tickende geostrategische Zeitbombe“. Diesen Aspekt blendet der Artikel völlig aus.

10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT (z.B. KOSTEN) wird einbezogen.

Der Kontext des Themas wird kaum dargestellt, so fehlt jeder Hinweis auf die „Phosphorkrise“, also die schwindenden Phosphorreserven. Es wird zwar klar, dass das Thema wirtschaftlich bedeutsam ist, doch fehlen alle konkreten Angaben zum wirtschaftlichen Nutzen und zu den Kosten der verschiedenen Verfahren. Der kurze Hinweis zu den Fraunhofer-Verfahren, es werde „eine Weile brauchen“, bis diese wirtschaftlich werden, genügt hier nicht. Die Kosten für die jeweils nötige Infrastruktur, etwa zum Sammeln und zur Weiterverarbeitung des Urins, oder der Energiebedarf für die Abtrennung der Nährstoffe in der Kläranlage, werden nicht genannt. Auch erwähnt der Beitrag nicht, dass die aufwändigen Verfahren vor allem deshalb nötig werden, weil Klärschlamm aufgrund der Schwermetallbelastungen nicht mehr einfach auf den Acker ausgebracht werden darf. Bei der Beschreibung der Klärschlammpyrolyse bleibt das Thema Schwermetalle (bis auf einen kurzen Verweis auf Quecksilber) ebenfalls außen vor, obwohl es eine wesentliche Rolle in der Diskussion spielt. Informationen dazu, wie auch zu Kostenaspekten, finden sich z.B. in einer Darstellung des Umweltbundesamts.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)

Das Thema Phosphate und Kläranlagen ist aktuell. Derzeit wird über neue Regulierungen zum Düngemittelrecht diskutiert. Auch wenn der Beitrag diesen politischen Kontext nicht aufgreift, unterstreicht dieser doch die Relevanz des in den Medien vergleichsweise wenig behandelten Themas.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Die vorgestellten Verfahren werden noch ausreichend verständlich erklärt. Allerdings wird nur ansatzweise deutlich, worin die Relevanz des Themas besteht, und in welchem Kontext die Entwicklungsarbeiten stehen. Sprachlich wirkt der Text z.T. etwas unbeholfen, etwa mit der Formulierung im ersten Absatz: „Er enthält allerdings 80 Prozent der Nährstoffe, die Pflanzen üppig wachsen lassen. Würden sie nicht entfernt, könnten Binnenseen am Algenwachstum ersticken und Küstengewässer kilometerweit verseucht werden.“ Demnach ginge es um die Entfernung der Pflanzen, gemeint sind aber die Nährstoffe. Oder „Die Abtrennung ist deren eigentliche Herkulesaufgabe.“ Wessen Aufgabe das sein soll, erfährt man nicht. Wir werten daher nur „knapp erfüllt“.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)

Uns sind keine Faktenfehler aufgefallen.

Umweltjournalistische Kriterien: 5 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 3 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar