Der Beitrag auf Focus online greift das kontroverse Thema Geoengineering auf, den Versuch also, den Klimawandel durch technische Eingriffe in das Klimasystem der Erde zu verlangsamen. Wie das funktionieren soll, und warum diese Versuche so umstritten sind, erklärt der Beitrag nicht ausreichend.
Zusammenfassung
Focus online berichtet in einem längeren Text über zwei aktuelle Studien des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und des Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) zum Geoengineering. Dabei geht es um Pläne, durch technische Maßnahmen das Treibhausgas CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen oder die Sonneneinstrahlung abzuschwächen, und so dem Klimawandel entgegenzuwirken. Ob das technisch realistisch und gesellschaftlich akzeptabel ist, ist den Wissenschaftlern zufolge zweifelhaft. Der journalistische Beitrag macht widersprüchliche Aussagen zu den Möglichkeiten des Geoengineering. Anfangs formuliert er: „Stoppen lässt sich der Klimawandel nicht mehr“, später wird behauptet, es sei unklar, ob sich die Erderwärmung „stoppen oder gar umkehren“ lasse.
Das Thema ist durchaus relevant, zumal auch der jüngste IPCC-Bericht eine Möglichkeit des Geoengineering in Szenarien einbezieht, um den Temperaturanstieg zu begrenzen. Indes nimmt der Beitrag auf diesen Kontext keinen Bezug. Er beschränkt sich darauf, nacheinander den Inhalt der beiden Studien, z.T. eng angelehnt an die Pressemitteilungen, wiederzugeben. Dass es sich um eine seit vielen Jahren andauernde Debatte handelt, wird dabei nicht deutlich. Der Beitrag deutet zwar an, dass es Kontroversen um das Geoengineering gibt, doch warum das so ist, bleibt unklar; Argumente pro und contra nennt der Beitrag nicht. Ohne eine solche Einordnung aber kann der Laie mit den vorgestellten Ergebnissen wohl recht wenig anfangen.
Umweltjournalistische Kriterien
1. KEINE ÜBERTREIBUNG / VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.
Die Frage, ob Geoengineering „größenwahnsinnig oder genial“ ist, wird lediglich in Überschrift und Zwischenüberschrift gestellt. Der Beitrag selbst bezieht dazu keine Position. Er zitiert die Autoren des EUTRACE-Berichts mit der Einschätzung, dass die Technologien zur Entfernung von Kohlendioxid aus der Atmosphäre oder zur Veränderung des Strahlungshaushalts der Erde in absehbarer Zeit kaum einen Beitrag gegen die Erderwärmung leisten können. Auch, ob Geoengineering die Versauerung der Ozeane mindern könnte, ist dem Beitrag zufolge fraglich. Während also die Machbarkeit durchaus kritisch dargestellt wird, bleibt unklar, welche Risiken die diskutierten Geoengineering-Techniken mit sich bringen. Hier sehen wir eine gewisse Tendenz zur Verharmlosung und werten daher „knapp erfüllt“.
2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.
Im Text wird klar, dass es sich bei der ersten beschriebenen Studie um eine Metaanalyse und bei der zweiten um Ergebnisse von Simulationen handelt. Allerdings gibt es im Detail manche Ungenauigkeiten; so wird darauf verzichtet, den in der EUTRACE-Studie beschriebenen Wissensstand über die Eisendüngung der Ozeane zu erwähnen. Eines der Ergebnisse umstrittener Feldversuche war, dass es keine Gewissheit darüber gibt, ob CO2 tatsächlich langfristig in den absterbenden Algen gebunden bleibt und auf den Meeresboden absinkt, wie es im Online-Beitrag dargestellt wird.
Fälschlicherweise wird die Tatsache, dass bislang ein Viertel der menschlichen CO2-Emissionen von den Ozeanen aufgenommen wurde, auch als Ergebnis der PIK-Studie dargestellt – dem ist nicht so – siehe allgemeinjournalistisches Kriterium 3, Faktentreue. Insgesamt werten wir daher nur „knapp erfüllt“.
3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Abhängigkeiten deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.
Die Urheber der beiden Studien werden genannt – das Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in einem Forschungskonsortium und das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Im Text fehlt die Information, dass die EUTRACE-Studie von der EU-Forschungsdirektion in Auftrag gegeben worden ist. Ob es für die PIK-Studie einen Auftraggeber gab, oder wo sie veröffentlicht wurde (in der Fachzeitschrift „Nature Climate Change“) erfährt man nicht. Sowohl das IASS als auch dessen Forschungspartner sowie das PIK werden in großem Umfang aus öffentlichen Mitteln gefördert; besondere Interessenkonflikte sind für uns nicht erkennbar.
Der Beitrag nutzt zwar zwei Studien als Quellen, reiht deren Aussagen allerdings nur aneinander, ohne sie aufeinander zu beziehen. Zu den zitierten Studien kommen nur jeweils deren Autoren zu Wort; die Ergebnisse werden also nicht durch andere Experten eingeordnet. Wir werten daher „knapp nicht erfüllt“.
4. PRO UND CONTRA: Es werden die wesentlichen relevanten Standpunkte angemessen dargestellt.
In dem Beitrag wird zwar angedeutet, dass Geoengineering stark umstritten ist – etwa durch einen Verweis auf die fragliche Akzeptanz in der Bevölkerung. Doch kommen weder die Argumente der Befürworter noch die der Gegner zu Wort. Angesichts der kontroversen Meinungen hätten wir von einem so langen Text erwartet, zumindest in Grundzügen die verschiedenen Positionen darzustellen.
Beispielsweise wäre zu erwähnen gewesen, dass Geoengineering in den Szenarien des jüngsten IPCC-Berichts vorkommt (in der Variante der Nutzung von Biomasse kombiniert mit Abscheidung und Verpressung von CO2). Etliche Experten meinen, dass ohne solche Techniken das Zwei-Grad-Ziel nicht mehr zu erreichen sei. Solche Stimmen kommen im Beitrag ebenso wenig vor wie eine konkrete Beschreibung der Gegenposition. Ob man auf derartige Techniken verzichten kann, wird sehr kontrovers diskutiert. Aus dem vorliegenden Beitrag erfährt man dies nicht.
5. PRESSEMITTEILUNG: Der Beitrag geht deutlich über die Pressemitteilung / das Pressematerial hinaus.
Der Betrag nutzt zwei Pressemitteilungen, weitere Quellen sind nicht einbezogen. Nicht nur Zitate der beteiligten Wissenschaftler sondern auch weitere Textpassagen sind wörtlich oder fast wörtlich aus den Pressemitteilungen von IASS und PIK übernommen. Insbesondere die Darstellung der PIK-Studie gibt mit nur leichten Varianten und Kürzungen die betreffende Pressemitteilung wieder. Da zumindest zwei verschiedene Pressemittelungen einbezogen sind, werten wir nur „knapp nicht erfüllt”.
6. ALT oder NEU: Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.
Aus dem Text geht nicht hervor, dass sowohl das Geoengineering als auch seine Grenzen seit gut zwei Jahrzehnten intensiv diskutiert werden. Wie alt oder neu die Ergebnisse sind, die in der zitierten Metastudie ausgewertet werden, und worin aktuell der Erkenntnisgewinn besteht, erfahren Leserinnen und Leser nicht. Auch die Versauerung der Ozeane, von der im zweiten Teil des Beitrags berichtet wird, ist ein seit langem bekanntes Problem, ohne dass der Beitrag dies erwähnt.
7. LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN / kein „Greenwashing“: Der Beitrag nennt Wege, um ein Umweltproblem zu lösen, soweit dies möglich und angebracht ist.
Geoengineering wird von einigen Forschern als Lösung für das Problem des Klimawandels propagiert. Dass diese Erwartung eher nicht erfüllt werden kann, ist sowohl das Thema des EUTRACE-Reports als auch der PIK-Studie, wie der Beitrag korrekt referiert. Es wird auch klar, dass die Alternative zum Geoengineering mit seinen Grenzen und Risiken das Einsparen von Emissionen ist.
8. RÄUMLICHE DIMENSION (lokal / regional / global): Die räumlichen Dimensionen eines Umweltthemas werden dargestellt.
Es geht um globale Risiken und globale Handlungsoptionen, das wird im Beitrag einigermaßen deutlich. Aus dem Text lässt sich ableiten, dass es um großskalige Technologien mit weltweiten Auswirkungen geht. Wir hätten uns allerdings gewünscht, z.B. beim Thema Aerosole etwas Genaueres über das Verhältnis von regionalen und globalen Auswirkungen zu erfahren: Was, wenn z.B. an einer Stelle des Erdballs ausgebrachte Partikel anderswo den Monsun zum Erliegen bringen? Oder wenn eine Maßnahme zwar global Erleichterung bringt, aber regional nachteilige Folgen hat? Insgesamt werten wir „knapp erfüllt“.
9. ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit): Die zeitliche Reichweite eines Umweltproblems oder Phänomens wird dargestellt.
Dass es bei der Bewertung der Technologien um mehrere Jahrzehnte Reichweite geht, wird aus dem Text deutlich.
Der Beitrag nennt auch konkrete Zeiträume und Jahreszahlen, aber teils so, dass Leserinnen und Leser nicht viel damit anfangen könnten. Zur EUTRACE-Studie heißt es beispielsweise, Geoengineering werde wohl in der Klimapolitik der nächsten Jahre oder Jahrzehnte keine Rolle spielen. Aber später schon? Ab wann möglicherweise? Zur Studie des PIK wird zwar das Jahr 2150 genannt, nach dem „sogar das Herausholen großer Mengen CO2 aus der Atmosphäre und den Ozeanen nicht viel helfen würde“. Erst nach Jahrhunderten kämen Ozeane und Atmosphäre wieder ins Gleichgewicht. Doch wird nicht klar, wann die erwähnten 90 Milliarden Tonnen CO2 in der Simulation aus der Luft entfernt werden? Sofort oder erst nach 2150? Werden die Emissionen bis dahin unvermindert fortgesetzt? Hier wären mehr Informationen nötig, daher nur „knapp erfüllt”.
10. KONTEXT / KOSTEN: Es werden politische, soziale oder wirtschaftliche Aspekte eines Umweltthemas einbezogen.
Der Beitrag spricht, in enger Anlehnung an die Pressemitteilungen, gesellschaftliche Aspekte an, so das Problem der Akzeptanz der Geoengineering-Technologien in der Bevölkerung. Auswirkungen des Geoengineering auf „Konfliktrisiken und gesellschaftliche Stabilität“ werden genannt. Auch der politische Rahmen wird erwähnt, z.B. mit der Forderung nach einer gemeinsamen Position der EU-Staaten. Indes bleibt dies alles sehr vage. Die wichtige Frage, was solche Maßnahmen kosten würden, und wer dafür aufkommen sollte, blendet der Text weitgehend aus; nur ganz beiläufig wird „kostspielige Infrastruktur“ erwähnt. Wir werten daher „knapp erfüllt“.
Allgemeinjournalistische Kriterien
1. THEMENAUSWAHL: Das Thema ist aktuell, oder auch unabhängig von aktuellen Anlässen relevant oder originell.
Der Beitrag bezieht sich auf zwei aktuelle Studien. Zudem ist das Thema von hoher Relevanz, weil es seit einer Studie der Royal Society in Großbritannien vor sechs Jahren eine ernst zu nehmende Diskussion über das Thema Geoengineering auch in Europa gibt.
2. VERMITTLUNG: Komplexe Umweltzusammenhänge werden verständlich gemacht.
Der Text referiert nacheinander die Ergebnisse zweier Studien anhand der Pressemitteilungen. Eine Dramaturgie, die das Thema auch für nicht speziell interessierte Leserinnen und Leser interessant macht, ist dabei nicht zu erkennen. Etliche Formulierungen sind für Laien unverständlich – wer nicht bereits weiß, was mit „Ozeandüngung“ oder „reflektierenden Aerosolen“ gemeint ist, kann schon den zweiten Satz nicht verstehen. Auch Rückstrahlvermögen/Albedo wird nicht erklärt. Mechanismen, über die Eisendüngung, Aerosole oder die erwähnten „Fänger” wirken würden, werden nicht allgemeinverständlich dargestellt. Auch ein verlinkter Text zu den „Fängern“ erläutert deren Wirkungsweise nicht nachvollziehbar. Widersprüche in der Darstellung werden nicht aufgelöst, es bleibt unklar, ob der Klimawandel nun „gestoppt“ werden soll oder nicht – siehe unter 3., Faktentreue.
3. FAKTENTREUE: Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder.
Es geht beim Geoengineering kaum darum, den Klimawandel „zu verhindern“, „die Erde abzukühlen” oder die Erderwärmung zu „stoppen“ oder „umzukehren“, das wäre nicht realistisch; die Technik kann allenfalls einen Beitrag liefern, also die Erderwärmung verlangsamen, wie aus den Studien deutlich wird. Der Beitrag macht dazu widersprüchliche Aussagen: Heißt es eingangs, „stoppen lässt sich der Klimawandel nicht mehr“, wird wenig später formuliert, es sei unklar, ob sich die Erderwärmung „stoppen oder gar umkehren“ lasse.
Außerdem scheint es im Beitrag so, als ob die Studie des PIK ergeben habe, dass ein Viertel der CO2-Emissionen bisher von den Ozeanen aufgenommen wurde. Dies wurde aber in der Studie nicht untersucht.
Umweltjournalistische Kriterien: 6 von 10 erfüllt
Allgemeinjournalistische Kriterien: 1 von 3 erfüllt
Da fünf der sechs erfüllten umweltjournalistischen Kriterien nur „knapp erfüllt“ sind, werten wir um einen Stern ab.