Bewertet am 8. April 2016
Veröffentlicht von: WAZ

Feldhasen sind insgesamt seltener geworden, doch die Bestände schwanken stark, vermeldet die WAZ am Ostersamstag. Woher diese Angaben stammen, erfährt man indes nicht.

Zusammenfassung

Der Beitrag in der WAZ beschäftigt sich zu Ostern mit der Situation des Feldhasen. Er berichtet, dass die Art auf der Roten Liste steht, aber nicht extrem gefährdet ist. Der Artikel schildert die Lebensweise der Hasen sowie verschiedene Faktoren, die für den Rückgang der Bestände verantwortlich sind. Leider bleibt der Beitrag dabei sehr unkonkret; Leserinnen und Leser erfahren nicht, wie stark der Bestandsrückgang wirklich ist und welche konkreten Maßnahmen den Hasen helfen würden. Regionale Unterschiede berücksichtigt der Beitrag nicht, zeitliche Bezüge bleiben ohne genaue Zahlen und ohne Quellenangaben vage. Auch der Hintergrund der beiden zitierten Experten wird nur unzureichend deutlich. Das Thema Jagd wird in dem relativ langen Artikel an keiner Stelle erwähnt, was schon deshalb erstaunlich ist, weil beide zitierte Experten dazu Bezüge haben. Sprachlich ist der Artikel zwar verständlich, doch die vermenschlichte Darstellung und der übertriebene Gebrauch von Synonymen wirken überzogen.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE ÜBERTREIBUNG / VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.

In dem Beitrag wird einerseits darauf hingewiesen, dass Feldhasen nach wie vor zu den gefährdeten Tierarten gehören, die auf der Roten Liste stehen. Andererseits wird die Situation nicht dramatisch geschildert. Der Artikel berichtet, dass die Zahl der Feldhasen schwanke und die Gründe dafür nicht genau bekannt seien. Der Tenor des Textes wird schon in der Überschrift „Langohr im Mittelfeld“ deutlich. Auch das Expertenzitat „Herausragend geht es den Hasen nicht, grottenschlecht aber auch nicht“ unterstützt diese unaufgeregte Linie.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Der Beitrag beschreibt die Bestandsentwicklung des Hasen nur sehr allgemein: Seit den 1960er Jahren seien die Bestände in Mitteleuropa kräftig zurückgegangen, dann zwischenzeitlich gestiegen, um danach wieder abzunehmen. Dabei werden jedoch keine konkreten Zahlen genannt: Wie stark sind die Bestände zurückgegangen? Wie groß sind die Schwankungen? Wie viele Hasen gibt es derzeit in Deutschland / in Mitteleuropa? An keiner Stelle verrät der Beitrag, woher die wenigen genannten Angaben stammen. Handelt es sich um Schätzungen oder Bestandszählungen? Wie und von wem wurden diese Erhebungen durchgeführt?

3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Abhängigkeiten deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.

Der Beitrag lässt zwei Experten zu Wort kommen, ohne jedoch deren Kompetenzen und möglichen Interessenkonflikte ausreichend darzustellen. Ulrich Voigt vom Institut für terrestrische und aquatische Wildtierforschung (ITAW) hat zwischen 2006 und 2010 dazu geforscht, warum die Hasenpopulationen stark schwanken, wie man auf seiner Webseite erfährt. Der Beitrag erwähnt das nicht. Diese Arbeiten wurden aus Mitteln der Jagdabgabe Niedersachsen finanziert. Der zweite zitierte Experte, Klaus Hackländer wird nur als „von der Universität für Bodenkultur in Wien“ vorgestellt. Tatsächlich ist er dort Leiter des Instituts für Wildbiologie und Jagdwirtschaft – eine Einordnung, die in dem Zusammenhang wichtig und interessanter gewesen wäre als die bloße Nennung der Universität. Hackländer ist seit 2016 Mitglied des Kuratoriums der Deutschen Wildtierstiftung, einer jagdnahen Naturschutzorganisation. Anders als eine Hochschule haben Jäger hier Eigeninteressen, nämlich die Hasenjagd, insofern wäre das eine interessante Zusatzinformation gewesen. Außerdem ist Hackländer wissenschaftlicher Beirat des WWF Österreich. All dies erfährt man nicht.
An zwei Stellen im Text wird auf britische Studien verwiesen, die nicht konkret benannt werden und anhand der spärlichen Angaben nicht auffindbar sind.
Interessante Quellen aus Deutschland fehlen. So gibt es lange Zeitreihen mit Hasenzählungen beispielsweise in Schleswig-Holstein, die der Beitrag nicht erwähnt (Ergebnisse für 2015).

4. PRO UND CONTRA: Es werden die wesentlichen relevanten Standpunkte angemessen dargestellt.

Der Artikel schildert die Lebensweise der Feldhasen sowie verschiedene Faktoren, die sein Überleben bedrohen. Generell unterschiedliche Standpunkte zur Entwicklung der Hasenbestände gibt es unseres Wissens nicht. Kontrovers diskutiert wird die Hasenjagd, die jedoch nicht Gegenstand des Artikels ist. Daher wenden wir das Kriterium nicht an.

5. PRESSEMITTEILUNG: Der Beitrag geht deutlich über die Pressemitteilung / das Pressematerial hinaus.

Pressematerial, das dem Beitrag zugrunde liegen könnte, haben wir nicht gefunden. Der Autor hat offenbar von zwei Forschern Informationen eingeholt und außerdem britische Quellen einbezogen.

6. ALT oder NEU: Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.

Der Beitrag beschreibt, wie sich die Hasenbestände seit den 1960er Jahren entwickelt haben; damit wird klar, dass es sich nicht um ein neues Problem handelt.

7. LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN / kein „Greenwashing“: Der Beitrag nennt Wege, um ein Umweltproblem zu lösen, soweit dies möglich und angebracht ist.

Lösungsmöglichkeiten werden im Text nicht angesprochen. Sie lassen sich allenfalls indirekt ableiten: Wenn große Felder und schmale Ackerrandstreifen ein Problem für die Hasen sind, wären breitere Ackerrandstreifen und durch Hecken unterbrochene Felder eine Lebensraumverbesserung. Wenn Pestizide und Mähwerke den Hasen gefährlich werden, kann man schließen, dass hier ein Ansatzpunkt für Handlungsoptionen wäre. Konkrete Angaben dazu fehlen allerdings. Die Frage, ob der Feldhase aus der Liste der jagdbaren Arten gestrichen werden sollte, bis sich die Bestände erholt haben, wie von Naturschutzverbänden gefordert (z.B. hier), bleibt völlig ausgespart.

8. RÄUMLICHE DIMENSION (lokal / regional / global): Die räumlichen Dimensionen eines Umweltthemas werden dargestellt.

Der Beitrag spricht von der Bestandentwicklung des Hasen in Mitteleuropa. Als einziger regionaler Bezug wird „eine Studie auf englischen Feldern“ erwähnt. Alle Informationen zu regionalen Unterschieden fehlen. Ob der Rückgang der Bestandszahlen ein deutsches, ein regionales, ein europäisches oder gar ein weltweites Problem ist, erfahren Leserinnen und Leser nicht. Da sich die Entwicklung der Hasenpopulationen in Europa und auch innerhalb Deutschlands stark unterscheidet, ist das nicht ausreichend. Wir halten es für notwendig, auf diese Unterschiede hinzuweisen oder zumindest exemplarisch die unterschiedliche Lage in einzelnen Regionen zu erwähnen (siehe hier, S. 4 ff).

9. ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit): Die zeitliche Reichweite eines Umweltproblems oder Phänomens wird dargestellt.

In dem Beitrag werden eher vage zeitliche Bezüge hergestellt. So wird referiert, dass die Hasenbestände „seit den 1960er Jahren“ gesunken seien. „Ungefähr zwischen 1997 und 2004“ hätten sich die Bestände erholt, um seither wieder zu sinken, heißt es im Text. Alle konkreteren Angaben zu diesen Schwankungen fehlen. Die Entwicklung des letzten Jahres bleibt offenbar unberücksichtigt, denn der Beitrag erschien nahezu wortgleich bereits im April 2015 in der Wiener Zeitung, was für Leserinnen und Leser nicht erkennbar ist. Wann die erwähnten Studien veröffentlicht wurden, bleibt offen. Wir werten insgesamt „knapp nicht erfüllt“.

10. KONTEXT / KOSTEN: Es werden politische, soziale oder wirtschaftliche Aspekte eines Umweltthemas einbezogen.

Eine kulturelle Dimension hat der Beitrag allenfalls mit dem Hinweis auf den Osterhasen. Ansonsten fehlt jede Einordnung in den Kontext, insbesondere der Hinweis auf wirtschaftliche Aspekte. Wie sähe eine Landwirtschaft aus, die den Hasen bessere Überlebensmöglichkeiten lässt – und was würde das kosten? Welche Alternative gibt es zu Pestiziden, wie aufwändig wäre es, z.B. breitere Ackerrandstreifen einzurichten? Auch der Streit zwischen Naturschützern und Jägern über die Hasenjagd wird nicht erwähnt.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. THEMENAUSWAH: Das Thema ist aktuell, oder auch unabhängig von aktuellen Anlässen relevant oder originell.

Zu Ostern blicken die Medien traditionell und eigentlich jedes Jahr auf den Zustand des Feldhasen. Das Thema Erhalt der biologischen Vielfalt ist dauerhaft relevant.

2. VERMITTLUNG: Komplexe Umweltzusammenhänge werden verständlich gemacht.

Der Artikel ist verständlich geschrieben und bemüht sich um eine unterhaltsame Darstellung. Dabei schießt er jedoch unseres Erachtens übers Ziel hinaus, etwa bei der stark vermenschlichten Darstellung des Hasen: „Auch ein Mümmelmann will ja schließlich nicht als Verlierertyp dastehen.“ Auch dem Fuchs werden menschliche Züge unterstellt, mit Formulierungen wie „schleicht als Verlierer vom Platz“ oder „Der Appetit des roten Räubers auf Hasenbraten…“. Der exzessive Gebrauch von Synonymen für den Feldhasen wirkt recht abgeschmackt: Gleich fünf Mal wird der Hase als „Mümmelmann“ bezeichnet bzw. „mümmelt“, „Langohr“ kommt vier Mal vor. Wenn dann noch „der Mümmelmann das sprichwörtliche Hasenpanier“ ergreift, wirkt dies sprachlich misslungen.
Fachlich ausgewiesene Wissenschaftler werden zwar zitiert, aber nicht mit ihren Forschungsergebnissen, sondern mit Allgemeinplätzen oder Lehrbuchwissen.
Äußerst befremdlich finden wir, dass der Beitrag bereits von einem Jahr fast wortgleich in der Wiener Zeitung erschienen ist; er wurde für die erneute Veröffentlichung in der WAZ nicht einmal anhand von Daten aus dem vergangenen Jahr aktualisiert. Dies geht über den Rahmen einer üblichen Zweitverwertung hinaus.

3. FAKTENTREUE: Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder.

Uns sind keine Faktenfehler aufgefallen.

Umweltjournalistische Kriterien: 3 von 9 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar