Bewertet am 23. März 2016
Veröffentlicht von: Frankfurter Allgemeine Zeitung
Die FAZ nimmt den neu vorgelegten „Nährstoffbericht“ des Landes Schleswig Holstein zum Anlass, faktenreich über das Problem der Überdüngung zu berichten. Der Artikel macht gut deutlich, wie langfristig diese die Umwelt belastet. Nicht immer wird klar, wie die genannten Daten erhoben wurden.

Zusammenfassung

Der informative Artikel im Wirtschaftsressort der FAZ beschäftigt sich mit einem relevanten Thema: der Überdüngung und der daraus entstehenden Nitratbelastung von Böden und Grundwasser. Der Beitrag beleuchtet das Thema von unterschiedlichen Seiten und bezieht eine Vielzahl von Quellen und Akteuren ein. Es wird deutlich, dass es große regionale Unterschiede beim Nährstoffüberschuss gibt, der vor allem in Regionen mit intensiver Massentierhaltung zum Problem wird. Verschiedene Akteure mit kontroversen Ansichten und Interessen kommen zu Wort. Erklärungen für weniger vorinformierte Leserinnen und Leser fehlen an einigen Stellen, so zu der Frage, warum hohe Nitratwerte problematisch sind. Lösungsansätze werden genannt, man erfährt von Regulierungen sowohl auf nationaler wie auch auf EU-Ebene. Doch eine viel diskutierte Maßnahme, nämlich die Kopplung der Tierhaltung an die zur Verfügung stehende Fläche, wird dabei nicht erwähnt. Kostenaspekte kommen in diesem Artikel trotz des wirtschaftlich bedeutenden Themas kaum zur Sprache.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE ÜBERTREIBUNG / VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.

Der Artikel beleuchtet das Thema der Nährstoffüberschüsse, die vor allem  durch Massentierhaltung und in wachsendem Maße auch durch Biogasanlagen entstehen, von verschiedenen Seiten. Es wird deutlich angesprochen, dass es sich um ein gravierendes Problem handelt, dass schon zu Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen Deutschland geführt hat. Dabei werden vor allem die Gefahren für das Trinkwasser genannt. Zwar spricht der Text im ersten Absatz von einer „Alarmmeldung aus dem Norden“, doch werden danach viele unterschiedliche Perspektiven auf das Thema einbezogen und abgewogen. Insgesamt dramatisiert der Artikel die Lage nicht, sondern führt recht nüchtern die Fakten auf.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Der Text führt viele interessante Zahlen und Fakten an, macht aber leider nicht immer ausreichend deutlich, auf welcher Datengrundlage die einzelnen Aussagen beruhen. Im ersten Absatz bezieht sich der Artikel auf den „Nährstoffbericht“ des Landes Schleswig-Holstein, doch erfährt man nicht, welche Daten in diesem Bericht stehen und wie sie erhoben wurden. Außerdem wird ein repräsentatives Messnetz in Deutschland erwähnt , bei dem an 15 Prozent der Messstellen die Vorgaben nicht eingehalten wurden. Auch hier wird nicht klar, auf welchen Zeitraum sich die Angabe bezieht oder wer das Messnetz betreibt. Bei Zahlen wie „170 Kilogramm organische Stickstoffdüngung je Hektar sollen erlaubt sein“ fehlt ein Vergleich, der es Leserinnen und Lesern ermöglicht, die Angabe einzuordnen. Wie viel wird derzeit tatsächlich in den Problemregionen ausgebracht? Wir werten insgesamt „knapp nicht erfüllt.“

3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Abhängigkeiten deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.

Es werden zahlreiche Quellen angeführt, neben Nährstoffberichten aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen auch Daten des Umweltbundesamtes oder ein Vertreter des Bauernverbandes. Andere Quellen bleiben dagegen vage, etwa wenn es heißt: „nicht wenige Landwirte aber sagen (…)“. Der Agrarökologe Friedhelm Taube von der Universität Kiel wird als Stimme der Wissenschaft zitiert. Dass sein „Nährstoffbericht“ im Auftrag des Landwirtschaftsministers erstellt wurde, ist eine wichtige Information, die im Artikel nicht ausdrücklich erwähnt wird.

4. PRO UND CONTRA: Es werden die wesentlichen relevanten Standpunkte angemessen dargestellt.

Der Artikel blickt aus verschiedenen Perspektiven auf das Thema Nitratbelastung und macht deutlich, welche Interessenlagen sich hier gegenüber stehen. Die konträren Sichtweisen von Bauernverband und grünem Landwirtschaftsminister werden vorgestellt und diskutiert, außerdem gibt es eine Einschätzung aus wissenschaftlicher Perspektive. Zusätzlich hätten wir es gut gefunden, stärker zwischen unterschiedlichen Positionen von Landwirten – etwa der Sicht des Bauernverbandes und der Verbände des ökologischen Landbaus – zu differenzieren.

5. PRESSEMITTEILUNG: Der Beitrag geht deutlich über die Pressemitteilung / das Pressematerial hinaus.

Der Beitrag bezieht neben der Pressemitteilung des Kieler Landwirtschaftsministeriums etliche weitere Quellen ein. Auch enthält der Text Zitate, die nicht aus der Pressemitteilung stammen.

6. ALT oder NEU: Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.

Der Beitrag macht schon im ersten Satz klar, dass das zugrunde liegende Problem seit Jahrzehnten besteht. Auch im weiteren Verlauf wird immer wieder auf zurückliegende Aspekte des Themas eingegangen. Neu ist dagegen der Nährstoffbericht, der „vor wenigen Tagen erstmals“ vorgestellt wurde.

7. LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN / kein „Greenwashing“: Der Beitrag nennt Wege, um ein Umweltproblem zu lösen, soweit dies möglich und angebracht ist.

Der Beitrag diskutiert Lösungsmöglichkeiten, z.B. neue gesetzliche Regelungen und den Gülletransport in weniger belastete Regionen. Andere wichtige und kontrovers diskutierte Maßnahmen fehlen allerdings, zum Beispiel eine Obergrenze für die Tierhaltung oder die Kopplung der Tierzahl an die vorhandene Fläche. Das Dilemma der Landwirte – wohin mit der unvermeidlich anfallenden Gülle? – und die  Notwendigkeit, die Überschüsse zu begrenzen, werden dargestellt; doch wird dabei die Grundsatzfrage nicht angesprochen, ob sich an der derzeitigen Massentierhaltung etwas ändern müsse. In der Pressemitteilung zum Nährstoffbericht heißt es, „es sei eine Debatte darüber sinnvoll, ob Tierhaltung in dieser Intensität und räumlichen Konzentration langfristig angezeigt ist.“ Da dieser wichtige Punkt nicht angesprochen wird, werten wir hier nur „knapp erfüllt“.

8. RÄUMLICHE DIMENSION (lokal / regional / global): Die räumlichen Dimensionen eines Umweltthemas werden dargestellt.

Sehr genau beschreibt der Artikel, dass es sich zwar um ein Problem handelt, bei dem die Regulierung auf Bundes- und EU-Ebene stattfindet, die Situation aber regional stark unterschiedlich ist.
Der Beitrag macht klar, dass das Problem der Überdüngung vor allem in den Regionen auftritt, in denen eine intensive Massentierhaltung betrieben wird. Diese werden im einzelnen benannt. Der Schwerpunkt liegt auf der Situation in Deutschland, aber exemplarisch werden auch andere Länder zum Vergleich herangezogen, z.B. Dänemark, wo es eine absolute Obergrenze für die Düngung gibt.

9. ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit): Die zeitliche Reichweite eines Umweltproblems oder Phänomens wird dargestellt.

Zeitliche Aspekte spielen vielfach eine Rolle im Beitrag. Der Artikel macht klar, dass es sich um ein Problem handelt, das schon lange besteht („seit mehr als zehn Jahren keine Verringerung bei der Belastung der Gewässer mit Nitrat und der Luft mit Ammoniak“), und erhebliche Probleme für die Zukunft aufwirft („Stickstoff sickert, je nach Bodenbeschaffenheit, manchmal über 20, 30 Jahre herab, bis er das Grundwasser oder auch das Trinkwasser erreicht.“). Es wird deutlich, wie langfristig auch Lösungsansätze geplant werden („‚Minderungsziel für Ammoniak‘ von knapp 30 Prozent (…) bis zum Jahr 2030.“).

10. KONTEXT / KOSTEN: Es werden politische, soziale oder wirtschaftliche Aspekte eines Umweltthemas einbezogen.

Der Beitrag bezieht zwar die Sichtweise verschiedener Akteure ein, und benennt mit Regulierungen auf EU- und Bundesebene auch den politischen Kontext. Doch fehlen Angaben zu Kosten fast ganz. Es wird lediglich erwähnt, dass Maschinen zum Einarbeiten der Gülle teuer seien, doch ist dies eher ein Randaspekt. Wichtig wäre zu erfahren: Welche Schäden werden durch die Nährstoffüberschüsse in Wasser und Boden und in der Luft (Ammoniak) überhaupt verursacht? Was bedeutet das konkret – gesundheitlich und finanziell? Was kostet die  Vermeidung? Wer müsste dafür aufkommen? Da all diese Aspekte fehlen, werten wir hier nicht erfüllt.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. THEMENAUSWAH: Das Thema ist aktuell, oder auch unabhängig von aktuellen Anlässen relevant oder originell.

Durch die Veröffentlichung des Nährstoffberichtes gibt es einen aktuellen Anlass.  Das Thema ist zudem dauerhaft aktuell und relevant.

2. VERMITTLUNG: Komplexe Umweltzusammenhänge werden verständlich gemacht.

Der Artikel ist informativ und großteils gut verständlich. Der Text steigt mit dem aktuellen Anlass – dem Nährstoffbericht – ein, verliert sich dann aber gelegentlich in der Vielzahl von Quellen, Zahlen und Fakten, die einander nicht immer eindeutig zugeordnet sind. Hier hätten wir uns eine klarere Struktur gewünscht.
Es fehlt eine Erklärung, warum hohe Nitratwerte überhaupt problematisch sind. Viele Leserinnen und Lesers mögen dies wissen, da das Thema immer wieder in den Medien diskutiert wird, doch bei einem derart langen Artikel hätten wir ein bis zwei erklärende Sätze angemessen gefunden. Auch die Bemerkung, dass Gärreste aus Biomüll zu Plastik auf dem Acker führen, wirkt etwas seltsam. Vermutlich sind damit Fehlwürfe in die Biotonne gemeint, aber das erschließt sich nicht auf Anhieb. Insgesamt werten wir hier nur „knapp erfüllt“.

3. FAKTENTREUE: Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder.

Uns sind keine Faktenfehler aufgefallen.

Umweltjournalistische Kriterien: 7 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 3 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar