Bewertet am 27. Juli 2016
Veröffentlicht von: WAZ

In Babyfertignahrung kommen Substanzen vor, die aus den verwendeten Fetten stammen und nach Bewertung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit gesundheitlich bedenklich sind. Die WAZ berichtet über einen dieser Stoffe in einem für Laien schwer verständlichen Beitrag.

Zusammenfassung

Der Beitrag in der WAZ informiert über eine gesundheitsschädliche Substanz, 3-Monochlorpropandiol (3-MCPD), die u.a. in Babynahrung vorkommt. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) haben kürzlich einen Höchstwert für die Menge ermittelt, die täglich ohne Risiko aufgenommen werden könne. Dieser TDI-Wert („Tolerable Daily Intake“) wird bei Säuglingen, die ausschließlich Fertignahrung erhalten, durchschnittlichen um das Dreifache überschritten. Der Artikel stellt die Substanz als „krebserregend“ dar, was indes so durch den Bericht der EFSA nicht gedeckt ist, auch wenn die Belastung der Säuglinge von der Behörde als „potenziell gesundheitsbedenklich“ eingeschätzt wird.
Sprachlich bleibt der Beitrag sehr im wissenschaftlichen Duktus, ohne einen ernsthaften Versuch zu unternehmen, die Erkenntnisse verständlich aufzubereiten. Was Eltern von Säuglingen tun könnten, um die Belastung der Kinder zu verringern, spricht der Beitrag nicht an. Insgesamt hinterlässt der Beitrag den Eindruck, an jeder Ecke lauerten Gifte und Krebsgefahren, ohne sachgerechte Einordnung und Diskussion von Handlungsoptionen.

Anmerkung: Der von uns bewertete Beitrag in der WAZ ist nicht frei online zugänglich, wir verlinken daher auf einen gleichlautenden Artikel im Hamburger Abendblatt.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE ÜBERTREIBUNG / VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.

Der Beitrag beschreibt die Belastung von Säuglingsnahrung durch den Stoff 3-Monochlorpropandiol (3-MCPD), der, so der Artikel, „als krebserregend gilt“. Laut Studie der EFSA handelt es sich dagegen um eine Substanz, die in Tierversuchen „gutartige Tumore“ auslöste sowie Organschäden z.B. an den Nieren. Nach Berechnungen der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA nehmen Säuglinge, die ausschließlich mit Fertignahrung ernährt werden, im Mittel dreimal so viel 3-MCPD auf wie der aus Tierversuchen errechnete tolerierbare Wert. Die EFSA sieht daher „mögliche Gesundheitsbedenken“. Auch verweist der Text nicht darauf, dass das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) trotzdem dazu rät, „Säuglinge bei Bedarf wie bisher mit den speziell für sie hergestellten Produkten zu ernähren, weil diese Produkte für den Säugling lebenswichtige Nährstoffe in der richtigen Zusammensetzung enthalten.“ Insgesamt nimmt der Beitrag keine sachgerechte Abwägung vor und lässt Leserinnen und Leser ohne jede Einordnung ratlos und alarmiert zurück.
Eher als Verharmlosung ist dagegen zu werten, dass Informationen zu verwandten, gleichzeitig von der EFSA untersuchten Schadstoffen im Artikel fehlen: Für genotoxische und krebserregende Glycidyl-Fettsäureester (GE) konnte kein sicherer Wert festgelegt werden, für 2-Monochlorpropandiol (2-MCPD) mangelte es laut EFSA an Daten, um das Risiko abzuschätzen.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Es wird klar, dass Wissenschaftler auf der Basis von Tierversuchen einen Höchstwert (Tolerable Daily Intake, TDI) für 3-MCPD ermittelt haben. Ebenso wird berichtet, wie die Belastung von Kindern mit dem Schadstoff errechnet wurde („Dafür werteten die Wissenschaftler über 7000 zwischen 2009 und 2015 erhobene Analysedaten aus 23 europäischen Mitgliedsstaaten aus.“). Allerdings hätte hier deutlicher werden können, dass dafür Lebensmittelproben analysiert und daraus die Belastung der Kinder errechnet wurde. Es wurden also nicht etwa die Kinder selbst untersucht. Die Aussagekraft der Daten hätte insgesamt für Laien besser erklärt werden können. Wie z.B. der TDI ermittelt wird (im Tierversuch, mit einem Sicherheitsfaktor), und welche Aussagekraft solche Werte für den Menschen haben, hätte man in einem Satz erläutern können. Wir werten noch „knapp erfüllt“.

3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ/ INTERESSENKONFLIKTE: Die Quellen für Tatsachenbehauptungen und Einschätzungen werden benannt, Abhängigkeiten und Interessenlagen deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.

Es werden zwei Behörden zitiert: die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Angesichts der Kürze des Textes halten wir es nicht für erforderlich, diese ausführlicher zu beschreiben. Verborgene Interessenkonflikte, die hier anzusprechen wären, sehen wir in diesem Fall nicht, auch wenn beide Behörden in anderen Zusammenhängen wiederholt in die Kritik geraten sind. Allerdings hätten wir es gut gefunden, auch einen Hersteller von Säuglingsnahrung als weitere Quelle heranzuziehen und mit den Ergebnissen zu konfrontieren (siehe Kriterium 4).

4. PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.

Weder wird die Problematik von Grenzwerten thematisiert noch anderweitig versucht, die Ergebnisse einzuordnen. Interessant wäre es gewesen, dazu einen Vertreter der Herstellerfirmen zu befragen, etwa nach den Möglichkeiten, den Gehalt an 3-MCPD zu minimieren, und warum das nicht überall geschieht. Auch fehlt die Einschätzung des BfR, der zufolge die „Wahrscheinlichkeit gering“ sei, „dass es durch die gegenwärtige Expositionshöhe bei nicht gestillten Kindern zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen kommt.“ Dies wäre zu diskutieren gewesen.

5. PRESSEMITTEILUNG Der Beitrag geht in seinem Informationsgehalt und in der Darstellungsweise deutlich über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus

Der Beitrag stützt sich auf Angaben in der Pressemitteilung der EFSA und Informationen des BfR (hier und hier). Außerdem wird eine Untersuchung der Stiftung Warentest angesprochen. Damit geht der Beitrag über die Pressemitteilung hinaus.

6. NEUHEIT Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes beziehungsweise neu entdecktes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik oder einen neuartigen Vorschlag zur Lösung/ Regulierung o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.

Der Beitrag berichtet über einen neuen Höchstwert der EFSA für die Aufnahme von 3-MCPD. Er macht dabei aber nicht deutlich, seit wann das Problem besteht bzw. seit wann bekannt ist, dass Lebensmittel, und speziell Säuglingsnahrung, diesen problematischen Stoff enthalten. Obwohl das BfR dazu Informationen bereitstellt ( „Die höhere Belastung von 3-MCPD-, 2-MCPD- und Glycidyl-Fettsäureestern von nicht gestillten Säuglingen ist erst seit wenigen Jahren bekannt, besteht jedoch vermutlich bereits seit Jahrzehnten.“), spricht der Beitrag diesen Punkt nicht an. Dass es bereits vor Jahren Bewertungen des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) zu diesem Thema gab (2007 und 2012) erwähnt der Artikel nicht.

7. Der Beitrag nennt - wo möglich - LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.

Man erfährt im Beitrag, dass der Schadstoff einerseits unvermeidlich entsteht, sich andererseits „minimieren“ lässt. Durch welche Verfahren, erläutert der Artikel nicht. Offen bleibt, ob bei Verwendung solcher Produkte mit verringertem Schadstoffgehalt die empfohlene Tageshöchstaufnahme unterschritten wird. Auch scheint es Säuglingsnahrung zu geben, bei der raffinierte Speisefette nicht die Fettbasis bilden (da es im Beitrag heißt, dies sei nur „meist“ der Fall). Woran man Produkte ohne oder mit wenig 3-MCPD erkennt, wird nicht erläutert. Es fehlt die Information, dass insbesondere Palmöl zur Belastung von Lebensmitteln mit 3-MCPD beiträgt. Welche Öle womöglich ein weniger riskanter Ersatz sein könnten, erfährt man nicht. Insgesamt bleibt unklar, welche Konsequenzen Eltern aus den Informationen ziehen können. Der kurze Hinweis, dass bei Stiftung Warentest einige Produkte besser abschnitten, reicht nicht aus. Welche anderen Möglichkeiten der Ernährung es für Kinder in unterschiedlichen Altersstufen es gibt, spricht der Text ebenfalls nicht an.

8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (lokal/ regional /global) wird dargestellt.

Es wird klar, dass die Untersuchung Analysedaten aus 23 EU-Mitgliedsstaaten umfasste, und es um einen EU-weiten Höchstwert geht. Wie viele Daten aus Deutschland stammten (laut BfR 210 Messdaten aus 70 Proben Säuglingsmilchnahrung), erwähnt der Beitrag indes nicht. Interessant wäre außerdem gewesen zu erfahren, ob es Regulierungen und TDI-Werte für 3-MCPD in anderen Ländern bereits gibt, etwa in den USA. Da jeder Vergleich mit anderen Ländern fehlt, werten wir nur „knapp erfüllt“.

9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.

Wie sich die Belastung mit 3-MCPD und verwandten Chemikalien entwickelt hat, erfährt man aus dem Beitrag nicht. Die Pressemitteilung der EFSA macht dazu Angaben. Demnach hat sich der Gehalt von Glycidyl-Fettsäureestern in Palmölen und Palmfetten zwischen 2010 und 2015 um die Hälfte reduziert, was auf freiwillige Maßnahmen der Hersteller zurückgeführt wird. Dagegen hat sich laut EFSA „der Gehalt an 3-MCPD und dessen Fettsäureestern in Pflanzenölen (…)in den vergangenen fünf Jahren kaum verändert“. Interessant wäre auch zu erfahren, was der Anlass war, Babynahrung auf diese Substanzen zu untersuchen. Welche Diskussionen gingen der Festlegung des neuen TDI voraus? Ferner: Wurde Fertignahrung für Säuglinge schon immer auf diese Weise mit den gleichen Zutaten hergestellt und enthielt daher diesen Schadstoff? Seit wann wird z.B. Palmöl dafür verwendet? Keinen dieser Punkte greift der Beitrag auf.

10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT (z.B. KOSTEN) wird einbezogen.

Der Beitrag spricht fast ausschließlich den Aspekt der Säuglingsernährung an. Hier gibt es, wenn Mütter nicht stillen können oder wollen, tatsächlich keine Alternative zur industriell hergestellten Babynahrung. Schon für Kleinkinder stellt sich das anders dar, hier hätten Alternativen zur Fertignahrung thematisiert werden können. Der weitere Kontext – die immer stärker auf Fertigprodukten basierende Ernährung, und die Ursachen dafür, fehlt im Beitrag völlig.
Auch der politische Kontext – wie werden auf europäischer Ebene Höchstwerte für die Aufnahme von Schadstoffen aus Nahrungsmitteln festgelegt, welche Prozesse gehen dem voraus, welche Auswirkungen hat das auf Gesundheit und Wirtschaft – kommt nicht vor. Keiner dieser Aspekte wird auch nur kurz angesprochen.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)

Dass von der EFSA eine neue tolerierbare tägliche Aufnahmemenge (TDI-Wert) für eine Substanz ermittelt wurde, die u.a. in Babynahrung vorkommt, ist ein aktueller Anlass. Das Thema ist – vor allem für Eltern – zweifellos relevant.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Die Sprache des Artikels ist trocken und folgt eher dem Duktus eines wissenschaftlichen Berichts. Fachbegriffe werden ohne Erläuterung verwendet (Raffination, Fettsäureester), zahlreich Abkürzungen und Fremdwörter machen den Text unnötig sperrig. Zahlen werden nicht durch Vergleiche anschaulich gemacht. Auch andere Aussagen bleiben ohne Erläuterung – was heißt es, wenn ein Stoff „als krebserregend gilt“? Wie sicher oder unsicher ist das dann? Auch die Struktur des Textes ist wenig gelungen – am Anfang stehen eher schwer verständliche wissenschaftliche Befunde, die nicht ausreichend erläutert werden. Es folgen fachlich gehalten Ausführungen – keine Erzählidee, keine Nachfragen an Experten, kein Gespräch mit Eltern, kein Versuch über eine Auflistung von Fakten hinauszugehen. Was Leserinnen und Leser am meisten interessieren dürfte – gibt es auch weniger bedenkliche Babynahrung? – wird erst am Ende des Textes angesprochen und kommt dabei zu kurz. Es gelingt insgesamt nicht, das Thema verständlich zu vermitteln.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)

Faktenfehler sind uns nicht aufgefallen.

Umweltjournalistische Kriterien: 4 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt

Wegen der Mängel in der Darstellung werten wir um einen Stern ab. 

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar