Bewertet am 6. November 2015
Veröffentlicht von: WDR
Das Ozonloch über Antarktis, das in diesem Jahr überraschenderweise wieder größer ausfällt, ist Thema eines Beitrags in der WDR5-Sendung „Leonardo“. Das Studiogespräch ist sehr locker und allgemeinverständlich aufgemacht, könnte an einigen Stellen allerdings etwas präziser informieren.

Zusammenfassung

Der Radiobeitrag in der Sendung „Leonardo“ berichtet über aktuelle Messungen des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt (DLR), die zeigen, dass das Ozonloch am Südpol so groß ist wie seit 2006 nicht mehr. In einem Kollegengespräch werden sachlich und leicht verständlich die Hintergründe für diese Entwicklung dargelegt und verschiedene Perspektiven eingebracht, wie etwa der Zusammenhang zwischen Klimawandel und Ozonloch. Auch werden Überlegungen dazu angestellt, wie der jetzige Trend zu bewerten ist. Der Beitrag vermeidet es, allzu sehr in fachliche Details einzusteigen. An einigen Stellen wären indes genauere Angaben wichtig gewesen, insbesondere zu der Frage, wie stark sich das Ozonloch gegenüber dem Vorjahr vergrößert hat. Der Beitrag zeigt auf, welche Bedeutung das Thema in den achtziger Jahren auch in den Medien hatte, versäumt allerdings auf das Montrealer Protokoll von 1987 hinzuweisen, das die Wende in der globalen FCKW-Politik brachte. Da das Protokoll nach wie vor als Musterbeispiel für eine erfolgreiche internationale Umweltvereinbarung gilt, wäre es hier beispielsweise naheliegend gewesen, einen Bezug zur der im Dezember anstehenden UN-Klimakonferenz in Paris herzustellen. Insgesamt ist der Beitrag fachlich korrekt und agiert hinsichtlich der Einordnung des Themas angemessen, wenngleich ihm etwas mehr Tiefe nicht geschadet hätte.

Hinweis: Der Originalbeitrag ist online nicht mehr verfügbar. 

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.

Der Radiobeitrag beschreibt sachlich die Entwicklung des Ozonlochs über dem Südpol. Nachdem Messungen in den letzten Jahren eher auf eine Erholung der Ozonschicht hindeuteten, ist das Ozonloch nach Angaben des DLR jetzt erheblich größer als im Vorjahr und so groß wie seit 2006 nicht mehr. Diese Entwicklung wird als überraschend, nicht aber als dramatisch dargestellt. Der Beitrag stellt einen möglichen Zusammenhang mit dem Klimawandel her, macht dabei aber auch die Unsicherheiten deutlich und stellt heraus, dass gewisse Schwankungen normal sind.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Der Beitrag nennt weder die absolute Größe des Ozonlochs noch den prozentualen Zuwachs im Vergleich zum Vorjahr oder den Mittelwert aus den letzten Jahren. Das macht es schwer, die Angaben einzuordnen. Die absolute Zahl (über 26 Millionen Quadratkilometer) mag verzichtbar sein, da sie Hörerinnen und Hörer kaum etwas sagen wird, der Vergleich mit der Größe Nordamerikas ist da anschaulicher. Wichtig wären jedoch Angaben dazu gewesen, wie groß der Zuwachs in 2015 war. Hier heißt es im Beitrag nur „viel größer“ – doch macht es einen enormen Unterschied, ob das Ozonloch nun doppelt so groß ist wie im vergangenen Jahr oder – wie es tatsächlich aussieht – „nur“ rund zehn Prozent größer. Zutreffend erklärt der Beitrag am Ende, dass die Größe allein nur ein Merkmal ist und man auch den Konzentrationsabfall berücksichtigen muss. Doch auch dazu fehlen Zahlenangaben. Weder erfährt man, welche Kennwerte eigentlich ein „Ozonloch“ definieren. Als solches gilt eine Absenkung des Ozongehalts um rund ein Viertel (von 300 auf unter 220 Dobson Units, was einer Reduktion der Ozonschicht von 3 auf 2,2 Millimeter unter Normbedingungen entspricht). Noch wird erläutert, wie stark der Ozongehalt – etwa über der im Beitrag genannten Neumayer-Station – tatsächlich zurückging.

3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.

Das DLR ist als Hauptquelle benannt, als zweite Quelle das Alfred-Wegner-Institut (AWI). Beide führen Messungen in der Atmosphäre über der Antarktis durch. Ein Experte des DLR wird namentlich genannt und richtig eingeordnet. Besondere Interessenkonflikte, die hier zu berücksichtigen wären, sind für uns nicht erkennbar.

4. PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.

Zum Anwachsen des Ozonlochs in diesem Jahr gibt es unseres Wissens keine konträren Positionen. Diskutiert wird über die Ursachen. Der Beitrag nennt hier die Vermutung, dass das Wachstum des Ozonlochs mit dem Klimawandel zu tun haben könnte. Vor allem der Moderator macht allerdings deutlich, dass es sich bei den Zusammenhängen zwischen Klimawandel und Größe des Ozonlochs derzeit noch um Spekulationen handelt. Eher spekulativ ist auch die im Beitrag geäußerte Annahme, dass das Ozonloch durch den Klimawandel „im schlimmsten Fall“ in Zukunft sogar noch größer werden würde. Tatsächlich haben die Forscher um Michael Bittner vom DLR mehrfach die Erwartung geäußert, dass der generell positive Trend zur Erholung der Ozonschicht auch in den kommenden Jahren anhalten wird (z.B. hier). Andererseits gibt es seit langem Hinweise, dass der Klimawandel das Ozonloch vergrößern kann, denn grundsätzlich kühlt die Stratosphäre ab, während sich die Troposphäre erwärmt. Eine kalte Stratosphäre aber begünstigt die Entstehung des Ozonlochs. Im Rahmen eines so kurzen Beitrags wird noch ausreichend deutlich, welche Diskussionspunkte es hier gibt.

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/ das Pressematerial hinaus.

Der Beitrag nutzt eine Pressemeldung des DLR als wesentliche Quelle, geht aber klar über diese hinaus, denn es wird die Expertise einer weiteren Institution (AWI) eingeholt. Außerdem geht es am Rande um regionale Auswirkungen und das Gesundheitsrisiko für den Menschen. Diese Aspekte kommen in der Meldung des DLR nicht vor. Auch wird das Thema kurz in den historischen (auch medialen) Kontext eingeordnet.

6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.

Der Beitrag steigt ein mit der Diskussion über das Ozonloch in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre. Er berichtet, dass die ozonzerstörenden Substanzen verboten wurden, (wobei aus unserer Sicht das Montrealer Protokoll hätte benannt werden sollen, siehe Kriterium 10).Das Thema dieses Beitrags ist die aktuelle Messung des Ozonlochs im Jahr 2015. Dass es hier eine neue, überraschende Entwicklung gibt, wird deutlich.

7. Der Beitrag nennt - wo möglich - LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.

Der Beitrag erwähnt eingangs die Hauptursache für das Ozonloch: die Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW). Dieses Problem wurde aber in der Vergangenheit durch internationale Abkommen weitgehend gelöst. Etwas schade ist es, dass die Frage, ob neue FCKW-Quellen aufgetreten sind, nicht anhand der vorliegenden Zahlen deutlicher beantwortet wird (siehe z.B. hier). Ob individuelle vorsorgliche Maßnahmen erforderlich sind – mehr Sonnencreme bei erhöhter UV-Einstrahlung – wird ebenfalls kurz angesprochen und erläutert, dass das in unseren Breiten und im Sendegebiet des Beitrags kein relevanter Punkt ist. Die angesprochenen Zusammenhänge mit dem Klimawandel sind noch unklar, insofern ist nachvollziehbar, dass bei einem solchen Kurzbeitrag nicht über Maßnahmen gegen den Klimawandel berichtet wird.

8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (lokal/ regional /global) wird dargestellt.

Es geht um das Ozonloch über der Antarktis. Der Beitrag macht deutlich, dass das Ozonloch ein spezielles Phänomen der Polregionen ist, da der Abbau der Ozonschicht niedrige Temperaturen voraussetzt. So wird verständlich, warum das Ozonloch dort entsteht und nicht z.B. über NRW (dem Sendegebiet). Eine weitere regionale Differenzierung ist für die Frage, warum das Ozonloch derzeit wächst, nicht relevant.

9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.

Der Beitrag macht klar, dass das Ozonloch ein Dauerthema ist, das immer wiederkehrt. Der genaue zeitliche Ablauf hätte noch einmal erläutert werden können, aber da uns das Thema seit mittlerweile 30 Jahren begleitet, ist das auch nicht in jedem Beitrag nötig. Die jährlichen Schwankungen werden genauso erwähnt wie Spekulationen über künftige Entwicklungen und einen Zusammenhang mit dem Klimawandel. Es wird damit auch klar, dass das Problem in Zukunft weiter bestehen wird. Zusätzlich wäre erwähnenswert gewesen, dass sich das Phänomen nur im jeweiligen Frühjahr (also bezüglich der Südhalbkugel in unserem Herbst) auftut, und die Ozonschicht sich daher in den kommenden Wochen und Monaten wieder auffüllen wird.

10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT (z.B. KOSTEN) wird einbezogen.

Eine Einordnung des FCKW-Verbots in den gesellschaftlichen und politischen Kontext findet nicht statt. Damit vergibt der Beitrag die Chance, das erfolgreiche Montrealer Protokoll von 1987 anzusprechen, das die Wende in der globalen FCKW-Politik brachte. Auch im Zusammenhang mit der im Dezember anstehenden UN-Klimakonferenz in Paris hätte man hier sehr schön den Bogen spannen können, weil das Montrealer Protokoll bis heute als beispielhafte internationale Umweltvereinbarung gilt. Dabei hätte man auch erwähnen können, dass der Abschied von den ozonzerstörenden Substanzen in den meisten Lebensbereichen ohne spürbare Veränderungen möglich war. Welche Kosten durch die Umstellung entstanden sind, erwähnt der Beitrag nicht, ebenso wenig die durch das Ozonloch verursachten Gesundheitsschäden. Werden diese – auf der Südhalbkugel – durch das unerwartete Anwachsen des Ozonlochs womöglich größer? Da der Beitrag keinen dieser Aspekte auch nur exemplarisch anspricht, werten wir „nicht erfüllt“.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)

Die Entwicklung des Ozonlochs ist dauerhaft relevant, das Thema ist durch die neuen Messungen des DLR aktuell.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Das Kollegengespräch ist eine passende Form, um über diese aktuelle Entwicklung nicht nur zu informieren, sondern auch die Hintergründe und verschiedene Perspektiven anzusprechen. Der Beitrag ist gut verständlich. Allerdings hätte man Hörerinnen und Hörern durchaus ein wenig mehr an Fakten zumuten können, der Beitrag bleibt zum Teil etwas oberflächlich.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)

Der Beitrag enthält einige kleine Ungenauigkeit. So wird das Ozonloch einmal als „größer als Nordamerika“ und einmal als „so groß wie Nordamerika“ bezeichnet.
Unpräzise ist auch die Formulierung, dass die FCKW seit „fast 30 Jahren“ verboten seien. Das entsprechende nationale Gesetz trat in Deutschland im Mai 1991 in Kraft, manche FCKW wurden für diverse Einsatzbereiche hierzulande noch bis 1995 erlaubt. (siehe hier). Daher wäre die Formulierung „gut 20 Jahre“ angemessener gewesen. Gravierende Faktenfehler sind uns jedoch nicht aufgefallen.

Umweltjournalistische Kriterien: 8 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 3 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar