Bewertet am 21. Juli 2016
Veröffentlicht von: stern

Schweinswale sind einerseits vielfältigen Gefahren ausgesetzt, andererseits in manchen Gebieten wieder häufiger zu beobachten, berichtet der „Stern“. Leider werden beide Entwicklungen nicht gegeneinander abgewogen.

Zusammenfassung

Der Stern berichtet in einem leicht lesbaren Artikel darüber, dass Schweinswale einerseits wieder häufiger gesichtet würden, aber dennoch vielfältig gefährdet seien – durch Lärm, Umweltverschmutzung und Fischerei. Dabei spricht der Beitrag viele Aspekte an, belässt es aber letztlich beim „einerseits – andererseits“; die auftretenden Unklarheiten werden nicht ausreichend erläutert, und die verschiedenen Faktoren, die die Wale bedrohen, nicht nach ihrer jeweiligen Bedeutung gewichtet. Der Artikel lässt mehrere Experten aus unterschiedlichen Institutionen zu Wort kommen, auf welche Forschungsarbeiten sich die einzelnen Aussagen beziehen, bleibt jedoch unklar. Zu kurz kommen zeitliche Bezüge: Weder erfährt man, wann die Schweinswale in deutschen Meeren seltener wurden, noch seit wann sie wieder vermehrt zu beobachten sind. Handlungsmöglichkeiten, um die Tiere besser zu schützen, werden kurz angesprochen.

Hinweis: Leider ist der Originalbeitrag online nicht mehr abrufbar. 

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE ÜBERTREIBUNG/VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.

Der Text betrachtet die Lebensbedingungen von Schweinswalen in den deutschen Meeren und Flüssen und nennt eine Reihe von Faktoren, die Schweinswalen das Überleben schwer machen, wie etwa die Risiken durch Stellnetze und den zunehmenden Lärm unter Wasser, bzw. in Flüssen auch Gefahren durch die Schifffahrt. Andererseits wird berichtet, dass beispielsweise in der Elbe immer mehr Schweinswale gesichtet werden, denn „das Elbwasser wird sauberer, die Nahrung reichhaltiger“. Damit wird die Gefährdung der Tiere nicht übertrieben. Wie groß der Einfluss der einzelnen  Risikofaktoren ist, und wie diese gegen positive Veränderungen abzuwägen sind, bleibt allerdings offen. Am Ende wird daher nicht recht klar, wie gut oder schlecht es den Walen wirklich geht. Wir werten daher nur „knapp erfüllt“.

2. BELEGE/EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Die Aussagen im Text beziehen sich fast ausschließlich auf Beobachtungen verschiedener Expertinnen und Experten. Welche Forschungsergebnisse zugrunde liegen, wird dabei nicht deutlich. Eine aktuelle Studie über das Jagd- und Ernährungsverhalten der Schweinswale bezieht der Text nicht ein, obwohl daran auch die im Beitrag befragte Expertin Ursula Siebert von der Tierärztlichen Hochschule Hannover beteiligt war. Insgesamt überwiegen reportagehafte Darstellungen, belegbare Fakten über die Einzelbeobachtungen hinaus werden kaum genannt. Wie groß ist der jeweilige Einfluss von Lärm und Fischerei? Die Umweltverschmutzung als Grund für die Schwächung der Tiere anzuführen scheint wenig plausibel – die Verschmutzung hat ab-, der Schweinswalbestand hat zugenommen. Und wenn die Verschmutzung nicht besser geworden wäre, warum gibt es dann mehr Wale? Oder geht es ihnen besser, sodass sie sich wieder ansiedeln, aber noch nicht gut genug, um auf Dauer zu überleben? Oder kommen sie aus ganz anderen Gründen wieder zurück? Wenn all dies nicht bekannt ist, hätte der Text das deutlich machen müssen.

3. EXPERTEN/QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Abhängigkeiten deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.

Die Gesprächspartner und ihre Expertise werden kenntlich gemacht; die Zugehörigkeit zu den jeweiligen Institutionen wird klar. Es sind keine Interessenkonflikte ersichtlich, die einer besonderen Erörterung bedurft hätten.

4. PRO UND CONTRA: Es werden die wesentlichen relevanten Standpunkte angemessen dargestellt.

Zu einzelnen Aussagen wie „Meeresschutzgebiete existieren eigentlich nur auf dem Papier. (…) Das sind eher Industriegebiete als Schutzzonen“, sind Gegenpositionen möglich, die hier nicht angeführt werden. Das zentrale Thema des Beitrags – der Schutz der Schweinswale – ist jedoch unseres Wissens nicht kontrovers, daher wenden wir das Kriterium nicht an.

5. PRESSEMITTEILUNG: Der Beitrag geht deutlich über die Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus.

Die vorhandenen Presseinformationen haben den Beitrag möglicherweise inspiriert. Ein Großteil der Informationen über die Elbe-Schweinswale findet sich in einer Pressemitteilung der Gesellschaft zur Rettung der Delphine. Basisinformationen über die Delfin-Ambulanz könnten von der Homepage der Organisation SOS Dolfijn stammen, doch offenbar fand auch ein Gespräch statt. Insgesamt wurden mehrere Quellen genutzt und Gespräche mit Experten geführt, sodass der Text deutlich über die Pressemitteilung hinausgeht.

6. ALT oder NEU: Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.

Seit wann die verschiedenen Entwicklungen – mehr Schweinswale einerseits, zahlreiche tote Schweinswale an den Küsten andererseits – zu beobachten sind, bleibt unklar. Es gibt nur die Angabe zu den Walen in der Elbe: „(…) in diesem Frühjahr mehr als in den vorherigen 100 Jahren“. Das macht nicht hinreichend deutlich, wann der Trend begann, und wie neu diese Beobachtungen sind.

7. LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN/kein „Greenwashing“: Der Beitrag nennt Wege, um ein Umweltproblem zu lösen, soweit dies möglich und angebracht ist.

Lösungsmöglichkeiten werden im Wesentlichen indirekt deutlich, indem der Text Risikofaktoren benennt, wie Stellnetze oder Lärm. Zum Problem des zunehmenden Lärms unter Wasser wird kurz bemerkt, dass es „wirkungsvolle Schallschutzmaßnahmen beim Rammen von Fundamenten für Offshore-Windkraftanlagen“ gibt, die gleichwohl an der wachsenden Lärmbelastung wenig änderten. Außerdem werden die Aktivitäten der SOS-Dolfijn-Station geschildert, die einzelne Tiere rettet. Dazu wird am Ende des Beitrags einschränkend ausgeführt, dass „sich an den Problemen, denen Schweinswale ausgesetzt sind, aber zunächst nichts ändert.“ Man wolle jedoch Menschen für das Schicksal der Wale sensibilisieren und so zu deren Schutz beitragen. Somit werden verschiedene Handlungsansätze zumindest kurz angesprochen. Wir werten „knapp erfüllt“.

8. RÄUMLICHE DIMENSION (lokal/regional/global): Die räumlichen Dimensionen eines Umweltthemas werden dargestellt.

Im Text wird klar, dass es um die Schweinswale in den deutschen Meeren geht, und dass diese offenbar wieder häufiger Flüsse wie Elbe, Weser und Ems hinaufwandern, und sogar im Hamburger Hafen gesichtet werden. Dass Schweinswale auch noch in anderen Habitaten leben, und ob sie dort möglicherweise auch gefährdet sind, spricht der Text nicht an. Daher werten wir nur „knapp erfüllt“.

9. ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit): Die zeitliche Reichweite eines Umweltproblems oder Phänomens wird dargestellt.

Zeitliche Einordnungen fehlen im Beitrag weitgehend. Es wird weder berichtet, seit wann die Zahl der Schweinswale zurückging, noch seit wann wieder mehr Tiere zu beobachten sind. Auch zu den Risikofaktoren fehlen zeitliche Angaben. Seit wann etwa werden die genannten Stellnetze verwendet? Korreliert das mit dem Rückgang der Tiere? An einer Stelle im Text heißt es zwar, dass seit den 1980er Jahren die Meere „immer lauter“ geworden seien. Aber auch hierzu fehlen genauere Angaben und Belege. Insgesamt gibt es im Text keine klare Einordnung, welche Umwelteinflüsse wann oder in welchem zeitlichen Verlauf eine Rolle spielten. Es gibt auch keine Informationen über die Bestandszahlen der Schweinswale in den deutschen Lebensräumen und deren Veränderungen.

10. KONTEXT/KOSTEN: Es werden politische, soziale oder wirtschaftliche Aspekte eines Umweltthemas einbezogen.

Kulturelle und soziale Aspekte scheinen kurz auf mit dem Hinweis auf den „lächelnden Schweinswal“ und die Chance, Interesse an den Tieren zu wecken. Ansonsten fehlen politische, wirtschaftliche, oder soziale Dimensionen im Text vollständig. Es gibt keine Einordnung des Risikos, dass Schweinswale verschwinden könnten, und welche Folgen das möglicherweise für die betroffenen Ökosysteme hätte. Welche Kosten es verursachen würde, die Wale zu schützen (etwa mit dem Verzicht auf Stellnetze in bestimmen Regionen oder wirksamere Vorschriften für Meeresschutzgebiete) bleibt offen.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. THEMENAUSWAHL: Das Thema ist aktuell, oder auch unabhängig von aktuellen Anlässen relevant oder originell.

Ein aktueller Anlass für den Bericht ist nicht erkennbar. Die in der Fachzeitschrift Current Biology publizierte Untersuchung mag ein Anlass gewesen sein, dies wird aber im Text nicht deutlich. Die Risiken für Schweinswale sind unabhängig davon ein Dauerthema, das viele Leserinnen und Leser interessiert.

2. VERMITTLUNG: Komplexe Umweltzusammenhänge werden verständlich gemacht.

Der Text ist flüssig geschrieben und sprachlich gut verständlich, hinterlässt aber bei Leserinnen und Lesern viele unbeantwortete Fragen. Dabei macht er nicht klar, ob es sich um Ungewissheiten handelt, die noch nicht ausreichend erforscht sind, oder ob einfach diverse Fragen angeführt werden, ohne die Antworten zu recherchieren. Das Ganze wird durch einen Bericht von der Delfin-Rettungsstation gerahmt, dazwischen stehen die übrigen Textteile recht unverbunden nebeneinander. Insgesamt liest sich der Text als eine Aneinanderreihung verschiedener, durchaus interessanter Aspekte, die nicht ausreichend zueinander in Beziehung gesetzt werden. So wird der Faktor Unterwasserlärm einmal in Zusammenhang mit dem „Hafengetümmel“ angesprochen, dann ist zwei Absätze weiter vom „Rammen von Fundamenten für Windparks“, von „Militärische(n) Schießübungen, Sprengungen“ und „Schallkanonen“ die Rede. Wiederum vier Absätze weiter heißt es „Und dann ist da noch der Unterwasserlärm“, als sei dieser Aspekt zuvor noch gar nicht aufgetaucht. Hier fehlt es dem Beitrag an einer klaren Struktur.

3. FAKTENTREUE: Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder.

Uns sind keine Faktenfehler aufgefallen.

Umweltjournalistische Kriterien: 5 von 9 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar