Bewertet am 15. September 2015
Veröffentlicht von: Spiegel Online

Spiegel-Online nimmt eine aktuelle, im Internet verfügbare Visualisierung der NASA zum Anlass, über das Problem des Plastikmülls in den Ozeanen zu berichten. Die Angabe zur Müllmenge, die in den Ozeanen treiben soll, ist dabei schwer nachvollziehbar, die große Spannweite der Schätzungen erwähnt der Beitrag nicht.

Zusammenfassung

Eine Simulation der NASA, die die Wege des Plastikmülls in den Weltmeeren aufzeigt, wird von Spiegel-Online aufgegriffen und um weitere Informationen zum Thema ergänzt. Das Umweltproblem wird skizziert und dabei in der Größenordnung eher etwas übertrieben. Dass die genannten Zahlen umstrittene Schätzwerte sind, wird nicht hinreichend deutlich, eine zweite Quelle zu zentralen Zahlenangaben fehlt, und es wird auch sonst keine externe Expertise herangezogen.
Mit „The Ocean Cleanup“ kommt ein geplantes großtechnisches Projekt zur Beseitigung des Mülls zur Sprache, das jedoch recht willkürlich gewählt erscheint. Eine kritische Einschätzung der möglichen Vor- und Nachteile dieses Projekts leistet der Beitrag nicht. Informationen zu Alternativen – etwa zu Bestrebungen, die Müllzufuhr zu unterbinden – fehlen. Initiativen auf politischer Ebene werden kurz angesprochen, jedoch nicht ausreichend erläutert. Positiv werten wir die Nennung der Kosten und Financiers der Projekte. Insgesamt wirkt der Beitrag recht beliebig aus verschiedenen Informationen zum Thema zusammengestellt, ein roter Faden ist für uns nicht erkennbar.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.

Das Problem von Plastikmüll im Meer wird in dem Online-Beitrag für die Dimension, die er in den Blick nimmt, zutreffend beschrieben: Es geht um die Müllstrudel in den Ozeanen, (in denen sich allerdings nur ein Bruchteil des Plastikmülls sammelt, Müll der zu Boden sinkt oder an den Küsten antreibt, wird nicht erwähnt). Einige Risiken des Plastikmülls im Meer werden knapp genannt („Seevögel und Meeressäuger verenden, weil der Dreck ihre Mägen verstopft, Schadstoffe gelangen über Fische in die Nahrungskette“), andere Aspekte fehlen, so die Tatsachen, dass Kunststoffe giftige und hormonell wirksame Zusatzstoffe wie Weichmacher, Flammschutzmittel usw. in die Meeresumwelt abgeben. Der Beitrag stellt auch Chancen zur Beseitigung des Mülls dar (zu unserer Kritik daran siehe Kriterium 7).

Bei der Schätzung zur Müllmenge, die in den Ozeanen treibt – „142 Millionen Tonnen“ – wird nicht erwähnt, dass es auch wesentlich niedrigere Schätzungen gibt; so nennt eine Publikation aus 2014 rund 270.000 Tonnen (siehe dazu auch Kriterium 2). Hier sehen wir eine gewisse Tendenz zur Übertreibung. Da aber unstrittig ist, dass Plastikmüll in den Ozeanen ein erhebliches Umweltproblem darstellt, und der Beitrag dies insgesamt eher nüchtern beschreibt, werten wir noch „knapp erfüllt“.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Zutreffend beschrieben werden die Simulationen der NASA, die laut Beitragstext zeigen sollen, „auf welchen Wegen das Plastik aus den Küstenregionen der Welt in die fünf großen Müllstrudel treibt“. Der Text dazu erläutert, dass hier reale Beobachtungen mit Simulationen kombiniert wurden. Indes sind die Visualisierungen nicht unbedingt für Laien verständlich. Insgesamt wird nicht recht klar, was das Ziel dieser Visualisierungen war, und welche Bedeutung sie für die Erforschung des Müllproblems haben.

Die im Beitrag genannten Zahlen sind z.T. nicht nachvollziehbar belegt, und es wird nicht deutlich, wie groß die Unsicherheiten bei diesen Schätzungen sind. Bei der Zahl von insgesamt 142 Millionen Tonnen in den Ozeanen schwimmenden Mülls bezieht sich der Beitrag auf das Umweltprogramm der Vereinten Nationen UNEP. Diese Zahl konnten wir in einschlägigen UNEP-Veröffentlichungen (z.B. hier) jedoch nicht verifizieren. Stattdessen heißt es auf der UNEP-Webseite zum Müll in den Meeren, dass es keine zuverlässigen Angaben dazu gibt („There are no recent and certain figures on the amounts of marine litter worldwide“, Link nicht mehr verfügbar) .
Allenfalls eine grobe Überschlagsrechnung des Journalisten Stiv Wilson von der Initiative 5Gyres könnte die Zahl stützen: Die dort genannten 315 billion pounds entsprechen 142 Millionen Tonnen. 5Gyres vertritt diese Zahl indes nicht mehr – siehe dazu den Artikel von 2014 in PlosOne, dessen Erstautor Marcus Eriksen vom Five Gyres Institute ist.
Das Umweltbundesamt nennt zwar die Schätzung von 100 bis 142 Millionen Tonnen Müll in den Meeren; davon sollen allerdings nur ca. 15 Prozent im Meer treiben, der Rest ist demnach zu Boden gesunken oder an die Küsten gespült worden (siehe dazu hier). Insgesamt scheint die Angabe im Beitrag wenig wahrscheinlich, zumindest die Unsicherheit hätte thematisiert werden müssen. Belegt ist nur, dass 2013 weltweit 299 Millionen Tonnen Plastik produziert wurden – eine wichtige Bezugsgröße, die im Beitrag fehlt.

3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.

Die NASA wird korrekt als Urheber der gezeigten Visualisierungen angegeben. Besondere Interessenkonflikte sind hier nicht anzunehmen. Bezüglich des Projekts „The Ocean Cleanup“ wird erwähnt, dass dessen Betreiber Boyan Slat Geld vom Internet/Cloud-Unternehmer Marc Benioff bekommen hat.
Dagegen sind zu wichtigen im Beitrag genannten Zahlen Quellenangaben schwer oder gar nicht zu finden. So erschließt sich nicht ohne Weiteres, woher die Schätzung stammt, dass jährlich 4,8 bis 12,7 Millionen Tonnen Plastikmüll im Meer landen (der Link im Beitrag führt nicht direkt zur Quelle, sondern erst wenn man sich durch zwei weitere Beiträge klickt, erfährt man, dass es sich um eine Science-Publikation aus dem Februar 2015 handelt). Zur Zahl von 142 Mio. Tonnen Plastik, das in den Weltmeeren treiben soll, siehe auch Kriterium 2. Hier hätte auf jeden Fall angegeben werden müssen, dass verschiedene Quellen zu sehr unterschiedlichen Schätzungen kommen.

4. PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.

Zu den Visualisierungen der NASA sehen wir keine Notwendigkeit, eine Gegenposition darzustellen. Anders bei der in der zweiten Hälfte des Beitrags beschriebenen Möglichkeit, das Meer vom Kunststoffmüll zu reinigen („The Ocean Cleanup“). Hier wird zwar erwähnt, dass das Verfahren „ äußerst umstritten“ sei, „ Das Projekt sei zu teuer und unrealistisch“. Indes fehlen hier wichtige Gegenargumente zum Projekt: Leserinnen und Leser erfahren nicht, dass es grundlegende Zweifel an der Konstruktion gibt, und erhebliche Bedenken, dass Meeresorganismen, die nicht selbst schwimmen, sondern von Strömungen getragen werden, in großem Umfang in dieser Reinigungsanlage landen könnten. (Link nicht mehr verfügbar). In das Pro und Contra dieser Debatte steigt der Beitrag nicht ein, über alternative Ansätze – vor allem Strategien der Müllvermeidung – berichtet er nicht ( siehe auch Kriterium 7).

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/ das Pressematerial hinaus.

Eine Pressemitteilung zum Beitrag haben wir nicht gefunden. Der Beitrag übernimmt die Simulationen des NASA Scientific Visualization Studio und nutzt bei der Beschreibung die dort verfügbaren Informationen. Es werden darüber hinaus zusätzliche Angaben zum Plastikmüll in den Ozeanen gemacht und es wird ein Ansatz zu dessen Beseitigung vorgestellt.

6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.

Es wird klar, dass es sich um eine neue Visualisierung eines schon länger bestehenden Umweltproblems handelt („Experten der NASA haben nun simuliert…“). Auch erwähnt der Beitrag „Standortdaten von frei schwimmenden Bojen, die die amerikanische Ozeanbehörde NOAA in den vergangenen 35 Jahren gesammelt hat“ – damit wird deutlich, dass hier Daten aus mehreren Jahrzehnten einbezogen wurden.

7. Der Beitrag nennt - wo möglich - LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.

Der Text nennt einen möglichen Lösungsvorschlag, nämlich das Projekt „The Ocean Cleanup“. Dabei bleibt jedoch unklar, warum allein dieses sehr umstrittene technische Konzept vorgestellt wird, während der Handlungsansatz fehlt, der von vielen Experten favorisiert wird: den Müll zu vermeiden, oder ihn so zu entsorgen, dass er nicht ins Meer geweht oder geschwemmt werden kann (siehe z.B. Einschätzung der Generaldirektion Umwelt der EU-Kommission mit Verweisen auf weiter Quellen) . Es fehlen Informationen zu Initiativen wie „5Gyres“, die Zufuhr von Müll in die Ozeane zu unterbinden. Wir werten daher „knapp nicht erfüllt.“

8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (lokal/ regional /global) wird dargestellt.

Schon durch den Anlass des Beitrags – die Visualisierung des Mülls in den Weltmeeren– wird die räumliche Reichweite offensichtlich. Im Text wird angesprochen, dass es aktuell fünf Müllstrudel gibt, in denen große Mengen Plastikmüll treiben. Damit ist klar, dass es sich um ein weltweites Problem handelt. Ein Link zu einer Weltkarte aus einem älteren Spiegel-Online-Beitrag illustriert zudem, wo welche Mengen von Plastikmüll herkommen.

9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.

Es wird erwähnt, dass der Müll über Jahrzehnte bis Jahrhunderte im Meer bleibt. Das ist hier die entscheidende Information. Die Zeitskalen der Prozesse in der Nahrungskette werden allerdings nicht genannt. Interessant wäre es zusätzlich gewesen, die existierenden Hochrechnungen zur künftigen Entwicklung des Plastikmüll-Problems einzubeziehen.

10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT (z.B. KOSTEN) wird einbezogen.

Der Beitrag macht einige Angaben zu Kosten des „Ocean Cleanup“-Projekts, („die erste Anlage soll (..) 246 Millionen Euro kosten“, mindestens 24 Anlagen wären nötig) und auch zu den dafür eingeworbenen Spenden. Erwähnt werden außerdem „gut sieben Millionen Euro“, die zehn EU-Staaten in ein Forschungsprojekt zu Mikroplastik im Meer investieren. Die Kosten, die der Plastikmüll im Meer insgesamt verursacht, werden dagegen nicht angegeben, obwohl es dazu leicht zugängliche Schätzungen im Unep-Jahrbuch 2014 gibt.

Die politische Ebene wird kurz erwähnt („Deutschland hat zudem angekündigt, das Programm bei der G7-Wissenschaftsministerkonferenz im Oktober in Berlin zu erweitern und einen Aktionsplan gegen Meeresvermüllung erarbeiten zu wollen“). Hier hätten wir uns zumindest eine kurze Information dazu gewünscht, worum es dabei gehen soll – um Projekte wie das unmittelbar im Anschluss beschriebene „Ocean Cleanup“ , oder doch eher um Strategien, den Mülleintrag ins Meer zu verringern? Wir werten daher nur „knapp erfüllt“.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)

Die dem Beitrag zugrunde liegende Simulation wurde von der NASA wenige Tage vor Erscheinen des Beitrags online gestellt – damit gibt einen aktuellen Anlass. Außerdem hat die „Ocean-Cleanup“-Gruppe gerade eine Expedition in den pazifischen Müllstrudel abgeschlossen. Plastikmüll in den Meeren ist überdies ein dauerhaft relevantes Umweltproblem.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Es wird klar, dass die NASA in Messungen und Berechnungen den Weg des Plastikmülls in den Weltmeeren verfolgt hat. Zum genaueren Verständnis der Visualisierungen müssen diese allerdings intensiv betrachtet werden, auch wird die Relevanz dieser Informationen nicht ausreichend erläutert. Der anschließend vorgestellte Lösungsansatz scheint willkürlich ausgewählt. Politische Aspekte, wie die G7-Wissenschaftsministerkonferenz im Oktober in Berlin oder die Initiative einiger EU-Staaten, werden ohne jegliche Erläuterung kurz genannt und bleiben damit weitgehend unverständlich für Leserinnen und Leser, die nicht über Vorkenntnisse zum Thema verfügen. Auch ein Begriff wie „Mikroplastik“ kann nicht als allgemein bekannt vorausgesetzt werden. Insgesamt erscheint es so, als ob hier recht willkürlich einige Informationen zum Problem zusammengestellt wurden, ein roter Faden ist im Text kaum zu erkennen.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)

Mindestens unvollständig ist die Wiedergabe der angeblichen Unep-Schätzung zum in den Meeren treibenden Müll („142 Millionen Tonnen“), siehe dazu unsere Ausführungen unter 2. Belege. Es gibt ganz unterschiedliche Schätzungen zum Müll in den Meeren, und einige davon liegen deutlich niedriger. Wir werten daher nur „knapp erfüllt“.

Umweltjournalistische Kriterien: 6 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar