Bewertet am 30. Januar 2015
Veröffentlicht von: taz - die tageszeitung

Die taz nutzt einen aktuellen regionalen Anlass, um auf eine Entwicklung hinzuweisen, über die ansonsten eher selten berichtet wird – den Verlust von Grünland. Dabei kommen allerdings wichtige Akteure – die Landwirte – nicht zu Wort, sodass die Kontroverse um dieses Thema nicht ausreichend deutlich wird.

Zusammenfassung

Der Artikel in der taz beschäftigt sich mit einem Dauerproblem im Naturschutz – dem Verlust von Grünland. Der Anlass: In Niedersachsen wurde die Genehmigungspflicht für das Umpflügen von Wiesen und Weiden Ende Dezember 2014 für knapp zwei Woche aufgehoben. Landwirte nutzten dies, um einträglicheres Ackerland zu gewinnen, Naturschützer beklagen den Verlust ökologisch wertvoller Flächen.

Der Artikel berichtet über verschiedene ökologische Aspekte und weist insbesondere auf die Bedeutung der Wiesen und Weiden für den Arten- und Klimaschutz hin. Jedoch ist der Informationswert des Artikels durch eine spärliche Darstellung von Zahlen und Belegen sowie gravierende Faktenfehler eingeschränkt.

Der Beitrag stützt sich auf eine aktuelle Stellungnahme des Naturschutzbundes Nabu und den ausführlichen Grünland-Report des Bundesamtes für Naturschutz BfN aus dem Sommer 2014. Damit sind zwar verschiedene Quellen einbezogen, doch versäumt es der Beitrag, die Position der Landwirtschaft auch nur ansatzweise darzustellen. Wirtschaftliche Gesichtspunkte werden gar zu knapp erwähnt: Weder beziffert der Artikel die möglichen Verluste für die Landwirte durch den Schutz des Grünlandes (bzw. die Gewinne durch den Umbruch), noch nennt er den gesamtwirtschaftlichen Nutzen des Grünlandes, obwohl dazu Zahlen des BfN vorliegen. Ebensowenig weist der Artikel auf Handlungsoptionen hin, wie sie das BfN im zitierten Report ausführlich beschreibt.

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Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE VERHARMLOSUNG/ PANIKMACHE: Umweltprobleme werden weder bagatellisiert noch übertrieben dargestellt.

An einem konkreten Beispiel beschäftigt sich der Beitrag mit dem Verlust von Grünland, ohne das Problem zu verharmlosen oder Panik zu schüren. Allerdings ist eine Zahl grob übertrieben, siehe dazu unter Belege und Faktenfehler.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Anlass des Beitrags ist ein konkreter Vorgang, der Umbruch von Grünland in der zweiten Dezemberhälfte in Niedersachsen. Leider erfährt man an keiner Stelle etwas über das Ausmaß: Wie viel Grünland wurde – absolut und prozentual – umgepflügt? Lediglich ein konkretes Beispiel wird am Ende des Textes erwähnt, nämlich der Umbruch von 15 Hektar Trockenrasen. Die Aussagekraft dieser Information bleibt unklar, denn Leserinnen und Leser erfahren nicht, ob dieser spezielle Fall typisch für das Handeln der Landwirte ist.

Zur Bedeutung des Grünlandes wird ein „Report des BfN“ aus dem Sommer 2014 zitiert, aber nicht weiter darauf eingegangen, um welche Art von Erhebung es sich hier handelt.

Auch die Angaben zur Klimawirkung sind wenig hilfreich: „10 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche – vor allem Grünland – speichert laut BfN 35 % des CO2“, heißt es im Artikel Diese Angabe ist falsch, denn tatsächlich geht es nicht um CO2, sondern um Kohlenstoffvorräte, die im Boden gespeichert werden (s. auch BfN-Report, S. 5). Auch bleibt unverständlich, worauf sich die Zahl bezieht – 35 Prozent wovon? Dasselbe gilt für den folgenden Satz zur Neuansaat von Grünland „Wird es neu angelegt, speichert es jedoch nur halb so viel, wie bei einem Umbruch frei gesetzt wird.“ Da Grünland in der Regel als CO2-Senke wirkt, speichert es pro Jahr eine gewisse Menge Kohlenstoff, bei neu anlegten Wiesen ist es weniger. Ohne einen zeitlichen Bezug ist die Angabe unverständlich, im BfN-Report steht deshalb auch „pro Jahr“.

3. EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Interessenkonflikte deutlich gemacht.

Die Herkunft von Fakten und Zahlen ist nachvollziehbar. Der Beitrag bezieht sich auf zwei Quellen: Zum einen auf den Naturschutzbund Nabu, der auf den Umbruch von Grünland in Niedersachsen aufmerksam macht, dessen hohen ökologischen Wert betont, und die Politik kritisiert; zum anderen wird eine Studie des BfN herangezogen, die in diesem Zusammenhang zuständige Behörde.

4. PRO UND CONTRA: Die wesentlichen Standpunkte werden angemessen dargestellt.

Der Beitrag übernimmt sehr stark die Perspektive des Nabu und schildert ausführlich die negativen Folgen des Grünland-Umbruchs. Auf die Perspektive der Landwirte, die Grünland in Äcker umwandeln, geht der Artikel nur mit einem Satz ein: „Wer kein Milchvieh hat, kann damit nichts anfangen, und mit einem Acker lässt sich wesentlich mehr Geld erwirtschaften, was sich daran zeigt, dass Äcker ungefähr doppelt so teuer sind wie Grünland.“ Landwirte oder deren Verbände kommen jedoch nicht zu Wort. Der im Beitrag erwähnte Verlust von Lebensräumen beispielsweise für Bienen ist ja auch für die Landwirtschaft nicht einerlei, hier wäre eine Möglichkeit zum Nachhaken gewesen. Die einseitige Darstellung verpasst jedoch die Chance, diesen Widerspruch oder andere kontroverse Punkte herauszuarbeiten. Auch die unterschiedlichen politischen Positionen werden nicht verdeutlicht.

5. Der Beitrag geht über die PRESSEMITTEILUNG/ das Pressematerial hinaus.

Der Artikel bezieht sich in wesentlichen Punkten auf eine Stellungnahme des Nabu aus dem auch das Zitat des Nabu-Landesvorsitzenden stammt. Der Beitrag geht aber darüber hinaus, indem es den Report des BfN zitiert sowie ein konkretes Beispiel für einen Grünland-Umbruch beschreibt.

6. Der Beitrag macht klar, wie ALT oder NEU ein Umweltproblem, eine Umwelttechnik, ein Regulierungsvorschlag o.ä. ist.

Es wird deutlich, dass der Artikel sich auf einen konkreten Vorfall bezieht: die Sonderregelung zum Grünlandumbruch in der zweiten Dezemberhälfte in Niedersachsen. Da der Umbruch unter der zulässigen Abnahme von 5 Prozent gegenüber dem Stand des Jahres 2003 geblieben war, durften Landwirte, die Fördermittel der EU erhalten, für einen begrenzten Zeitraum ohne die sonst erforderliche Genehmigung Grünland umpflügen. Der Beitrag nimmt diesen aktuellen Vorgang zum Anlass, über das generelle Problem des Verlustes von Grünland zu berichten. Es wird klar, dass dieses seit längerem besteht.

7. Der Beitrag nennt - wo möglich - LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN.

Lösungswege, um das ökologisch wichtige Grünland zu erhalten, nennt der Beitrag nicht. Allenfalls legt er für den konkreten Fall nahe, dass es ein Fehler war, die Bauern über die Möglichkeit des genehmigungsfreien Umpflügens zu informieren. Doch dies zu verschweigen, kann kaum als tragfähige Lösung des Problems gelten.

Darüber hinausgehende Ansätze erwähnt der Beitrag nicht, obwohl sie in der Vergangenheit immer wieder diskutiert wurden. So beschäftigt sich der zitierte BfN-Report mit verschiedenen Maßnahmen: Neben der Milchviehhaltung, z.B. mit der Weidemast, mit extensiver Schafhaltung, mit Fördermaßnahmen im Zuge der gemeinsamen Agrarpolitik oder mit einer Berücksichtigung des Grünlands bei Klimaschutzinitiativen. Auch das Papier des BfN „Vorschläge zur Ausgestaltung von Instrumenten für einen effektiven Schutz von Dauergrünland“, das sich speziell mit Handlungsmöglichkeiten beschäftigt, wird im Artikel nicht herangezogen.

8. Die RÄUMLICHE DIMENSION (global/lokal) wird dargestellt.

Der Beitrag bezieht sich auf eine Ausnahmeregelung in Niedersachsen, also eine klar definierte Region. Er macht aber gleichzeitig klar, dass Grünlandverluste kein spezielles Problem dieses Bundeslandes sind, sondern ein bundesweites Phänomen. Der Artikel nennt Zahlen für Deutschland und erwähnt den Bezug zu EU-Fördermitteln. Mit dem Klimaaspekt wird zudem die globale Dimension angedeutet.

9. Die ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit) wird dargestellt.

Die zeitliche Dimension des Artikels ist klar umgrenzt: Im Fokus steht eine Sonderregelung für knapp zwei Wochen am Ende des Jahres 2014. Ob solche Ausnahmeregelungen schon häufiger erlassen wurden, bleibt allerdings offen. Insgesamt wird aber wird klar, dass es sich bei den Grünlandverlusten um ein dauerhaftes Problem handelt. Das wird mit Zahlen zur Entwicklung seit 1990 untermauert. Auch berichtet der Artikel, dass Regelungen, die den Verlust begrenzen sollen, sich auf das Jahr 2003 beziehen: Gegenüber diesem Jahr soll sich das Grünland um nicht mehr als 5 Prozent verringern, bzw. die Landwirte müssen sich bei Umbruch über diesen Anteil hinaus das Umpflügen genehmigen lassen und Ersatzgrünflächen anlegen. Unklar bleibt allerdings, warum die Verluste in Niedersachen 2014 unter dieser Marke blieben, obwohl der zitierte Bericht des BfN schon für die Periode 2003-2012 einen Grünlandverlust von mehr als 6,5 Prozent ausweist. Sind seitdem große neue Grünlandflächen in Niedersachsen entstanden? Hier wäre eine zusätzliche Erläuterung interessant gewesen.

10. Der politische/ wirtschaftliche/ soziale/ kulturelle KONTEXT (z.B. KOSTEN) wird einbezogen.

Der Beitrag beschäftigt sich fast ausschließlich mit verschiedenen ökologischen bzw. Umwelt-Aspekten, wie der Artenvielfalt und dem CO2-Ausstoß. Wirtschaftliche Fragen werden nur ganz am Rande angesprochen („mit einem Acker lässt sich wesentlich mehr Geld erwirtschaften“), konkrete Zahlen dazu fehlen. Dabei wäre es wichtig gewesen zu erfahren, wie groß der absolute finanzielle Unterschied für die Bauern ist, welche Möglichkeiten es gibt, mit Grünland Geld zu verdienen, und ob es Ausgleichszahlungen für die Landwirte gibt. Die ausführlichen Darlegungen des BfN-Reports zu wirtschaftlichen Fragen erwähnt der journalistische Beitrag nicht. So erläutert das BfN: „Berücksichtigt man alle genannten Effekte, d.h. neben dem reinen Ertragswert auch die weiteren von Grünland erbrachten ökologischen und gesellschaftlichen Leistungen, so beläuft sich der Nettowert des Erhalts von Grünland mit hohem Naturwert im Vergleich zu Grünlandumbruch rechnerisch je nach Standort und Ausprägung auf 1.291-2.171 €/ha/Jahr.“ (S. 9)

Auch die politische Ebene wird nur gestreift, so dass der Leser nicht nachvollziehen kann, welche Positionen hier aufeinanderprallen. So heißt es im Beitrag: „Darin stecke eine fatale Botschaft für die angeblich angestrebte naturverträgliche Agrarpolitik der rot-grünen Bundesregierung.“ Doch wie sich die anderen Parteien dazu stellen, erfahren Leserinnen und Leser nicht.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. Das THEMA ist aktuell, relevant oder originell. (THEMENAUSWAHL)

Anhand eines aktuellen Anlasses – Bauern durften in Niedersachsen für einen kurzen Zeitraum ohne besondere Genehmigung Grünland umpflügen – greift der Artikel das dauerhaft relevante Thema der Grünlandverluste auf.

2. Die journalistische Darstellung des Themas ist gelungen. (VERSTÄNDLICHKEIT/VERMITTLUNG)

Der Beitrag schildert das Problem in Form eines sachlichen, im Allgemeinen verständlichen Berichts. Nicht jede Formulierung ist dabei gelungen („Der Naturschutzbund Nabu findet das unmöglich“), manchmal ist der Stil arg substantivierend („… dass das Schwinden des Grünlandes fatale Folgen für die Vielfalt hatte…“).

Besser hätten wir es gefunden, wenn der Artikel auch die Perspektive der betroffenen Landwirte einbezogen hätte. Zum einen ist das relevant für das Verständnis des Problems, zum anderen würde es den Artikel lebendiger und den Konflikt greifbarer machen. Wir werten insgesamt noch „knapp erfüllt“.

3. Die Fakten sind richtig dargestellt. (FAKTENTREUE)

Der Beitrag macht zur Klimarelevanz von Grünland fehlerhafte Angaben (s. Kriterium 2), wenn er formuliert: „10 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche – vor allem Grünland – speichert laut BfN 35 % des CO2.“ Tatsächlich speichern Böden kein CO2, sondern Kohlenstoff (s. auch BfN-Report, S. 5). Gemeint ist im BfN-Report, aus dem die Zahl stammt, auch nicht CO2 /Kohlenstoff schlechthin, sondern nur der Anteil an den Kohlenstoffvorräten in landwirtschaftlichen Böden („So werden in nur 10 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche (vorwiegend Grünland) mehr als 35 % der gesamten Kohlenstoffvorräte landwirtschaftlicher Böden in Deutschland gespeichert“ BfN-Report S. 5). Durch diesen Fehler wird der gesamte Abschnitt zur Klimawirkung unverständlich (s. auch Kriterium 2).

Falsch ist auch die Angabe zur Artenvielfalt. Während es im journalistischen Beitrag heißt „Mehr als zwei Drittel aller Farn und Blütenpflanzen wachsen laut BfN vor allem dort.“(im Grünland), steht im BfN-Report „Über ein Drittel aller heimischen Farn- und Blütenpflanzen haben ihr Hauptvorkommen im Grünland (1.250 von 2.997 …)“.

Umweltjournalistische Kriterien: 6 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 2 von 3 erfüllt

Abwertung wegen zweier gravierender Faktenfehler.

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar