Bewertet am 28. April 2016
Veröffentlicht von: Frankfurter Allgemeine Zeitung
Viele Weltnaturerbe-Stätten sind bedroht – beispielsweise durch Ölbohrungen, Bergbau und durch den Klimawandel, so ein Bericht, der im Auftrag des WWF erstellt wurde. Ein Artikel in der FAZ berichtet darüber, ohne das ausreichend deutlich wird, worauf die Einschätzung der Naturschutzorganisation beruht.

Zusammenfassung

Der Beitrag in der FAZ greift einen aktuellen Bericht der Naturschutzorganisation WWF zur Bedrohung der Weltnaturerbe-Stätten auf. Dies sind Orte und Regionen, die von der Unesco aufgrund des „Übereinkommens zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt“ von 1972 gelistet sind und wegen ihrer besonderen Bedeutung erhalten und geschützt werden sollen. Der Artikel berichtet, dass viele von ihnen gefährdet seien. Neben einem Vertreter des WWF, dessen Äußerungen der Text über weite Passagen des Textes referiert, wird die Unesco als zweite Quelle einbezogen. Über den zugrunde liegenden Bericht, der im Auftrag des WWF erstellt wurde, erfährt man indes kaum etwas: Weder wird gesagt, wer ihn verfasst hat, noch welche Kriterien angelegt wurden, um eine Stätte als „existentiell bedroht“ zu definieren. Dass es in den vergangenen Jahren schon andere Erhebungen zu diesem Thema gab, die zwar ebenfalls eine Bedrohung vieler Welterbe-Stätten feststellen, aber dazu andere Zahlen nennen, berücksichtigt der Beitrag nicht. Zumindest in Umrissen wird deutlich, welch große, auch wirtschaftliche, Bedeutung beispielsweise die Galapagos-Inseln, das Great Barrier Reef oder die Mangrovenwälder für die betreffenden Regionen haben.

Anmerkung: Da der FAZ-Text nicht frei online zugänglich ist, zitieren wir ausführlicher als sonst aus dem Beitrag.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE ÜBERTREIBUNG / VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.

Der Beitrag gibt unreflektiert die Einschätzung des WWF wieder: „Demnach ist etwa die Hälfte der 229 Weltnaturerbe-Stätten ‚existentiell‘ bedroht, die mit immerhin annähernd 28 Millionen Quadratkilometern etwa 0,5 Prozent der Erdoberfläche umfassen.“ Dabei ist der Grundton der Meldung („düsteres Szenario“) stellenweise noch alarmierender als die Presseinformation des WWF. So fehlt im Zeitungsartikel die in der WWF-Pressemitteilung enthaltene Information, dass nach einer Liste der UNESCO nur 46 Welterbe-Stätten (Natur- und Kulturerbe) als gefährdet gelten (Laut aktueller UNESCO-Liste sind es 52, Stand Januar 2022). Die Weltnaturschutzunion IUCN wiederum schätzte 63 Prozent der 89 Welterbe-Stätten, die sie 2014 untersucht hat, als gut oder mit guten Aussichten ein (nachlesbar hier). Dass hier offenbar unterschiedliche Maßstäbe angelegt wurden, und welche Unsicherheiten bei solchen Risikobewertungen bestehen, wird nicht thematisiert.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Wie der WWF zu seinem Urteil gekommen ist, macht der Beitrag nicht klar. Weder wird definiert, was ein „Weltnaturerbe“ genau ist, noch wann es als „existentiell bedroht“ gilt. Wie die genannten Zahlen erhoben wurden, erfährt man nicht. Methodische Probleme im zugrunde liegenden Bericht spricht der Artikel nicht an. So werden im WWF-Bericht alle Welterbe-Stätten, innerhalb derer Öl-, Gas- oder Bergbaukonzessionen vergeben worden sind, als gefährdet eingestuft, obwohl schwer einzuschätzen ist, ob und wann diese Konzessionen tatsächlich genutzt werden könnten. Zu diesen addiert der Bericht Zahlen der IUCN über gefährdete Stätten. Dieses Vorgehen wird in keiner Weise beschrieben.

3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Abhängigkeiten deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.

Es werden eine WWF-Analyse und die UNESCO als Quellen benannt, außerdem kommt ein Vertreter des WWF Deutschland zu Wort. Dabei wird ausreichend deutlich, dass die Studie im Auftrag des WWF erstellt worden ist; allerdings fehlt die Information, wer damit beauftragt wurde und den Bericht tatsächlich geschrieben hat (nämlich die globale Beratungsfirma Dalberg). Wir werten daher nur „knapp erfüllt“.

4. PRO UND CONTRA: Es werden die wesentlichen relevanten Standpunkte angemessen dargestellt.

Dass viele Naturerbe-Stätten weltweit bedroht sind, kann als unstrittig gelten. Allerdings gibt es offenbar unterschiedliche Bewertungen zum Ausmaß der Gefährdung. So beschreibt der (IUCN World Heritage Outlook 2014), dass es eine sehr heterogene Entwicklung in den Weltnaturerbe-Stätten gibt. Auch die IUCN zählt Öl- Gas- und Bergbaulizenzen zu den Faktoren, die diese Stätten gefährden. Doch insgesamt fällt der Ausblick deutlich positiver aus als in der Analyse des WWF. Da es hier jedoch eher um methodische Differenzen bei der Beurteilung geht, aber nicht um eine grundsätzliche Kontroverse, wenden wir das Kriterium nicht an.

5. PRESSEMITTEILUNG: Der Beitrag geht deutlich über die Pressemitteilung / das Pressematerial hinaus.

Die Informationen im Text beruhen zu großen Teilen auf einer Pressemitteilung des WWF. Außerdem kommt ein Vertreter des WWF Deutschland zu Wort (über die Zitate in der Pressemitteilung hinaus), und es wurde Kontakt mit der Unesco aufgenommen. Damit geht der Text über die Pressemitteilung hinaus.

6. ALT oder NEU: Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.

Es wird deutlich, dass eine aktuelle Analyse Anlass der Berichterstattung ist. Ob die Bedrohung der Welterbe-Stätten allerdings erst jetzt bekannt wurde bzw. sich in jüngster Zeit verschärft hat, oder ob nur aktuelle Daten zu einer schon länger bekannten Entwicklung vorgelegt wurden, bleibt unklar. Es fehlen alle Informationen darüber, dass in den letzten Jahren schon mehrfach über die Gefährdung der Welterbe-Stätten berichtet wurden. In 2014 und 2015 vorgelegten Analysen der IUCN und des WWF UK (Global Assessment of Extractive activities), auf denen die Studie aufbaut, werden nicht angesprochen. Wir werten daher „knapp nicht erfüllt“

7. LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN / kein „Greenwashing“: Der Beitrag nennt Wege, um ein Umweltproblem zu lösen, soweit dies möglich und angebracht ist.

Der Text benennt einige Ursachen der Bedrohung („Am stärksten gefährdet werden die Stätten durch Öl- und Gasbohrungen, Bergbau, illegale Rodungen oder auch durch den Bau von Straßen und Häfen“), und zitiert Forderungen eines WWF-Experten („So würden oftmals bedenkenlos staatliche Konzessionen für Explorationsbohrungen und Ölförderung an internationale Konzerne vergeben. Mit der Studie solle nun der öffentliche Druck auf die Regierungen intensiviert werden. ‚Gesetzeslücken müssen endlich geschlossen und der Industrie Grenzen aufgezeigt werden.’“) Damit wird ansatzweise eine Lösungsmöglichkeit thematisiert. Umfangreichere Vorschläge für das Management von Welterbe-Stätten, wie sie im IUCN-Papier vorgelegt wurden, würden für einen Text dieser Länge zu sehr ins Detail gehen.

8. RÄUMLICHE DIMENSION (lokal / regional / global): Die räumlichen Dimensionen eines Umweltthemas werden dargestellt.

Es liegt in der Natur der Sache, dass Welterbe-Stätten sich über die gesamte Welt verteilen. Im Beitrag werden Unterschiede zwischen Regionen angesprochen: „In den vergangenen Jahren habe sich die Lage besonders in Zentral- und Südafrika, wo mittlerweile etwa 70 Prozent des Naturerbes auf dem Spiel stünden, in Südasien mit 58 Prozent und der Pazifikregion mit 55 Prozent an gefährdeten Gebieten dramatisch zugespitzt, so Mitlacher.“ Außerdem erwähnt der Text die Bedrohung eines Gebiets in Deutschland („Auch das Wattenmeer in Deutschland sei bedroht. In dessen unmittelbarer Nähe werde seit Jahren auf einer Bohrinsel Öl gefördert. ‚Die Gefahr eines Ölunfalls mit fatalen Folgen ist ständig präsent‘“).

9. ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit): Die zeitliche Reichweite eines Umweltproblems oder Phänomens wird dargestellt.

Zeitliche Aspekte berücksichtigt der Beitrag nicht. So macht er zwar deutlich, dass durch Handeln der Regierungen viele Schäden abgewendet werden können. Er lässt aber außen vor, in welchem Zeitraum die Schäden entstanden, und wie schnell regiert werden muss, um die Existenz der Welterbe-Stätten zu sichern.
Die Frage, über welche Zeiträume sich Verschlechterungen entwickeln, wird nicht einmal exemplarisch angesprochen. Auch an diesem Punkt hätte sich ein Blick in das IUCN-Papier gelohnt, denn dort wird der zeitliche Verlauf seit der Aufnahme in die Welterbe-Liste bewertet.

10. KONTEXT / KOSTEN: Es werden politische, soziale oder wirtschaftliche Aspekte eines Umweltthemas einbezogen.

Wirtschaftliche Interessen werden als Hauptgrund für die Zerstörung genannt. Der Beitrag spricht die Bedeutung der Welterbe-Stätten als Kohlenstoffspeicher und deren ökonomische Bedeutung als Touristenattraktion an. „Dabei seien die Weltnaturerbe-Stätten gerade im Kampf gegen die Erderwärmung von großer Bedeutung, da sie hohe Mengen an Treibhausgasen speichern – allein tropische Wälder nähmen rund 5,7 Milliarden Tonnen Karbon auf. Außerdem zögen etwa das Great Barrier Reef, die Galapagos-Inseln oder der Grand Canyon jährlich Millionen Touristen an. Die Stätten sicherten Arbeitsplätze, böten bedrohten Tierarten einen Lebensraum und garantierten die Wasserversorgung, (…).“ Auch die Bedeutung für den Schutz vor Naturkatastrophen wird erwähnt: „Die Mangrovenküste in Indien verhindere Fluten – ein vom Menschen gebauter Schutz dieser Art würde 300 Millionen Dollar kosten.“

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. THEMENAUSWAH: Das Thema ist aktuell, oder auch unabhängig von aktuellen Anlässen relevant oder originell.

Mit dem WWF-Bericht gibt es einen aktuellen Anlass für den Artikel. Die Gefährdung der Welterbe-Stätten ist darüberhinaus dauerhaft ein relevantes Thema; so im Falle des Great Barrier Reef, das unter dem Anstieg der Meerestemperaturen leidet, oder des Virunga-Parks, wo es aktuelle Auseinandersetzungen um die Nutzung von Ölbohrlizenzen in Naturerbe-Stätten gibt. Auch im Kontext der kriegerischen Auseinandersetzungen in Mali und Syrien rücken die Unesco-Welterbe-Stätten derzeit ins Blickfeld.

2. VERMITTLUNG: Komplexe Umweltzusammenhänge werden verständlich gemacht.

Der Text folgt keiner nachvollziehbaren Dramaturgie. Sprachlich wirkt er oft ungeschickt, etwa wenn das englische „Carbon“ nicht mit dem geläufigen Begriff „Kohlenstoff“ übersetzt wird, sondern als „Karbon“. Der Begriff „Weltnaturerbe-Stätten“ wird als bekannt vorausgesetzt, statt ihn kurz einzuführen. Mehr als die Hälfte des Textes referiert Aussagen in indirekter Rede, was das Lesen erschwert. Hinzu kommt noch eine Vielzahl wörtlicher Zitate. Insgesamt hat der Beitrag so einen stark referierenden Charakter, eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem zugrunde liegenden Bericht findet nicht statt. Zudem hätten wir uns mehr Beispiele gewünscht, die anschaulich machen könnten, worin die Gefährdung einzelner Stätten konkret besteht, und was das für die jeweilige Region bedeutet.

3. FAKTENTREUE: Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder.

An einer Stelle ist die Rede davon, dass „allein die tropischen Wälder 5,7 Milliarden Tonnen Karbon aufnehmen“. Das erweckt den Eindruck, als ob die Wälder diese Menge Kohlenstoffe künftig oder innerhalb eines bestimmten Zeitraums (jährlich?) aufnehmen könnten. Dann würde hier der zeitliche Bezug fehlen. Gemeint ist aber vermutlich, dass in den tropischen Wäldern derzeit 5,7 Milliarden Tonnen Kohlenstoff gespeichert sind. Laut IUCN-Bericht „The benefits of natural world heritage” (S. 10, hier) , speichern die Welterbe-Stätten in den Tropen in ihren Wäldern geschätzte 5,7 Milliarden Tonnen Kohlenstoff. Das aber ist eine völlig andere Aussage als die Formulierung im Artikel.

Umweltjournalistische Kriterien: 5 von 9 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 1 von 3 erfüllt

Wegen der Mängel in den allgemeinjournalistischen Kriterien werten wir um einen Stern ab.

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar