Zusammenfassung
Der Beitrag setzt sich mit der Bedrohung des Nördlichen Breitmaulnashorns auseinander und stellt Möglichkeiten der Rettung dar. Die Tiere stehen unmittelbar vor dem Aussterben. In dieser Situation konzentriert sich der Beitrag auf die Möglichkeiten von Genetik und Reproduktionsmedizin, das Erbgut zunächst zu erhalten und die Art eventuell später wieder zum Leben zu erwecken. Ein interessanter und origineller Ansatz. Der Beitrag ist nicht nur unter dem Aspekt der Ökologie interessant zu lesen, sondern gibt zugleich auch Einblick in ein weniger bekanntes Feld der Veterinärmedizin. Ein beigefügter Kasten liefert weitere Informationen.
Der Beitrag stützt sich auf unterschiedliche Quellen und bezieht sich dabei stark auf Experten des Berliner Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW). Der Artikel spricht die Kontroversen an, die es um den Status des Nördlichen Breitmaulnashorns als Art oder Unterart – und damit verbundene unterschiedlichen Schutzstrategien – gibt, und kritisiert Eigeninteressen der Naturschutzorganisation IUCN. Dabei nimmt der Beitrag recht klar Stellung: Er macht sich weitgehend die Perspektive der Veterinäre des IZW zu eigen, die das Nördliche Breitmaulnashorn als eigene Art sehen und einen Rettungsversuch mit einer Leihmutterschaft des eng verwandten Südlichen Breitmaulnashorns durchführen möchten. Wir halten es zwar für legitim, sich für eine solche Position auszusprechen, dennoch hätten Gegenargumente besser dargestellt werden müssen. Es fehlt an Begründungen und Belegen dafür, warum der Beitrag diesen Ansatz favorisiert.
Auf die Kosten eines solchen Verfahrens geht der Artikel nicht ein, auch kommt der politische und soziale Kontext, der zum Aussterben der Art in ihrem natürlichen Lebensraum geführt hat, zu kurz.
Umweltjournalistische Kriterien
1. KEINE ÜBERTREIBUNG / VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.
2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.
Zu anderen Punkten wird nicht immer ausreichend klar, woher die Informationen stammen bzw. wie valide sie sind. Zum Beispiel: Wie wurde der genetische Unterschied zwischen Nördlichem und Südlichem Breitmaulnashorn gemessen, gibt es dazu Publikationen (interessant wäre hier die Zahl der einbezogenen Individuen)? Bei dem dargestellten Konflikt darüber, ob es sich beim Nördlichen und Südlichen Breitmaulnashorn um verschiedene Arten, Unterarten oder Ökotypen handelt, stellt der Artikel den gemessenen prozentualen Unterschied im genetischen Material als Kriterium heraus, ohne auf die Existenz verschiedener Artkonzepte einzugehen (siehe auch Kriterium 4). Dabei schließt sich der Beitrag der Auffassung an, dass die Rettung des Nördlichen Breitmaulnashorns quasi aufgegeben werde, wenn man es als Unterart auffasst.
Unklar bleibt auch, auf welchen „Bericht der Rettungsgruppe“ sich der Kasten zum Beitrag bezieht, und wann dieser Bericht von wem publiziert wurde.
Wir werten „knapp nicht erfüllt“.
3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Abhängigkeiten deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.
4. PRO UND CONTRA: Es werden die wesentlichen relevanten Standpunkte angemessen dargestellt.
Der Beitrag übernimmt sehr stark die Perspektive des IZW, wonach das Einfrieren von Eiern und Spermien des Nördlichen Breitmaulnashorns einen sinnvollen Rettungsversuch darstellt. Gegenargumente werden nicht genannt: Welchen Sinn macht eine Konservierung des genetischen Materials, wenn die Lebensräume schwinden und die Wilderei nicht eingedämmt wird? Wenn es um Ressourceneffizienz im Artenschutz geht, könnte man fragen, ob es nicht sinnvoller ist, Mittel für den Erhalt bedrohter Lebensräume aufzuwenden, so dass viele Arten davon profitieren, nicht nur ein Symboltier. Die vorgeschlagene Leihmutter-Methode muss für das Breitmaulnashorn erst noch entwickelt werden, die Inzuchtproblematik wäre nicht gelöst. Der Beitrag erwähnt auch nicht, dass bisherige reproduktionsmedizinische Versuche bei Breitmaulnashörnern weitgehend erfolglos blieben.
Die „Herabstufung” zur Unterart wird im Beitrag als als opportunistische Strategie dargestellt, ohne auf den dahinter liegenden wissenschaftlichen Streit einzugehen. Tatsächlich galten die beiden Breitmaulnashörner traditionell als Unterarten, bis 2010 eine wissenschaftliche Arbeit sie zu eigenständigen Arten „hochstufte” . Diese Auffassung ist aber nicht allgemein anerkannt. Der Beitrag kann sich durchaus für eine der beiden Sichtweisen entscheiden, hätte aber die Debatte korrekt abbilden müssen. Auch wäre eine Erläuterung dazu notwendig, dass unter Biologen keine Einigkeit darüber besteht, wie hoch das Ausmaß an Merkmalsverschiedenheit sein muss, um Artgrenzen zu begründen. Ein bestimmter Prozentsatz genetischer Unterschiede kann nicht einfach als einziges Kriterium für die Definition von Arten herangezogen werden.
Der Standpunkt des IUCN wird im Artikel zumindest verzerrt beschrieben, wenn es heißt laut IUCN lebten im Kongo noch 23 Tiere. Diese Zahl findet sich zwar auf einer offenbar seit 2010 nicht aktualisierten IUCN-Webseite (Link nicht mehr verfügbar). In einer neueren Darstellung des IUCN zum Nördlichen Breitmaulnashorn heißt es aber „No live rhino have been seen since 2006 or signs of live rhino (spoor or dung) reported since 2007 despite intensive systematic foot surveys. It is believed that the Northern White Rhino has probably gone extinct in the Democratic Republic of the Congo“ (Link nicht mehr verfügbar, aktuelle Darstellung (2020) siehe hier).
5. PRESSEMITTEILUNG: Der Beitrag geht deutlich über die Pressemitteilung / das Pressematerial hinaus.
6. ALT oder NEU: Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.
Zum Rettungsversuch durch die Reproduktionsmedizin macht der Artikel deutlich, dass eine Leihmutterschaft hier ein neuer Ansatz wäre. Zusätzlich wäre interessant gewesen, dass es seit Jahren Versuche gibt, die Nashörner durch künstliche Besamung zu vermehren, was bei der nördlichen (Unter)art bisher nicht gelungen ist.
7. LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN / kein „Greenwashing“: Der Beitrag nennt Wege, um ein Umweltproblem zu lösen, soweit dies möglich und angebracht ist.
Dass die Erfolgschancen des reproduktionsmedizinischen Leihmutter-Ansatzes ungewiss sind, hätte indes klarer herausgearbeitet werden können (siehe dazu 4., Pro und Contra). Ohne diese Informationen kann der Eindruck entstehen, dass ein höchstwahrscheinlich erfolgreicher Eingriff aus Geldmangel einfach unterlassen wird; dafür aber fehlt es an Belegen.
Da aber insgesamt verschiedene Lösungsmöglichkeiten ausreichend beschreiben werden, werten wir „erfüllt“.
8. RÄUMLICHE DIMENSION (lokal / regional / global): Die räumlichen Dimensionen eines Umweltthemas werden dargestellt.
Wünschenswerte wäre darüber hinaus in einem so langen Beitrag eine genauere Darstellung der Situation im Garamba-Park im Kongo, dem natürlichen Lebensraum der Tiere. In dieser Region an der Grenze zum Süd-Sudan kommt es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen. Dass die Informationslage zur Zahl hier evtl. noch lebender Nashörner so schlecht ist, hängt mit den Konflikten in diesem Gebiet zusammen, der Park steht auf der Roten Liste des gefährdeten Welterbes. Hierzu hätten wir uns entsprechende Hinweise gewünscht.
9. ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit): Die zeitliche Reichweite eines Umweltproblems oder Phänomens wird dargestellt.
Dagegen mangelt es an zeitlichen Angaben zu den geplanten Rettungsmaßnahmen: Wie lange würde es dauern, bis man mit Hilfe der Reproduktionsmedizin eine stabile Population aufgebaut hätte? Dazu wäre interessant: In welchem Alter werden die Nashörner geschlechtsreif? Wie viele Tiere braucht man, um eine lebensfähige Population aufzubauen? Wann wäre die Technik überhaupt einsatzreif? Hier könnte man evtl. Vergleichswerte von anderen Spezies heranziehen. Daher werten wir „knapp erfüllt“.
10. KONTEXT / KOSTEN: Es werden politische, soziale oder wirtschaftliche Aspekte eines Umweltthemas einbezogen.
Genauere Angaben hätten wir auch zum Problem der Wilderei erwartet, die erhebliche Schuld an der Dezimierung der Population trägt. Um welche finanziellen Dimensionen geht es hier? Welche Möglichkeiten hätte die internationale Staatengemeinschaft, gegen Wilderer und vor allem Händler vorzugehen?
Nicht recht verständlich ist die Ausführung in Beitrag, dass die Berliner Forscher keine finanziellen Mittel hätten, weil diese Aktivität „nicht zur Grundlagenforschung“ gehöre. Warum es schwieriger sein soll, Mittel für angewandte Forschung einzuwerben, erklärt der Beitrag nicht.
Allgemeinjournalistische Kriterien
1. THEMENAUSWAHL: Das Thema ist aktuell, oder auch unabhängig von aktuellen Anlässen relevant oder originell.
2. VERMITTLUNG: Komplexe Umweltzusammenhänge werden verständlich gemacht.
3. FAKTENTREUE: Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder.
Bis auf die unter Kriterium 4 genannten Ungenauigkeiten sind uns keine relevanten Faktenfehler aufgefallen. Allein der Todeszeitpunkt des Nashornbullen Suni ist offenbar nicht ganz korrekt. Im Text heißt es, das Tier habe im November 2014 plötzlich tot in seinem Stall lag gelegen, die Naturschutzorganisation FFI berichtet allerdings bereits am 20. Oktober von seinem Tod. Da dies aber für den beschriebenen Sachverhalt unerheblich ist, sei dieses Detail nur am Rande vermerkt.