In der Sendung „Umwelt und Verbraucher“ berichtet der Deutschlandfunk, dass 2014 nach Messungen der Meteorologischen Weltorganisation das wärmste bisher gemessene Jahr sein könnte. Der Beitrag macht zu den Messwerten allerdings verwirrende Angaben.
Zusammenfassung
Der Radiobeitrag stellt dar, dass nach ersten Abschätzungen der Meteorologischen Weltorganisation (WMO) das Jahr 2014 weltweit einen neuen Temperaturrekord seit Beginn der Messungen erreichen könnte. Der Tenor des Berichtes ist sachlich, für alle Angaben sind Quellen genannt. In verschiedenen O-Tönen wird darauf hingewiesen, wie bedrohlich die Klimaentwicklung ist, und es werden, wenn auch eher diffus, politische Konsequenzen gefordert. Konkrete Handlungsoptionen nennt der Beitrag dagegen nicht. Ein Beispiel zu den wirtschaftlichen Schäden durch Dürreperioden im Jahr 2014 macht zumindest exemplarisch die Kosten deutlich. Auch die großen regionalen Unterschiede spricht der Beitrag an und zieht hierzu Angaben des Deutschen Wetterdienstes als zweite Quelle heran.
Eine zentrale Aussage des Beitrags ist allerdings widersprüchlich und damit für Hörerinnen und Hörer unverständlich dargestellt: Zur Abweichung des Jahres 2014 vom Durchschnitt heißt es einmal (korrekt), diese betrüge 0,57 Grad, einmal ist von „wenigen hundertstel Grad“ die Rede. Letzteres bezieht sich im Statement der WMO aber auf das Ranking der wärmsten Jahre – für Hörerinnen und Hörer entsteht hier ein falscher Eindruck.
Hinweis: Aus technischen Gründen musste dieses Gutachten wiederhergestellt werden und weicht im Wortlaut an einzelnen Stellen von der ursprünglichen Veröffentlichung im Jahr 2014 ab, ist jedoch sinngleich in der Darstellung.
Umweltjournalistische Kriterien
1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.
Der Beitrag berichtet sachlich über die globalen Wetterdaten des Jahres 2014, wie sie von der Meteorologischen Weltorganisation ausgewertet wurden. Am Anfang klingt die Formulierung „am Ende geht es um wenige hundertstel Grad, gemessen an sehr vielen Orten auf der ganzen Welt“ zwar fast so, als ob das halb so schlimm wäre. Im weiteren Verlauf werden aber die großen Schäden im Jahr 2014 genannt, insgesamt berichtet der Beitrag angemessen und sachgerecht.
2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.
Der Beitrag nennt als zentrale Zahl die Angabe, das Jahr 2014 sei um 0,57 Grad wärmer gewesen als der Durchschnitt der Jahre 1961 bis 1990. Doch fehlt eine Einordnung dieses Anstiegs. Vielen Hörerinnen und Hörern mag er womöglich eher unbedeutend erscheinen. Setzt man diesen Wert in Höhenunterschiede um, entspricht dies einer Verschiebung der Klimazonen um fast 100 Höhenmeter oder einer Verschiebung der Vegetationszonen um 100 bis 150 Kilometer in Richtung der Pole (Link nicht mehr verfügbar) – solche Vergleiche hätten die Angabe verständlich gemacht. Auch wäre es fürs Hörverständnis besser gewesen von „gut einem halben Grad“ statt von 0,57 Grad zu sprechen.
Irreführend ist es, dass der Beitrag kurz danach eine deutlich andere Größenordnung nennt: „am Ende geht es um wenige hundertstel Grad“. Im Beitrag klingt es so, als beziehe sich das auf die Abweichung des Jahres 2014 vom langjährigen Durchschnitt. Diese ist aber mit mehr als einem halben Grad deutlich größer. Tatsächlich beziehen sich die „wenigen hundertstel Grad“ im Draft Statement der WMO auf das Ranking der wärmsten Jahre – diese unterscheiden sich untereinander nur um wenige hundertstel Grad, sodass die Bestimmung des „wärmsten Jahres“ relativ unsicher ist (“It is important to note that differences in the rankings of the warmest years are a matter of only a few hundredths of a degree, and that different data sets show slightly different rankings.”). Das ist eine grundlegend andere Aussage als es im journalistischen Beitrag erscheint.
Für die Angabe im Zitat von Salemuul Huq, dass eine Dürre in Kalifornien kürzlich mehr als 50 Milliarden Dollar gekostet habe, wäre eine Angabe nützlich gewesen, wie sich diese Zahl errechnet.
3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.
Alle Quellen für die Angaben im Beitrag werden benannt. Es wird außerdem erläutert, woher die Meteorologische Weltorganisation ihre Daten bezieht. Die zitierten Experten sind ihren Institutionen zugeordnet. Mit dem Deutschen Wetterdienst ist eine weitere unabhängige Quelle einbezogen.
4. PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.
Zur Grundaussage des Beitrags, dass 2014 das wärmste Jahr seit Beginn der Messungen werden könnte, ist keine ernsthafte Gegenposition denkbar (sofern man nicht die Messungen selbst anzweifelt). Die verschiedentlich kolportierte These, es gäbe „eine Pause bei der Erderwärmung“ wird kurz genannt, doch spielt sie für den Beitrag weiter keine Rolle. Wir wenden dieses Kriterium daher nicht an.
5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/ das Pressematerial hinaus.
Wesentliche Informationen stammen aus der Pressemitteilung der Meteorologischen Weltorganisation als Hauptquelle; darüber hinaus kommen verschiedene Experten zu Wort. Auch wurden beim Deutschen Wetterdienst die dort vorliegenden Daten für Deutschland erfragt.
6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.
Es wird klar, dass der Anstieg der jährlichen Durchschnittstemperaturen ein seit Jahren anhaltendes Phänomen ist, zu dem jetzt Zahlen für 2014 vorgestellt wurden. Die Formulierung „Wenn die Temperatur-Abweichungen vom Mittelwert im November und im Dezember auf demselben Niveau bleiben, dann wird 2014 vermutlich das wärmste Jahr werden“ macht zumindest indirekt deutlich, dass Messungen nur bis einschließlich Oktober einbezogen sind.
7. Der Beitrag nennt - wo möglich - LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.
Handlungsoptionen werden nicht dargestellt. Zwar ist es grundsätzlich aus unserer Sicht durchaus zulässig, Lösungsvorschläge außen vor zu lassen, wenn schlicht die Ergebnisse von Temperaturmessungen referiert werden. Doch nachdem in dem Beitrag die Hoffnung ausgesprochen wird, „dass in der Politik die Alarmglocken schrillen“, wäre es dann auch nötig gewesen, diesen Aspekt zu konkretisieren. Vage Formulierungen wie „eine Umkehr beim CO2-Ausstoß“ finden wir hier nicht ausreichend. Ein Verweis darauf, dass schon seit den 1990er Jahren auf Klimakonferenzen versucht wird, eine solche Lösung zu finden, wäre hier angebracht, ebenso ein etwas stärkerer Hinweis auf den zum Sendetermin stattfindenden Klimagipfel in Lima, auf den sich die Anmoderation bezieht.
8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (global/lokal) wird dargestellt.
Es ergibt sich schon aus dem Thema, dass es um globale Messwerte geht. Darüber hinaus werden regionale Auswirkungen eines globalen Problems benannt und es wird verdeutlicht, dass diese mit Hitzewellen, Dürren aber auch Rekordregenfällen je nach Weltgegend durchaus unterschiedlich gewesen sind. Zusätzlich wird erläutert, dass auch in Deutschland die Jahresdurchschnittstemperatur 2014 sehr hoch lag.
9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.
Durch die Darstellung der Messergebnisse und den Bezug auf frühere Vergleichsperioden ist dieser Aspekt aus unserer Sicht erfüllt. Der Verweis auf den Klimagipfel in Lima hätte allerdings in eine kurze Erläuterung zum Zeitplan der internationalen Klimaverhandlungen eingebettet werden können.
10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT (z.B. KOSTEN) wird einbezogen.
Die Politik kommt als Adressat von Hoffnungen und Forderungen ins Spiel, allerdings werden die politischen Prozesse dahinter nur äußerst knapp angesprochen mit dem Zitat des Experten der sagt: „Ich hoffe, das wird die Verhandlungen beeinflussen“. Interessant wäre die Information gewesen, dass der Klimagipfel für die WMO der Anlass war, diese Daten zu veröffentlichen.
Kurz werden, wenn auch ohne weitere Belege, Kosten durch die diesjährige Dürre in Kalifornien benannt. Da der Beitrag jedoch schwerpunktmäßig die Messergebnisse der WMO vorstellt, ist eine ausführlichere Würdigung des wirtschaftlichen und politischen Kontextes hier schwerlich machbar. Wir werten daher noch „knapp erfüllt“.
Allgemeinjournalistische Kriterien
1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)
Das Thema ist aktuell, weil es um eine erste Abschätzung der globalen Temperaturen des Jahres 2014 geht, und außerdem durch den zeitgleich stattfindenden Klimagipfel in Peru. Auch unabhängig von diesen Anlässen ist der globale Temperaturanstieg ein dauerhaft relevantes Thema.
2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)
Der Beitrag referiert Messwerte der WMO und holt dazu O-Töne verschiedener Experten ein. Damit ist die Darstellung nicht sonderlich originell, aber solide gemacht und problemlos verständlich.
3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)
Der Beitrag stellt die Größenordnung, um die das Jahr 2014 vom langjährigen Durchschnitt abweicht, widersprüchlich dar: Einmal ist von gut einem halben Grad die Rede, einmal von wenigen hundertstel Grad. Letzteres bezieht sich im Statement der WMO aber auf das Ranking der wärmsten Jahre. Da dies im Beitrag nicht deutlich wird, entsteht bei Hörerinnen und Hörern ein falscher Eindruck. Siehe dazu auch Kriterium 2 Belege/ Evidenz.
Umweltjournalistische Kriterien: 7 von 9 erfüllt
Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt
Abwertung wegen des Faktenfehlers/ Kriterium 2 „Belege“