Bewertet am 10. Juni 2015
Veröffentlicht von: Frankfurter Allgemeine Zeitung

Die FAZ berichtet über ein neues Verfahren, mit dem aus Holz oder Zuckerrüben Kohlenwasserstoffe, etwa für Benzin, hergestellt werden können. Ob dies wirtschaftlich und ökologisch sinnvoll ist, erörtert der eng an die Informationen des Herstellers angelehnte Artikel nicht.

Zusammenfassung

Der Artikel, der im Ressort Technik und Motor der FAZ erschienen ist, beschreibt recht detailliert ein neues biotechnisches Verfahren zur Herstellung synthetischen Kraftstoffs aus Biomasse. Anlass ist eine Pressemeldung, die über die erste Lieferung derartigen Benzins an einen Autohersteller berichtet. Mit seiner sehr fachlichen Sprache setzt der Beitrag einen hohen Informationsstand der Leser voraus. Der Artikel beschreibt – ohne diesen Begriff zu verwenden – dass genmanipulierte Bakterien aus Zucker den chemischen Grundbaustein Isobuten erzeugen, der unter anderem zu hochwertigem Treibstoff weiterverarbeitet werden kann. Während die fachlich-technische Seite präzise und detailreich dargestellt ist, hinterfragt der Beitrag die praktische Anwendbarkeit und den ökologischen und ökonomischen Nutzen des Verfahrens nicht.

Der Artikel stützt sich ausschließlich auf Informationen aus dem Kreis der beteiligten Forscher und Unternehmen und bezieht keine unabhängige Quelle ein. Insgesamt fehlt es an kritischer Distanz zum Berichtsgegenstand. So wird auch die wichtige Frage nach den Umweltfolgen eines gesteigerten Anbaus von Zuckerrüben oder andere Zuckerquellen nicht gestellt.

Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass es ein weiteres Verfahren der Nutzung von Biomasse gibt, doch ob es Chancen hat, sich in der Praxis zu behaupten, bleibt genauso offen wie die Frage der ökologischen Sinnhaftigkeit.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE ÜBERTREIBUNG / VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.

Der Beitrag beschreibt in weitgehend sachlichem Ton die Herstellung von Isobuten-Treibstoffen aus Biomasse und stellt sie als umweltfreundliche Alternative zu fossilen Treibstoffen dar. Mögliche Hemmnisse, die einer baldigen Verbreitung des neuen Treibstoffs entgegenstehen könnten, werden nicht ausreichend thematisiert. So bleibt etwa die Frage unbeantwortet, welche Mengen aufgrund begrenzter Flächen und Rohstoffe mit dem „weltweit einzigartigen“ Verfahren überhaupt produziert werden können (siehe auch Kriterium 4, Pro und Contra). Der Beitrag verschweigt zudem, dass es sich bei den hier verwendeten Mikroorganismen offenbar um gentechnisch veränderte Bakterien handelt, was für Leserinnen und Leser eine wesentliche Information gewesen wäre. Stattdessen wird verharmlosend nur davon gesprochen, es sei gelungen, Bakterien „zu verändern“. Ob sich damit besondere Sicherheitsfragen stellen, thematisiert der Beitrag nicht. Damit betrachten wir die Darstellung insgesamt als übertrieben positiv.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Der Beitrag ist in wissenschaftlicher Hinsicht zwar reich an Fakten. Doch bleibt deren Aussagekraft fachlich nicht einschlägig vorgebildeten Leserinnen und Lesern oft verschlossen. Wie relevant ist etwa die Herstellung von 100 Tonnen Isobuten pro Jahr in einer Demonstrationsanlage in Leuna oder von 50.000 t/a in einer geplanten industriellen Produktionsanlage in Frankreich angesichts der Jahresproduktion von 15 Millionen Tonnen Isobuten weltweit? Welche Flächen für den Anbau von Biomasse würden benötigt, um relevante Mengen fossiler Brennstoffe zu ersetzen? Dies erscheint uns bedeutsamer als die Angabe, wie viel Zucker für die Innenbeschichtung von fünf Autoreifen benötigt wird.
Vage sind die Angaben zum Energieverbrauch, von dem es lediglich heißt, er sei „gering“. Hier fehlen Zahlen und Belege. Unbefriedigend sind auch die Ausführungen zum Einsatz von Holz als Rohstoff. Laut Fraunhofer CBP muss aus dem Holz zunächst die Zellulose extrahiert werden, die dann für die Treibstoffproduktion nutzbar ist. Wie hoch die Ausbeute dann tatsächlich ist, berichtet der Artikel nicht.

3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Abhängigkeiten deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.

Der Artikel bezieht sich nicht auf eine wissenschaftliche Veröffentlichung. Ob die vorgestellten Ergebnisse – etwa zur gentechnischen Veränderung der Bakterien – bereits publiziert wurden, erschließt sich nicht. Die im Beitrag genannten Fakten beruhen alle auf Aussagen der beteiligten Forscher und Industrieunternehmen. Zwar werden diese korrekt als Quellen genannt. Da der Beitrag aber keine Stellungnahme unabhängiger Experten oder entsprechende Publikationen als weitere Quellen heranzieht, ist dieses Kriterium nicht erfüllt.

4. PRO UND CONTRA: Es werden die wesentlichen relevanten Standpunkte angemessen dargestellt.

Der Beitrag stellt ausschließlich die Ergebnisse und Einschätzungen der an dem Forschungs- und Entwicklungsprojekt Beteiligten dar. Dementsprechend werden nur Vorteile erwähnt, jede kritische Einordnung fehlt. So ist die Rede vom „Vorzug, aus nachwachsenden Rohstoffen gewachsen zu sein“, ohne dass nach der Umwelt- und Energiebilanz gefragt wird. Ist es wirklich sinnvoll, Biomasse auf diese Weise zu verwerten, oder wäre es günstiger, daraus mit anderen (einfacheren) Verfahren Strom und Wärme zu produzieren? Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hatte in einer Stellungnahme 2007 (z.B. S. 38, S. 41) bereits erklärt, man könne durch eine Nutzung von Biomasse im stationären Bereich über Kraft-Wärme-Kopplung wesentlich höhere Energiepotenziale erschließen als bei Nutzung der gleichen Fläche zur Herstellung von Biokraftstoffen. Mit keinem Wort geht der Beitrag darauf ein, welche Umweltfolgen der großflächige Anbau der Zuckerquellen haben könnte, und welche Flächennutzungskonflikte hier entstehen oder verschärft werden könnten. Auch denkbare Probleme des gentechnischen Herstellungsprozesses oder bei einer Freisetzung der Bakterien bleiben außen vor.

5. PRESSEMITTEILUNG: Der Beitrag geht deutlich über die Pressemitteilung / das Pressematerial hinaus.

Der Text greift auf die Presseinformationen der Firma Global Bioenergie zurück. Darüber hinaus wurden weitere Fakten recherchiert und offenbar ein Gespräch mit einem beteiligten Wissenschaftler geführt.

6. ALT oder NEU: Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.

Der Beitrag berichtet davon, dass nach jahrelangen Entwicklungsarbeiten der Autohersteller Audi „vor wenigen Tagen“ die erste Lieferung von Oktooktan erhalten hat, das biotechnisch durch Fermentation gewonnen wurde. Unterschiede zur Produktion von Bio-Alkohol werden kurz dargestellt. Dagegen fehlt der Hinweise, dass die Herstellung von Treibstoff aus Holz ein altes Thema ist, etwa der Vergleich mit dem einst so gefeierten Carbo-V-Verfahren. Wir werten „knapp erfüllt“.

7. LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN / kein „Greenwashing“: Der Beitrag nennt Wege, um ein Umweltproblem zu lösen, soweit dies möglich und angebracht ist.

Der Beitrag beschreibt ein Verfahren, das einen Beitrag zur Lösung der Probleme leisten soll, die mit der Nutzung fossiler Brennstoffe einhergehen. Allerdings fehlt eine Einordnung, wie sinnvoll eine solche Lösung ökologisch und ökonomisch ist, und ein Vergleich mit anderen Optionen. Daher werten wir „knapp erfüllt“.

8. RÄUMLICHE DIMENSION (lokal / regional / global): Die räumlichen Dimensionen eines Umweltthemas werden dargestellt.

Der Artikel informiert darüber, dass es sich um Forschungsergebnisse handelt, die in Kooperation deutscher und französischer Wissenschaftler und Unternehmen entstanden sind. Nach Unternehmensangaben handele es sich um einen weltweit einmaligen Forschungserfolg. Es wird angesprochen, dass das  Verfahren insbesondere für die europäische Zuckerindustrie von Interesse ist. Sollte es technisch und wirtschaftlich, sowie unter Rohstoffaspekten eines Tages eine Alternative zu den fossilen Treibstoffen darstellen, würde es die globalen Treibstoffmärkte betreffen. Unerwähnt bleiben globale Auswirkungen, etwa die Frage, welche Folgen der Anbau von Biomassepflanzen auf landwirtschaftlichen Flächen insbesondere für Entwicklungsländer haben könnte. Insgesamt werten wir dieses Kriterium „knapp erfüllt.“

9. ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit): Die zeitliche Reichweite eines Umweltproblems oder Phänomens wird dargestellt.

Der Beitrag stellt dar, wie lange die Entwicklungsarbeiten gedauert haben (vor sieben Jahren wurde das Unternehmen gegründet), dass derzeit eine Demonstrationsanlage gebaut wird und eine größere Fertigung in Frankreich für 2018 geplant ist. Ferner wird berichtet, wie lange die Produktion selbst dauert („einige Tage“). Interessant wäre allerdings gewesen, in welchen Zeiträumen sich die Produktion von biotechnisch erzeugtem Isobuten künftig entwickeln könnte – wie schnell also eine denkbare Alternativindustrie zur Petrochemie entstehen könnte. Zu der im letzten Absatz angesprochenen Option – der möglichen Isobuten-Produktion aus Abgasen – fehlt die zeitliche Einordnung; es bleibt offen, um es sich um erste Forschungsansätze handelt oder bereits um etwas konkretere Entwicklungen. Wir werten insgesamt „knapp erfüllt“.

10. KONTEXT / KOSTEN: Es werden politische, soziale oder wirtschaftliche Aspekte eines Umweltthemas einbezogen.

Der Beitrag macht einige Angaben zur Wirtschaftlichkeit (der Biotech-Rohstoff werde konkurrenzfähig, wenn der Ölpreis auf 150 Dollar je Barrel steigt, auf dem Chemikalienmarkt schon ab einem Ölpreis von 85 Dollar je Barrel). Doch weder wird der aktuelle Ölpreis zum Vergleich genannt, noch gibt es Angaben zu den Rohstoffpreisen, z.B. für Zucker, und deren absehbare Entwicklung. Unerwähnt bleibt das Potenzial des Verfahrens: Welchen Anteil der fossilen Treibstoffe könnte die Produktion aus Biomasse in Deutschland / Europa künftig ersetzen?

Der politische Kontext wird völlig ausgeklammert. Interessant zu erfahren wäre es gewesen, warum eine Pilotanlage in Leuna mit Mitteln des Bundesforschungsministeriums gefördert wird, während die beteiligten Unternehmen offenbar alle in Frankreich ansässig sind und die französische Zuckerindustrie (Cristal Union) die ersten Schritte hin zur großtechnischen Produktion geht. Hier fehlen Erläuterungen zu den forschungs- und industriepolitischen Zusammenhängen.

Wir vermissen eine Betrachtung der ökologischen und auch der sozialen Konsequenzen der Herstellung von biotechnisch hergestelltem Isobuten auf Basis von land- und forstwirtschaftlichen Zuckerquellen.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. THEMENAUSWAHL: Das Thema ist aktuell, oder auch unabhängig von aktuellen Anlässen relevant oder originell.

Alternativen zu fossilen Treibstoffen sind ein relevantes Thema, das sowohl bei technikaffinen als auch  bei umweltinteressierten Lesern auf Interesse stoßen dürfte. Aktuell ist das Thema auch aufgrund der ersten Lieferungen von biotechnisch erzeugtem Benzin an Audi, wenngleich das auch eine inszenierte Aktualität ist, um das Thema (und damit die beteiligten Firmen) in die Medien zu bringen.

2. VERMITTLUNG: Komplexe Umweltzusammenhänge werden verständlich gemacht.

Der Beitrag setzt beim Leser beträchtliches an Wissen voraus, Begriffe wie „Echerichia coli“ oder „Stammoptimierungen“ und fachliche Formulierungen wie „fermentative Verfahren zur Umwandlung von erneuerbaren Rohstoffen in Kohlenwasserstoffe“ sprechen allenfalls ein überdurchschnittlich informiertes Publikum an. Auch versteht der Beitrag sich offenbar als Sprachrohr der an der Forschung beteiligten Unternehmen und Forscher, die kritische Distanz zu diesem durchaus interessanten Thema fehlt. Der letzte Absatz wirkt zudem recht zusammenhanglos angefügt; er eröffnet ein neues Thema, ohne dieses dann auszuführen.

3. FAKTENTREUE: Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder.

Faktenfehler sind uns keine aufgefallen.

Umweltjournalistische Kriterien: 5 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt

Da vier Kriterien nur knapp erfüllt sind, werten wir um einen Stern ab.

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar