Bewertet am 30. April 2015
Veröffentlicht von: Die Welt

„Die Welt“ berichtet über Umweltbelastungen durch die konventionelle Landwirtschaft. Sie greift damit eine aktuelle Studie des Umweltbundesamtes auf, zieht aber keine weiteren Quellen heran.

Zusammenfassung

Der Beitrag in der Tageszeitung „Die Welt“ stellt eine Studie des Umweltbundesamtes (UBA) vor, die vielfältige negative Auswirkungen der Landwirtschaft auf die Umwelt beschreibt. Dabei beschränkt sich der Artikel darauf, das vorgelegte Papier zu referieren und einige Zitate der Präsidentin des UBA einzuflechten.

Die in der Studie genannten Fakten werden oft nur sehr oberflächlich – und an einer Stelle auch fehlerhaft – dargestellt, es fehlen Beispiele, Hintergründe und eine politische Einordnung. So wird nicht hinterfragt, warum Zielvorgaben zur Förderung des ökologischen Landbaus nicht eingehalten wurden. Die Verantwortung für Umweltbelastungen wird – der Studie folgend – der Landwirtschaft zugewiesen, ohne dass Vertreter dieser Gruppe zu Wort kommen. Weder Umweltverbände noch Politiker werden befragt, auch andere Studien werden nicht herangezogen.

Wirtschaftliche Aspekte spricht der Beitrag zwar mehrfach an, doch fehlt es an konkreten Zahlen und Informationen dazu, wie sie in einem Artikel dieser Länge zu erwarten wären. Ausgeblendet bleibt die wichtige Frage des Lebensmittelmarktes.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.

Der Beitrag verharmlost nicht, er stellt das Problem in seiner Brisanz angemessen dar, ohne die Auswirkungen der Landwirtschaft auf die Umwelt zu übertreiben. Damit spiegelt der Beitrag auch exakt den Zungenschlag wider, den das Umweltbundesamt (UBA) dem Thema gibt: Es gibt ein ernsthaftes Problem, aber man hat es erkannt, Gegenmaßnahmen sind möglich. Etwas befremdlich ist allerdings, wie hier der Eindruck einer investigativen Recherche erweckt wird („…heißt es in dem 40-seitigen Papier, das der ‚Welt‘ vorliegt“) während es sich tatsächlich um eine für jedermann zugängliche Publikation des UBA (mit 32 Seiten) handelt, die am gleichen Tag wie der journalistische Beitrag online publiziert wurde.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Die ausgewählten Zahlen und Fakten sind verständlich dargestellt, allerdings nicht in jedem Punkt korrekt: Die Aussage zum Anteil der Landwirtschaft an den Treibhausgasen entspricht nicht dem, was in der UBA-Studie beschrieben ist. Es heißt im Beitrag, die Landwirtschaft sei „nach der Industrie der zweitgrößte Verursacher von Treibhausgasen in Deutschland“. Dies trifft so nicht zu. Die Landwirtschaft ist nur dann der zweitgrößte Verursacher, wenn viele andere Emissionen (Kraftwerke, Verkehr, Haushalte…) zu einer Gruppe zusammengefasst werden, die dann an erster Stelle liegt. In der Studie und auch der zugehörigen Pressemitteilung ist das, anders als im journalistischen Beitrag, korrekt dargestellt – siehe auch allgemeinjournalistisches Kriterium 3, Faktentreue. Sehr viel aufschlussreicher wäre hier eine Aufschlüsselung der verschiedenen Bereiche und die Angabe absoluter Zahlen gewesen.

3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.

Der Beitrag bezieht sich allein auf das Umweltbundesamt und seine Präsidentin. Diese Fachbehörde des Bundes kann ohne weitere Erläuterung als bekannt vorausgesetzt werden. Besondere Interessenkonflikte sind nicht erkennbar. Der Beitrag zieht jedoch keine zweite Quelle heran, die die Aussagen des UBA überprüfen oder einordnen könnte. Was sagt der Bauernverband? Was sagen Umweltpolitiker? Was sagen Agrarpolitiker? Was sagen die Verbände der ökologischen Landwirtschaft? Oder Umweltverbände? (Beispielsweise hätte man aufgreifen können, dass Greenpeace kurz zuvor eine Aktion gegen Billigfleisch bei McDonald‘s in 43 deutschen Städten gemacht hatte.)

4. PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.

Der Beitrag stützt sich einzig auf eine Publikation des Umweltbundesamtes, die unter dem Stichwort „Hintergrund“ auch als Broschüre veröffentlicht wurde. Diese wird im Beitrag zusammengefasst, und mit einigen Zitaten der UBA-Präsidentin Maria Krautzberger ergänzt, die im Wesentlichen Inhalte der Studie wiedergeben. Der Beitrag beschreibt der Studie folgend korrekt, dass Landwirte zu den „größten Verschmutzern“ gehören, unterlässt es aber, eine Stellungnahme von Seiten der Landwirtschaft einzuholen. Ebenso wenig kommen politische Akteure zu Wort, die indirekt kritisiert werden, weil das Ziel der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung nicht eingehalten wurde, den Anteil des Ökolandbaus schon bis 2010 auf 20 Prozent zu erhöhen.

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/ das Pressematerial hinaus.

Eine Pressemitteilung des UBA lag zum Zeitpunkt, als der Beitrag erschien, nicht vor. Erst im Laufe des Erscheinungstages versandte das UBA eine entsprechende Mitteilung. Da sich der Artikel also nicht auf eine Pressemitteilung stützt, ist dieses Kriterium erfüllt. Allerdings hält sich der Beitrag sehr eng an die vorgestellte Studie, insbesondere die 2-seitige Zusammenfassung. Daher werten wir nur „knapp erfüllt“.

6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.

Es wird im Beitrag klar, dass die genannten Probleme seit längerem bestehen und eine Studie des UBA nun bestätigt, dass die konventionelle Landwirtschaft erheblich zu Umweltproblemen beiträgt. Dabei wird jedoch nicht deutlich, was davon prinzipiell schon bekannt war, und wo die UBA-Studie neue Erkenntnisse liefert. Dass die Landwirtschaft erheblich zur Nitratbelastung des Grundwassers beiträgt und Treibhausgase emittiert, ist ja nicht überraschend. Hier hätte man gern gewusst, ob die UBA Studie dies jetzt nur genauer mit Zahlen belegt, oder ob bestimmte Belastungen vielleicht größer sind, als bisher angenommen. Wir werten daher „knapp nicht erfüllt“.

7. Der Beitrag nennt - wo möglich - LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.

Mit der Ausweitung des Ökolandbaus auf einen Anteil von 20 Prozent (gemeint ist der Flächenanteil, was im Artikel nicht ganz deutlich wird) nennt der Artikel einen Lösungsansatz. Allerdings fehlt es an genaueren Ausführungen dazu: Warum gerade 20 Prozent? Welche konkreten Verbesserungen wären mit einem solchen Anteil verbunden? Wie ließe sich eine solche Steigerung erreichen (zum Punkt Umstellungsförderung siehe Kriterium 10)? Weitere Handlungsoptionen, außer dem allgemeinen Bestreben nach einer „weniger intensiven Landwirtschaft“ spricht der Beitrag nicht an. Kann man bestimmte Stoffe womöglich verbieten? Wie lässt sich die Ausbringung von Giften und Dünger begrenzen (die Studie geht z.B. auf die Düngemittelverordnung ein)? Wir werten daher „knapp nicht erfüllt“.

8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (global/lokal) wird dargestellt.

Beschrieben wird die Situation in Deutschland, auf die sich das zugrundliegende UBA-Papier bezieht. Über den Aspekt der Treibhausgase und das Ausschwemmen von Stickstoff „in Flüsse, Seen und Meere“ kommt der globale Bezug hinzu, ohne dass dies im Artikel weiter ausgeführt wird.

Interessant wären sowohl regionale Differenzierungen innerhalb Deutschlands gewesen als auch Vergleiche mit anderen Ländern. Zum ersten Punkt sind in der UBA-Studie Karten enthalten, zum Beispiel zur Eutrophierung und zur Versauerung, auf die der Beitrag aber nicht eingeht. Zum zweiten Punkt wäre zu recherchieren gewesen: Wie steht Deutschland im internationalen Vergleich z.B. mit anderen EU-Ländern da? Da keiner dieser Aspekte auch nur exemplarisch ausgeführt wird, werten wir „knapp nicht erfüllt“.

9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.

Der Beitrag nennt verschiedene zeitliche Aspekte: Während der vergangen 30 Jahre sei die Umweltbelastung in vielen Bereichen zurückgegangen, während es bei der Landwirtschaft kaum Verbesserungen gegeben habe. Das Ziel eines Anteils von 20 Prozent Ökolandbau bis 2010 wurde nicht erreicht, dies soll nun bis 2020 gelingen. Damit ist eine grobe zeitliche Orientierung gegeben, wenn auch mit Ungenauigkeiten. So wird in der UBA-Studie beispielsweise berichtet, dass der Absatz an Pflanzenschutzmitteln 2012 einen neuen Höchststand erreicht habe. Es wäre also auch auf Verschlechterungen hinzuweisen gewesen.
Weiter zeitliche Aspekte wären interessant, etwa: Wie schnell sinken die hohen Stickstoffwerte bei Umstellung auf ökologischen Landbau? Wie lange dauert es, bis sich ein verändertes Düngeverhalten regional im Grundwasser bemerkbar macht? Wie lange bleiben die Herbizide in der Umwelt bestehen?
Im Rahmen des recht umfangreichen Artikels wäre auch eine kurze historische Einordnung möglich gewesen: Seit wann ist die Landwirtschaft als große Umweltbelastung einzustufen? Seit wann steht das Thema politisch auf der Tagesordnung?
Daher werten wir nur „knapp erfüllt“.

10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT (z.B. KOSTEN) wird einbezogen.

Wirtschaftliche Gesichtspunkte werden im Artikel mehrfach angesprochen, so heißt es, dass „Anreize für umsteigewillige Landwirte“ fehlten; die Konkurrenz durch „den viel lukrativeren Anbau von Mais für Biogasanlagen“ wird genannt und beklagt dass die „hohen Umweltkosten in der konventionellen Landwirtschaft in den Marktpreisen bislang nicht berücksichtigt, sondern der Gesellschaft insgesamt aufgebürdet werden.“ Doch keiner dieser Punkte wird ausgeführt und mit Zahlen untermauert. Welche Kosten entstehen der Allgemeinheit beispielsweise durch die Trinkwasseraufbereitung? Wie würde sich eine stärkere Verlagerung Richtung Ökolandbau finanziell auswirken? Ein wesentlicher Hintergrund der industrialisierten Landwirtschaft mit Massentierhaltung und Chemieeinsatz ist der Preiskampf im Lebensmittelsektor. Welche Rolle spielen hier die Verbraucher? Auch die Frage, warum ein so dicht besiedeltes Land wie Deutschland auch noch eine der führenden Exportnationen für Lebensmittel sein muss (Link nicht mehr verfügbar), was nur mit Intensivlandwirtschaft möglich ist, wäre ein interessanter Aspekt gewesen.

(Anders als der Beitrag in der Printausgabe, der diesem Gutachten zugrunde liegt, enthält die online-Version eine informative Grafik, die den Zusammenhang zwischen Pachtpreisen und Anteil der ökologisch bewirtschafteten Flächen zeigt.)

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)

Das Thema ist dauerhaft relevant und mit der gerade vorgelegten UBA-Studie gibt es einen aktuellen Anlass für die Berichterstattung.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Der Text ist flüssig formuliert, gut lesbar und verständlich, wenn auch ohne viel Kreativität geschrieben. Der wesentliche Mangel des Beitrags besteht darin, dass er die vorgelegte Studie lediglich referiert – es fehlt an Beispielen oder Hintergrundinformationen, die das Thema für Leserinnen und Leser interessant machen könnten. So bleibt der Text eher oberflächlich: Sätze, wie „Es sei eine ‚insgesamt weniger intensive Landwirtschaft‘ erforderlich, um den weiteren Rückgang vieler bedrohter Arten zu verhindern, lautet das Fazit der Studie“ wirken recht banal; in einem so langen Beitrag hätten wir hier konkrete Beispiele erwartet. Wir werten „knapp erfüllt“.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)

Irreführend ist die Aussage, die Landwirtschaft sei „nach der Industrie der zweitgrößte Verursacher von Treibhausgasen in Deutschland“. 84 Prozent der Emissionen (Kraftwerke, Verkehr, Haushalte…) sind im Papier des UBA unter der Bezeichnung „Stationäre und mobile Verbrennung“ in einer Gruppe zusammengefasst. Verglichen damit – und nicht etwa mit „der Industrie“, wie es im Beitrag heißt – kommt die Landwirtschaft mit 7,5 Prozent Anteil auf Platz zwei, dicht gefolgt von den prozessbedingten Emissionen der Industrieprozesse (7,2 Prozent).

Umweltjournalistische Kriterien: 3 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar