Bewertet am 6. Mai 2016
Veröffentlicht von: Nürnberger Nachrichten

Um die Gefahren für Fledermäuse durch Windräder zu verringern und zugleich die Laufzeiten der Anlagen auszuweiten, soll ein neues Gerät ermitteln, wann die Tiere unterwegs sind. Die Nürnberger Nachrichten berichten recht unkritisch über dieses Produkt eines regionalen Startup-Unternehmens.

Zusammenfassung

Der Beitrag in den Nürnberger Nachrichten berichtet in sachlichem Ton über Entwicklung eines Messgeräts, das von einem regionalen Startup-Unternehmen produziert wird und die Zahl der getöteten Fledermäuse an Windkraftanlagen senken soll. Anders als es im Einstieg des Artikels heißt, dient das Gerät aber nicht dazu, „die geschützten Tiere aus der Gefahrenzone zu bringen“. Ziel ist stattdessen, die Betriebszeiten von Windenergieanlagen auszuweiten, die ansonsten aus Gründen des Artenschutzes im Sommer nachts abgeschaltet werden müssten. Dafür wird gemessen, wann die Tiere tatsächlich fliegen, und anhand dieser Daten werden Statistiken erstellt, um Abschaltzeiten zu ermitteln. Methoden und Ergebnisse einer wissenschaftlichen Untersuchung, auf die sich der Beitrag bezieht, beschreibt der Artikel nicht ausreichend. Was das Gerät kostet bzw. wie groß die wirtschaftlichen Vorteile durch längere Laufzeiten der Windräder sind, erfährt man nicht.
Die vorgestellte Technik ist im Rahmen von Forschungsprojekten entwickelt worden, die vom Bundeswirtschaftsministerium und vom Bundesumweltministerium finanziert wurden. Kooperationspartner war dabei ein großer Hersteller von Windenergieanlagen, was der Beitrag jedoch nicht erwähnt. Kritische Nachfragen zu Möglichkeiten und Grenzen dieser technischen Lösung fehlen, es entsteht insgesamt der Eindruck eines eher werblichen Beitrags.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE ÜBERTREIBUNG/ VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.

Der Beitrag berichtet in sachlichem Ton über Entwicklung eines Messgeräts, das die Zahl von Todesfällen von Fledermäusen an Windkraftanlagen senken soll. Die vermutete Größenordnung des Problems und die Auswirkungen („Die Verluste reißen empfindliche Lücken in die Populationen.“) werden eher vage beschrieben, ohne sie jedoch übertrieben darzustellen. Die Gefahren von Windkraftanlagen für Fledermäuse werden insgesamt weder dramatisiert noch verharmlost.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Der Beitrag macht an keiner Stelle klar, wie die Aussagen zu der neuen Technik zustande kommen. Zum Beispiel, wenn es heißt: „Anders als gängige Messgeräte, die Biologen bisher verwenden, wirft ihr ‚Bat-Monitoring-Device‘ auch bei Nebel und Sturm genaue und zuverlässige Daten aus.“ Mit dieser Aussage werden die Unternehmensgründer zitiert, Belege nennt der Beitrag nicht. Welche Zahlen liegen dieser Erfolgsmeldung zugrunde? Wo wurde gemessen bzw. welche Techniken wurden verglichen? Mit welchem Ergebnis genau?
Auch ist die Angabe zur Sturmfestigkeit des Geräts eher verwirrend, da Fledermäuse bei Windgeschwindigkeiten über sechs Metern pro Sekunde kaum noch fliegen. (Von stürmischem Wind spricht man ab 18 Metern pro Sekunde, von Sturm ab 21 Metern pro Sekunde). Wie sich dem kurz vor dem Artikel veröffentlichten Gesamtbericht entnehmen lässt, wurde die Situation an insgesamt 16 Windkraftanlagen untersucht – und nur an acht davon kam das hier vorgestellte Messgerät zum Einsatz. Wie daraus verlässliche Hochrechnungen – insbesondere auch für die Gesamtzahl der getöteten Tiere – abgeleitet werden können, wäre eine wichtige Information gewesen.

3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Abhängigkeiten deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.

Die im Artikel zitierten Experten gehören zum Lehrstuhl für Sensorik der Universität Erlangen. Weitere Informationen über den Hintergrund der Forscher bzw. Gründer erfährt man nicht. Im Artikel wird nicht deutlich, wer welche Leistung in welcher Funktion erbracht und welche Informationen gesammelt hat, und wie die Arbeiten finanziert wurden. Die Internetrecherche ergibt, dass der Erlanger Lehrstuhl u.a. mit dem Unternehmensgründer Oliver Behr ein Projekt namens Renebat II durchgeführt hat, das vom Bundesumweltministerium gefördert wurde. Darauf bezieht sich vermutlich auch ein Hinweis im Artikel. Ein inhaltlich ähnlich gelagertes Folgeprojekt am selben Lehrstuhl mit z.T. denselben Mitarbeitern wird vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert. In beiden Fällen ist Enercon, der größte Hersteller von Windenergieanlagen in Deutschland, Kooperationspartner. Diese wichtige Information fehlt im Artikel – genauso wie eine unabhängige Quelle, die die Ergebnisse einordnen könnte. Gerade, wenn es darum geht, ein Produkt vorzustellen, halten wir eine unabhängige Stimme jedoch für zwingend erforderlich.

4. PRO UND CONTRA: Es werden die wesentlichen relevanten Standpunkte angemessen dargestellt.

Die Frage, wie verlässlich die Erhebung des Fledermaus-Schlags an Windenergieanlagen ist, stellt der Beitrag nicht. Tatsächlich wird in der Fachwelt durchaus darüber debattiert, denn viele Fledermäuse fliegen auch in verletztem Zustand noch weite Strecken und werden bei Kontrollen im Umfeld der Anlagen nicht unbedingt gefunden.
Auch die Behauptung, die Mehrzahl der Tiere käme durch Luftdruckschwankungen an den Rotorblättern zu Schaden (Barotrauma), ist in der Wissenschaft umstritten. Im Bericht des Forschungsprojektes wird dazu auf eine aktuelle Übersichtsarbeit verwiesen, im Artikel erfährt man zu diesen Debatten nichts.
Generell stellt der Beitrag ausschließlich die Vorteile der neuen Technik heraus, ohne sich mit Alternativen oder Problemen zu beschäftigen.

5. PRESSEMITTEILUNG: Der Beitrag geht deutlich über die Pressemitteilung/ das Pressematerial hinaus.

Zu diesem Thema liegt nur eine kurze Pressemeldung vor, die im Wesentlichen auf den aktuell erschienenen Forschungsbericht hinweist. Der Beitrag geht inhaltlich weit darüber hinaus. Es wurden sowohl Stimmen der Entwickler und Forscher eingeholt als auch, mit dem Pressesprecher des Landratsamtes, der Standpunkt der Verwaltung einbezogen.

6. ALT oder NEU: Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.

Aus dem Artikel ergibt sich zumindest indirekt, dass das Problem des Fledermaus-Schlags durch Windenergieanlagen seit Längerem besteht. Über die Neuheit der Technik, die das eigentliche Thema des Beitrags ist, erfahren Leserinnen und Leser dagegen nichts. Es bleibt offen, seit wann dieses Gerät erprobt wird, und wie lange es schon auf dem Markt ist. Der Beitrag erwähnt auch nicht, dass der aktuelle Forschungsbericht wenige Tage zuvor veröffentlicht wurde und auf früheren Projekten am gleichen Lehrstuhl aufbaut.

7. LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN/ kein „Greenwashing“: Der Beitrag nennt Wege, um ein Umweltproblem zu lösen, soweit dies möglich und angebracht ist.

Das Thema des Artikels ist eine Lösungsmöglichkeit für das Problem des Fledermaus-Schlags an Windenergieanlagen. Insofern ist dieser Punkt erfüllt. Da der Artikel jedoch keinen nachvollziehbaren Vergleich mit anderen Lösungsansätzen ermöglicht, können Leserinnen und Leser sich kaum ein unabhängiges Bild von der Sinnhaftigkeit dieses Verfahrens machen.
Es fehlen konkrete Angaben dazu, welchen Erfolg die neuen technischen Möglichkeiten zur Überwachung der Fledermausflüge und selektiven Abschaltung der Windkraftanlagen haben könnten, wenn sie konsequent angewendet würden. Der zitierte Forschungsbericht nennt dazu Zahlen: Bei Windkraftanlagen, an denen die „Fledermaussteuerung“ erprobt wurde, ließ sich durch die neue Technik die Zahl der tödlichen Zwischenfälle auf ein Sechstel senken. Weitere Handlungsoptionen durch bessere Umsetzung und Kontrolle der bestehenden Vorschriften werden nur vage angedeutet. Wir werten „knapp erfüllt“.

8. RÄUMLICHE DIMENSION (lokal/ regional/ global): Die räumlichen Dimensionen eines Umweltthemas werden dargestellt.

Da der Artikel in einer Lokalzeitung erschienen ist, konzentriert er sich verständlicherweise auf die regionale Verwurzelung des Unternehmens und der Forscher und hebt den bayerischen Windkrafterlass hervor. Dennoch hätte zumindest kurz erwähnt werden müssen, wie stark sich die Problemlage regional unterscheidet und welche Regulierungen es in anderen Bundesländern gibt. Das wäre besonders deshalb nötig, weil das wissenschaftliche Forschungsprojekt, in dem das neue Messgerät getestet wurde, keine einzige Windkraftanlage in Bayern untersucht hat, sondern Standorte in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Thüringen und dem Saarland.
Wie unterscheidet sich die Gefährdung für Fledermäuse regional (z.B. durch die sehr unterschiedlich ausgebaute Windkraft)? Welche Belastung besteht an Zugrouten einzelner Fledermausarten? Hierzu liegen umfangreiche Untersuchungen vor (siehe z.B. hier und hier), die der Beitrag jedoch nicht erwähnt.
Wo wird die Technik derzeit eingesetzt? Wie viele Anlagen sind in Betrieb? Auch dazu gibt es keine Angaben bis auf die völlig aus dem Zusammenhang gerissene Information, dass in Ghana ein „BATmode“ im Einsatz ist.

9. ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit): Die zeitliche Reichweite eines Umweltproblems oder Phänomens wird dargestellt.

Der Beitrag berichtet, dass die Geräte zwei Jahre lang Daten sammeln müssen, bevor eine Statistik zum Fledermausvorkommen erstellt wird. Diese Information genügt aber nicht, um die Nachhaltigkeit dieser technischen Lösung zu beurteilen. Wie variabel zum Beispiel ist das Vorkommen der Fledermäuse? Wie stark hängt es vom Wetter und anderen Parametern ab? Wie lange bleiben die einmal erhobenen Daten gültig? Oder muss dauerhaft weiter gemessen werden? Wie relevant ist die Maßnahme für die Fledermauspopulation und wie lange dauert es, bis sich Bestände wieder erholt haben? Keine dieser Fragen wird angesprochen.
Es fehlen Angaben zum Untersuchungszeitraum des erwähnten Forschungsprojekts; dass es ein bereits laufendes Nachfolgeprojekt (RENEBAT III) gibt, bleibt unerwähnt.
Auch die zeitliche Entwicklung auf der politischen Ebene wird nicht erläutert: Seit 2011 schreibt der bayerische Windkrafterlass mitunter ein Monitoring bei neuen Anlagen vor. Im Jahr 2015 gab es eine Anpassung der Vorschriften.

10. KONTEXT/ KOSTEN: Es werden politische, soziale oder wirtschaftliche Aspekte eines Umweltthemas einbezogen.

Der zentrale Konflikt zwischen den wirtschaftlichen Interessen, die Windkraftanlagen möglichst ohne Unterbrechung laufen zu lassen, und dem Schutz der Fledermäuse wird nicht mit konkreten Zahlen und Fakten beschrieben. Obwohl es um eine neue Technik und ein Startup geht, fehlt jede Angabe zu den Kosten – sowohl für das Gerät als auch dazu, welche Summen die Windkraftbetreiber einsparen können, wenn sie die neue Technik einsetzen. Wie hoch sind die Verluste durch Abschaltungen aufgrund von Fledermäusen im Umfeld der Anlagen – mit und ohne Monitoring? Der aktuell erschienene Forschungsbericht macht konkrete Angaben, wie hoch die wirtschaftlichen Ausfälle durch das Fledermausmonitoring nur noch sind: rund zwei Prozent des Jahresertrages. Ein Bußgeld bei Verstößen gegen Schutzbestimmungen wird zwar erwähnt, die Höhe bleibt aber offen.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. THEMENAUSWAHL: Das Thema ist aktuell, oder auch unabhängig von aktuellen Anlässen relevant oder originell.

Der Beitrag berichtet über einen aktuellen Forschungsbericht wenige Tage nach seiner Veröffentlichung. Der Konflikt zwischen dem Ausbau der erneuerbaren Energien und dem Naturschutz sind ein Thema, das dauerhafte Bedeutung hat. Der Artikel greift dabei speziell die Gefährdung der Fledermäuse durch Windkraft auf, die im Vergleich zu Problemen des Vogelschutzes bisher weniger thematisiert wurde. Auch der regionale Bezug von Unternehmen und Forschern ist ein wichtiges publizistisches Kriterium für eine Regionalzeitung.

2. VERMITTLUNG: Komplexe Umweltzusammenhänge werden verständlich gemacht.

Der Artikel ist sprachlich verständlich, aber unklar strukturiert. Es wird nicht deutlich, ob das regionale Unternehmen und die technische Entwicklung des Messgerätes oder das grundsätzliche Problem der getöteten Fledermäuse im Vordergrund steht. Der Beitrag springt zwischen diesen Perspektiven hin und her, ohne letztlich einer von beiden gerecht zu werden. Mit der fehlenden Kontrolle der bestehenden Regelungen wird ein dritter Aspekt angerissen, ohne diesen weiter zu verfolgen.
Der Artikel präsentiert primär ein Produkt; es fehlt dabei an journalistischer Distanz, kritischen Nachfragen und der Einordnung der geschilderten Erfolge des Startups. Der Beitrag verschweigt zudem die Verbindung der Unternehmensgründer zum Windanlagenhersteller Enercon, was zum Eindruck beiträgt, dass hier ein eher werblicher Beitrag für ein Unternehmen der Region verfasst wurde.

3. FAKTENTREUE: Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder.

Der Beitrag enthält etliche Ungenauigkeiten und Fehler:
So heißt es: „Ebenso wie Vögel verenden Fledermäuse allerdings nicht durch die Kollision“. Das trifft so nicht zu, denn ein Teil der Fledermäuse verendet durch die Kollision mit den Rotorblättern, ein anderer Teil, durch Druckunterschiede („Barotrauma“) (siehe z.B. hier). Über die jeweiligen Anteile wird unter Wissenschaftlern diskutiert (siehe Kriterium 4). Auch werden Schäden durch Barotrauma unseres Wissens vor allem bei Fledermäusen angenommen, doch kaum bei Vögeln siehe z.B. bei spektrum.de und hier.
Auch der Satz „Bei starkem Wind, also dann, wenn die Anlagen ihre Arbeit aufnehmen, kommen Fledermäuse hingegen kaum heraus.“ ist ungenau. Kommerzielle Windkraftanlagen laufen bei Windgeschwindigkeiten von 2,5 – 4 Metern pro Sekunde an. Das ist Windstärke 2 bis 3, also ein schwacher Wind.
Ferner: An den Spitzen der Rotorblätter moderner Windkraftanlagen herrschen nicht nur „Geschwindigkeiten von bis zu 200 Stundenkilometer“, sondern weit darüber hinaus.
Wegen der Vielzahl der Ungenauigkeiten werten wir „nicht erfüllt“.

Umweltjournalistische Kriterien: 3 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 1 von 3 erfüllt

Wegen der Mängel bei den allgemeinjournalistischen Kriterien werten wir um einen Stern ab.

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar