Bewertet am 22. Dezember 2014
Veröffentlicht von: Die Zeit

Der hier von uns begutachtete Text erschien in der ZEIT als Teil einer Serie „Tödliche Keime“ und berichtet speziell über Antibiotika in der Massentierhaltung. Der informative Beitrag nutzt viele verschiedene Quellen und lässt unterschiedliche Standpunkte zu Wort kommen.

Zusammenfassung

ZEIT ONLINE, DIE ZEIT, das Recherchebüro CORRECT!V und die Funke-Mediengruppe haben gemeinsam zum Problem der Antibiotika-resistenten Krankheitserreger recherchiert. Der Beitrag gibt Einblick in die Probleme des Antibiotikaeinsatzes in der industriellen Tierproduktion. Er vermittelt dabei eine Fülle von Informationen, vor allem zur Abgabe von Antibiotika durch Tierärzte. Zugleich ist der Text durch den Reportagestil spannend zu lesen und mit Ausnahme einiger Fachbegriffe meist gut verständlich. Neben den fachlichen Aspekten macht er mit der Beschreibung der teils schwierigen Recherche auch Strukturen der Branche deutlich: Oft scheuen deren Vertreter die Öffentlichkeit, ein Verbandsvertreter bricht das Gespräch ab, weil nur das Wort „Massentierhaltung“ fällt. Mit solchen Informationen unterstreicht der Beitrag die Brisanz des Themas.

Leserinnen und Leser erfahren, wie die Geschäftsmodelle funktionieren, mit denen Großmästereien, Veterinäre und Pharmaindustrie eng verflochten zusammenarbeiten. Erläutert wird das sogenannte Dispensierrecht in Deutschland (ohne diesen Begriff explizit zu erwähnen): Im Gegensatz zur Humanmedizin vertreiben Veterinärmediziner auch die von Ihnen verordneten Medikamente. Es gelingt im Beitrag, einerseits die Kritik und die negativen Folgen dieser Praxis klar herauszuarbeiten: Man erfährt, dass gefährliche Resistenzen entstehen können, wenn selbst Reserveantibiotika in der Tiermast eingesetzt werden. Andererseits wird auch die Argumentation des vorgestellten Tiermediziners deutlich. Hier hätte man sich gelegentlich noch mehr Hintergrundinformation gewünscht, um die gegensätzlichen Aussagen beurteilen zu können. Der Beitrag erläutert, dass es in anderen Ländern Alternativen zu der in Deutschland üblichen Praxis gibt.

Insgesamt ein lebhaft geschriebenes Stück, das offenkundig auf intensiver Recherche beruht. Einige Aspekte fehlen – etwa die Rolle der Verbraucher. Doch da der Beitrag Teil einer Serie ist, halten wir es für angemessen, mit dem Dispensierrecht einen Punkt ins Zentrum zu rücken, der in der Öffentlichkeit weniger bekannt sein dürfte.

Title

Umweltjournalistische Kriterien

1. KEINE ÜBERTREIBUNG / VERHARMLOSUNG: Risiken und Chancen werden weder übertrieben dargestellt noch bagatellisiert.

Der Text vermittelt in lebhafter Sprache, aber ganz überwiegend sachlich, Einblicke in die Tiermast und die damit eng verknüpften Strukturen der Veterinärbranche, speziell das Dispensierrecht, also den Vertrieb von Medikamenten durch den Tierarzt. Er stellt dar, wie die Strukturen die Verabreichung von Antibiotika begünstigen und beschreibt – wenngleich kurz – das Problem mit den dadurch begünstigten resistenten Bakterien. Dabei geht es dem Beitrag eher darum, Zusammenhänge verständlich zu machen, als lautstarke Schlagzeilen zu produzieren. Auch eine Verharmlosung erkennen wir nicht, da es nicht Intention des Textes war, die Bedrohlichkeit von resistenten Erregern darzustellen, sondern ein Schlaglicht auf den Antibiotikaeinsatz in der Tiermedizin und Tiermast zu werfen.

2. BELEGE/ EVIDENZ: Studien, Fakten und Zahlen werden so dargestellt, dass deren Aussagekraft deutlich wird.

Der Beitrag operiert gemessen an seiner Länge mit einer überschaubaren Menge an Zahlen, und die, die enthalten sind, erschließen sich Leserinnen und Lesern zumeist recht gut. Manches spricht für sich: Ein Stall mit 42.000 Tieren etwa gibt einen Eindruck der Größenordnung, von der hier die Rede ist. Auch Zahlen aus dem Gutachten der Bundesregierung zu einem vermeintlichen oder realen Rückgang der Antibiotikamengen werden gut analysiert und hinterfragt. Allerdings wird hier nicht erläutert, wie diese Zahlen erhoben wurden. Wenig hilfreich sind Angaben wie „Allerdings stieg der Einsatz von Reserveantibiotika bei einzelnen Wirkstoffklassen um bis zu 50 Prozent.“ Hier wäre entweder der mittlere Anstieg interessant, oder eine konkrete Angabe zu einer bestimmten Wirkstoffklasse. Wir werten „knapp erfüllt“.

3.EXPERTEN/ QUELLENTRANSPARENZ: Quellen werden benannt, Abhängigkeiten deutlich gemacht und zentrale Aussagen durch mindestens zwei Quellen belegt.

Im Beitrag werden viele verschiedene Quellen angeführt. Bei Einzelpersonen macht der Text den jeweilige Hintergrund (Verband, Firma, Forschungsinstitut…) und die Interessenlage deutlich. Einige Quellen bleiben anonym („Nach Aussagen von Veterinären…“, „… sagt ein Tierarzt aus Bayern“, „Das geht aus Jahresabschlüssen einiger Praxen hervor..“). Es wird aber hinreichend vermittelt, warum nicht alle Befragten namentlich genannt werden können. Die zentralen Aussagen des Textes sind ausreichend durch nachvollziehbare Quellen belegt.

4.PRO UND CONTRA: Es werden die wesentlichen relevanten Standpunkte angemessen dargestellt.

Es kommen mehrfach sowohl Vertreter der etablierten Veterinärpraxis als auch deren Kritiker zu Wort: in direkten Zitaten, indirekt und auch mit Zahlen und Fakten. An einigen Stellen hätten wir uns noch ergänzende Informationen gewünscht, um die gegensätzlichen Aussagen einzuordnen (so bleibt die Frage „Und stamme nicht der größte Anteil resistenter Keime aus Krankenhäusern statt aus Ställen?“ unbeantwortet). Insgesamt ermöglicht der Beitrag es jedoch Leserinnen und Lesern, sich ein eigenes Bild von der Problematik und zu den vorliegenden Argumenten zu machen.

5. PRESSEMITTEILUNG: Der Beitrag geht deutlich über die Pressemitteilung / das Pressematerial hinaus.

Der Beitrag glänzt durch ausführliche eigene Recherchen, viele Quellen, Zitate und Reportageelemente.

6. ALT oder NEU: Der Beitrag macht klar, ob es sich um ein neu aufgetretenes Umweltproblem, eine innovative Umwelttechnik o.ä. handelt, oder ob diese schon länger existieren.

Die Historie der Antibiotika in der Tiermast wird nicht angesprochen, es bleibt unklar, was den Anlass der Recherche bietet und seit wann das Problem besteht. Der Beitrag beschreibt zwar anhand einiger Zahlen den rasanten Trend zur Konzentration in der Tiermast. Dass damit die Gabe von Medikamenten im Gleichschritt erhöht wurde, kann man zwar annehmen, aber es wird nicht explizit berichtet. Seit wann der Antibiotikaeinsatz in der Massentierhaltung als Problem erkannt wurde, erfahren Leserinnen und Leser nicht.

7. LÖSUNGSHORIZONTE und HANDLUNGSOPTIONEN / kein „Greenwashing“: Der Beitrag nennt Wege, um ein Umweltproblem zu lösen, soweit dies möglich und angebracht ist.

Mit der Beschreibung der Situation in Dänemark und in den Niederlanden, wo durch andere Organisationsstrukturen die Probleme geringer sind, ist dieses Kriterium erfüllt. Auch der Hinweis am Textende auf alternative Bezahlmodelle der Tierärzte zeigt einen Lösungsweg auf.

Gleichwohl wäre es schön gewesen, wenn der Beitrag auch noch auf Handlungsoptionen im persönlichen Konsum hingewiesen hätte: Können Verbraucherinnen und Verbraucher erkennen, ob Fleisch ohne (übermäßige) Verabreichung von Antibiotika erzeugt wurde? Wie ist die Situation beim Einkauf auf kleinen Höfen? Oder ist man nur mit Bioware auf der sicheren Seite (oder auch nicht einmal dort)? Ein Hinweis darauf, dass es nur durch die geschilderten Geschäftsstrukturen möglich ist, Fleisch so billig zu verkaufen, wie wir es in Deutschland kennen, hätte den Text bereichert.

8. RÄUMLICHE DIMENSION (lokal / regional / global): Die räumlichen Dimensionen eines Umweltthemas werden dargestellt.

Einerseits kommen räumliche Aspekte im Beitrag vor: Es wird berichtet, dass rechtliche Vorgaben in Deutschland andere sind als beispielsweise in Dänemark oder in den Niederlanden. Andererseits wird die Frage der Ausbreitung von Resistenzen in ihrer räumlichen Dimension nicht ausreichend dargestellt. Besteht das Problem vor allem in Regionen mit intensiver Landwirtschaft, betrifft es ganz Deutschland, Europa, oder ist es inzwischen sogar ein globales Problem? Insgesamt bleibt es, auch in Anbetracht der Länge des Textes, ein sehr deutscher Beitrag. Bei Agrarfragen und einem solch langen Text wäre zumindest zu erwarten, dass die Frage nach EU-Regularien und der Situation in der europäischen Landwirtschaft insgesamt gestellt wird. Daher werten wir „knapp nicht erfüllt“.

9. ZEITLICHE DIMENSION (Nachhaltigkeit): Die zeitliche Reichweite eines Umweltproblems oder Phänomens wird dargestellt.

Die zeitliche Dimension des Themas spricht der Beitrag insofern an, als er die zunehmende Konzentration in der Tierhaltung beschreibt („Von den 250.000 Schweinehöfen, die es 1993 noch gab, existiert nur noch jeder zehnte. Versorgte ein Landwirt kurz nach der Wiedervereinigung durchschnittlich 100 Schweine, sind es heute zehn Mal so viele.“). Wie sich dabei die Gabe von Antibiotika entwickelt hat, bleibt offen, da diese Zahlen laut Artikel erst seit 2011 erhoben werden. Diese letzten drei Jahre werden gut analysiert und die Angaben aus dem Bericht der Bundesregierung zu einem vermeintlichen Rückgang des Antibiotikaeinsatzes kritisch hinterfragt. Ob die Aussagen des befragten Veterinärs „Viele der resistenten Keime gab es doch schon vor 30 Jahren“, und „Seitdem ich Tierarzt bin, kann ich keinen Anstieg der Resistenzen bemerken“ mit Zahlen zu belegen bzw. zu widerlegen sind, bleibt indes offen. Wir werten daher nur „knapp erfüllt“.

10. KONTEXT / KOSTEN: Es werden politische, soziale oder wirtschaftliche Aspekte eines Umweltthemas einbezogen.

Der Beitrag schildert, in welchem wirtschaftlichen und politischen Umfeld Antibiotika in der Massentierhaltung eingesetzt werden. Er berichtet, dass mit dem Dispensierrecht für Tierärzte ein hoher Anreiz besteht, Medikamente zu verordnen. Mit den Umsatzzahlen großer Tierarztpraxen wird die wirtschaftliche Dimension des Problems deutlich. Der Beitrag erwähnt zudem, dass eine andere Regelung möglicherweise leicht zu umgehen wäre.

Insgesamt werden die Rahmenbedingungen für den Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung ausgiebig diskutiert.

Allgemeinjournalistische Kriterien

1. THEMENAUSWAHL: Das Thema ist aktuell, oder auch unabhängig von aktuellen Anlässen relevant oder originell.

Antibiotikaresistenzen sind ein für die Gesundheit relevantes und latent aktuelles Thema. Die zitierte Studie und die daraus resultierenden Stellungnahmen stammen aus den letzten Wochen. Relevant sind außerdem die Aspekte Umgang mit Tieren und Ernährung.

2. VERMITTLUNG: Komplexe Umweltzusammenhänge werden verständlich gemacht.

Der szenische Einstieg ist gelungen und macht sofort klar, dass es hier um einen Bericht aus der Praxis geht. Der Text ist lebhaft geschrieben, hat einen interessanten Protagonisten, liefert viele Beispiele und liefert mit der plastischen Darstellung zugleich zahlreiche Informationen. Mitunter setzt er etwas viel voraus: Man kann nicht davon ausgehen, dass der durchschnittliche Leser Abkürzungen wie „MRSA“  oder „ESBL-Bildner“ kennt.

3. FAKTENTREUE: Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder.

Uns sind keine Faktenfehler aufgefallen.

Umweltjournalistische Kriterien: 8 von 10 erfüllt

Allgemeinjournalistische Kriterien: 3 von 3 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar