Bewertet am 29. April 2015
Veröffentlicht von: taz - die tageszeitung
Die taz berichtet über Anstrengungen, ein extrem bedrohtes Tier bzw. dessen Erbgut zu retten – das Nördliche Breitmaulnashorn. Der Beitrag macht deutlich, dass es Kontroversen über den Status als Art oder Unterart und zum richtigen Vorgehen gibt, und spricht auch problematische Eigeninteressen der Naturschutzorganisationen an.

Zusammenfassung

Der Beitrag setzt sich mit der Bedrohung des Nördlichen Breitmaulnashorns auseinander und stellt Möglichkeiten der Rettung dar. Die Tiere stehen unmittelbar vor dem Aussterben. In dieser Situation konzentriert sich der Beitrag auf die Möglichkeiten von Genetik und Reproduktionsmedizin, das Erbgut zunächst zu erhalten und die Art eventuell später wieder zum Leben zu erwecken. Ein interessanter und origineller Ansatz. Der Beitrag ist nicht nur unter dem Aspekt der Ökologie interessant zu lesen, sondern gibt zugleich auch Einblick in ein weniger bekanntes Feld der Veterinärmedizin. Ein beigefügter Kasten liefert weitere Informationen.

Der Beitrag stützt sich auf unterschiedliche Quellen und bezieht sich dabei stark auf Experten des Berliner Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW). Der Artikel spricht die Kontroversen an, die es um den Status des Nördlichen Breitmaulnashorns als Art oder Unterart – und damit verbundene unterschiedlichen Schutzstrategien – gibt, und kritisiert Eigeninteressen der Naturschutzorganisation IUCN. Dabei nimmt der Beitrag recht klar Stellung: Er macht sich weitgehend die Perspektive der Veterinäre des IZW zu eigen, die das Nördliche Breitmaulnashorn als eigene Art sehen und einen Rettungsversuch mit einer Leihmutterschaft des eng verwandten Südlichen Breitmaulnashorns durchführen möchten. Wir halten es zwar für legitim, sich für eine solche Position auszusprechen, dennoch hätten Gegenargumente besser dargestellt werden müssen. Es fehlt an Begründungen und Belegen dafür, warum der Beitrag diesen Ansatz favorisiert.

Auf die Kosten eines solchen Verfahrens geht der Artikel nicht ein, auch kommt der politische und soziale Kontext, der zum Aussterben der Art in ihrem natürlichen Lebensraum geführt hat, zu kurz.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE ÜBERTREIBUNG / VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.

Der Beitrag schildert die Situation des Nördlichen Breitmaulnashorns, dessen Bestand auf wahrscheinlich nur noch fünf Exemplare weltweit gesunken ist. Die (Unter)art (oder der Ökotyp) steht kurz vor dem Aussterben. Der Artikel macht deutlich, wie dramatisch die Lage ist, schürt aber keine unangemessene Panik, sondern weist auch auf denkbare Möglichkeiten zum Erhalt der Nashörner hin.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Im Artikel werden unter Berufung auf Forschungs- und Naturschutzorganisationen zahlreiche Fakten genannt – so zur Entwicklung der Individuenzahl und zum gesundheitlichen Zustand der Nashörner. Dabei macht der Artikel auf Widersprüche zwischen verschiedenen Quellen aufmerksam, etwa zur Zahl der Tiere im kongolesischen Garamba-Park. Dort sollen laut einer Webseite der IUCN noch 23 Nördlichen Breitmaulnashörner leben (siehe aber auch Kriterium 4), laut einer Zählung der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt wurden dagegen schon seit 2008 keine mehr gefunden. Hier wäre wichtig zu wissen, wie solche Zählungen im Freiland durchgeführt werden und wie zuverlässig sie sein können – der Beweis, dass etwas nicht vorhanden ist, ist grundsätzlich schwer zu führen.

Zu anderen Punkten wird nicht immer ausreichend klar, woher die Informationen stammen bzw. wie valide sie sind. Zum Beispiel: Wie wurde der genetische Unterschied zwischen Nördlichem und Südlichem Breitmaulnashorn gemessen, gibt es dazu Publikationen (interessant wäre hier die Zahl der einbezogenen Individuen)? Bei dem dargestellten Konflikt darüber, ob es sich beim Nördlichen und Südlichen Breitmaulnashorn um verschiedene Arten, Unterarten oder Ökotypen handelt, stellt der Artikel den gemessenen prozentualen Unterschied im genetischen Material als Kriterium heraus, ohne auf die Existenz verschiedener Artkonzepte einzugehen (siehe auch Kriterium 4). Dabei schließt sich der Beitrag der Auffassung an, dass die Rettung des Nördlichen Breitmaulnashorns quasi aufgegeben werde, wenn man es als Unterart auffasst.

Unklar bleibt auch, auf welchen „Bericht der Rettungsgruppe“ sich der Kasten zum Beitrag bezieht, und wann dieser Bericht von wem publiziert wurde.
Wir werten „knapp nicht erfüllt“.

3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Abhängigkeiten deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.

Im Artikel kommen Forscher bzw. Veterinärmediziner des Berliner Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) zu Wort, außerdem Rob Brett von der britischen Naturschutzorganisation FFI sowie die Perspektive der Naturschutzorganisation IUCN. Die Experten werden zugeordnet, die unterschiedlichen Ansätze deutlich gemacht. Der Beitrag legt dar, dass Naturschutzorganisationen nicht unbedingt Interesse an der Rettung einer Art hätten, weil die Bedrohung der Tiere sich gut zum Sammeln von Spendengeldern nutzen lasse. Eine genauere Einordnung der Naturschutzorganisation IUCN wäre an dieser Stelle interessant gewesen. Besondere Interessenkonflikte sind für uns ansonsten nicht erkennbar.

4. PRO UND CONTRA: Es werden die wesentlichen relevanten Standpunkte angemessen dargestellt.

Der Beitrag übernimmt sehr stark die Perspektive des IZW, wonach das Einfrieren von Eiern und Spermien des Nördlichen Breitmaulnashorns einen sinnvollen Rettungsversuch darstellt. Gegenargumente werden nicht genannt: Welchen Sinn macht eine Konservierung des genetischen Materials, wenn die Lebensräume schwinden und die Wilderei nicht eingedämmt wird? Wenn es um Ressourceneffizienz im Artenschutz geht, könnte man fragen, ob es nicht sinnvoller ist, Mittel für den Erhalt bedrohter Lebensräume aufzuwenden, so dass viele Arten davon profitieren, nicht nur ein Symboltier. Die vorgeschlagene Leihmutter-Methode muss für das Breitmaulnashorn erst noch entwickelt werden, die Inzuchtproblematik wäre nicht gelöst. Der Beitrag erwähnt auch nicht, dass bisherige reproduktionsmedizinische Versuche bei Breitmaulnashörnern weitgehend erfolglos blieben.

Die „Herabstufung” zur Unterart wird im Beitrag als als opportunistische Strategie dargestellt, ohne auf den dahinter liegenden wissenschaftlichen Streit einzugehen. Tatsächlich galten die beiden Breitmaulnashörner traditionell als Unterarten, bis 2010 eine wissenschaftliche Arbeit sie zu eigenständigen Arten „hochstufte” . Diese Auffassung ist aber nicht allgemein anerkannt. Der Beitrag kann sich durchaus für eine der beiden Sichtweisen entscheiden, hätte aber die Debatte korrekt abbilden müssen. Auch wäre eine Erläuterung dazu notwendig, dass unter Biologen keine Einigkeit darüber besteht, wie hoch das Ausmaß an Merkmalsverschiedenheit sein muss, um Artgrenzen zu begründen. Ein bestimmter Prozentsatz genetischer Unterschiede kann nicht einfach als einziges Kriterium für die Definition von Arten herangezogen werden.

Der Standpunkt des IUCN wird im Artikel zumindest verzerrt beschrieben, wenn es heißt laut IUCN lebten im Kongo noch 23 Tiere. Diese Zahl findet sich zwar auf einer offenbar seit 2010 nicht aktualisierten IUCN-Webseite (Link nicht mehr verfügbar). In einer neueren Darstellung des IUCN  zum Nördlichen Breitmaulnashorn heißt es aber „No live rhino have been seen since 2006 or signs of live rhino (spoor or dung) reported since 2007 despite intensive systematic foot surveys. It is believed that the Northern White Rhino has probably gone extinct in the Democratic Republic of the Congo“ (Link nicht mehr verfügbar,  aktuelle Darstellung (2020) siehe hier).

5. PRESSEMITTEILUNG: Der Beitrag geht deutlich über die Pressemitteilung / das Pressematerial hinaus.

Eine aktuelle Pressemitteilung zum Thema haben wir nicht gefunden. Der Beitrag geht weit über die vorliegende ältere Pressemitteilung eines tschechischen Zoos hinaus, der drei der  Nashörner betreut, und bezieht mehrere weitere Quellen ein.

6. ALT oder NEU: Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.

Der Beitrag berichtet, dass die Population des Nördlichen Breitmaulnashorns bereits seit langem abnimmt und die Tiere jetzt unmittelbar vor dem Aussterben stehen. Im Kasten wird zudem gut erläutert, wie sich die Anzahl der Individuen in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt hat

Zum Rettungsversuch durch die Reproduktionsmedizin macht der Artikel deutlich, dass eine Leihmutterschaft hier ein neuer Ansatz wäre. Zusätzlich wäre interessant gewesen, dass es seit Jahren Versuche gibt, die Nashörner durch künstliche Besamung zu vermehren, was bei der nördlichen (Unter)art bisher nicht gelungen ist.

7. LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN / kein „Greenwashing“: Der Beitrag nennt Wege, um ein Umweltproblem zu lösen, soweit dies möglich und angebracht ist.

Das zentrale Thema des Beitrages sind Lösungsmöglichkeiten und Handlungsoptionen, die das Aussterben des Nördlichen Breitmaulnashorns verhindern könnten. Hier werden verschiedene Wege thematisiert, von Zuchtversuchen in Gefangenschaft über das Einfrieren der Spermien und Eier bis zur Kreuzung der beiden (Unter)arten, um zumindest einen Teil des Genmaterials zu erhalten und eine spätere Wiederansiedlung im nördlichen Verbreitungsgebiet zu versuchen.

Dass die Erfolgschancen des reproduktionsmedizinischen Leihmutter-Ansatzes ungewiss sind, hätte indes klarer herausgearbeitet werden können (siehe dazu 4., Pro und Contra). Ohne diese Informationen kann der Eindruck entstehen, dass ein höchstwahrscheinlich erfolgreicher Eingriff aus Geldmangel einfach unterlassen wird; dafür aber fehlt es an Belegen.

Da aber insgesamt verschiedene Lösungsmöglichkeiten ausreichend beschreiben werden, werten wir „erfüllt“.

8. RÄUMLICHE DIMENSION (lokal / regional / global): Die räumlichen Dimensionen eines Umweltthemas werden dargestellt.

Es wird deutlich, dass es sich um ein Problem mit internationalen Dimensionen handelt. Der Beitrag beschäftigt sich im Wesentlichen mit der Situation der gefährdeten Nashörner in Gefangenschaft; auf die Gegebenheiten im natürlichen Lebensraum in Afrika geht er nur am Rande ein. Kurz angesprochen wird der Verkauf des Horns nach China und Vietnam; die Rolle internationaler Naturschutzorganisationen mit ihren Interessen wird dargestellt. Als Beteiligte in Deutschland stehen die Wissenschaftler des Berliner Instituts für Zoo- und Wildtierforschung im Zentrum.

Wünschenswerte wäre darüber hinaus in einem so langen Beitrag eine genauere Darstellung der Situation im Garamba-Park im Kongo, dem natürlichen Lebensraum der Tiere. In dieser Region an der Grenze zum Süd-Sudan kommt es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen. Dass die Informationslage zur Zahl hier evtl. noch lebender Nashörner so schlecht ist, hängt mit den Konflikten in diesem Gebiet zusammen, der Park steht auf der Roten Liste des gefährdeten Welterbes. Hierzu hätten wir uns entsprechende Hinweise gewünscht.

9. ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit): Die zeitliche Reichweite eines Umweltproblems oder Phänomens wird dargestellt.

Es wird klar, dass das Aussterben des Nördlichen Breitmaulnashorns unmittelbar bevorsteht, und dies dann irreversibel wäre. Im Haupttext wird detailliert beschrieben, wie die Tiere in den Zoos aufhörten sich fortzupflanzen. Zwischen 1980 und 2000 seien fünf Nördliche Breitmaulnashörner in Gefangenschaft geboren worden, danach keine mehr. Der begleitende Kasten erläutert, wie die Anzahl der Individuen in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt hat und macht außerdem vergleichende Angaben dazu, wie die Entwicklung der Südlichen Breitmaulnashörner verlaufen ist.

Dagegen mangelt es an zeitlichen Angaben zu den geplanten Rettungsmaßnahmen: Wie lange würde es dauern, bis man mit Hilfe der Reproduktionsmedizin eine stabile Population aufgebaut hätte? Dazu wäre interessant: In welchem Alter werden die Nashörner geschlechtsreif? Wie viele Tiere braucht man, um eine lebensfähige Population aufzubauen? Wann wäre die Technik überhaupt einsatzreif? Hier könnte man evtl. Vergleichswerte von anderen Spezies heranziehen. Daher werten wir „knapp erfüllt“.

10. KONTEXT / KOSTEN: Es werden politische, soziale oder wirtschaftliche Aspekte eines Umweltthemas einbezogen.

Der Beitrag konzentriert sich stark auf die Möglichkeit, das Nördliche Breitmaulnashorn mittels Reproduktionsmedizin zu retten. Die Kosten eines solchen Versuchs werden dabei nicht erwähnt. Auch der politische und soziale Hintergrund kommt (fast) nicht zur Sprache. Wie bei Kriterium 8 bereits erwähnt, wird die politische Situation im natürlichen Verbreitungsgebiet, die mitentscheidend für das Aussterben der Tiere ist, weitgehend ausgeblendet. Statt dessen wird das Aussterben als „Versagen von europäischen und amerikanischen Naturschützern“ gesehen – eine sehr reduzierte Sicht angesichts der sozialen und politischen Lage im Kongo und in anderen Herkunftsländern. So entlässt der Artikel die Verantwortlichen in Afrika weitgehend aus der Verantwortung.

Genauere Angaben hätten wir auch zum Problem der Wilderei erwartet, die erhebliche Schuld an der Dezimierung der Population trägt. Um welche finanziellen Dimensionen geht es hier? Welche Möglichkeiten hätte die internationale Staatengemeinschaft, gegen Wilderer und vor allem Händler vorzugehen?

Nicht recht verständlich ist die Ausführung in Beitrag, dass die Berliner Forscher keine finanziellen Mittel hätten, weil diese Aktivität „nicht zur Grundlagenforschung“ gehöre. Warum es schwieriger sein soll, Mittel für angewandte Forschung einzuwerben, erklärt der Beitrag nicht.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. THEMENAUSWAHL: Das Thema ist aktuell, oder auch unabhängig von aktuellen Anlässen relevant oder originell.

Es handelt sich – unabhängig von einem tagesaktuellen Anlass – um ein relevantes Thema; angesichts der geringen Zahl der Nashörner besteht dringender Handlungsbedarf, wenn man die (Unter)art erhalten will. Der Zugang über die Reproduktionsmedizin ist originell, allerdings auch etwas einseitig.

2. VERMITTLUNG: Komplexe Umweltzusammenhänge werden verständlich gemacht.

Der Artikel ist anschaulich und interessant zu lesen; er schildert gut verständlich das Schicksal des Nördlichen Breitmaulnashorns und verschiedene Ansätze, es zu retten. Dabei übernimmt Der Beitrag allerdings etwas zu stark die Perspektive der Forscher und Artenschützer vom Berliner IZW, ohne die Gründe dafür ausreichend zu erläutern. Insgesamt ist der Beitrag, auch durch den ergänzenden Kasten, sehr informativ.

3. FAKTENTREUE: Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder.

Bis auf die unter Kriterium 4 genannten Ungenauigkeiten sind uns keine relevanten Faktenfehler aufgefallen. Allein der Todeszeitpunkt des Nashornbullen Suni ist offenbar nicht ganz korrekt. Im Text heißt es, das Tier habe im November 2014 plötzlich tot in seinem Stall lag gelegen, die Naturschutzorganisation FFI berichtet allerdings bereits am 20. Oktober von seinem Tod. Da dies aber für den beschriebenen Sachverhalt unerheblich ist, sei dieses Detail nur am Rande vermerkt.

Umweltjournalistische Kriterien: 7 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 3 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar