Zusammenfassung
Der Artikel in der Rhein-Zeitung stellt, unter Verwendung eines dpa-Beitrags, die Debatte über die Gesundheitsgefährdung durch das Herbizid Glyphosat recht faktenreich dar und beschreibt auch einige Hintergründe, die helfen können, die unterschiedlichen Herangehensweisen zu verstehen. Der Artikel neigt dabei offensichtlich stärker der Position der Kritiker einer Neuzulassung von Glyphosat-haltigen Produkten zu, macht aber noch ausreichend deutlich, worauf sich die gegensätzlichen Positionen gründen. Der Beitrag konzentriert sich dabei – wie die zugrundeliegende EFSA-Stellungnahme – ausschließlich auf die Gesundheitsaspekte, insbesondere eine mögliche krebserregende Wirkung des Mittels. Dabei wird leider nicht klar, welche Konsequenzen der neue Grenzwert-Vorschlag der EFSA hätte. Auch andere Zahlenangaben, etwa zum Glyphosat-Verbrauch in Deutschland, hätten der Erläuterung bedurft.
In einem beigefügten Text auf der gleichen Seite stellt der Beitrag Möglichkeiten der Unkrautbekämpfung im heimischen Garten und in städtischer Umgebung vor, die ohne Glyphosat auskommen, und arbeitet dabei regionale Bezüge gut heraus. Mögliche Alternativen zum Einsatz von Glyphosat in der Landwirtschaft werden dagegen nicht angesprochen. Angesichts der anstehenden Entscheidung in der EU hätten wir uns gewünscht, dass auch Konsequenzen eines etwaigen Verbots dargestellt bzw. diskutiert würden. Würden die Landwirte auf andere Stoffe umschwenken, oder würden sie ökologischer wirtschaften? Welche Auswirkungen auf Kosten und Erträge zu erwarten wären, spricht der Beitrag nicht an.
Anmerkung:
Äußerst unglücklich finden wir, dass die Zeitung in der Überschrift zum „Tagesthema“ den Schriftzug „Arbeitsgemeinschaft Glyphosat“ und das zugehörige Logo dieser Lobbyorganisatation der Glyphosat-Hersteller verwendet. Die Redaktion erklärte auf Nachfrage, dass es keinerlei Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft gegeben habe und die Verwendung von Schriftzug und Logo ein Versehen gewesen sei. Daher beziehen wir dies in unsere Wertung nicht ein.
Umweltjournalistische Kriterien
1. KEINE ÜBERTREIBUNG / VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.
Der Beitrag stellt eine Bewertung der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA zum umstrittenen Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat vor. Demnach sei es „unwahrscheinlich“ dass das Mittel krebserregend ist. Es kommen Institutionen, Umweltverbände und Politiker zu Wort, die diese Substanz und die Entscheidungskriterien im Wiederzulassungsverfahren kritisch sehen. Insgesamt überwiegen im Artikel die kritischen Stimmen, ohne dass dem Beitrag jedoch Panikmache vorzuwerfen ist. Einige Formulierungen finden wir gleichwohl problematisch. So wird erwähnt, dass Glyphosat-Spuren in Muttermilch- und Urinproben gefunden wurden, ohne darauf hinzuweisen, dass die Mengen weit unterhalb der Grenzwerte liegen. Warum das dennoch „aus Sicht der WHO höchst beunruhigend“ sei, wird nicht begründet. Auch fehlt eine Einordnung zur Darstellung des Grünen-Politikers Martin Häusling, dass Glyphosat-belastetes Stroh „wie Sondermüll“ behandelt werden müsse. Gemeint sind wohl Auflagen für Herbizide mit bestimmten Beistoffen, den Tallowaminen, über deren Sicherheit man nicht genug weiß; daher darf das Stroh nach einer Behandlung kurz vor der Ernte nicht in der Tierhaltung verwendet werden (Link nicht mehr verfügbar). Die unwidersprochene Gleichsetzung mit „Sondermüll“ erscheint uns dramatisierend, auch fehlt der Hinweis, dass es bei diesen Auflagen nicht um die Substanz Glyphosat geht, sondern um andere Stoffe im Produkt.(Diese von uns kritisierten Passagen finden sich im verwendeten dpa-Text nicht.) Insgesamt werten wir nur „knapp erfüllt“.
2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.
Hilfreich ist die Einordnung der verschiedenen Studien, indem auf die unterschiedlichen Ansätze bei der Bewertung eingegangen wird: So wird einmal die Wirkung von Glyphosat allein betrachtet, im anderen Fall die Wirkung von Produkten, in denen es enthalten ist. Es wird einigermaßen deutlich, wie die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation (IARC) einerseits und das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) andererseits arbeiten. Allerdings fehlt eine Erläuterung, wie die aktuelle EFSA-Einschätzung – also der Anlass für den Artikel – zustande gekommen ist (EU-weiter Review des Renewal Assessment Reports des BfR einschließlich IARC-Anhang). Die EFSA-Veröffentlichung (offiziell „Schlussfolgerung“) wird im Artikel als „Gutachten“ bezeichnet, ohne zu erläutern, dass keine neue Forschung bzw. Studienbewertung eingeflossen ist.
Weitere Punkte bleiben unverständlich, so etwa die Formulierung, einmal gehe es um Beweise dafür, dass etwas Krebs auslösen könnte, was aber nicht das Gleiche sei wie das Risiko, durch das Mittel an Krebs zu erkranken. Unbefriedigend ist auch die etwas lakonisch daherkommende Information, dass der Grenzwert für den Menschen erhöht werden soll. Mit welcher Begründung das geschehen soll, erfahren Leserinnen und Leser nicht.
Für die Ausführung, dass Glyphosat-Rückstände in der Muttermilch von den WHO-Experten als „höchst beunruhigend“ eingeschätzt würden, fehlt ein Beleg – die Bewertung der IARC trifft dazu keine Aussage und erwähnt nur den Nachweis von Glyphosat in Urinproben.
3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Abhängigkeiten deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.
4. PRO UND CONTRA: Es werden die wesentlichen relevanten Standpunkte angemessen dargestellt.
5. PRESSEMITTEILUNG: Der Beitrag geht deutlich über die Pressemitteilung / das Pressematerial hinaus.
6. ALT oder NEU: Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.
7. LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN / kein „Greenwashing“: Der Beitrag nennt Wege, um ein Umweltproblem zu lösen, soweit dies möglich und angebracht ist.
In einem zweiten Beitrag auf der gleichen Seite werden zwar andere Möglichkeiten der Unkrautbekämpfung im heimischen Garten und in städtischer Umgebung vorgestellt. Alternativen für die Landwirtschaft, wo die weitaus größten Mengen des Herbizids ausgebracht werden, spricht der Beitrag aber nicht an.
8. RÄUMLICHE DIMENSION (lokal / regional / global): Die räumlichen Dimensionen eines Umweltthemas werden dargestellt.
9. ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit): Die zeitliche Reichweite eines Umweltproblems oder Phänomens wird dargestellt.
Die EU-Zulassung gilt noch bis Juni 2016, das wird im Text erwähnt. Auch wird angedeutet, dass es zu Glyphosat eine schon länger andauernde Debatte gibt, ohne hierzu allerdings genauere Angaben zu machen. Seit wann wird überhaupt Kritik an Glyphosat vorgetragen, seit wann Vermutungen über einen Zusammenhang von Krebs mit diesem Herbizid? Zu Langzeitwirkungen, Beständigkeit der Substanz in der Umwelt und zur Entwicklung des Verbrauchs (siehe z.B. hier) liefert der Beitrag keinerlei Informationen. So wäre beispielsweise die Frage interessant gewesen, ob man auch mit langfristigen Folgen der bisher ausgebrachten Mengen rechnen muss – selbst für den Fall, dass eine weitere Verwendung nächstes Jahr komplett gestoppt würde – oder ob die Substanz relativ schnell wieder aus der Umwelt verschwinden würde.
10. KONTEXT / KOSTEN: Es werden politische, soziale oder wirtschaftliche Aspekte eines Umweltthemas einbezogen.
Allgemeinjournalistische Kriterien
1. THEMENAUSWAHL: Das Thema ist aktuell, oder auch unabhängig von aktuellen Anlässen relevant oder originell.
2. VERMITTLUNG: Komplexe Umweltzusammenhänge werden verständlich gemacht.
3. FAKTENTREUE: Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder.
Uns sind keine wesentlichen Fehler aufgefallen, allerdings eine Unstimmigkeit: Glyphosat soll laut Angaben des Bauernverbandes, die im Beitrag zitiert werden, auf 40 Prozent der Ackerfläche ausgebracht werden. Das sind in Deutschland knapp 5 Mio. Hektar. Bei 400 g Glyphosat pro Hektar wären das etwa 2000 Tonnen Verbrauch im Jahr, nicht 6000, wie im zum Beitrag gehörigen Kasten erklärt wird. (Die Zahlenangaben stammen nicht aus dem dpa-Beitrag) Weitere Einsatzbereiche von Glyphosat, etwa in Gärten oder im Gleisbereich der Bahn, dürften die Differenz nicht allein erklären können: Laut Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft des Deutschen Bundestags werden pro Jahr rund 5900 Tonnen Glyphosat in der Landwirtschaft verbraucht, 40 Tonnen im Haus- und Kleingartenbereich. Hier wäre eine Klärung im Beitrag nötig gewesen. Wir werten nur „knapp erfüllt“.