Bewertet am 9. Juni 2016
Veröffentlicht von: Neue Presse
In einem Frage- und Antwort-Text informiert die „Neue Presse“ über die aktuelle Diskussion zum Herbizid Glyphosat. Dabei erfährt man jedoch wenig dazu, welche Folgen für Umwelt und Gesundheit die Chemikalie hat. Der Text stellt vor allem Verfahrensfragen ins Zentrum.

Zusammenfassung

Ein Artikel in der „Neuen Presse“ beschäftigt sich mit der EU-Entscheidung zur Neuzulassung des Herbizids („Unkrautvernichtungsmittels“) Glyphosat. Dessen Risiken werden weder übertrieben noch verharmlost. Es gibt jedoch eine Diskrepanz zwischen der Überschrift „Wie giftig ist Glyphosat?“ und dem Inhalt des Textes: Anders als es die Überschrift vermuten lässt, wird die Debatte der Experten zum Krebsrisiko nur relativ knapp behandelt; die unterschiedlichen Herangehensweisen der verschiedenen Expertengruppen erklärt der Beitrag nicht verständlich. Umweltrisiken werden nur mit einem Satz erwähnt, ohne diesen Punkt weiter auszuführen.

Für die Beantwortung der Titelfrage wäre es hilfreich, wenn der Artikel die wissenschaftlichen Grundlagen erläutern, einordnen und bewerten würde. Das Thema hat so viele Dimensionen, dass es durchaus zulässig wäre, sich dabei beispielsweise auf die Gesundheitsdebatte zu beschränken. Diese sollte dann aber auch geführt werden – das leistet der Text indes nicht. Unterschiedliche Standpunkte werden genannt, es fehlen allerdings Informationen dazu, wie die verschiedenen Bewertungen zustande gekommen sind und was sie genau besagen.

Der größte Teil des Artikels ist Verfahrensfragen gewidmet: Man erfährt, wer wann und wie über die Neuzulassung entscheidet. Der auch zum Zeitpunkt der Veröffentlichung schon wahrscheinliche Ausgang – Vertagung anstelle von Verlängerung oder Auslaufen der Zulassung – wird dabei nicht angesprochen.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE ÜBERTREIBUNG / VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.

Der Beitrag fragt „Wie giftig ist Glyphosat?“ und spricht dann knapp verschiede Aspekte an; im Vordergrund stehen Gesundheitsrisiken. Diese werden weder übertrieben noch verharmlost. Umweltrisiken erwähnt der Artikel nur ganz am Rande und bewertet sie nicht. Insgesamt steht die Darstellung und Einordnung von Risiken – anders als der Titel vermuten lässt – nicht im Zentrum des Beitrags.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Vor allem im Punkt 1 („Warum ist Glyphosat so umstritten?“) geht es um die verschiedenen Studien zum Thema. Die als widersprüchlich wahrgenommenen Ergebnisse werden hier referiert („wahrscheinlich krebserregend“ und „wohl kein Krebsrisiko“), allerdings geht der Beitrag an keiner Stelle auf die unterschiedlichen Ansätze dieser Bewertungen ein. Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC), die im Text genannt wird, bewertet das grundsätzliche Potential von Glyphosat, Krebs auszulösen. Sie bewertet nicht die Aufnahmemenge und die konkreten Konzentrationen, die zum Einsatz kommen. Das jedoch tut die WHO-Organisation, die zu einem anderen Ergebnis gekommen ist (Joint FAO/WHO Meeting on Pesticide Residues). Insofern sind die unterschiedlichen Ergebnisse – genau betrachtet – gar kein Widerspruch. All das geht aus dem Beitrag nicht hervor. Der nachgeschobene Satz „die IARC (…) bewertete damit aber nicht das Risiko, auch tatsächlich an Krebs zu erkranken.“ ist in der Kürze unverständlich. Informationen über die Methodik (Epidemiologie, Tierversuche etc.) fehlen komplett. Der Umweltaspekt wird lediglich benannt. Leserinnen und Leser erfahren nichts darüber, welche Umweltbedenken es gibt, und auf welche Forschungsarbeiten sie sich stützen.

3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ/ INTERESSENKONFLIKTE: Die Quellen für Tatsachenbehauptungen und Einschätzungen werden benannt, Abhängigkeiten und Interessenlagen deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.

Im Abschnitt zur Beurteilung des Krebsrisikos werden die verschiedenen Institutionen und Behörden nur genannt, aber nicht eingeordnet. Um die unterschiedlichen Ergebnisse zu verstehen, wäre es hier wichtig, etwas mehr zu Aufgabe und Hintergrund der Institutionen zu erfahren – zumal man nicht davon ausgehen kann, dass der Leser z.B. die IARC kennt. Die seit Jahren stattfindende Debatte über mögliche Interessenkonflikte bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und dem Bundesinstitut für Risikobewertung werden im Text nicht erwähnt. Beide Institutionen wurden kritisiert, weil sie ihre Risikobewertung überwiegend auf der Basis unveröffentlichter Untersuchungen des Herstellers Monsanto vorgenommen haben. Da der Beitrag aber zumindest verschiedene Institutionen und Einschätzungen einbezieht, werten wir nur „knapp nicht erfüllt“.

4. PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.

Der Beitrag nennt die verschiedenen Standpunkte. In Bezug auf die Gesundheitsfrage kommen beide Perspektiven vor. Hinsichtlich des nicht weiter ausgeführten Nutzens von Glyphosat werden die einander widersprechenden Positionen des Bauernverbands und der ökologisch orientierten Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft zitiert. Allerdings werden die Standpunkte jeweils nur nebeneinander gestellt, ohne sie nach ihrer Relevanz und ihrem wissenschaftlichen Gehalt zu gewichten und einzuordnen (siehe dazu auch Kriterium 2). Leserinnen und Leser bekommen auch nicht die nötigen Informationen, um die Einordnung selbst vorzunehmen und die Diskussion der Experten tatsächlich zu verstehen. Wir werten daher nur „knapp erfüllt“.

5. PRESSEMITTEILUNG Der Beitrag geht in seinem Informationsgehalt und in der Darstellungsweise deutlich über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus

Der Beitrag stützt sich nicht allein auf eine der zahlreichen zum Thema vorliegenden Pressemeldungen, sondern stellt eigenständig Informationen zusammen.

6. NEUHEIT Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes beziehungsweise neu entdecktes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik oder einen neuartigen Vorschlag zur Lösung/ Regulierung o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.

Es wird klar, dass es um eine aktuell anstehende EU-Entscheidung zur weiteren Zulassung von Glyphosat geht. Zugleich macht der Beitrag deutlich, dass Glyphosat bereits seit längerem in der EU zugelassen ist. Die Information, seit wann das Mittel zugelassen ist / angewandt wird, fehlt allerdings.

7. Der Beitrag nennt - wo möglich - LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.

Es fehlt eine Bewertung des Glyphosat-Einsatzes in der Landwirtschaft. Zwar werden zwei Bauernverbände zitiert, aber wie Nutzen und Schaden von Glyphosat im Vergleich zu Alternativen zu beurteilen sind, erläutert der Text nicht, obwohl das Julius-Kühn-Institut (Bundesbehörde beim Agrarministerium) vor kurzem eine Studie dazu vorgelegt hat (Link nicht mehr verfügbar). Diese hat beispielsweise den Effekt zusätzlicher Bodenbearbeitungsmaßnahmen untersucht. Der Artikel nennt als Lösungsmöglichkeit den Biolandbau. Damit ist klar, dass es auch ohne Glyphosat geht. Ob es allerdings möglich ist, den Teil der konventionellen Landwirtschaft, der derzeit dieses Herbizid einsetzt, komplett umzustellen, wird nicht ausgeführt. Es fehlen Informationen dazu, was das konkret bedeuten würde (Kosten, Maßnahmen zum biologischen Pflanzenschutz etc.); auch weitere Alternativen, z.B. andere Pflanzenschutzmittel, werden nicht erwähnt.

8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (lokal/ regional /global) wird dargestellt.

Der Beitrag macht klar, dass es um eine Entscheidung auf EU-Ebene geht, im Detail werden dann die eingesetzten Glyphosat-Mengen für Deutschland genannt. Außerdem weist der Beitrag darauf hin, dass einzelne Mitgliedsländer eigene Auflagen für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln machen können. Regionale Unterschiede beim Einsatz von Glyphosat wären eine interessante Zusatzinformation gewesen.
Es fehlen alle Hinweise darauf, welche Bedeutung Glyphosat für die Landwirtschaft weltweit hat. Es gibt lediglich einen Hinweis im Kasten, dass der Stoff inzwischen in großen Mengen in China hergestellt wird. Insgesamt werten wir nur „knapp erfüllt“.

9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.

Der Beitrag macht zeitliche Angaben nur zum Verfahren – so wird klar, dass es um eine Verlängerung der Zulassung auf EU-Ebene um neun Jahre geht – ursprünglich waren es fünfzehn Jahre. Dabei fehlt allerdings eine entscheidende Information, nämlich die Antwort auf die Frage, was geschieht, wenn die Entscheidung vertagt wird. Im Artikel steht zwar, dass es nur unter bestimmten Umständen zur Abstimmung kommt. Die beiden letzten Punkte des Textes erwecken aber den Eindruck, dass es letztlich um zwei Alternativen geht: „Was, wenn die Zulassung verlängert wird?“ und „Was würde ein Ende der Zulassung bedeuten?“. Dass eine Zwischenlösung wahrscheinlicher ist, erfahren Leserinnen und Leser nicht. Interessant wären auch Angaben, seit wann das Mittel in den USA in Gebrauch ist, und seit wann es in Europa und in Deutschland eingesetzt wird.
Zu den im Beitrag angesprochenen Risiken durch Glyphosat fehlen alle zeitlichen Informationen: Wie lange dauert es, bis Glyphosat abgebaut ist: im Boden, in Pflanzen, nach der Aufnahme mit Nahrungsmitteln? Was bedeutet das für ein mögliches Krebsrisiko und für die Umweltschäden?

10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT (z.B. KOSTEN) wird einbezogen.

Der Beitrag beschreibt recht verkürzt das Verfahren der Zulassung auf der politischen Ebene, innenpolitische Aspekte wie den Streit in der Koalition spart er dabei – bis auf eine kurze Bemerkung im Vorspann – aus. Dass eine deutsche Enthaltung im EU-Ausschuss wie ein Nein wirkt, wird im Text nicht erklärt. Wirtschaftliche Dimensionen fehlen völlig. Welche kommerzielle Bedeutung das global am meisten genutzte Herbizid hat – für Hersteller und für die Landwirtschaft der EU und weltweit, spricht der Text nicht an. Was kostet der Einsatz von Glyphosat, und was würde umgekehrt ein Verzicht darauf kosten? Zum Beispiel durch andere Alternativen, aber auch durch Ernteverluste? Wie ist der Schaden für die Umwelt, z.B. für die biologische Vielfalt, zu bewerten? Welche Form der Landwirtschaft steht hinter dem Mittel Glyphosat, und wie würde eine Alternative aussehen? Der letzte Punkt wird durch die Erwähnung des Biolandbaus kurz angerissen, aber nicht verständlich ausgeführt. Wie würde sich ein Verzicht auf Glyphosat für Deutschland auswirken (auf die Landschaft, die Lebensmittelpreise …)? Auch wenn sich der Artikel vor allem mit Verfahrensfragen beschäftigt, müsste er deutlicher machen, wie vielschichtig dieses Thema ist und zumindest exemplarisch solche Punkte ansprechen.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)

Das Thema ist relevant und durch die anstehende EU-Entscheidung aktuell.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Die Form mit Fragen und Antworten ist dem Thema angemessen und geeignet, die unterschiedlichen Aspekte zu erläutern. Einige Punkte werden dabei allerdings so kurz angerissen, dass sie nur für Leserinnen und Leser mit Vorkenntnissen ganz verständlich sein dürften (siehe dazu auch unter Kriterium 2, Belege, Evidenz). Teilweise neigt der Text zu allzu starken Vereinfachungen (siehe Kriterium 9, Zeitliche Dimension). Der Artikel lässt also einige Fragen offen, ist insgesamt aber verständlich geschrieben und gegliedert. Wir werten „knapp erfüllt“ Angesichts des komplexen und vielfältigen Themas hätte dem Text etwas mehr Platz gut getan.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)

Uns sind keine Faktenfehler aufgefallen.

Umweltjournalistische Kriterien: 5 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 3 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar