Bewertet am 26. Februar 2015
Veröffentlicht von: Deutschlandfunk

In der Serie „Tolle Idee! – Was wurde daraus?“ greift die Sendung „Forschung aktuell“ des Deutschlandfunks Projekte auf, die sich trotz vielversprechender Anfänge nicht so erfolgreich entwickelt haben, wie gedacht. In diesem Fallbeispiel geht es um ein wirtschaftlich gescheitertes Osmosekraftwerk.

Zusammenfassung

Der Radiobeitrag im Deutschlandfunk berichtet nicht nur über eine weniger bekannte Technik – die Erzeugung von Strom in Osmosekraftwerken – sondern wählt auch einen ungewöhnlichen Ansatz: Hauptthema ist die 2009 in Betrieb genommene Versuchsanlage Tofte des Unternehmens Statkraft in Norwegen, die entgegen früheren Hoffnungen nicht wirtschaftlich arbeitete. Die Berichterstattung nicht nur über Erfolge (oder deren Ankündigung) sondern auch über gescheiterte Projekte ist aus unserer Sicht eine wichtige Funktion des Wissenschafts- und Umweltjournalismus – in dieser Hinsicht finden wir den Beitrag (und die entsprechende Serie des DLF) vorbildlich. Indes fehlt eine wichtige Information: Das hier vorgestellte Osmosekraftwerk wurde, wie unsere Recherchen beim Betreiber ergaben, bereits im Dezember 2013 stillgelegt. Mit O-Tönen vom Kraftwerk und Einstiegsformulierungen im Präsens erweckt der Beitrag den irreführenden Eindruck, das Kraftwerk sei noch in Betrieb und werde lediglich nicht weiterentwickelt.

Das technische Prinzip der Anlage wird verständlich erläutert: Eine Membran trennt Süßwasser und  Salzwasser, so entsteht Druck, der eine Turbine antreibt. Auch ein anderes Verfahren für Osmosekraftwerke wird kurz angesprochen. Die Analyse, warum Statkraft sich aus dem Feld verabschiedet, hätten wir uns allerdings genauer und besser mit Zahlen belegt gewünscht. Der Beitrag quantifiziert die Potenziale von Osmosekraftwerken nicht, und vergleicht sie nicht mit denen anderer erneuerbarer Energien, etwa hinsichtlich der Kosten und der Umweltverträglichkeit.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE ÜBERTREIBUNG / VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.

In dem Beitrag geht es um einen potenziellen Beitrag zur Lösung des Energieproblems durch Osmosekraftwerke. Mittels zweier verschiedener Verfahren ist erprobt worden, ob sich aus dem unterschiedlichen Salzgehalt zwischen Süß- und Salzwasser ausreichend Strom für eine wirtschaftliche Nutzung erzeugen lässt. Die möglichen Vorteile der Osmosekraftwerke (u.a. die kontinuierliche Stromerzeugung) werden geschildert, doch weder wird die Technik als Patentlösung hochgejubelt, noch wird sie wegen der fortbestehenden Probleme als gänzlich nutzlos abgeschrieben.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Im Beitrag fehlt eine wesentliche Information: Das Kraftwerk Tofte wird nicht nur, wie es im Beitrag heißt „nicht weiterentwickelt“, sondern wurde nach Angaben des Betreibers im Dezember 2013 stillgelegt. Die O-Töne vom Kraftwerk die dem Beginn des Expertengesprächs unterlegt sind, sowie der Beginn des Beitrags im Präsens („In einer Halle im Industriegebiet dröhnen Pumpen. Wasser rauscht durch Leitungen, eine Turbine rotiert mit hoher Drehzahl. Die Anlage erzeugt Strom“) lassen Hörerinnen und Hörer dagegen in dem Glauben, die Anlage sei weiterhin in Betrieb (siehe auch allgemeinjournalistisches Kriterium 3, Faktentreue).

Der Beitrag stellt die technischen Informationen, soweit für uns überprüfbar, zutreffend dar, nennt allerdings nur wenige konkrete Zahlen und Fakten. So wüsste man beispielsweise gern, wie groß man sich die bestehende Pilotanlage vorstellen muss. Wie viel Wasserdurchfluss braucht man für die im Beitrag genannte Leistung von 4 kW, wieviel für eine Anlage die im wirtschaftlichen Maßstab Strom produziert? Wie ist das Verhältnis von Leistung in Relation zum finanziellen und baulichen Aufwand? Wieviel Energie verbrauchen die Pumpen? Zumindest exemplarisch hätten wir uns hier nähere Informationen gewünscht; eine Energiebilanz des gesamten Prozesses wäre erhellend gewesen.

Noch wesentlich knapper als die Pilotanlage im norwegischen Tofte wird eine zweite, alternative Technologie beschrieben. Diese Anlage wird in einem niederländischen Deich erprobt und arbeitet mit zwei Membranen, durch die Salzionen wandern und so Spannung erzeugen. Der Beitrag erwähnt nicht, dass diese Entwicklung in den Niederlanden von einem eigens dafür gegründeten Unternehmen REDStack  vorangetrieben  wird. Wie schwierig die Anfänge dort waren, und warum die Anlage trotzdem um ein Vielfaches erweitert worden ist, erfahren Hörerinnen und Hörer nicht.

Insgesamt fehlt eine Einordnung der Zahlen und Fakten in Relation zu anderen erneuerbaren Energien. Damit bleibt letztlich unklar, wie leistungsfähig Osmosekraftwerke derzeit im Vergleich zu anderen Erneuerbaren sind, bzw. welche Potenziale sie für die Zukunft bieten.

3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Abhängigkeiten deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.

Der Bericht beruht offenbar (so deuten die O-Töne an) auf einem Besuch vor Ort in Tofte (wenn dieser auch schon länger zurückliegen muss, siehe Kriterium 2), auf einer Pressemitteilung des Energieunternehmens Statkraft, sowie vor allem auf einem Gespräch mit Frank Neumann, dem Leiter des Brüsseler „Instituts für Infrastruktur, Umwelt und Innovation“ (IMIEU). Da letzteres nicht als allgemein bekannt gelten kann, hätten wir uns hierzu eine kurze Erläuterung gewünscht. Das IMIEU ist ein unabhängiges nicht gewinnorientiertes Institut, das von einer Vielzahl öffentlicher und internationaler Institutionen finanziert wird, das zugleich aber auf seiner Internetseite etwa das Logo und Link zur Firma Hydro Quebec zeigt. Neumann ist außerdem Mitautor einer Studie über die Osmosetechnik für die „International Renewable Energy Agency“ (Irena), die 2014 erschienen ist. Diese Studie wird im Beitrag nicht genannt, ist aber zumindest auf der Internetseite der Sendung als weiterführende Quelle verlinkt.

Warum der Beitrag den norwegischen Energiekonzern Statkraft als Betreiber nennt und zitiert, aber nicht das niederländische Startup REDstack, erschließt sich nicht.

Insgesamt wird jedoch klar, auf welchen Quellen der Beitrag beruht; über die o.g. Verbindung hinaus sind besondere Interessenkonflikte für uns nicht erkennbar. Wir werten daher „knapp erfüllt“.

4. PRO UND CONTRA: Es werden die wesentlichen relevanten Standpunkte angemessen dargestellt.

Der Beitrag stellt die technischen Vorteile – kontinuierliche Stromproduktion ohne Kohlendoxidausstoß oder große weitere Umweltbeeinträchtigungen – den wirtschaftlichen Nachteilen gegenüber. Letztere hätten noch genauer erläutert werden können: Laut Irena-Studie ist vor allem die Membran zu teuer, und laut Statkraft-Pressemitteilung ist die Stromproduktion mit Osmosekraftwerken derzeit nicht wettbewerbsfähig gegenüber anderen erneuerbaren Energien. Aber da die Unwirtschaftlichkeit unter den gegenwärtigen Bedingungen als wesentliches Gegenargument genannt wird und beide Aspekte gegeneinander abgewogen werden, werten wir „erfüllt“.

5. PRESSEMITTEILUNG: Der Beitrag geht deutlich über die Pressemitteilung / das Pressematerial hinaus.

Der Beitrag bezieht sich auf eine Pressemitteilung, in der das Unternehmen Statkraft seinen Rückzug aus dem Projekt verkündet. Diese ist allerdings zum Sendezeitpunkt schon mehr als ein Jahr alt und stellt offensichtlich nicht die Hauptinformationsquelle dar. Mit O-Tönen vor Ort  und der Befragung eines Experten zu verschiedenen Konzepten für Osmose-Kraftwerke geht der Beitrag weit über die Pressemitteilung hinaus.

6. ALT oder NEU: Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.

Anders als im Wissenschafts- und Umweltjournalismus oft üblich greift dieser Beitrag nicht neueste Ankündigungen und Entwicklungen auf, sondern fragt kritisch nach, was aus einer Technologie geworden ist, die einmal als vielversprechend galt, doch offenbar schwieriger und langsamer umzusetzen ist als vor Jahren erwartet. Es wird deutlich, dass hier ein Kraftwerkskonzept nicht über das Pilotstadium hinausgekommen ist.

7. LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN / kein „Greenwashing“: Der Beitrag nennt Wege, um ein Umweltproblem zu lösen, soweit dies möglich und angebracht ist.

Der Beitrag beschreibt zum einen Osmosekraftwerke als einen denkbaren Lösungsansatz für das Energieproblem. Zum anderen werden Handlungsmöglichkeiten angesprochen, wie diese zunächst gescheiterte Technologie künftig vielleicht doch noch wirtschaftlich nutzbar gemacht werden könnte, z.B. durch Kombination mit Entsalzungsanlagen. Hier wäre es interessant – aber  nicht zwingend – gewesen auf ein entsprechendes Projekt im italienischen Trapani hinzuweisen, das in der Irena-Studie beschrieben wird. Eine Alternative zum Statkraft-Konzept, nämlich die niederländische Pilotanlage, die unlängst erweitert worden ist, hätte genauer beschrieben werden können. Insgesamt sehen wir das Kriterium aber „erfüllt“.

8. RÄUMLICHE DIMENSION (lokal / regional / global): Die räumlichen Dimensionen eines Umweltthemas werden dargestellt.

Es werden Orte in Norwegen und den Niederlanden genannt, an denen Osmosekraftwerke erprobt werden; außerdem erwähnt der Beitrag das Interesse von Firmen aus Korea und Spanien.

Doch bleibt es bei diesen punktuellen Angaben. Welche Potenziale diese Form der Energiegewinnung regional und global hat, erfahren Hörerinnen und Hörer nicht; Informationen dazu, wieviel Strom durch Osmose in Deutschland / Europa / weltweit erzeugt werden könnten fehlen. Solche Daten finden sich beispielsweise hier (Link nicht mehr verfügbar).

Demnach könnten Osmosekraftwerke in Deutschland nur 0,05 Prozent des Strombedarfs decken (zum Vergleich: Die anderen erneuerbaren Energien decken heute jeweils zwischen 4 und 9 Prozent des Strombedarfs in Deutschland).

Bei dem kurz erwähnten Einsatz in Kombination mit Meerwasserentsalzungsanlagen wäre auch der Hinweis interessant gewesen, dass sich solche Anlagen z.B. im Nahen Osten ballen.

9. ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit): Die zeitliche Reichweite eines Umweltproblems oder Phänomens wird dargestellt.

Der Beitrag berichtet von dem Projekt in Tofte, das 2009 in Betrieb genommen wurde, und dokumentiert den Rückzug von Statkraft 2013. Insofern ist die Historie des Projektes als solches zwar knapp aber ausreichend beschrieben. Die Geschichte der Osmosekraftwerkstechnologie als solcher, an der bereits seit den 1970er Jahren geforscht wird, hätte man zusätzlich noch kurz ansprechen können, doch ist dies sicher nicht zwingend erforderlich.

Gravierender finden wir es, dass der Beitrag keine Angaben zur Lebensdauer der Anlagen macht. Wie lange ließe sich ein Osmosekraftwerk nutzen? Wie lange halten die Membranen? Von  anderen Membrantechnologien, wie etwa der Brennstoffzelle, ist bekannt, dass die Lebensdauer ein kritischer Punkt sein kann, erst recht, wenn das Wasser, mit dem die Anlage läuft, Störstoffe enthält. Nach vier Betriebsjahren des beschriebenen Pilot-Kraftwerks wären dazu erste Erfahrungswerte zu erwarten.

Relativ vage und ohne Zeithorizont werden künftige Nutzungsmöglichkeiten der Technologie angesprochen.

Insgesamt werten wir „knapp nicht erfüllt“.

10. KONTEXT / KOSTEN: Es werden politische, soziale oder wirtschaftliche Aspekte eines Umweltthemas einbezogen.

Der Text macht klar, dass das Scheitern des Konzepts, wie es in der norwegischen Pilotanlage erprobt wurde, nicht einfach an technischen Problemen lag, sondern an den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Hierzu hätten wir uns allerdings genauere Daten gewünscht  (siehe Kriterium 2, Belege) So erfährt man nicht, was der Bau des Osmosekraftwerks und dessen Betrieb tatsächlich gekostet haben (Nach Angaben des norwegischen „Teknisk Ukeblad“ rund 260 Mio. Norwegische Kronen).

Auch bleibt unklar, was eine Kilowattstunde aus Osmosekraft bislang kostet, oder welcher Preis künftig realistisch zu erreichen wäre; eine Einordnung im Vergleich zu anderen erneuerbaren Energien ist daher nicht möglich.

Doch es wird im Beitrag hinreichend deutlich, dass der wirtschaftliche Kontext – etwa die erhoffte, dann aber doch nicht gewährte Einspeisevergütung für Osmosekraftwerke – für das „Aus“ von entscheidender Bedeutung war. Wünschenswert wäre die Information gewesen, warum eine Einspeisevergütung  für diese Technik nicht gewährt wird. Wir werten „knapp erfüllt“.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. THEMENAUSWAHL: Das Thema ist aktuell, oder auch unabhängig von aktuellen Anlässen relevant oder originell.

Der Radiobeitrag hat keinen aktuellen Anlass, sondern ist Teil einer Serie („Tolle Idee! – Was wurde daraus?“), die vielversprechenden wissenschaftlichen und technischen Vorhaben der vergangenen Jahre nachgeht und prüft, was daraus geworden ist. Dieses „nachtragende“ Berichten ist eher ungewöhnlich und originell. Das Pilotprojekt in Norwegen hatte in der Vergangenheit einige Aufmerksamkeit erregt; dass die Anlage nun offenbar gescheitert ist, ist eine interessante Information. Die Erforschung erneuerbaren Energien und der Bedingungen für ihren Erfolg oder ihr Scheitern ist darüber hinaus ein dauerhaft relevantes Thema.

2. VERMITTLUNG: Komplexe Umweltzusammenhänge werden verständlich gemacht.

Der Beitrag ist routiniert gemacht: Er folgt einem roten Faden und hat einen verständlichen Aufbau;  mit den O-Tönen des Experten und eingeschobenen Erläuterungen ist er informativ und auch beim Hören leicht verständlich. Der szenische Einstieg ist gelungen, allerdings hätte man dann von einem Vor-Ort-Termin, wie er durch die Geräuschkulisse angedeutet wird, gerne mehr über die Szenerie vor Ort erfahren – wo genau befindet man sich? Was gibt es zu sehen? Anders als bei den bekannten Arten der Stromerzeugung hat man als Hörer sonst keine rechte Vorstellung, wie diese Anlage aussehen könnte.

3. FAKTENTREUE: Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder.

Der Beitrag erweckt den falschen Eindruck, als ob die Pilotanlage in Tofte weiterhin in Betrieb wäre. Dies ist nach Angaben des Betreibers nicht der Fall, die Anlage wurde Ende 2013 stillgelegt.

Umweltjournalistische Kriterien: 7 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt

Wegen eines gravierenden Faktenfehlers werden wir um einen Stern ab.

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar