Bewertet am 19. Oktober 2015
Veröffentlicht von: Deutschlandfunk

Ein informativer Radiobeitrag im Deutschlandfunk stellt die Idee vor, den Pestizideinsatz in der Landwirtschaft mit einer Steuer zu belegen und so das Ausbringen solcher Chemikalien zu verringern. Anlass ist eine aktuelle Studie des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ), Leipzig, deren Auftraggeber der Beitrag jedoch nicht nennt.

Zusammenfassung

In der Sendung des Deutschlandfunks „Umwelt und Verbraucher“ wird über den Vorschlag berichtet, eine Steuer auf Pestizide zu erheben. Näher untersucht wurde diese Idee, die in einigen anderen europäischen Ländern schon umgesetzt ist, in einer aktuellen Studie des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. Gestützt auf diese Studie fordert der Umweltminister von Schleswig-Holstein Robert Habeck im Beitrag eine solche Abgabe auch in Deutschland. Im O-Ton kommt außerdem einer der an der Studie beteiligten Forscher zu Wort. Das größte Manko des Hörfunkbeitrags: Er macht nicht deutlich, dass die UFZ-Studie vom Kieler Landwirtschaftsministerium selbst in Auftrag gegeben wurde.

Weitere Positionen – etwa die Kritik des Bauernverbandes – werden im Beitrag kurz genannt. Der interviewte Wissenschaftler spricht neben dem Nutzen einer solchen Abgabe auch die Probleme an – etwa erhöhte Verbraucherpreise. Der hörenswerte Beitrag ist gut verständlich und macht das wirtschaftliche und politische Spannungsfeld deutlich, in dem sich solche Regulierungsvorschläge bewegen.

Hinweis: Der Originalbeitrag ist online nicht mehr verfügbar.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.

Es geht in diesem Beitrag nicht primär um die Risiken des Pestizid-Einsatzes, die am Anfang nur kurz umrissen werden, sondern um einen Vorschlag zur Einschränkung desselben durch eine Pestizid-Abgabe. Der Nutzen einer solchen Abgabe wird weder übertrieben noch kleingeredet. Er wird eingebettet in die aktuelle Diskussion und in der Wirkungsweise erklärt. Die erwartete Lenkungswirkung wird beschrieben und auch Nachteile des Vorschlags werden genannt.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Der Vorschlag des Kieler Umweltministers Robert Habeck (Grüne) basiert auf einem Gutachten, das das Helmholtz-Zentrum Leipzig (UFZ) im Auftrag des Ministeriums erarbeitet hat. Dass das Gutachten die Grundlage für Habecks Vorschlag ist, geht aus dem Beitrag klar hervor. Korrekt zitiert werden die vorgeschlagene Verteuerung der Pestizide um rund 40 Prozent pro Hektar (ohne jedoch deutlich zu machen, dass es sich um einen Mittelwert handelt), sowie die geschätzten Einnahmen von einer Milliarde Euro. Die Funktionsweise der Abgabe wird insgesamt verständlich erklärt. Die erwartete Lenkungswirkung wird als „These“ vorgestellt, was auf vorhandene Unsicherheiten hinweist.

3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.

In dem Beitrag geht es um einen Vorschlag, der auf einer Studie des UFZ Leipzig beruht, und um dessen politische Bewertung. Dabei werden unterschiedliche Quellen einbezogen. Zu Wort kommen der Kieler Umweltministers Robert Habeck und mit Erik Gawel einer der Autoren der Studie. Kurz wird erwähnt, dass der Deutsche Bauernverband gegen den Vorschlag einer Pestizidabgabe protestiert, während Greenpeace und der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) die Idee begrüßen. Alle Quellen sind klar zugeordnet. Es fehlt indes die wichtige Information, dass Habecks Ministerium das Gutachten selbst in Auftrag gegeben hat, daher werten wir „nicht erfüllt“.

4. PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.

Der Beitrag stellt zwar die Argumente für eine Pestizidsteuer in den Vordergrund. Doch wird noch hinreichend klar, dass es dazu unterschiedliche Meinungen gibt. Die Standpunkte der verschiedenen Gruppen werden genannt (Grüne, Greenpeace, BDEW, Umweltministerium, Bauernverband). Auch seitens der Abgabe-Befürworter werden durchaus kritische Punkte angesprochen, etwa „dass eine Abgabe immer bedeutet, dass auf Einkommen zugegriffen wird“, wie UFZ-Forscher Gawel formuliert, und die Belastung der Verbraucher durch mutmaßlich steigende Preise. Dem wird der Nutzen für das Gemeinwohl gegenübergestellt.

Wichtig finden wir, dass auch das Spannungsverhältnis von Umwelt- und Landwirtschaftsministerium bei dem Thema angesprochen wird. Der Beitrag macht Kritik an bisherigen Strategien zur Minimierung des Pestizideinsatzes deutlich – der Nationale Aktionsplan sei bisher kaum erfolgreich. Es fehlt allerdings eine Auseinandersetzung mit dem Kritikpunkt der Abgabe-Gegner, dass eine Pestizidsteuer keine Lenkungswirkung hätte (siehe dazu Bundesverband der Agrargewerblichen Wirtschaft). Das zu diskutieren, wäre interessant gewesen. Im Rahmen eines so kurzen Beitrags finden wir es aber noch ausreichend dargestellt, dass es sich um einen umstrittenen Vorschlag handelt und werten daher „knapp erfüllt“.

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/ das Pressematerial hinaus.

Mit den Interviews und der Nennung unterschiedlicher Stellungnahmen geht der Beitrag deutlich über die Pressemitteilung des UFZ hinaus.

6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.

Der Beitrag macht deutlich, dass er sich auf einen aktuellen Vorstoß eines Landespolitikers bezieht, auf Grundlage einer gerade vorgestellten Studie. Dabei wird auch erwähnt, dass es eine solche Abgabe in anderen Ländern bereits gibt, die Idee als solche also nicht neu ist.

7. Der Beitrag nennt - wo möglich - LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.

Eine Pestizidsteuer könnte ein Weg sein, den Einsatz von Pestiziden zu mindern. Der Beitrag behandelt also einen Lösungsansatz. Allerdings hätte deutlicher werden können, dass es sich hier um einen von mehreren Vorschlägen handelt, den Pestizideinsatz zu verringern. Andere Ansätze (z.B. strengere Gesetze und Grenzwerte, die aktuelle Diskussion um die Neuzulassung von Glyphosat) werden nicht vorgestellt. Lediglich der Nationale Aktionsplan Pflanzenschutz wird angesprochen, ohne jedoch zu erläutern, worum es dabei geht. Wir werten insgesamt „knapp erfüllt“.

8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (lokal/ regional /global) wird dargestellt.

Es wird klar, dass der Vorschlag zwar von einem Landesminister vorgetragen wird, es dabei um aber nicht nur um Schleswig-Holstein, sondern um eine bundesweite Regulierung geht („Deutschland muss sich überlegen, ob es die von der Bundesregierung (…) erklärten Ziele umsetzen will“). Mit Dänemark, Schweden und Frankreich werden andere europäische Länder genannt, in denen eine solche Steuer bereits erhoben wird.

9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.

Der Beitrag bleibt sehr vage, was die zeitliche Dimension angeht. Weder wird die Entwicklung des Pestizid-Einsatzes thematisiert noch die Langzeitwirkung dieser Chemikalien in der Umwelt oder der Zeithorizont der politischen Ziele. Auch der Vorlauf der Debatte – die Pestizidminderungsstrategie der EU und der Aktionsplan für Deutschland – werden nicht beschrieben.

10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT (z.B. KOSTEN) wird einbezogen.

Der Beitrag stellt einen – wissenschaftlich untermauerten – politischen Vorstoß und dessen erwartete ökonomische Auswirkungen vor. Dazu nennt er konkrete Zahlen zur Verteuerung der Pestizide und zu den geschätzte Einnahmen aus der Steuer. Weitere wirtschaftliche Aspekte werden qualitativ beschrieben, sind indes wohl auch noch nicht zu beziffern, etwa die genauen Mehrkosten für die Landwirtschaft, die Rückführung von Mitteln an existenzbedrohte landwirtschaftliche Betriebe und die möglichen Preissteigerungen für Verbraucher. Wichtig finden wir, dass der Beitrag unterscheidet zwischen denen, die die Abgabe zunächst zahlen (Hersteller, Händler, Importeure), und denen, die sie am Ende tragen müssten (Landwirte, Verbraucher). Zusätzlich interessant wären Informationen über den jährlichen Umsatz der Agrarchemie mit Pestiziden gewesen, ebenso wie eine Abschätzung von Umweltschäden durch diese Chemikalien (z.B. Kosten für die Trinkwasseraufbereitung).
Der Konflikt zwischen Bundesumwelt- und Bundeslandwirtschaftsministerium wird angesprochen und auch damit die politische Ebene einbezogen.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)

Der Radiobeitrag greift eine aktuelle Debatte auf und bezieht sich auf eine Studie, die am Vortag der Sendung in einem Pressegespräch vorgestellt wurde. Das Thema – Verringerung des Pestizideinsatzes – ist zudem dauerhaft relevant.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Der Beitrag folgt einer nachvollziehbaren Dramaturgie, ist informativ und erklärt die Sachverhalte verständlich. Die Umsetzung ist mit O-Tönen eines Politiker und eines Wissenschaftlers eher nüchtern und sachlich.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)

Uns sind keinen Faktenfehler aufgefallen.

Umweltjournalistische Kriterien: 8 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 3 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar